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Speranza

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Textdaten
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Autor: August Schneegans
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Titel: Speranza
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1–4, S. 14–15, 29–31, 45–48, 63–66
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[14]
Speranza.
Novelle von A. Schneegans.

Ein seltsam ergreifendes Bild war es, das sich an jenem Märzabend des Jahres 14.., in einem wilden Felsenthale, an der Ostküste Siziliens, dem Auge darbot. Auf einem Felsblock, die schmalen weißen Hände über die Kniee gefaltet, saß eine Jungfrau; sie trug das Gewand der Novizen des Ordens des San Benedetto. Ein wunderbarer Adel aber lag über der feinen, unter diesem einfach groben Anzug wie verschleierten Gestalt. Nicht für diese Nonnentracht schien das Mädchen geschaffen; nicht für hölzerne Sandalen dieser kleine Fuß, der unter der Kutte hervorblickte, nicht für die schmalanliegende Klosterhaube dies edelgeformte Haupt und das von schwarzen Locken umrahmte, griechisch geschnittene Antlitz; und dies tiefe Auge, mit den langen, wie aus Seide gewebten Wimpern und mit dem feuchtverklärten, so wunderbar leuchtenden Blick – nein! für die matte, kerzenzitternde Dämmerung einer engen Kapelle war dies Auge nicht geschaffen, sondern für die weiten, goldblitzenden Räume eines Fürstenschlosses, für das Wogen und Weben eines königlichen Hofstaates, unter schimmerndem Kronleuchter, inmitten von Rittern und Edelfrauen, mit Diamantengeflimmer und Geschmeidegefunkel!

Weitgeöffnet, mit dem Ausdrucke des Schreckens und doch wieder des trotzigen Muthes, haftete das Auge auf der Erde, wo, zu Füßen der Jungfrau, von den Wellen des aus dem Felsen brechenden Quells bespült, mit zerschmettertem Kopfe ein mächtiger Wolf lag, langsam zog sich ein Streifen schwarzen Blutes von der klaffenden Wunde in dem Wasser hin. Den nackten Fuß aber auf des Ungethüms Nacken gestemmt, mit der Linken an seinen langen, knorrigen Hirtenstab gelehnt, und mit einem siegreich kühnen Jubel im Auge, beugte sich ein Jüngling – fast ein Kind noch war er zu nennen – zu dem Mädchen hin. Stolzer sah wohl auf dem Altarbilde kein drachentödtender Erzengel Michael aus, als dieser kleine Hirt, in seinem zerrissenen Lumpenanzug, mit dem lose flatternden Schaffell über dem Rücken. Sein Auge suchte des Mädchens Blick, es suchte ihn mit einem Ausdruck von verzehrender Sehnsucht, die aber zugleich mit wilddrohender Entschlossenheit um Erwiderung flehte. Unter seiner von krausem Lockenhaar halbverdeckten Stirn zogen sich des Knaben Brauen zusammen und krampfhaft zuckte sein Mund, als dränge sich gewaltsam eine nach Antwort ringende Frage über seine Lippen.

Langsam erhoben sich jetzt der Jungfrau Augen zu ihrem Retter empor, und wie der Blick dieser wundersamen Augen den Knaben traf, da war es, als eröffne sich der Himmel über ihm, so ergoß sich über sein Antlitz ein Leuchten von seliger Freude.

„Wie gut bist Du, und wie stark!“ sprach das Mädchen, „Du hast mich geschützt und gerettet, nimm hin meinen Dank aus vollem Herzen.“

Sie reichte ihm ihre Hand hin. Es war eine Gebärde, wie von einer Fürstin, langsam und voll würdevoller Grazie, zum Handschlage wohl weniger, als zum ehrerbietigen Handkusse hingereicht. Ihre Hand faßte der Knabe rasch in die seinige, und – kam es von jener eine Huldigung herausfordernden Gebärde? – auf ein Knie ließ er sich nieder vor der Jungfrau und sagte:

„Ach, Schwester Speranza, wie glücklich bin ich heute!“

Mehr vermochte der Knabe nicht über seine Lippen zu bringen. Die Worte, die er suchte, die den Gefühlen, welche so gewaltig in seinem Herzen tobten, Ausdruck geben sollten, er fand sie nicht. Was waren aber auch Worte? und was brauchte er zu sprechen? Er war glücklich, und er hatte es ihr gesagt, und weiter hatte er ihr nichts zu sagen.

Speranza zog langsam ihre Hand aus der seinigen. Ein trauriges Lächeln flog über ihre Züge, als sie sagte:

„Nino, liebes Kind! so gerne gäb’ ich Dir Etwas, und die Dankesgefühle, die ich von diesem Tage an für Dich im Herzen trage, in ein Erinnerungsgeschenk möchte ich sie einschließen, auf daß Du diese Stunde und meine Dankbarkeit niemals vergessen mögest; sprich, Nino! was soll ich Dir geben? Dein Wunsch soll für mich wie ein Befehl der heiligen Jungfrau sein. Hier freilich nenne ich nichts mehr mein Eigen, aber später, wenn ich wieder frei sein werde ...!“

„Doch, ja!“ rief aufspringend der Knabe, und ein Blitz schoß aus seinem Auge, „ja! Etwas nennst Du Dein Eigen, Speranza! Und wenn Du mir es geben wolltest ... ach! den Saum Deines Kleides würde ich küssen, als wärst Du die heilige Madonna selber, und ich Dein Knecht für alle Ewigkeit!“

Sie schien zu errathen, wovon er sprach: aus einer Brustfalte ihres Gewandes blinkte der goldene Arm eines kleinen Kreuzes hervor, das sie, an einem schwarzen Bande befestigt, um den Hals gebunden trug.

„Mein Kreuz willst Du haben?“ fragte sie, aber mit welchem Beben in der Stimme! Und wie umflorte plötzlich ein Ausdruck tiefen Schmerzes ihr schönes, sinniges Auge!

„Wie ein Befehl der heiligen Jungfrau, sagtest Du, solle mein Wunsch für Dich sein,“ erwiderte Nino rasch. „Siehe! auf Deinem Herzen trägst Du das Kreuz, ... laß es auf meinem Herzen ruhen!“

Sie antwortete nicht. Leichenblässe bedeckte ihr Angesicht. Sie ließ das Haupt auf ihre Brust sinken. Leise bewegten sich ihre Lippen.

„Heilige Madonna!“ seufzte es tief aus ihrem Herzen heraus, „wurde von Dir, wie ein göttlicher Befehl, dieser Wunsch auf dieses Kindes Zunge gelegt? O Madonna! o Madonna! Gehorsam hab’ ich Dir gelobet, Gehorsam in allen meinen Nöthen; die Wege, die Du mich führst, sind finster, und begreifen soll ich sie nicht, aber zum Leben und zur Freiheit und zum Glücke willst Du mich geleiten, heilige Jungfrau, und Deinem Befehle darf ich mich nicht widersetzen ... O mein schönes Liebespfand, o meine letzte Erinnerung an mein süßes Erdenglück – so fahre denn hin!“

Und rasch entschlossen, mit heftigem Ruck, riß sie das Kreuz von ihrem Halse und reichte es dem Knaben hin. Aus lauterem Golde war es getrieben, kostbare Perlen verzierten seinen Rand; ein Wappen, von einer Herzogskrone überragt, war in der Mitte, in erhabener feiner Arbeit, ausgeschnitten. Wie der Knabe die Hand ausstreckte, schien es plötzlich, als bebe sie zurück und könne den Entschluß nicht mehr ausführen, mit leidenschaftlicher Gebärde führte sie das Kleinod an ihre Lippen, als wolle sie es nie und nimmermehr hergeben.

„Bei der Madonna hast Du’s gelobt, Speranza!“ rief ihr Nino zu.

Da entfloß ein Thränenstrom ihren Augen. „Fahre hin, mein Leben, fahre hin!“ flüsterte sie, und mit umgewandtem Antlitze überließ sie dem Kinde das Kreuz. Nino riß es mit einer zornigen, wilden Hast an sich; in seinen Augen flammte ein drohender Blitz und seine Lippen zuckten wieder, wie vorhin, als sie ihm zu antworten gezögert hatte.

„Speranza !“ sagte er dann, „von dieser Stunde an bin ich Dein Knecht, gebiete über mich! Mehr als eine Heilige des Himmels liebe ich Dich! – und siehe! wie ich diesem Wolf heute den Schädel zerschlagen! – Jedem, Speranza!“ fügte er mit wildem Ausrufe hinzu. „Jedem!“

Und, den todten Wolf über seine Schultern werfend, setzte er über den Bach und verschwand zwischen den Felsen.

Speranza schaute ihm lange nach. Armes Kind!“ seufzte sie vor sich hin. Endlich erhob sie sich ihrerseits und schlug den Weg zu dem Kloster ein, das umschattet von hohem Platanenwalde dort unten im Thale lag.

Es war ein alter Normannenbau. König Roger, der Sarazenenbesieger, hatte Kirche und Kloster erbaut, um ein Gelübde zu erfüllen, das er den Bürgern der Stadt Messina gethan hatte, als er deren Mithilfe zur Befreiung Siciliens von den Ungläubigen erflehte. Ein Wunderbild der heiligen Madonna hatte der fromme Krieger dem Kloster geschenkt, und lange Jahre hatte es über dem Hochaltar gestanden, von den Schwestern des San Benedetto wie ein unvergleichliches Heiligthum bewahrt, bis es, bei Ausbruch einer verheerenden Seuche, von dem Erzbischof zum Schutze der geängstigten Bevölkerung in die nahe Stadt getragen und dort mit großer Feierlichkeit in einer neuen Kirche untergebracht worden war. Dem Bilde waren die Schwestern gefolgt, und jetzt lag die alte Kirche verlassen im verödeten Thal, ein Verbannungsort für die von der gestrengen Oberin zur Buße verurtheilten Nonnen und Novizinnen. Noch erhoben wie früher die zinnengekrönten [15] Mauern ihr stolzes Haupt; noch ruhte in festen Angeln die schwere, eisenbeschlagene Thür; noch fiel durch die in feurigem Farbenspiel leuchtenden Fenster die Sonne auf den im Dämmerschein der himmelanstrebenden Spitzbogen ruhenden, reichverzierten Altar: – schon züngelte aber der kletternde Epheu an den von manchen Rissen klaffenden Mauern empor; schon sproßte der duftende Thymian aus den Spalten des flachen Daches, und durch die in früheren Zeiten so sorgsam gepflegten Platanenanlagen und in reichem Blumenflor prangenden Gärten rieselten schon die Waldbäche und rankten nach allen Seiten hin, Wege und Pfade überziehend, die gelben Ginsterstauden und das weiße Heidekraut, vermischt mit Rosen und Veilchen, ein traurig liebliches Zeugniß der vergessenen Herrlichkeit vergangener Jahrzehnte.

Als Speranza, langsamen Schrittes durch den verwilderten Klostergarten schreitend, den Fuß des alten Gemäuers erreichte, wo, an der Kirche angebaut, sich die engen Wohnräume der Nonnen befanden, öffnete sich, im Abendwind klirrend, ein Fensterchen im einzigen Stockwerke des halb schon wie eine Ruine auf seinem niederen Hügel liegenden Klosters.

„Was treibst Du Dich wieder so lange in den Bergen herum, Speranza?“ rief eine schrille Stimme herunter, „kaum kommst Du noch zur rechten Zeit, um zum Ave Maria zu läuten – und die Glocke, das weißt Du doch, soll von keiner andern Hand, als von der Deinigen geläütet werden! Gedenke der Buße, welche die Oberin Dir auferlegte, und spute Dich!“

Speranza erhob das Haupt. Wundersam spielte die untergehende Sonne auf ihrem Antlitz und übergoß die feinen, edlen Züge wie mit einem goldenen Märchenschimmer.

