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Hier kann er froh sein und des Tags genießen,

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Dort müßt’ er frieren, Buße thun und darben;

Hier kann Gesang am reinsten sich ergießen,
Denn welche Dichter lebten hier und starben!
Drum kann zu fliehn er sich noch nicht entschließen
Das Reich des stäten Lenzes und der Farben.

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Indessen wünscht er sich geneigte Leser

Vom Strand der Donau bis zum Strand der Weser!

Zwar hie und da bewirkt er kein Behagen,
Weil ihn die Mandarine streng verbieten!
Doch, fürcht’ ich, wird sie Langeweile plagen,

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Wenn sie die Welt zurückgeführt auf Nieten.

Auch läßt sich Wahrheit nicht so leicht verjagen:
Johannes Huß und andre Ketzer brieten,
Ihr Wort jedoch erklang von Ort zu Orte:
Welch eine Tugend ist die Kunst der Worte!

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Zwar hier und da giebt’s keine Demagogen;

Doch Seelen giebt’s, durch Worte nicht erreichbar,
Mit siebenfachem Leder überzogen,
Dem Schild des Ajax im Homer vergleichbar.
Sie sind wie steile Klippen in den Wogen,

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Auf ewig hart, auf ewig unerweichbar:

Es spritzt die Flut empor mit leisen Scherzen,
Und schmiegt sich an, als hätten Steine Herzen!

Doch nun erzähl’ ich, statt ein Grillenfänger
Zu scheinen euch und euch die Zeit zu rauben,

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Wenn ihr mir anders noch ein Stündchen länger

Zuhören wollt und meinen Worten glauben,
Wenn anders je mich, wie Horaz den Sänger,
Als blondes Kind verliebte Turteltauben
Bestreut mit Lorbeer, den sie mit dem Schnabel

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Für mich gepflückt im schönen Land der Fabel.



Empfohlene Zitierweise:
August Graf von Platen: Die Abbassiden. J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1847, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Abassiden_(Platen).pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)