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Sonntagszwang

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Sonntagszwang
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 40
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[40] Sonntagszwang. Niemand hindert bekanntlich die pietistischen Geistlichen, den Sonntag mit ihren Betbrüdern und Betschwestern ganz so muckerhaft zu feiern, wie es ihnen beliebt. Niemand auch wehrt es ihnen, Propaganda zu machen und der Art ihrer Sonntagsfeier so viele Liebhaber zu gewinnen, wie sich finden lassen wollen. Wenn sie aber, ihrer dreisten und herrschsüchtigen Art zufolge, auch in diesem wie in jedem anderen Punkte ihre specielle Ansicht zu einer Richtschnur der Gesammtheit machen und als die allein berechtigte allen anderen Menschen aufzwingen möchten, so werden wir bei Zeiten gegen eine solche Absicht uns verwahren müssen. Bedanken wird sich unstreitig Jeder dafür, dem seine freie Bewegung noch irgend lieb ist und der dem Volke den Weg zu edler und würdiger Gestaltung der Sonntagsfreude nicht durch die finsteren Machtgebote einer einseitigen kirchlichen Richtung verlegt sehen will. Seitens der pietistischen Partei werden aber in der That seit längerer Zeit Anstrengungen gemacht, uns von ihren Bet- und Bibelstunden aus mit einer Abart des öden und freudenlosen puritanisch-englischen Sonntags zu beglücken, der bekanntlich die unschuldigsten Zerstreuungen verbietet und dem bis zur Verzweiflung gelangweilten Menschen nur noch den Gang in die Kirche offen läßt.

Der Hauptsache nach soll der Zweck durch das Mittel des staatlich-gesetzlichen Zwanges erreicht werden, und eine entschiedene Bewegung dafür ist im Gange. Es wäre gut, wenn dieselbe nicht gänzlich unterschätzt würde. Denn durch ihre Stimmenmehrheit in den deutschen Kirchensynoden haben die orthodox-pietistischen Theologen wieder eine gewisse Art von Einfluß erlangt, wie sie überhaupt an mächtigen Stellen starke Reste eines geheimen Einflusses sich zu wahren wußten. Schon sind in der genannten Hinsicht laute Klagerufe und leise Wünsche an den deutschen Reichstag gerichtet worden, und in Genf hat sich kürzlich eine Anzahl orthodoxer Zionswächter zu einem internationalen, auch von deutscher Seite her besuchten Congreß für bessere „Sonntagsheiligung“ versammelt, auf dem der pietistische Wortführer Naville gelassen und ohne Widerspruch der Versammelten das erstaunliche Wort ausgesprochen hat, daß die Aufgabe des Sonntags „der Kampf gegen den Unglauben an den lebendigen Gott und an – die leibliche Auferstehung Jesu“ sei.

Zu einer so geistlosen Dürre und Verkrüppelung schrumpft eine Angelegenheit der socialen Gesammtheit, eine große Volks- und Menschheitsfrage, wie es die Erholungsfreude des Sonntags ist, in den Seelen dieser engen und verblendeten Parteimenschen zusammen. Für uns Alle soll der wöchentliche Ruhetag so hergerichtet werden, damit wir bequemer zu Pietisten gemacht und zum Glauben an die Satzungen der Orthodoxen bekehrt werden können. Glücklicher Weise ist in der gesunden Mehrheit des Volkes nicht das geringste Verständnis für das Kauderwelsch dieses Standpunktes und seiner Sprache vorhanden, und besonders willkommen muß es auch geheißen werden, daß sich in der Kirche selber eine sehr entschiedene Opposition gegen alle Vermuckerung der Religion und des Lebens zu regen beginnt. In Berlin muß wohl als Lobredner des Genfer Congresses jener Hofprediger Baur aufgetreten sein, der im vorigen Jahre dem Humbug der reisenden amerikanischen Betvirtuosen so begeisterungsvoll das Wort geredet hat. Denn an diesen Collegen bei der Hofkirche hat soeben ein bejahrter Geistlicher der Hauptstadt, der hochangesehene und freisinnige Pastor Dr. Hoßbach ein offenes Sendschreiben gerichtet, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt.

„Was,“ so schreibt Pastor Hoßbach, „was hat die brennende und trennende, die Gemüther erhitzende Frage der leiblichen Auferstehung Jesu mit den vorwiegend auf Erzielung der Ruhe gerichteten Bestrebungen für die Sonntagsfeier zu thun? Mir scheint es für eine würdige Feier des Sonntags und für das Gesammtwohl des Volkes dringend nöthig, wenn unser Volk den Sonntag nicht blos zu religiöser Feier, auch nicht einmal vorwiegend zu ihr, sondern zu allen Erquickungen des Leibes und des Geistes, zu Vergnügungen und Geselligkeit, zum Besuche des Schauspiels und der Concerte benutzt, kurz zu Allem, was sittlich erlaubt ist und was die nicht mit Arbeit überladenen Bürger ohne Sünde in der Woche sich erlauben. Sie dagegen muthen unserem Volke zu, auf das Meiste davon Verzicht zu leisten, aber darum so leichten Herzens, weil Sie auf einem Standpunkte stehen, der jene (weltlichen) Momente über Gebühr gering schätzt. Ich fürchte, daß dadurch der Sonntag für unser Volk aus einem Tage der Freude zu einem Tage der Qual wird.“ Die schwarze Theologenpartei hat das Ansehen der Geistlichkeit so geschädigt, daß es bei Vielen schon Verwunderung erregt, wenn ein Geistlicher heute noch so vernünftig über eine selbstverständliche Sache zu urtheilen vermag. Wir aber wissen, daß Herr Hoßbach doch nur im Sinne vieler geistlicher Amtsgenossen gesprochen hat.