„Schwester Josefa!“ antwortete das Mädchen der älteren, aus dem Fenster zu ihm herunter schauenden Schwester, „meine Schuld ist es nicht! Nicht weiter in den Bergen war ich, als bis zu dem Quell, wie Du es mir erlaubtest – und siehe! ich zittere noch, und kaum vermochten meine Glieder mich bis hierher zu tragen. Von einem wilden Wolfe wurde ich dort überfallen, und wenn ich noch zu den Lebenden zähle, Schwester Josefa, so verdanke ich es nur dem kleinen Nino, dem Sohne Letterio’s, des Klosterbauern, der noch zur rechten Zeit ...“

Aber die mageren Arme wie zur Abwehr gegen sie ausstreckend, unterbrach sie die Schwester Josefa:

„Willst Du Dich an dem Himmel versündigen, Du unbußfertige, sündenbefleckte Magd? Der heiligen Jungfrau danke für Deine wunderbare Errettung, nicht aber jenem Hirtenknaben! – Ja, nur Nino heißt es seit einiger Zeit, und immer und überall nur Nino! – Am Quell findest Du diesen Nino jeden Morgen, und von den Bergen steigt er herunter, um Dir Blumen zu bringen, und im Klostergarten wartet er jeden Abend, daß Du Dich von Deinem Fenster herunter mit ihm unterhaltest! – So vergiltst Du meine Nachsicht und die Milde, mit der ich Dich, dem Willen der Oberin entgegen, behandle? Nun ist es aber auch genug; im Kloster werde ich Dich einschließen, daß Dir weder reißende Wölfe, noch lebensrettende Hirtenbuben über den Weg laufen! Heilige Madonna! wie schlimm sieht es in Deinem Herzen aus! Dem gleißnerischen, frechen Spanier hast Du noch nicht entsagt, und nun bethört schon dieser Hirtenknabe Dein sündiges Herz!“

Bei diesen letzten Worten Josefa’s war es aber, als zucke ein Beben durch alle Glieder des jungen Mädchens. Hoch richtete sich Speranza auf und mit anderem Klange als bisher tönte ihre Stimme, fest und herrisch, als sie der Schwester Josefa antwortete:

„Meinen Händen darfst Du gebieten, Schwester Josefa, so lange die heilige Madonna mir die Pflicht des Gehorsams auferlegt; meine Füße darfst Du in Sandalen schnüren; eine härene Kutte darfst Du über meine Schultern werfen; – über mein Herz aber hast Du keine Gewalt. Hier steht der Grenzstein für Deine Macht und für die Macht von Euch Allen! Und hier, vergiß es nicht, hier bin ich allein die Gebieterin und werde die einzige Herrin bleiben, heute und morgen und auf immerdar! – Und nun ... weil es die Madonna gebietet ... öffne mir die Thür und reiche mir die Glockenstränge, daß die Fürstentochter ihres Amtes walte!“

„Ha! zeigst Du wieder Dein wahres Gesicht, und bricht der alte Stolz und sündige Trotz wieder hervor aus Deinem nur scheinbar in Demuth ergebenen Herzen?“ rief es mit heiser kreischender Stimme aus Schwester Josefa’s zahnlosem Munde zurück. „Ja! walte Deines Amtes, Fürstentochter! Verrichte Deinen Dienst, Du stolzes Fürstenkind! Ziehe am Glockenstrange, bis Deiner weißen Hände Fürstenblut auf des Altars Stufen tröpfle, ja, bis Dein trotziges Herz, gedemüthigt und gebrochen, der Hoffahrt der Welt entsage! Ziehe am Glockenstrang, Du Fürstentochter, wie die niedrigste Magd!“

Länger als gewöhnlich und wie mit scharfem, hartem Klingen tönte an diesem Abende das Glöcklein des Ave Maria durch das einsame Thal. Zur Erde gebückt, mit gefalteten Händen, hörten es die Bauern und Hirten und murmelten andächtig ihre Gebete, und leise fragend sprachen sie zu einander: „Wie ein Weinen tönt die Glocke durch die Dämmerung, dort büßt wohl eine fromme Schwester ihre Sünden ab? Die heilige Madonna beschütze und befreie sie vom Bösen!“

Am Fuße des Hochaltars in der stillen Klosterkirche sank Schwester Speranza zur Erde, blutige Striemen zogen sich über ihre weichen Hände.

„Nun bete! bete für Dich und für die Anderen!“ rief ihr beim Scheiden Schwester Josefa zu. „thue Buße in Staub und Asche vor der barmherzigen Mutter Gottes für die Sünden Deines Herzens und Deiner Gedanken!“

Barmherziger als die Menschen aber war die gnädige Mutter Gottes, denn leise träufelte sie himmlische Ruhe in des Mädchens Seele und dem linden Schlummer erlaubte sie die Sinne der flehenden Magd zu umfangen, daß sie entrückt wurde aus der nachtumhüllten Kirche in die Erinnerung an ihr früheres, sonniges Leben voll Glückverheißungen und wonniger Liebe.

Sie sah sich wieder im Fürstenschloß zu Palermo in dem in blauer Mondesnacht schimmernden Garten, wo unter leise rauschenden Bäumen die Marmortreppe zum Meere hinunterzog und plätschernd auf den weißen, leuchtenden Steinen die Wellen ihr einig kosendes Liebes- und Lebenslied sangen. Fast bespülten die Wellen den kleinen Fuß der über die flimmernde Meeresfläche hingebeugten Jungfrau, den Arm hatte sie um eine Säule geschlungen und den Blick, den suchenden, liebenden, sandte sie hinaus, weit hinaus in die Mondesnacht, ob er wohl noch lange säume, der herrliche Ritter, der ihr ewige Liebe geschworen, dem sie ewige Liehe wiedergeschworen hatte? Und siehe! dort blitzte kräuselnder Silberschaum um einen leise schwebenden Nachen, und dem Ufer nahte das Boot – und wie herrlich und edel und männlich schön trat er herauf zu ihr, der Einziggeliebte! und wie erbebte ihr Herz, als sein Arm sich um ihre Hüfte legte und als sie seine Stimme vernahm:

„Blandina!“ flüsterte er leise zu ihr, „was zitterst und was zagest Du? Wenn Du es willst, Deine Hand in die meinige zu legen, wird Dein Vater sich nicht weigern: zu der Tochter der sicilischen Fürsten von Roccaguelfonia darf der Sohn und einzige Erbe des spanischen Herzogs von Gonzaga seine Blicke erheben!“ –

Und von seiner Brust nahm er jetzt ein blinkendes Kleinod – ein Kreuz war es, mit Perlen besäet, mit einer in Gold gearbeiteten Herzogskrone über seinem Wappen – und um ihren Hals flocht er die Kette und flocht er seine Arme. „Nimm das Kreuz, Blandina, als Zeichen und Pfand unserer ewigen Liebe!“ Und im Schlafe suchte ihre Hand nach dem Kreuz, aber jäh wachte sie auf, mit einem Aufschrei von Angst und Schrecken, als ihre Finger das Kreuz nicht mehr fanden! Düster brannte das ewige Lämpchen in seiner Kupferkapsel über dem Altar, und die tanzende Flamme warf unheimlich wehende Schatten auf die alten Normannengewölbe und auf die grinsenden Steingesichter der massigen Säulenkapitäle.

„Hilf, Maria, Madonna!“ entfuhr es den Lippen des Mädchens. Oben an der Steintreppe, die aus der Kirche zu den Klosterzellen führte, knarrte eine Thür, und, mit der Hand ihr welkes Gesicht gegen den Schein der dampfenden Oellampe beschirmend, trat die alte Josefa an das wurmstichige Holzgeländer, und dumpf hallte der Kirchenraum nach, als es von dort zu der Jungfrau herunterrief:

„Ja, rufe sie an! denn ihrer Barmherzigkeit thut es Noth! Und nun kehre zurück in Dein Kämmerlein, Fürstentochter! Den Riegel schiebe ich vor; – Du aber schiebe einen andern Riegel vor Deines Herzens sündige Gedanken! – und daß Du mir nicht von jenem Hirtenknaben träumst! Auf den Bergen warst Du mir heute zum letzten Male! Zu viel Wölfe hausen dort oben!“

[29] Nicht zu dem armen Hirtenknaben zogen Schwester Speranza’s Gedanken hin in dieser langen, langen Nacht; in andere Ferne schweifte ihre wache Seele. In ihrem jungfräulichen, sonnenbeleuchteten Gemach, wo an den Wänden die lachenden Himmelsstrahlen ein so fröhliches Licht über die auf schimmernden Goldgrund gemalten Märchenvögel und sarazenischen Wunderblumen warfen, trat jetzt der Vater wieder vor sie hin, und streng klang seine Stimme wie damals wieder: „Blandina! der Sohn des spanischen Herzogs von Gonzaga erdreistet sich, um die Hand einer sicilischen Fürstentochter zu werben. Deiner Einwilligung behauptet er sicher zu sein. Lüge ist des Spaniers Wort. Wisse, was ich ihm antwortete: ‚Den Namen ihres Vaters und Siciliens Ehre befleckt meine Tochter nicht, und mit dem Eroberer vermischt sich sicilisches Blut nur auf dem Schlachtfelde!‘ – Sprich, Blandina; hatte Dein Vater Unrecht?“

Des Vaters Kniee umklammerte laut weinend das Mädchen: „Vater! laß Dein Kind nicht wortbrüchig werden und in Jammer und Kummer vergehen! Meine Liebe schwur ich ihm zu. Nur ihm allein will ich angehören!“

Schwer aber legte sich des Vaters Hand auf ihre Schulter:

„Und einen Schwur that auch ich, und wortbrüchig wird ein sicilischer Fürst nimmermehr! Am Tage, als die Spanier dieses mein Land betraten und ein Spanier unsere Königskrone [30] auf sein Haupt setzte, da hab’ ich vor Gott und den Heiligen Haß bis zum Tode diesen Verfluchten geschworen! Den Schwur werd’ ich halten auch gegen mein eigen Geschlecht! In einem Kloster wirst Du morgen erwachen, Tochter, wo Keiner Dich finden wird – bis zu dem Tage, wo Du zurückkehren wirst in Deiner Ahnen Haus mit verändertem Sinne, und wo Du, zu meinen Fußen knieend, mir sagen wirst: Zu des Vaters Schwur schwört des Vaters Geschlecht!“

In derselben Nacht noch stand ihr jungfräuliches Gemach in Palermo verwaist, von vermummten Reitern wurde die Vermummte nach langem Ritt über Berg und Thal in eine weitentlegene Stadt gebracht, und die Thore eines Klosters fielen hinter ihr zu. Ach! hätte ihre Mutter, die längst Entschlafene, noch gelebt – so weit wäre es nicht gekommen! Wo sie war, sie konnte es nicht errathen, auf einen von hohen Mauern umschlossenen Garten sahen ihre Fenster hinaus, von fernher drang’s an ihr Ohr wie das dumpfe Getöse einer Hafenstadt. In einer weicheren, nur von Weitem an ihre eigene Sprache anklingenden Mundart redeten die Schwestern zu ihr, und auf ihre Fragen, wo sie sich befinde, was man mit ihr wolle, ertheilte ihr Niemand Antwort. Wie eine Verlassene, Verlorene kam sie sich vor in diesem Kloster. Gebrochen war aber weder ihr Muth noch ihre Liebe, und als am andern Morgen die Aebtissin in ihre Zelle trat und ihr freundlich zuredete und sie ermahnte, sich dem Willen des Vaters zu fügen, da brach wie ein wilder, lange zurückgedämmter Waldstrom der Stolz der geknechteten Fürstentochter durch, und wie eine Königin zu ihrer Dienerin, so sprach sie zu der Oberin:

„Ich kenne Dich nicht! Wer bist Du, daß Du Dich untermissest, Dich unaufgefordert der Tochter des Fürsten von Roccaguelfonia zu nähern? Oeffne mir diese Thür und laß mich meiner Wege ziehen!“

Einen andern Trotz aber erweckte in der Aebtissin Herz der Trotz dieses Kindes, und strengen Mundes herrschte sie die Verlassene an:

„Wer seinem Vater den Gehorsam weigert, der soll Buße thun in Sack und Asche. In die diesem Kloster angehörende Kirche im einsamen Felsenthale werde ich Dich heute bringen lassen, unter Schwester Josefa’s Hut wirst Du dort verbleiben, bis Dein Stolz gebrochen und Dein Herz sich des Vaters Befehlen gefügt. Und ich, von Gott und von Deinem Vater dazu ermächtigt, ich verfüge, daß von heute an die schwersten und niedrigsten Kirchen- und Klosterarbeiten dort draußen von Deiner Hand verrichtet werden sollen; wie eine Magd ihrem Herrn, so wirst Du der Kirche dienen!“ – Und: „Wehe! wenn unserer Väter Kinder den Feinden unseres Landes zu Willen sind!“ hatte sie beim Scheiden ausgerufen.

