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Seite:Die Werke italienischer Meister (Morelli).pdf/83

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edeln Francesco Raibolini, Francia genannt,[1] den ich in seinen Gemälden als von Lorenzo Costa, seinem Ateliercollegen, abhängig betrachte, hängen zwei ächte und gute Bilder im Saale 9. Das eine, No. 577, allgemein bekannt, stellt die h. Jungfrau in einem Rosenhage dar, das göttliche Kind verehrend; das andere, No. 575, die Madonna, das Christkind haltend, welches auf einem Tische steht, der mit einem goldgewirktem Teppiche bedeckt ist. Dies ist eine Jugendarbeit des Meisters. Daß übrigens Francia Schüler des Marco Zoppo gewesen sei, sagen zwar Bücher, nicht aber die Werke des Meisters selbst, weder seine Nielloarbeiten noch viel weniger seine Gemälde, welch’ letztere, was die Technik betrifft, alle auf Lorenzo Costa hinweisen.[2]


  1. Francia ist eine Zusammenziehung von Francesco. Auch die Florentiner hatten ihren Francione, ihren Franciabigio (Francesco Bigi).
  2. Das Atelier des Francia in Bologna bestand aus zwei Stockwerken; im obern wurden Bilder gemalt, und zwar unter der Leitung des Lorenzo Costa, im untern wurden Gold- und Silberarbeiten gefertigt, Münzen geschlagen u. s. w. unter der Leitung des Francia. Die Sage, daß Francia Schüler des Marco Zoppo gewesen, ist höchst wahrscheinlich in Bologna entstanden und zwar erst im 17. Jahrhundert. Man wollte eben dem Bolognesen Francia zum Lehrer auch einen Bolognesischen Maler geben. Zu dieser Annahme hat nur der Localpatriotismus geführt. Malvasia ist es, welcher dieselbe (in seiner „Felsina pittrice“) zum besten giebt. Derselbe Localschriftsteller läßt nämlich, um das Maaß voll zu machen, den Marco Zoppo von Lippo Dalmasio abstammen, den Francia von Marco Zoppo und läßt den Lorenzo Costa Schüler des Francia sein. Es ist das natürlich nur ein von einem Municipalkoche zubereiteter Brei. Wahrscheinlicher scheint es mir, daß Francia bei irgend einem Goldschmiede in Bologna die Anfangsgründe der Zeichenkunst erlernt und vielleicht später unter der Leitung des schon im Jahre 1470 in Bologna ansäßigen Francesco Cossa sich weiter im Zeichnen ausgebildet habe. Seine zwei zwischen 1480–1485 gefertigten „paci“ (Nielloarbeiten), die man in der Pinakothek von Bologna sieht, erinnern nämlich in der Zeichnung und im Faltenwurfe an die Art des Cossa. Der als Künstler unbedeutende Marco Zoppo, Schüler des Squarcione, verweilte zudem fast sein ganzes Leben hindurch in Venedig. Dem sei aber wie ihm wolle, soviel ist mir gewiß, daß Francia weder von der Kunstrichtung des Perugino, noch von der des jungen Rafael beeinflußt [65] wurde, wie Herr Marggraff behauptet. Ja, es dürfte im Gegentheil bei tieferer Forschung sich herausstellen, daß eher Rafael mittelbar, d. h. durch seinen Landsmann Timoteo Viti, dem Schüler Francia’s, in seinen ersten Jugendarbeiten Einflüße der Schule Francia-Costa in sich aufgenommen habe, wie ich dieß bei einer späteren Gelegenheit zu beweisen versuchen will.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/83&oldid=- (Version vom 31.7.2018)