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Dienstag, 7 Sept. 43.     

     Gestern in der bibl. Geschichte: Kain u. Abel. Frau Charlotte Schmitt, deren kleine Tochter am Unterricht teilnimmt, drängte sich zu Beginn ins Zimmer, um zuzuhören. Ich werde mir das künftig verbitten, es stört mich u. die Kinder. Wo käme ich hin, wenn alle Muttis zuhören wollten. Diese Frau Schmitt ist eine höchst alberne Person u. ist dauernd in Angst, daß ihre Kinder Schaden an ihrer Seele nehmen könnten, wenn sie solch grausige Geschichten wie Kains Brudermord hören. Sie selbst ist ganz Gottlos u. steht auf dem Standpunkt: Der Mensch ist gut, – doch mußte sie mir nach dem Unterricht, als ich mit ihr sprach, selbst erzählen, daß eines Tages am Strande eines der lieben Kinder, die dort mit ihren Kindern spielten, einen Spaten genommen habe u. ihn ihrem Kinde auf den Kopf geschlagen habe. Es habe eine große, blutende Wunde gegeben. – Sie erzählte mir sehr stolz, daß sie ihren Kindern niemals den Struwelpeter vorgelesen habe, weil darin lauter grausige Geschichten erzählt wurden, worauf ich ihr erwiderte, daß wahrscheinlich die Schlechtigkeit der Menschen aus diesem Buche käme u. ihre eigenen Kinder nun lauter Engel seien. Es wäre somit das Problem des Bösen in der Welt sehr leicht zu beseitigen, indem man einfach den Struwelpeter u. ähnliche Bücher vernichtete. Uebrigens räumte sie ein, daß es ihr auch ohne Struwelpeter recht schwer geworden wäre, ihnen das Lügen abzugewöhnen. Ich meinte, daß ihr das mit dem Struwelpeter vielleicht leichter gelungen wäre.

Mittwoch, 8. September 1943     

     Gestern, als wir Nachmittags auf der Terrasse saßen u. Kaffee tranken, erschien ganz überraschend Rektor Dütemeyer aus Müritz in Begleitung eines Herrn, der sich als ein Pater Meer S. J. aus Essen entpuppte. Er ist in Müritz, um den Rektor zu vertreten, da er auf Urlaub gehen will. Unsre Freude war sehr groß. Im Laufe des Gesprächs ergab sich, daß nichts im Wege stand, wenn P. Meer hier bliebe, um uns heute eine hl. Messe zu halten im Hause der Aquinaten, was denn auch geschah. Er hielt heute früh um 8 Uhr ein feierliches Hochamt. Martha hatte alle Katholiken zusammengetrommelt, sodaß die alte Frau Longard mit ihrer Enkelin da war, ferner Frau Monheim mit ihrer Tochter, Frau Beichter, dazu der alte Herr Heimann mit Tochter, Schwester Maria u. das Mädchen der Aquinaten. Es waren sechs Kommunikanten. P. Meer ist heute Mittag wieder mit dem Dampfer über Ribnitz zurückgefahren, Rektor D. mußte leider schon gestern Nachmittag wieder zurück.

     P. Meer erzählte Furchtbares aus Essen, u. a., wie in dem Keller, in dem er war u. wohin er das Allerheiligste u. die Monstranz u. den Kelch, dazu noch Meßgewänder usw. gerettet hatte u. in dem er mit vielen anderen Menschen, meist alten Frauen, gesessen hatte, es so heiß wurde, daß sie raus mußten. Sie haben versucht, durch Kellerdurchbrüche zu entkommen, doch erwies sich das als aussichtslos, da es überall gleichmäßig brannte. Ich weiß nicht mehr, wie ihnen die Rettung doch noch gelang; aber er sagte, daß er später hingegangen sei, um das Allerheiligste, die Monstranz, den Kelch u. die Gewänder zu bergen, doch sei von all dem nichts mehr vorhanden gewesen. Alles war infolge der furchtbaren Hitze verkohlt u. das Metall war geschmolzen. Dasselbe habe ich auch von Hamburg gehört, wo die Steintrümmer über den Kellern noch nach Tagen so heiß gewesen sind, daß man an die Keller nicht heran konnte. Die Menschen in diesen Kellern waren verkohlt u. so zusammengeschrumpft, daß man sie in Kästen verpacken konnte. Man erzählte sich von Müttern, die ihre verkohlten Kinder in normalen Koffern bei sich führten, um sie irgendwo zu beerdigen.

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Hans Brass: TBHB 1943-09-07. , 1943, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-09-07_001.jpg&oldid=- (Version vom 20.5.2024)