In dichtverschlossener Sänfte wurde Blandina hinausgetragen in jene Einöde. Wildzerrissen, klippenartig zum Himmel anstrebende Berge schlossen den engen Horizont ab. Aus dem schmalen Fenster ihrer Zelle schaute ihr Blick auf unwirthliche Felsgründe. Ringsum starrten steile, nackte Bergwände. Aus einer durch einen verwilderten Garten von dem Kloster getrennten Kluft schäumte, über Steingeröll, ein Waldbach hervor. Ueberall, ringsum die tiefe Stille der Bergeinsamkeit; – nur von Weitem brachte der Wind zuweilen das Klingen der Glocken einer hinter Höhenzügen verborgenen Stadt, und frische Lüfte kamen heraufgezogen, als öffne sich das Meer dort unten in weiter, weiter Ferne, und in der Nacht drang bis in die Klosterzelle das Heulen der Wölfe und der wilde Schrei der Adler über den Gipfeln.

Als am andern Morgen Schwester Josefa zu Blandina hereintrat, überreichte sie ihr das Nonnengewand, das sie von nun an tragen sollte, und mit einem andern Namen als dem ihrigen redete sie die Fürstentochter an. Schwester Speranza sollte die Verlorene heißen. „Speranza,“ sagte die Alte, „denn die Hoffnung, daß die stolze Magd von ihren sündigen Gedanken erlöst werde, befiehlt uns die heilige Mutter Gottes, die besondere Schutzpatronin dieses Klosters, nicht zu verlieren.“ Nur jenes Kreuz hatte sie ihr gelassen, welches das Mädchen am Halse trug, die Herzogskrone und das Wappen mit dem kastilischen Löwen hatte die der Welt unkundige Josefa nicht beachtet, und für ein Familienkleinod hatte Blandina dies Pfand irdischer Liebe ausgegeben. Das Kreuz solle sie behalten, hatte Josefa geantwortet, und Demuth und fromme Kindesergebung solle sie aus dessen reuiger Anbetung schöpfen.

Tage und Wochen und Monde waren verflossen. Schwester Speranza aber war geblieben wie Blandina gewesen. Von der Madonna, zu deren Dienste sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend herangezogen war, flehte sie in inbrünstigem Beten nur Eines, daß sie nicht auf immer von ihrem Geliebten getrennt bleibe, daß des Vaters Herz sich erweiche, daß sie bald erlöst werde aus ihrem Kerker. Auf sich und auf ihre Hoffnung hatte sie den Namen, den man ihr beilegte, gedeutet. Speranza, ja! Speranza würde sie bleiben immerdar! Nur in dieser Hoffnung ihres bald wiedererstehenden Liebesglückes lebte sie, und wie diese Hoffnung sich tiefer und tiefer in ihr Herz eingrub, da zog auch allmählich ein ruhiges Ergeben in ihre Seele ein, es war, als schmölze der starre Sinn, den sie in den ersten Zeiten allen Befehlen und Zureden Josefa’s entgegengesetzt hatte. Ja, so stark, so unüberwindlich fest lag, wie auf Felsen gebaut, die Hoffnung auf ihre Erlösung, daß sie sich allmählich in allem Uebrigen geduldig dem Willen der Oberin fügte. Was die Oberin befahl, das war ja nur der heiligen Mutter Gottes Befehl!

„Barmherzige Madonna!“ betete Schwester Speranza Abends und Morgens vor dem Altar, wenn sie die schweren Kirchenarbeiten verrichtet hatte, „Dir gehorche ich gern, Dir folge ich willig, denn ich weiß, daß Du es gut meinst mit Deinem Kinde. Prüfen willst Du meine Liebe, ob sie Alles zu ertragen stark genug sei! Und Alles, Alles werde ich erdulden, o himmlische Dulderin, um Dir zu beweisen, daß ich die geschworene Treue immer und ewig halten kann!“

Keine lebende Seele verkehrte mit den Schwestern, außer dem alten Klosterbauer und seinem kaum fünfzehnjährigen Knaben. Letterio besorgte ihnen das Essen und überbrachte zweimal wöchentlich die Befehle der Oberin und die Berichte Josefa’s. Er wohnte in der Nähe der Kirche, in einem halbverfallenen Häuschen hinter dem Garten und dem Platanenwäldchen. Dort bebaute er den Rest der ehemaligen Klosterfelder. Nino hütete des Vaters Ziegen und führte die kleine Herde jeden Morgen die steilen Bergwände hinan, bis hoch hinauf auf die Höhen, wo fettes Gras und duftende Waldkräuter wuchsen. Zu der schönen, so lieblich und doch so traurig zu ihm herniederblickenden Schwester Speranza zog es den Knaben wie mit einer wunderbaren Verehrung und Anbetung hin.

Wie eine Heilige, wie die Himmelskönigin selber erschien sie ihm, so hehr, so königlich, und doch so wonniglich mild und hold dabei, daß es dem Hirtenknaben war, jedesmal wenn er sie wieder erblickte, als müsse er zu ihren Füßen hinsinken und als gäbe es kein größeres Glück auf Erden, als leben und sterben zu dürfen für sie.

Wie Josefa gewahr geworden, daß des Mädchens trotziger Sinn sich allmählich zu erweichen begann, hatte sie auch nachgelassen von ihrer ersten Strenge und Speranza erlaubt, sich unter den Bäumen bis zu der Quelle in der Felsenkluft zu ergehen. Von den Bergen zog da an jedem Abend der kleine Nino zu dem Waldbache herunter, zu Speranza’s Füßen setzte er sich, verloren in stiller Anbetung, und froher kehrte er zum Vater zurück, wenn bei seinem kindlichen Plaudern Schwester Speranza’s Traurigkeit, wie eine Wolke vor dem heitern Sonnenstrahle, gewichen und wenn in sein sehnendes Auge ein Lächeln ihres Blickes gefallen war. Von dem ahnungslosen Hirtenknaben hatte Speranza erfahren, wo sie sich befand, und daß die Stadt dort, hinter den Bergen, Messina war, und daß dort das Meer sich eröffnete, das weite, weite Meer, über dessen Rücken so viele Schiffe zogen mit ihren farbigen Wimpeln und ihren weißen Segeln. Das Meer! die Freiheit! Ach! wer bis zum Meeresufer hinunter käme, wer dem helfenden Winde die helfenden Segel öffnete! Ach, wer hinausflöge über die blaue, leuchtende Fläche, bis dorthin, zur großen Stadt im Westen, wo Marmortreppen hinunterzogen zur tosenden Fluth, wo der Geliebte sie erwartete, wo neu erblühen würde ihr Leben! – „Kennst Du Jemanden in der Stadt?“ hatte Speranza den Knaben gefragt; „giebt es spanische Ritter und Edelleute dort?“ – Aber was kümmerten den Hirtenknaben Ritter und spanische Edelleute? Der weidete seine Ziegen auf hohen Bergestriften und kaum einmal im Jahr, beim Feste der Madonna, durfte er mit seinem Vater nach Messina wandern. Wie durch ein Traumgesicht zog dann das flimmernde, tosende, rauschende Leben der großen Stadt an seinem Geiste vorbei, und wie aus einer beängstigenden und beklemmenden Fieberphantasie [31] drängte es ihn heraus aus dem Menschengewimmel, zu seinen Bergen, wo die goldene Sonne über alle Gipfel strahlte, wo die duftenden Blumen im Morgenthau erglänzten, wo er sein Lied aus voller Kehle über Klüfte und Höhen erschallen lassen konnte, daß es widerhallte in hundertfachem Echo – wo er am Waldquell, dort unten im kühlen Abendschatten, bei Schwester Speranza sitzen und den wunderbaren Märchen lauschen durfte, die sie ihm erzählt, von Rittern und Königinnen, von bösen Zauberern und verwunschenen Prinzessinnen! Saß sie nicht selber vor ihm wie solch eine verwunschene Prinzessin, in ihrer hohen, lieblichen Würde, mit ihrem Antlitz, drauf ein Schimmer von königlicher Hoheit zu ruhen und mit ihrem Auge, draus ein Strahl von himmlischer Liebe zu blitzen schien?

„O Schwester Speranza,“ hatte er einmal zu ihr gesagt, als sie sich erhoben und ihm zum Scheiden die Hand gereicht hatte; „bleib’ immer hier im Kloster und niemals denke daran, es zu verlassen; denn wo Du bist, ist Leben und Sonne, und solltest Du abziehen von hier, mir wäre es, als fiele der Deckel meines Sarges über mir zu!“

Mit stillem Sinnen war bei diesen Worten ihr Auge auf dem Knaben ruhen geblieben; liebkosend hatte ihre Hand in seinen Locken gespielt, und leise hatte sie vor sich hingeflüstert: „Armes Kind!“

Aber wild war da der Knabe aufgesprungen.

„Ein Kind?“ hatte er ausgerufen; „ein Kind bin ich nicht mehr! Und wollte es die Madonna, wohl würde ich Dir es beweisen!“

Bewiesen hatte er es an diesem Tage, wo er mit dem Feldsteine des Ungethüms Kopf zerschmettert hatte. Von oben, aus dem letzten Bergesvorsprung, hatte er Speranza’s Schrei gehört.

„Madonna!“ rief sie schreckensvoll, und ein anderer Name noch war ihren Lippen entflohen, ein Name, den er nicht kannte, nicht verstand. „Gonzaga, zu Hilfe!“

Und über das Felsengeröll war er geflogen, in wildem, jähem Sprunge – und ein Kind durfte Speranza ihren Retter nicht mehr nennen!

Auch Nino lauschte an diesem Abende in seines Vaters Hütte dem langen, langen Läuten der Ave Maria-Glocke, und andächtig betete er zur Madonna; denn besser als die Andern wußte er ja, warum Schwester Speranza das Glöcklein so lange ertönen ließ; sie dankte der heiligen Jungfrau für ihre wunderbare Errettung, und auch seiner gedachte sie in ihrem Gebet! Auf seine Lippen preßte Nino das goldene Kreuz; Thränen rollten aus seinen Augen auf die weißen Perlen, und still betete er zur Madonna: „Segne und beschütze auf immer die Schwester Speranza, mein einziges Heil und meine einzige Liebe!“

Als er aber am andern Morgen mit seinen Ziegen auszog und ihn sein Weg wie gewöhnlich vor der Klostermauer vorbei führte, und als er mit lauter Stimme Speranza’s Namen zum kleinen Fenster hinaufrief, da war es nicht Speranza, die ihm antwortete, sondern die alte Josefa:

„Ziehe Deine Wege, Nino,“ rief sie ihm durch ihren halb geöffneten Fensterladen herunter, „und laß mir Schwester Speranza in Ruhe! Zum spanischen Ritterspielen bist Du zu jung und gegen die reißenden Wölfe bedürfen wir Deiner nicht!“

Schmetternd fuhr der Fensterladen zu; Nino aber blieb stumm an der Mauer stehen. Was wollte die alte Josefa mit dem spanischen Ritterspielen meinen? Das seltsame Räthselwort vermochte er zuerst nicht zu verstehen; als er es aber zu deuten versuchte, da ward es ihm, als gerinne all sein Blut in seinen Adern und als wolle sein Herz zerspringen. Ein spanischer Name war es, der gestern hilferufend an sein Ohr geschlagen war!

Wie ein ängstliches Fragen klang’s an diesem Abend durch seine Stimme, als er unter dem jetzt geöffneten Fenster Speranza’s Namen hinaufrief. Von dort antwortete aber Niemand. Aus der Kirche tönte ein leises Beten. Bis zur Schwelle trat er zögernd; dann wandte er seine Schritte zu seines Vaters Haus. Einen Strauß von duftenden Thymianblumen, den er auf den Bergen gepflückt hatte, warf er aber durch das offene Fenster in Speranza’s Zelle.

Dem alten Letterio bedeutete am folgenden Morgen Schwester Josefa, sein Sohn thäte besser daran, seine Ziegen zu hüten, als den Klosterjungfrauen Blumen durchs Fenster zu werfen; was er thue, wisse er freilich nicht; Nino sei ja noch ein halbes Kind; der Vater aber verstehe schon, was sie meine, und die Schwestern wie gewöhnliche Mädchen zu behandeln, mit denen man verliebte Scherze treiben dürfe, das solle der Vater dem Knaben untersagen.

„Und wenn ich der Schwester Speranza Blumen bringen will, wer darf mir es wehren?“ erwiderte trotzig dem Vater der junge Hirt; „mit Blumen schmückt man auch den Altar der heiligen Jungfrau Maria; und was für die Madonna erlaubt, das wird doch wohl für Schwester Speranza nicht verboten sein! Und von der alten Josefa laß ich mir erst recht nichts verbieten!“

Und sie mochte es anfangen wie sie es auch wollte, jeden Morgen und jeden Abend lag ein Thymianstrauß auf Schwester Speranza’s Gesimse oder mitten in ihrer Zelle, auf dem Estrich; und gerade auf dem Berge, der dem Kloster gegenüberlag, weidete von nun an Nino seine Ziegen; unverwandten Blickes schaute er nach Speranza’s Fenster; mit lauter Stimme jubelte er ihr seinen Gruß zu, wenn er sie von weitem erblickte, und jubelnd zog sein Singen bis hinter die Mauern ihrer Zelle, wenn Josefa vor dem zudringlichen Sänger die Fensterläden schmetternd schloß. Speranza aber mußte traurig vor sich hinlächeln, wenn sie hörte, wie Nino ihren Namen in alle seine Lieder hineindichtete, und wie im wiederkehrenden Schlußverse des alten Volksliedes, das er jeden Abend wie einen Schlafgruß zu ihr hinauf sandte, immer und immer wieder ihr Name wiederklang:

„Sterb’ ich einmal, so kommen die Doktoren, und suchen, ob am gebrochenen Herzen ich starb. Und siehe! mit scharfen Messern öffnen sie meine Brust. Ein Herz aber finden sie nicht darin. Mein Herz, mein Herz, es liegt in Deiner Brust, Speranza! und zwei Herzen hast Du jetzt, Speranza! das Deinige und das meinige dazu!“

[45] Der Frühling war gekommen, und mit ihm die linden, von Rosen- und Veilchenduft geschwängerten Lüfte und der hohe, blaue Himmel mit der frohen, lachenden Sonne des Südens.

Durch das Dämmern der alten Normannenwölbungen zieht leise flüsternd der Abendwind, und in dem summenden Säuseln tönt es wie fernes Singen von Engelsstimmen; zu dem Madonnenbild schaut fragend und nach Antwort flehend die Jungfrau empor, und es ist, als lege sich ein himmlisches Lächeln um der Madonna sanft sich eröffnende Lippen und als leuchte der Heiligenschein auf in einem goldigen Glänzen, und in Speranza’s Herzen singt es leise dem Singen des Abendwindes unter den Wölbungen nach: „Verzage nicht, Kind! Auch Dir bringt der Frühling neues Leben und neue Liebe!“

Sogar auf Schwester Josefa übte der junge Frühling seinen Alles bezwingenden Zauber aus; vor Speranza’s stiller Ergebung schien ihr harter Sinn zu milderem Wesen zusammen zu schmelzen. Des Klosters Pforten öffneten sich wieder vor der Dulderin; bis zu dem Platanenhain durfte sie wieder wandeln, und ruhen [46] durfte sie auf den Felsen des die Mauern umspülenden Waldbachs und sinnend Blumen und Blätter hinstreuen in das murmelnde Wellenspiel.

„Wo ziehet ihr hin, duftende Blumen, im rastlos dahineilenden Tanze der Wellen? Ach! Fändet ihr ihn, meinen einzig Geliebten: den Weg bis zu mir zeigtet ihr ihm dann, und zum neuen Leben flögen wir auf!“

Keine Mauer trennte den Garten von den offenen Bergesgefilden, und noch so oft konnte Schwester Josefa dem kleinen Hirten zurufen, auf die höheren Gelände möge er doch seine Ziegen führen, fettere Weide fänden die Thiere dort oben – „dort oben,“ antwortete Nino, „hausen im Winter die Wölfe, und brennt im Frühling die sengende Sonne!“ und zum Thale trieb er die Herde, von einem Ufer des Baches zum andern plauderte er mit Speranza, und selig glänzten seine Augen, wenn er Abends in des Vaters Hütte zurückkehrte.

„Speranza,“ sagte er ihr eines Morgens, „in zwei Tagen ist das Fest der Madonna, darf ich Dir helfen, die Kirche und den Altar mit Blumen zu schmücken? Morgen hole ich die weißen Heidekrautblumen von dem höchsten Berge herunter, wo sie blühen in Pracht und Fülle, daß man glauben möchte, der Winterschnee bedecke wieder die Gipfel!“

„Nino,“ antwortete sie lächelnd, „warum willst Du auf die Berge? Im Winter, sagtest Du ja zu Schwester Josefa, hausen die Wölfe dort oben, und im Frühling brennt dort die sengende Sonne!“

Aber schon kletterte er von Fels zu Fels in die schwindelnde Höhe, und als er zurückkehrte, schüttete er ihr einen Arm voll weißer Heidekrautblumen in den Schoß.

„Speranza! Für Dich wage ich Alles, und gebötest Du mir, in den Höllenschlund des Fegefeuers hinunter zu steigen für Dich, auch das Fegefeuer fürchtete ich nicht!“

Sie sah ihm ins Auge bei diesen Worten, und ein tiefer Ernst legte sich über ihr Antlitz, als sie mit leiser, zögernder Stimme zu ihm sagte:

„Und würdest Du, wenn ich es geböte, eine Botschaft für mich in der Stadt am Meere besorgen?“

Da leuchtete es düster in des Knaben Auge:

„An wen hast Du eine Botschaft zu besorgen, Speranza? Ist’s für … den Spanier?“

Wie ein scharfer Dolchstich traf das Wort ihr Herz. Eine dunkle Röthe überzog das Antlitz. Langsam erhob sie sich, hoch richtete sich ihre Gestalt auf vor dem Hirtenknaben, daß es war, als stände vor ihm nicht Schwester Speranza, die Novizin des San Benedetto, sondern im Glanze eines Thronsaales die Tochter eines Königs.

„Was soll das Wort? Was meinst Du mit dem Spanier? Sprich! Ich befehle es!“

Nino schaute finster zu ihr auf, seine Hand zitterte.

„Schwester Josefa sagte mir damals, als ich den Wolf tödtete, den spanischen Ritter zu spielen, dazu sei ich zu jung; – den Sinn der Worte konnte ich nicht verstehen, vergessen hab’ ich sie aber nicht! – und Du, Speranza, Du kannst es mir deuten. – Kennst Du einen Spanier?“

Sie schwieg.

„Bist Du der Spanier Feind?“ fragte sie endlich.

Er sprang auf.

„Ja!“ rief er, „wenn Du einen Spanier liebst!“

Und ein Thränenstrom entquoll seinen Augen.

„Kind!“ sagte weich Speranza und legte liebkosend ihre Hand auf die seinige, „was ist Dir? was sprichst Du? Wie kannst Du der Spanier Feind sein, da Du keinen Spanier kennst?“

Wild wollte er ihr seine Hand entreißen, aber mit sanfter Gewalt hielt sie ihn fest.

„Ja!“ rief er, „wohl kenne ich einen Spanier und wehe ihm, wenn er es ist! … Ja! ein Spanier war’s – an seiner Sprache erkannte ich ihn – der zu meinem Vater heraufritt – gestern, vorgestern – und ihn fragte, ob er das Kloster kenne – und wer hier wohne – und ob er nicht eine junge Schwester gesehen habe …?“

Speranza’s Hand zuckte zusammen; sie zog sie rasch zurück.

„Speranza!“ rief der Knabe, und es schien, als überfalle ihn eine blinde Raserei – „Deine Hand zittert! … Du kennst ihn! … Du liebst ihn!“

Er hatte einen Feldstein von der Erde aufgerissen, und drohend schwang er ihn in seiner krampfhaft geballten Faust:

„Wehe ihm!“ rief er, „wehe ihm! Du weißt, Speranza, den Wölfen zerschmettere ich den Schädel!“

Im selben Augenblick aber lag er auch wieder zu Speranza’s Füßen, und flehend, wie ein kleines Kind, umklammerte er ihre Hand.

„Speranza!“ sagte er mit leiser, von Schluchzen erstickter Stimme, und in seinen zitternden Fingern spielte das Kreuz, das sie ihm damals gegeben, „siehe! wie ein Kleinod, wie einen Talisman trage ich dies Kreuz auf meiner Brust, kein Mensch hat es gesehen, kein Mensch wird es jemals sehen! Zu ihm bete ich Abends und Morgens, und droben auf den Bergen, wenn ich allein stehe in der Sonne Glanz, da ziehe ich es hervor, und wie Deine Augen so funkeln die hellen Sterne, die darauf eingegraben sind! Speranza … Du gabst es mir! … und wenn Du mir es gabst – so liebst Du mich! … O Speranza, Speranza, betrüge mich nicht!“

Sie hatte ihre Ruhe wiedergewonnen.

„Nino,“ sagte sie, „mein Leben hast Du damals gerettet; das Kreuz begehrtest Du von mir – die Madonna sprach aus Deinem Munde – ich gab es Dir hin, als Pfand meines Dankes; glaubst Du aber, ich betrüge Dich, Nino, so gieb es mir zurück, und ein anderes, viel schöneres …“

In seiner geschlossenen Faust riß aber Nino das Kleinod zurück.

„Nein!“ rief er mit dumpfer Stimme, „nein! … nicht für ein Königreich!“

Die Klosterpforte knarrte hinter den Beiden.

„Des Geplauders endlich genug!“ rief Schwester Josefa; „Dein Dienst ruft!“

In tiefes Brüten versunken kehrte Nino in des Vaters Hütte zurück. Ein fremder Reiter verabschiedete sich gerade von Letterio. Der Alte schob einen schweren Beutel in seine Holztruhe. Nino hörte das Gold im Kasten klirren.

„Vater!“ rief er, „das ist Gold!“

Langsam wandte sich der Alte um, ein schelmisches Lächeln spielte auf seinem Munde, als er antwortete:

„Zum Feste unserer Kirche steuern jetzt sogar die fremden Ritter bei!“

„Der Spanier?“ unterbrach ihn Nino, in wildem Aufbrausen.

Verwundert schaute der Vater zu ihm hin.

„Freilich, ein Spanier!“ erwiderte er, „aber was hast Du, daß Du das Wort mit so sonderbarem Klange betonst? … Höre meinen Rath, Sohn, und verstehe meine Worte: unsere Herren sind die Spanier, und hassen dürfen wir Siciliens Unterdrücker – und der Tag wird kommen, wo auch ihnen, wie den Franzosen, wie allen unsern Feinden eine blutige Vesper erblühen wird; bis dahin aber, Kind, vergiß es nicht! bis dahin können wir von ihnen nehmen Alles, was ihre Hand uns reichen wird!“

Die Glocke des Klosters ertönte. Es war das Ave Maria. Andächtig falteten die Beiden die Hände und fielen in die Kniee. Wie hell und fröhlich summend klang aber diesmal die Glocke über das Thal! Ein Singen war es, leichtbeschwingt, wie ein Jubel von unendlichem Siegesjauchzen.

„Schwester Speranza freut sich wohl schon des bevorstehenden Festes!“ lächelte der Vater. als er sein Ave Maria ausgebetet hatte. „Arme Speranza!“ fügte er mit einem leichten Seufzer hinzu, „kein Klostergelübde bindet sie ja!“

An was mochte der Vater wohl dabei denken? So unverständlich und ohne Zusammenhang mit seiner vorigen Rede waren die letzten Worte über seine Lippen geflossen.

Ja, ein Jubel erfüllte Speranza’s Herz, und Gewalt mußte sie sich anthun, daß Schwester Josefa nichts ahne von all den Gedanken, die mit mächtig jauchzendem Flügelschlage ihre Seele zu allen Himmeln hinaufrissen! Er war’s, er kam, er hatte sie aufgefunden, ihre Fesseln zu lösen nahte er!

Bis tief in die Nacht hinein blieb Speranza, zu Füßen ihres Lagers, vor dem kleinen Krucifixe hinknieend. Das Fenster stand offen; hell leuchtete der Mond herein, und balsamische Waldesdüfte erfüllten das enge Gemach. Horch! von ferne sang es jetzt das Thal herauf, von späten Wanderern, Hirten oder Bauern, die aus der Stadt heraufzogen zu ihren Bergen. Es sang so hell, so scharf! – und Speranza horchte [47] auf. Nein! das war keine von den Volksweisen dieser Gegend; eine andere Weise war es, die zu ihr herauftönte – eine bekannte Melodie war es, die all ihre Kindesträume wieder erweckte: so sangen, in den mondbeleuchteten Nächten, die Jünglinge unter der Geliebten Balkon, in ihrer Vaterstadt, in Palermo! – und lauschend und bebend sprang Speranza an das Fenster. Näher und näher kam das Singen, an des alten Letterio’s Haus zog es vorüber, drei Männer waren es, wie die Hirten der Berge gekleidet, das Haupt mit der kalabresischen Mütze bedeckt. Langsam schritten sie ihres Weges, den trippelnden, schwerbeladenen Eseln nach. Siehe! jetzt hielt die Schar vor Letterio’s Thür. Ein schwerer Sack war von dem Rücken eines Esels zur Erde geglitten. Der Gesang verstummte.

„Eh! Letterio!“ rief Einer der Männer, „der Riemen ist zerrissen, komm heraus und hilf uns!“

Und während sie dort herumarbeiteten, hub das Singen wieder an – ja! und das waren palermitanische Laute! das war ein palermitanisches Lied! Eine Volksweise war es, welche sie kannte, ein altes Volkslied, mit seiner so ergreifenden, langgedehnten, halb klagenden, halb jauchzenden Melodie, und mit der seltsamen Wiederkehr des Anfangs- und des Schlußreimes; so alt, so bekannt – und doch schien es ihr, als seien es andere Worte, die der fahrende Sänger zwischen Anfang und Schlußreim hineingefügt hätte:

„Es blühet im Laube der rothe Oleander! Es lebt sich still im ruhigen Thal, die Mädchen tanzen im Mondenschein, und lustig schwirrt die Guitarre dazu. Marianina, Marianina, was sagst Du zu meinem Sang?[1]

Es blühet im Laub die Orangenblume! Der Ritter denkt an seine Schöne, an den Schwur der Liebe, die sie ihm geschworen. Ach! Ninetta, ach! Ninetta, was sagst Du zu diesem Schwur?

Es blühet im Grase das blaue Veilchen! Ich warte, ich warte auf meinen Ritter, einsam wart’ ich, in enger Zelle, und die Seine bin ich in Ewigkeit! Ach! mein Ritter, ach! mein Ritter, was sagst Du zu diesem Schwur?

Ja, blühe im Grase, mein blaues Veilchen! Und so tief sie Dich auch im Laube versteckt, ich finde, ich finde Dich wieder hervor, und mit mir ziehest Du morgen schon fort! O Blandina, o Blandina, was sagst Du zu diesem Schwur?“ …

Hinter ihrem Fenster sank Speranza in die Kniee, als sie ihren Namen im Liede hörte.

… „Es blühet die Rose tief unten im Thal! Wenn morgen die Dämmerung das Thal umhüllt, ertönet Hufschlag vor Deiner Thür. Den Brautkranz flicht dann in Dein Haar, und öffne die Thür, denn die Liebe klopft an. Ach, Ninetta, ach! Blandina! was sagst Du zu diesem Schwur?

Es blüht auf dem Berge das Heidekraut! Und hörst Du mein Singen und willst Du mir folgen, wenn morgen das Ave Maria erschallt, so gieb mir ein Zeichen von hohem Balkone, so wirf eine Blume in des Sängers Hand! Marianina! Marianina! was sagst Du zu diesem Schwur?“ …

Zu dem Kloster hatte sich der Sänger hingewandt, leise spielten die Saiten seiner Guitarre die Melodie weiter. Da lehnte eine weiße Hand über das Gesimse, und ein Strauß von blühendem Heidekraut fiel hernnter.

… „Es blühen Oleander und Rosen und Veilchen! Es blühet das weiße Heidekraut! Jede Blume aus Deiner Hand ist Blume der ewigen Liebe; jeder Schwur aus Deinem Mund ist ewiger Liebe Schwur. Blandina, Ninetta, Marianina, was sagst Du zu diesem Schwur? …

„Glückliche Reise!“ rief der alte Letterio den abziehenden Männern nach.

„Die Madonna behüte Dich!“ rief es fröhlich zurück, und eine Hand voll blinkender Silbermünzen fiel in des Alten Hut.

Und um die Ecke des Klostergemäuers tönte das leise verhallende Singen:

… „Es blühen alle Blumen auf Berg und Thal! Wenn morgen das silberne Glöckchen verklingt, erwarte den Ritter vor Deiner Thür! Wir reiten hinaus ins rosige Licht; wir reiten hinaus ins Morgenroth, in das Leben hinaus, in die ewige Liebe! Ach! Blandina, ach! Blandina! was sagst Du zu diesem Schwur?“ …

Vom hellen Mondlicht umleuchtet, das Antlitz in ihrem Kissen vergraben, die Hände über ihrem Haupte zu dem Bilde der Madonna hinaufgefaltet, lag Speranza auf den Knieen.

„Barmherzige Madonna! Du hast ihm den Weg gewiesen! Du weißt, daß ich ihn liebe. Du weißt aber auch, daß ich Deinem Willen unterthan bin! Darf ich ihm folgen, morgen, wenn er an meine Thür klopfen wird? Entbindest Du mich des Gehorsams, den ich meinem Vater schulde? In Deine Hände befehle ich meinen Willen, gieb mir ein Zeichen, morgen, o Madonna, und Deinem Zeichen werde ich gehorchen wie ein williges Kind!“




Die Sonne war noch nicht über Kalabriens Berge heraufgestiegen, als an Letterio’s Thür geklopft wurde.

„Oeffne, Letterio! ich bin’s, Schwester Josefa! Einen Auftrag mußt Du bei der Oberin besorgen. Setze Dich auf Deinen Esel, reite zum Kloster und sage der Frau Aebtissin, ich schicke Dich zu ihr, in zwei Tagen sei das Fest der Madonna, da werde eine Menge Volks heraufströmen. Wie soll ich dann die Schwester Speranza bewachen? Wäre es nicht besser, sie kehrte in das Kloster in der Stadt zurück, wo sie sich in sicherem Gewahrsam befände?“

Der Alte schwieg und sattelte langsam seinen Esel.

„Sie fangen ja jetzt schon an mit ihrem Singen und Lärmen,“ fuhr Schwester Josefa fort, „und wenn bis spät in die Nacht die Guitarren erklingen und die Tamburins zur Tarantella rasseln, was soll aus Schwester Speranza werden. deren junges Herz noch von der Welt und ihren Freuden umgarnt ist? … Ich hörte ja genau, wie sie gestern bei dem leidigen Singen, ihre Ruhe nicht zu finden vermochte, und wie sie weinte und laut zur Madonna betete!“

Sie hielt einen Augenblick inne.

„Und dann?“ hub sie wieder an, „weiß ich denn, was all dies Singen bedeutete und weiß ich, ob man ihr nicht nachstellt, und ob man ihr nicht ein Zeichen geben wollte, und ob nicht …“

Plötzlich trat Nino vor sie hin.

„Ein Zeichen?“ rief er; „von wem?“

Verwundert schaute Josefa den Knaben an; zu einem höhnenden Grinsen verzog sie ihren zahnlosen Mund.

„Ei, Du einfältiges Kind!“ rief sie ihm zurück, „was mischest Du Dich in Dinge, die Dich nichts angehen? Du siehst ja wahrlich aus, als wärst Du schon eifersüchtig! Da kämest Du an den Rechten. wenn Du es mit Jenem aufnehmen wolltest, um dessentwillen Schwester Speranza in diesem Kloster weilt!“

In Nino’s Augen leuchtete ein unheimlicher Blitz auf. Er stand im Begriff zu antworten, als sein Vater sich zu ihm wandte und kurz befehlend zu ihm sagte:

„Mache Dich aus den Weg, Nino! Ich sagte Dir es gestern schon; meinem Gevatter über den Bergen drüben führst Du die große, weiße Ziege zu; er hat sie mir abgekauft. Der Weg ist weit; vor Sonnenuntergang erreichst Du seine Hütte nicht, Du bleibst bei ihm über Nacht und kehrst morgen zurück. Spute Dich!“

„Ja, zum Feste bin ich aber wieder hier!“ rief ihm Nino im Tone einer wilden Herausforderung zurück.

Der Vater schwang sich auf einen Esel und trabte eilig der Stadt zu. Vor Speranza trat aber Schwester Josefa:

„Speranza,“ sagte sie, „zum Träumen ist heute keine Zeit! Rasch hole die Teppiche und die Altardecken hervor; auch die Fahnen und die alten kostbaren Vorhänge. Uebermorgen ist das Fest der Madonna, und heute noch muß Alles bereit stehen, denn heute Abend noch kehrst Du in die Stadt zurück! So lange das Fest dauert, kann ich Dich hier draußen nicht brauchen. Dort bist Du besser aufgehoben … es ziehen zu viel nächtliche Sänger in dem Thale herum!“

Aufs höchste befremdet starrte Speranza die Schwester an. In die Stadt sollte sie geführt werden? Heute Abend noch? O himmlische Jungfrau, um ein Zeichen hatte sie gestern zu Dir gefleht, – war dies das Zeichen ihres Willens?

„Schwester Josefa!“ antwortete sie – aber wie seltsam erzitterte ihre Stimme dabei! „Alles geschieht nach dem Willen der heiligen Jungfrau, vor ihrem Willen beuge ich mich, und ihrem Befehle werd’ ich gehorchen!“

Den Sinn dieser Worte verstand Schwester Josefa nicht:

„Thue, was ich befohlen. und spare Deine unnützen Reden!“

[48] Speranza war noch mit dem Aufstellen der goldenen Fahnen und mit dem Anheften der Bänder und Teppiche beschäftigt, als Letterio zu Schwester Josefa hintrat:

„Die Oberin läßt Dir sagen, Schwester Speranza sei besser hier draußen aufgehoben, als in der Stadt; Du mögest ihr nur verbieten, während des Festes ihre Zelle zu verlassen. Mit eigener Hand sollst Du den Riegel vor ihre Thür schieben, wie Du es bisher gethan. Heute aber noch erwartet Dich die Frau Aebtissin in der Stadt. Du mögest, so hat sie mir befohlen Dir’s zu überbringen, Dich nach dem Ave Maria auf den Weg machen, um nicht in zu später Nacht hierher zurückzukehren.“

Den Händen Speranza’s entfielen die schweren Teppiche. Es war ihr, als flösse all ihr Blut wie in einer heißen Welle nach ihrem Herzen zusammen. Das Zeichen! ja, das war das Zeichen der heiligen Jungfrau!

Schwere Wolken zogen am Himmel auf, als Josefa das Kloster verließ und langsamen Schrittes den Weg zur Stadt einschlug. Ein Gewitter war im Anzug. Der Wind sauste in unheimlichen Stößen aus den Schluchten des Thalgrundes herunter. Im Sturme wehte die Kirchenthür und knarrte in ihren Angeln.

Oben in ihrem Kämmerlein eingeschlossen, saß Speranza klopfenden Herzens in bangem Warten, ob nicht bald der Schleier der Nacht sich herniederzöge über Berg und Thal, ob nicht bald ein Hufschlag ertöne durch die Dämmerung, ob er nicht bald vor sie trete und ihre Hand ergriffe, und … Aber fest in dem Riegel lag ihre Thür, und wenn ihr Retter erschiene, wie konnte sie zu ihm gelangen, wie ihn auf der Schwelle der Kirche erwarten?

Plötzlich erhob sich von unten Letterio’s Stimme:

„Speranza, steige herab! Der Wind hat die Kirchenthür zugeworfen, und nur von innen ist sie zu öffnen! … und offen muß sie doch bleiben, sonst kann Schwester Josefa nicht mehr hinein!“

„Ach, guter Letterio,“ antwortete die Jungfrau „Du weißt es ja, ich kann nicht heraus; Schwester Josefa hat den Riegel vorgeschoben.“

„Ei, der morsche Riegel! Ich kenne ihn! Ein Druck, und er fällt aus dem Nagel! Die Kirchenthür mußt Du öffnen, Speranza; bei dem Unwetter, das sich vorbereitet, darf Schwester Josefa nicht einem Uebernachten draußen ausgesetzt sein. Drücke nur, mein liebes Kind, und zögere nicht! Die heilige Jungfrau führt Deine Hand!“

Ja, die heilige Jungfrau war es, die ihre Hand führte; denn ein leiser Druck genügte, und auf der Erde lag der Riegel! Und jetzt erst jubelte Speranza’s Herz auf in unbändigem Jauchzen, denn jetzt konnte sie hell und klar den Willen der Madonna erkennen! Zeichen auf Zeichen hatte sie ihr gesandt, und zweifeln konnte die ihrer Erlösung harrende Maid nicht mehr. Und da erfaßte sie ein Taumel von nie geahnter Freude und seliger Lust.

„Der Bräutigam naht! Im bräutlichen Schmucke will ich ihn erwarten!“ rief Speranza und ihre Treppe kletterte sie rasch hinauf, in ihrer Zelie lagen die weißen Heidekrautblumen, die ihr gestern Nino von den Bergen heruntergebracht; von ihrem Haupt streifte Speranza mit rascher, siegreicher Gebärde die knappe Nonnenhaube ab, und in langen Ringeln wallte ihr aufgelöstes Haar über ihre Schultern und von gestern noch, während sie die Blumen in ihr Haar flocht, von gestern noch sang es in ihrem Herzen:

„Es blühet die Rose tief unten im Thal, wenn morgen die Dämmerung das Thal umhüllt, ertönt ein Hufschlag vor Deiner Thür. Den Brautschmuck flechte dann in Dein Haar, und öffne die Thür, denn die Liebe klopft an! Ach, Ninetta! ach, Blandina! was sagst Du zu Deinem Schwur?“

In die Kirche war sie zurückgetreten – nicht mehr Schwester Speranza, sondern Blandina, die Fürstentochtcr im bräutlichen Schmuck, und vor dem Altar stand sie, hochaufgerichtet, matt erleuchtet von dem fahlen Schein des ewigen Lämpchens, das Auge auf die offene, im Winde wehende Thür gerichtet. Draußen lag tiefe Finsterniß über dem Thal, und schwarz schaute die Nacht durch die hohen Kirchenfenster herein auf die wundersame Jungfrau.

Hufschlag ertönt auf dem harten Gestein, und siehe! unter der Thür erscheint eine hohe Gestalt, den Reitermantel über die Schulter geworfen, das blinkende Schwert an der Seite und den federwallenden Helm auf dem jugendlich schönen Haupt.

„Blandina!“ ruft es leise fragend in die dunkle Kirche, und auf der Schwelle zögert forschend des Ritters Fuß.

Und: „Gonzaga!“ ruft es zurück mit jubelnder Stimme, und blumenbekränzt fliegt sie hervor, die Langersehnte, Heißgeliebte, und mit ausgebreiteten Armen sinkt Blandina an seine Brust.

„Ich hab’ Dich gesucht! Ich hab’ Dich gefunden! Folge mir! Aufs Pferd, daß der nächste Augenblick Dich hier nicht mehr treffe!“

„In Deinen Armen, Gonzaga, ist Leben und Liebe! Siehe, im bräutlichen Schmucke komme ich zu Dir! Wohin Du mich führst, ich folge Dir!“

„Für die Braut und den Bräutigam ist der Altar bereit. Heute Nacht noch, in stiller Bergesklause, feiern wir unseren ewigen Bund.“

Und Herz an Herz ruhen die Beiden in langem Kusse.

Wild schnauben plötzlich und stampfen die Rosse vor der Thür.

„Auf, auf, Blandina! die Stunde eilt!“

Um ihre Hüfte legt sich sein Arm; an seine Schulter lehnt sie ihr Haupt, und den Blick erhebt sie zu ihm hinauf – aber, von jähem Schreck erfaßt, starrt ihr Auge plötzlich über des Ritters Schulter in der Kirche schwarze Nacht; denn dort durch die offene Thür ist Einer hereingetreten; dort an dem Pfeiler steht Einer; wild funkelt sein Blick – mit beiden Händen schwingt er gegen den Ritter einen schweren Feldstein.

„Hilf, Himmel!“ schreit Speranza auf.

„Der Wolf, der Wolf! Tod dem spanischen Wolf!“ gellt es aber zurück, und auf den Ritter stürzt der Knabe los; rasch wendet Gonzaga das Haupt und reißt das Schwert aus der Scheide – an seiner Stirn fährt sausend der Feldstein vorbei – an den Schläfen getroffen sinkt das Mädchen zur Erde – mit gebrochenem Auge liegt Speranza auf den Altarstufen.

„Blandina!“ ruft mit furchtbarem Aufschrei Gonzaga: er vergißt den Mörder beim Anblick der sterbenden Braut, und über das blutüberströmte Mädchen wirft er sich hin; „Blandina! Himmlische Mutter Gottes, beschütze sie!“

Dort hinten aber unter dem schwarzen Gewölbe starrt Einer, mit gesträubtem Haar, wie besinnungslos, wie gelähmt von gräßlichem Schreck, auf Speranza’s todtenblasses Antlitz. Sein Blut stockt; er ringt nach Athem; aus ihren Höhlen treten seine Augen. Plötzlich wirft er die Arme in die leere Luft, und ein Schrei entfährt seinen Lippen: „Speranza!“ und fort stürzt er, in die schaurige Nacht hinaus, hinaus in die Berge, hinaus! hinweg über Steingeröll und schäumende Wildbäche; hinaus, hinweg, mit den Händen seine Augen bedeckend, daß er es nicht mehr sehe, das schreckliche Gesicht – hinaus, hinweg, über Berge und Thäler hinweg, – und jäh emporgeschreckt flattern in weit verlorenen Thalgründen die Eulen und Nachtschwalben umher, wenn in dem Echo sein jammernder Ruf widerhallt:

„Speranza! Speranza!“

[63] Auf dunklem Bergespfade reitet ein Ritter, in seinen Armen hält er ein blutendes Weib; wie ein Kind hält er die theuere Last, auf welche er mit ängstlicher Sorge niederschaut.

Ein wegekundiger Bauer führt die Rosse über felsige Pfade den Berg hinan. Tief unten liegt schon das Thal. In weiter, weiter Ferne blitzt der Meeresspiegel. Zu einer im Pinienwalde verlorenen einsamen Klausnerei geleitet der Bauer den stummen Reiter.

Zwei Kerzen brennen auf dem Altar der kleinen Waldkapelle. Unter der Thür erwartet der Klausner den späten Besuch.

„Braut und Bräutigam! Herzog und Fürstin! Im Namen des dreieinigen Gottes, seid mir gegrüßt!“

Ein Laut des Schreckens aber entfährt dem Mönche, als sein Auge auf das blasse, leblose Mädchen fällt.

„Bevor der Tod uns trennt, heiliger Bruder, eile und traue die Lebenden, so lange es noch Zeit ist!“

Vor dem Altar kniet der Ritter. An seiner Brust lehnt die schwerathmende, ohnmächtige Braut.

„Im Namen des dreieinigen Gottes, seid vereint hienieden und droben, auf ewig und immerdar!“

Und leise spricht der Chorknabe im weißlinnenen Hemde die heiligen Gebete nach, und leise antwortet der mit gefalteten Händen unter der Thür stehende Bauer. „Im Namen des dreieinigen Gottes, Amen, in alle Ewigkeit!“




Monden sind verflossen. In dem Kloster dort unten im einsamen Thale ertönen keine Glocken mehr. Verödet und verlassen liegt die blutbefleckte Kirche. Erloschen ist das ewige Lämpchen über dem verwaisten Altar. Durch die klaffenden Fensteröffnungen ziehen die Winde und sausen die Stürme, und unter den hohen Normannenwölbungen nisten krächzende Raben.

Gesenkten Hauptes schleppt sich der alte Letterio in seiner Hütte und auf seinen Feldern herum. Sein Kind ist verschwunden seit jener Nacht. Bei dem Gevatter über den Bergen war Nino nicht angekommen; die Ziege wurde von einem Nachbar hoch oben auf unwegsamem Berge gefunden. Des Spaniers Geld hatte dem alten Letterio kein Glück gebracht.

Jubel aber herrschte in dem Palaste des Herzogs von Gonzaga; Jubel erfüllte Palermos Straßen, Jubel hallte wieder bis unter die dämmerigen Wölbungen des vom lachenden und jauchzenden Volke umlagerten Domes, wo der greise Bischof, umgeben von seinem Klerus, in goldschimmerndem Ornate unter dem weitgeöffneten, blumenbekränzten Portale den Fest- und Brautzug erwartet und wo in gemeinsamem Dankgebet für die Genesung der einzigen Tochter des Fürsten Roccaguelfonia und für das eheliche Glück der jungen Herzogin von Gonzaga Sicilianer und Spanier Herzen und Hände zu ihrem gemeinsamen Gott erheben und ihrem langen Hasse und Hader entsagen werden.

Er war es gewesen, der ehrwürdige Greis, der zu dem alten, in Gram und Kummer um sein Kind vergehenden Fürsten hingetreten war; er war es gewesen, der, tröstend und befehlend die Hand über das von unsäglichem Schmerze jäh gebleichte Haupt des Fürsten erhebend, ihm zugerufen hatte:

„Fürst! Nach Dir begehrt Dein Kind! Mit dem Tode ringt Dein einziger Sproß! Nach Deiner Verzeihung fleht Blandina’s Herz! Ein Wort aus Deinem Munde rettet Dein Kind, Dein Schweigen aber ist sein Tod. In Deiner Hand liegt ihr Leben! Kannst Du noch zaudern?“

„Ehrwürdiger Vater!“ hatte der Fürst geantwortet mit dumpf zitternder Stimme, „Du kennst meinen Schmerz, Du kennst aber auch meinen Eidschwur: Haß und ewige Fehde habe ich in feierlicher Stunde den Spaniern geschworen – für mich und für mein ganzes Geschlecht! Und als mein unseliges Kind sich von jenem Spanier entführen ließ, und als er sie, die zum Tode Verwundete, die gegen meinen Willen von einem Deiner Priester heimlich ihm Angetraute zurückführte, um sie in dem Palaste der Gonzaga zu verbergen – nur meines Hasses, nur meines Schwures konnt’ ich da eingedenk sein! Und furchtbarer noch als bis daher entbrannte mein Grimm gegen dies Volk! Und als er seinen Boten zu mir sandte und mir melden ließ, meine Tochter rufe nach mir in fiebernden Todesphantasien und die Thore seines Palastes ständen mir offen – Priester, die Liebe eines Vaters für sein einziges Kind, Du kennst sie nicht und darfst sie nicht empfinden, die Treue aber, die ein Ritter, ein Fürst, ein Christ seinem vor dem Altar des allmächtigen Gottes gelobten Schwur bewahren soll, die kennst auch Du, und träte ich als Eidbrüchiger vor Dich hin, Du wärest der Erste, der die verdammende Hand gegen den Elenden erhöbe! – ‚Hierher in des Vaters Schloß,‘ antwortete ich dem Boten, ‚bringe man mir mein Kind, und zum Leben wird des Vaters Pflege die vaterflüchtige Tochter zurückführen!‘ Und er ging und kam nicht wieder – und meine Tochter brachte Keiner in des Vaters Haus – und stumm, einsam, mit meinem unsäglichen Wehe ringend, verschloß ich mich in meine Gemächer, wartend, ob sie nicht käme! Von den Zinnen dieses Schlosses suchte mein Auge dort die Stelle, wo unter dichtem Laubwerk verborgen jenes Haus liegt – und wenn die Nacht hereingebrochen war, da hüllte ich mich in meinen Mantel, und allein, ungesehen wie ein Dieb und wie ein Mörder schlich ich mich bis zum Fuße jener Mauern, und mein Auge suchte ein mattbeleuchtetes Fenster – dort lag sie! Dort rang sie mit dem Tode! – Dort rief ihre Stimme nach mir! – und ihrem Rufe durfte ich nicht folgen, denn über jenem Thore flammte, wie das wehrende Schwert des Cherubs, mein Schwur!“

Auf der Erde haftete des Bischofs Blick. Langsam erhob er ihn.

„Haß und ewige Fehde schwurst Du dem Spanier. Für Dich durftest Du schwören, Fürst! Für Dein Geschlecht hast Du kein Recht dazu. Durch der Väter Willen sollen die Kinder nicht gebunden werden. Unterbrich mich nicht, Roccaguelfonia! Hätte Deine Tochter erklärt, auch gegen Dein Gebot, als fromme Dienerin der Kirche in ein Kloster eintreten zu wollen – ich selber wäre vor Dich getreten und hätte Dir zugerufen, wie ich es heute thue: ‚Deines Kindes Wille ist frei, wie es der Deinige war!‘ – Nun aber höre: Deinem Schwure sollst Du getreu bleiben, wie sie auch dem freiwillig vor Gott geschworenen Gelübde bis zur Schwelle des Todes getreu geblieben ist! Kein Schwur aber verbietet dem Vater, an das Lager seines sterbenden Kindes zu treten und dem Kinde zuzurufen: ‚Lebe, ich verzeihe Dir!‘“ …

„Kein Schwur?“ rief der Fürst, von seinem Stuhle aufspringend, „sie liegt in eines Spaniers Haus, und ein Spanier wacht zu ihres Bettes Häupten!“

„Und läge Dein Kind auf der Bahre, geschmückt zum ewigen Schlafe mit den Blumen des Todes, unter dem Schutze der Engel und Heiligen am Fuße des Altars in Gottes Kirche, dann trätest Du heran und fragtest nicht, ob unter den dämmernden Gewölben, mit Deinem Gebete vermischt, von spanischen Lippen Gebete für die arme Todte zum Himmel steigen – und, uneingedenk der Spanier, drücktest Du des Vaters letzten Kuß auf die Stirn des todten Kindes. Wohlan denn stehe auf, folge mir! – und mit mir knieest Du heute noch vor Blandina’s Lager und zum Leben führt sie Dein Wort und Deine verzeihende Liebe zurück.“

Da bohrte sich fragend des Fürsten Blick in des Priesters Auge. Seine Lippen bebten. Seine Hand ballte sich krampfhaft über dem harten, kalten Marmor des Tisches.

„Schwöre,“ sprach er endlich langsam und feierlich, „schwöre bei Gott dem Allmächtigen, daß in jenem Hause keines Spaniers Fuß dem meinigen folgen oder vorangehen wird – und ich gehe!“

„Ich schwöre es! Offen und leer stehen die Gänge und Gemächer für Dich und für mich, so lautet des Herzogs Befehl!“

Und sie gingen. Die spanischen Wachen am Thore zogen sich in ehrerbietiger Scheu zurück, als die Beiden nahten. Offen und leer standen die Gänge und Gemächer im stillen Palaste. Von den weichen, dumpfen Teppichen erstickt, erstarb unter denhohen Wölbungen der Tritt der still und langsam Wandelnden. [64] Dort hinten, am Ende des Ganges, zitterte ein mattes Licht durch die geschlossenen Vorhänge; mit leisem Finger hob sie der Bischof in die Höhe. Auf ihrem Bette, die Hände gefaltet, die Haare über die Schultern aufgelöst, den fieberglänzenden Blick hinaufgerichtet zu einem Bilde der Madonna, lag Blandina. Sie hatte die Nahenden nicht gehört; halblaut betete sie vor sich hin:

„Heilige Jungfrau! Um ein Zeichen flehte ich Dich an, als ich auf den Stufen Deines Altars lag, um ein Zeichen, ob Du mir erlaubtest, gegen den Willen meines Vaters glücklich zu werden, und das Zeichen, Hochgebenedeite, du gabst es mir! Eine Sühne aber hast Du mir auferlegt, daß ich durch Leiden und Gram wieder erkämpfen müsse die Liebe und Verzeihung des von seinem Kinde gekränkten Vaters, und die Sühne, ich habe sie, als von Dir kommend, willig hingenommen. Nun aber, Madonna, erweiche auch meines Vaters gestrengen Sinn; führe ihn her zu des Kindes Lager, daß er die Arme um meinen Leib schlinge wie damals, als ich ein kleines Kindlein war, und daß er mir den vergebenden Vaterkuß auf die Stirn drücke, und daß seine Stimme, ach! seine liebe, so lang vermißte Stimme zu mir sage: Kind, ich habe verziehen!“

Aus dem Halbdunkel beugte sich leise eine Gestalt über die Betende:

„Ich bin es, Blandina, fürchte Dich nicht! Breite Deine Arme aus, meine Tochter – der Vater hat verziehen!“

„Vater! … mein Vater!“ rief Blandina, und hoch richtete sie sich auf von ihrem Lager, und die Arme breitete sie aus nach ihm; dann überflog ein Zittern ihre Glieder, und zu des Vaters Füßen lag das weinende Kind. In seinen Armen hob er sie von der Erde auf und zog sie an seine Brust. Heiße Thränen rollten über des Fürsten Wangen, als er sein Kind an das Herz drückte. Langsam und sanft – so sanft, daß es ihr schien, als sei es der längst entschlafenen Mutter Arm – legte er Blandina auf ihr Lager zurück und sprach dann die Worte zu ihr:

„Dein Gebet habe ich gehört, Blandina! Wo die heilige Madonna Dir helfend zur Seite stand, darf Dein Vater Dir nicht mehr grollen. Ja, einen Schwur hast Du gethan – in unbewachter Stunde – aber ein Schwur war es, und Du bist ihm treu geblieben – bis zur Schwelle des Todes! Mein Geschlecht erkenne ich wieder in Dir; denn wie Du dem Deinigen, so werde ich meinem Schwur getreu bleiben – bis zum Tode! Dir, Blandina, hab’ ich verziehen!“ –

Sie genas. Jede Nacht kam, in Begleitung des Bischofs, durch die leeren, stillen Gänge ihr Vater zu ihr; des Herzogs Name aber berührte seine Zunge nicht und mit keiner Silbe gedachte er des Feindes seines Volkes.

In ernsteren Falten lag sein Antliz, als er eines Abends zu seiner wiedergenesenen, in blühendem Leben strahlenden Tochter sprach:

„Morgen, Blandina, soll im Dome das Fest Deiner Genesung gefeiert werden – und ein anderes Fest noch wird sich daran schließen: der Segen, den Du in einer verlorenen Waldkapelle empfingst, soll morgen der Fürstentochter, wie es ihr gebührt, vor dem versammelten Volke ertheilt werden. Der alten Sitte unserer Vorfahren werde ich mich nicht entziehen; an der Pforte des Domes werde ich Dir die Hand reichen und den Händen der Kirche werde ich Dich übergeben; bis zum Altar führt Dich Dein Vater; – meinen Segen lege ich dann auf meines Kindes Haupt! Aus dem Dome führt Dich ein Anderer hinaus!“

Wie er es gesagt, so geschah es. Als der Brautzug des Herzogs von Gonzaga in den weiten Hofraum des Domes einzog, erblickten die spanischen Edelleute einen andern Zug, der vor dem Portale ihrer schon wartete. Um den Fürsten von Roccaguelfonia hatte sich der sicilische Adel geschart; nicht im Hochzeitsgewande aber waren die Grafen und Barone erschienen; gepanzert und gewappnet standen sie da, als ginge es zum blutigen Waffentanze, und finster schauten ihre Augen zu den im Festkleide, mit wehenden Federn auf dem Sammtbarette, leichten Fußes den rauschenden Klängen ihres Musikkorps folgenden Spaniern. Lächelnd bemerkten diese die seltsame Hochzeitstracht; lächelnd – denn unter ihren seidenen Gewändern trugen auch sie Panzer und Waffenhemd, und an ihrer Seite hing das breite Streitschwert; ohne Verlaß war ja dies Volk und unberechenbar die Leidenschaft, die in diesen haßerfüllten Herzen wohnte.

[65] „Gonzaga!“ hatte an diesem Morgen vor seinen Herrn hintretend ein im Dienste ergrauter Rittersmann gesagt, „nimm Dich in Acht, und das feinste, aus festestem Stahl gewirkte Schuppenhemd lege an unter Dein seidenes Wams, und Schwert und Dolch lasse nicht im Hause zurück; Dein bestes Schlachtroß trage Dich zum bräutlichen Feste und all Deinen getreuen Mannen befiehl, daß sie Dich begleiten – denn blutige Vespern pflegt man in diesem Lande zu feiern!“

Dem Rathe des Alten hatte sich der Herzog gefügt.

In einer von zwei reich verzierten Maulthieren getragenen Sänfte nahte dte Braut; nicht aber neben ihr, wie es die Sitte erheischte, saß der Bräutigam, sondern hoch zu Roß ritt er neben der Sänfte daher, und ein Gemurmel zog durch die Reihen des Volkes:

„Seht, mit dem Schwert an der Seite kommen auch die Spanier zum Hochzeitsfeste!“

Die Faust in die Seite gestemmt, stumm und ohne Gruß ritt Gonzaga an den sicilischen Edeln vorbei, bis zum Portale, wo er sich aus dem Sattel schwang.

Mit entblößtem Haupte, tief sich verbeugend, traten nun die sicilischen Ritter zu der Sänfte heran. Ihren Fuß setzte die Fürstin, der Landessitte gemäß, auf das rechte Knie ihres vor ihr zur Erde sich herniederlassenden nächsten Anverwandten und schwang sich, seine Schulter leicht mit der Hand berührend, aus der Sänfte; und wie sie sich nun, grüßend und dankend, vor den Edeln verneigte, und wie sie dastand, umgeben von dieser Schar von erzgepanzerten Männern, da war es, als glänze eine zweite Sonne vom Himmel herunter, so lieblich, so milde, von so weichem Lichte umflossen war diese königliche Erscheinung. Es war, als müsse all das Erz und all der Stahl dieser Helme und Schwerter und Panzer schmelzen, wie starres Eis an den Strahlen der Frühlingssonne. Es schien, als zerrisse plötzlich der Haß dieser düsterfunkelnden Augen, als müsse sich ein Lächeln Bahn brechen durch diese haßerstickten Gemüther. Es war, als schwebe ein sanft versöhnender Friedensengel über den weiten Plan: so legte sich plötzlich bei dem Erschetnen der Fürstin das Wogen und Rufen der dichtgedrängten Volksmenge. Nicht eine Herzogin, nicht eine Fürstin – eine Königin stand sie da, in ihrer blendenden Schönheit, mit ihrem holdseligen Lächeln auf dem vor Freude und Erregung leichtgerötheten Antlitz. Eine kleine, scharfgezeichnete Narbe an der Schläfe, halb verdeckt unter ihrem Perlendiadem, zeugte allein von den Schrecken und Leiden, die seit Wochen und Monden ihr Lager umschwebten. Als wolle aber der Himmel selber, für Ritter und Volk, die Erinnerung an jene Tage verwischen, spielte, wie scherzend an Winde, eine dem Perlenschmuck entschlüpfte Locke über Stirn und Schläfe, und mit anmuthiger Gebärde suchte die Fürstin das rebellische Haar zu bändigen … Ach! Einer war aber auf der Welt, der – hätte er die kleine, rothe Narbe an dieser Stirn erblickt – ein Wehe in seinem Herzen empfunden hätte, gegen welches alles Weh der ganzen Erde ihm leicht erschienen wäre! Und nicht nur Wehe und Jammer hätten bei diesem Anblick das arme, todwunde Herz erfüllt: eine blinde Wuth hätte drin aufgetobt, gegen das Schicksal, gegen sich selber – und auch noch gegen einen Andern, gegen Einen, dem jener Wurf ja gegolten! Wie oft war in ihren Fieberträumen des armen Nino Bild vor Blandina’s Seele getreten! Was war aus dem Knaben geworden? Es war ihr, als müsse er plötzlich wieder vor sie treten, wie dort in der alten Kirche, mit wuthfunkelndem Blicke den Feldstein über seinem Kopfe schwingend. Gestern erst – war es Wirklichkeit? War es Täuschung? – Als sie sich über das Gitter ihres Balkons lehnte und das Auge über des Palastes Gärten schweifen ließ – da glaubte sie eine Stimme zu vernehmen und ein leises, fernes Singen: „Zwei Herzen hast Du jetzt, Speranza! das Deinige und das meinige dazu!“

Durch die hohen Baumkronen säuselte der Wind, dumpf brauste das schäumende Meer gegen das Gestade – es war wohl das Singen des Meeres und des Windes gewesen. Wie ihr Finger jetzt vor dem blumenbekränzten Portale des Domes leicht über die Narbe an ihrer Stirn strich, da mußte Blandina wieder an den Hirtenknaben denken. Armer Nino! … In welch öder Bergeseinsamkeit liegst du wohl, vergessen, verschwunden, begraben? …

Der Vater trat zu ihr heran.

„Blandina, Fürstin von Roccaguelfonia!“ sprach er mit erhobener Stimme, „zum Feste Deiner Genesung giebt Dir das Geleite bis zu dieser [66] Schwelle Dein Vater und Siciliens versammelter Adel! Fasse meine Hand und beuge Dein Knie vor dem Altar, daß ich mein Kind anvertraue der Kirche unseres allmächtigen Gottes!“

Vor dem Bischof kniete er nieder mit ihr, und seinen Segen erflehte er für sich und für sein Kind. Auf den Knieen lagen ringsum die sicilischen Edeln; entblößten Hauptes, mit gefalteten Händen, standen die Spanier bei Seite.

„Der Himmel segne Euch, Vater und Tochter! Und mögen sie sich auch trennen in dieser Stunde, Eure Wege werden sich wieder begegnen, hienieden und im ewigen Leben!“

Schluchzend hing Blandina an des Vaters Halse. Feierlich löste der Fürst sich los aus ihrer Umarmung:

„Kind, wohin Du auch ziehest, Deines Vaters Haus und seine Arme bleiben Dir offen immerdar!”

Gerührt schauten Sicilier und Spanier auf die liebliche Gruppe und in manch einen alten, silberglänzenden Bart träufelten langsam Thränen hinab. Lautlose Stille lag über dem weiten Platze. Einen Schritt that jetzt Gonzaga vor, um Blandina die Hand zu reichen und sie einzuführen in den Dom – siehe! was war das plötzlich dort unter dem Volke? Was stürzte sich aus der Menge hervor? Welch wilder Schrei, wie vom Adler in den Bergesklüften, durchriß das tiefe Schweigen?

„Nieder mit den Spaniern! Tod dem spanischen Wolf!“

Ha! war das Empörung? War das Mord? War das Verrath und Friedensbruch? Aus den Scheiden fuhren der Spanier Klingen. Wie eine Bestie, in rasendem Sprung, ein Messer in der Rechten, stürzte Einer auf den Herzog los; im Nu – wer konnte den Wüthenden fassen und halten? – stand er hinter Gonzaga und mitten auf dessen Rücken blitzte der Stahl. An den Schuppen des Panzers glitt jedoch das Messer ab, und zum neuen Stoße holte der Mörder aus.

„Ha! Mord! Verrath! Tod den sicilischen Hunden!“

Wie gebannt aber blieben die Spanier – denn, bevor sie noch ihrem Herzog zu Hilfe eilen konnten, war schon der Mörder, von dem Eisenhandschuh des Fürsten von Roccaguelfonia schwer getroffen, zur Erde gesunken, und das Rufen der Spanier mit gewaltiger Stimme übertönend, rief der alte Roccaguelfonia:

„Von meiner Hand getroffen liegt der Mörder in seinem Blute! So wie er, falle jeder Verräther!“

Und zu Gonzaga sich wendend:

„Herzog,“ sprach er, „nicht zum Verrathe sind wir hierhergezogen! Mit einem Schurken haben Siciliens Edle nichts gemein! Schaffe Diesen hinweg in Dein Schloß, daß er seinen Lohn empfange! Deinem Gerichte überantworte ich ihn! Und nun lebt wohl! … Lebe wohl, mein Kind!“

Und Blandina noch einen Kuß auf die Stirn drückend, zog der Fürst mit Siziliens Edeln ab.




Als der Herzog mit seiner jungen Gemahlin in den Palast zurückkehrte, trat ihm unter dem Thore ein alter Kriegsmann entgegen.

„Herr,“ sagte er, „nicht nur ein Mörder ist’s, den Du uns überliefert – ein Räuber und ein Dieb ist der Jüngling, der geknebelt dort auf der Erde liegt! Seit einigen Tagen schon bemerkte ich ihn, wie er sich an den Mauern herumschlich! – Siehe! ein Kleinod, mit Deinem herzoglichen Wappen geschmückt, haben wir bei ihm gefunden. An dieser goldenen Kette trug er es, unter den Kleidern versteckt, auf der bloßen Haut. Erlaube, daß wir den Missethäter an einen Thürpfosten aufhängen wie einen Fuchs oder Wolf, als abschreckendes Beispiel für die Andern!“

Betroffen blieb des Herzogs Blick auf dem Kleinod haften. Es war ein mit Perlen besäetes Kreuz, darauf das Wappen der Gonzaga mit dem kastilischen Löwen eingegraben war. Das Kreuz kannte er – und er wußte auch, wie es in den Besitz des Hirtenknaben gelangt war. Seine Stirn furchte sich, ein Blitz flammte in seinem Auge auf.

„Blandina’s Mörder – und jetzt der meine!“ murmelte er vor sich hin.

Dann, als hätte ihn dies Kleinod noch daran erinnert, daß dieser Mörder es war, der damals am Felsenquell seiner Blandina das Leben rettete, fügte er mit weicherer Stimme hinzu:

„Der Unselige!“

Und er befahl, daß man den Schwerverwundeten herauf trage in die Vorhalle. –

Als Nino aus seiner Betäubung erwachte, lag er auf einem Feldbette. Fragend flog sein gebrochener Blick zu dem Mönch, der zu Häupten seines Lagers saß und die Gebete der Sterbenden murmelte. Langsam wandte er sich zu ihm und leise, mit schon halb erstickter Stimme drang es aus seinem Munde:

„Bete für mich zu Schwester Speranza im Himmel! ... flehe von ihr Vergebung für meine Sünden!“ …

War es schon der Himmel, der sich ihm eröffnete? War es ein Gesicht des Paradieses, das seine sterbende Seele zu trösten kam? War es ein seliger Engel, der zu ihm herunterstieg, umflossen von leuchtendem Heiligenschein? … Der schwere Vorhang, der zu den innern Gemächern führte, theilte sich, und vor ihm stand Speranza – nicht aber, wie er sie im einsamen Kloster und am rauschenden Waldbach gekannt, in grauer Nonnenkutte und mit der engen Haube über der Stirn, nein! wie eine Königin erschien sie, im schimmernden Fürstengewande, mit funkelndem Diadem im langwallenden Haar. Wie eine Königin? – und wirre Erinnerungen tauchten plötzlich in des Sterbendem bangem Geiste auf. So hatte er sie schon gesehen – auf großem, freiem Platze – aus einer Sänfte stieg sie heraus – die Ritter verbeugten sich vor ihr – o Erinnerung voller Schrecken und herzbeklemmender Qual! – Aber Erbarmen und vergebende Liebe auf dem Antlitz neigte sich jetzt Speranza zu ihm, und mitleidsvoll erfaßte sie seine erkaltende Hand, und leise flüsterte sie:

„Nino, armes Kind!“

Mit aufgerissenen Augen starrte er das wunderbare Himmelsgesicht an.

„Speranza!“ sagte er, „kannst Du vergeben?“

Da fiel sein Auge auf den Herzog, und mit wildem Aufschrei: „Der Wolf!“ – wollte er aufspringen von seinem Lager; doch in des Mönches Arm fiel er zurück – eine Leiche.

„Armes, armes Kind!“ weinte leise über den Todten gebeugt die Fürstin; „seiner mit dem Tode ringenden Tochter konnte der schwergekränkte Vater vergeben – Du aber konntest nicht verzeihn!“

Und eine Thräne fiel auf Nino’s Stirn.

Da legte Gonzaga Speranza’s Kreuz auf des Todten Brust:

„Die Verzeihung kennt, wer glücklich geliebt! Unglückliche Liebe aber verzeiht nimmermehr!“



  1. Nach einem alten Volkslied.