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Ueber die Tugenden/Text

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[320]
UEBER EINIGE TUGENDEN, DIE MIT ANDEREN MOSES

GESCHILDERT HAT, NAEMLICH UEBER TAPFERKEIT,
FROEMMIGKEIT, MENSCHENLIEBE UND REUE

Ueber die Tapferkeit.

1 [II p. 375 M.] (1.) Nachdem ich früher über die Gerechtigkeit und über alles Wesentliche, was darauf Bezug hat, gesprochen habe, wende ich mich nun zunächst zur Tapferkeit. Unter Tapferkeit verstehe ich aber nicht, was die meisten dafür halten, die streitsüchtige Kampfwut, die sich vom Zorne leiten lässt, sondern das Wissen[1]. 2 Denn gar manche haben, von Wagemut getrieben, zu dem Körperstärke sich gesellte, wenn sie im Kriege mit voller Waffenrüstung in Reih' und Glied standen, zahllose von der kriegsfähigen Mannschaft der Feinde niedergeschlagen und damit unverdienterweise grossen Ruf der Tapferkeit sich erworben; sie wurden von denen, die in solchen Dingen zu urteilen pflegen, für besonders ruhmreiche Sieger [376 M.] gehalten, während sie (in Wahrheit) von Natur und durch Uebung nur eine Art wilder Tiere sind, die nach Menschenblut dürsten. 3 Andere dagegen, die sogar zu Hause bleiben müssen, weil ihr Körper durch langwierige Krankheiten oder durch das beschwerliche Alter geschwächt ist, die aber in ihrem besseren Teile, der Seele[2], noch gesund und kräftig und von mutiger Gesinnung und tapferer Entschlossenheit erfüllt sind, haben oft, ohne jemals eine Waffe zur Abwehr anzurühren, durch gemeinnützige Erteilung guter Ratschläge die gesunkene Lage sowohl jedes einzelnen als des ganzen Vaterlandes wieder aufgerichtet, weil sie in ihren auf das Gemeinwohl gerichteten Erwägungen fest und unbeugsam waren. 4 Diese üben die wahre Tapferkeit, da ihr Handeln sich auf Weisheit gründet, jene dagegen die fälschlich so genannte — denn sie leben in unheilbarer Krankheit, in Unwissenheit — ,[321] die man eigentlich (richtiger) „Keckheit“ nennen könnte; es verhält sich damit wie mit der gefälschten Münze, die man auch als einem wahren Bilde ähnlich bezeichnet.

5 (2.) Es gibt aber noch viele andere Dinge im menschlichen Leben, die nach übereinstimmender Ansicht schwer zu ertragen sind: Armut, geringes Ansehen, Blindheit und mannigfache Arten von Krankheiten. Diesen gegenüber werden die Schwachsinnigen mutlos und können sich vor Verzagtheit gar nicht aufraffen; die aber, die von Einsicht und wackerer Gesinnung erfüllt sind, kämpfen gegen sie an und widersetzen sich ihnen tapfer und kräftig, lachen und spotten ihrer Drohungen und Schrecknisse: der Armut stellen sie den Reichtum entgegen, nicht den blinden, sondern den scharfblickenden[3], dessen Schmucksachen und Kostbarkeiten die Seele bei sich bewahrt. 6 Die Armut nämlich hat schon viele niedergeworfen, die nach Art erschöpfter Ringkämpfer durch ihr unmännliches Wesen verweichlicht hinsanken. Arm ist aber nach dem Richterspruch der Wahrheit eigentlich keiner, da jedem der unzerstörbare Reichtum der Natur zur Verfügung steht: die Luft, die erste, unentbehrlichste und beständige Nahrung, die ununterbrochen Tag und Nacht eingeatmet wird, sodann Quellen in reicher Menge und immer fliessendes Wasser von Bergströmen und Quellflüssen zum Trinken, endlich zur Speise die Mengen verschiedener Erdfrüchte und alle Arten von Bäumen, die alljährlich immer ihre Ernte liefern. An diesen Dingen leidet niemand Mangel, alle vielmehr haben überall grossen Ueberfluss daran[4]. 7 Wenn aber manche diesen Reichtum der Natur für nichts achten und dem Reichtum ihrer eitlen Wahnvorstellungen nachjagen, so stützen sie sich auf einen Blinden statt auf einen Sehenden, benützen als Wegführer einen Geblendeten und müssen daher mit Notwendigkeit fallen. 8 (3). Es ist der den Körper schützende Reichtum, eine Erfindung und ein Geschenk der Natur, über den wir eben gesprochen haben. Wir müssen aber auch von dem edleren sprechen, der[322] nicht allen, sondern nur den wahrhaft ehrwürdigen und gottbegnadeten Männern zuteil wird. Diesen Reichtum beschert die Weisheit durch die Grundsätze und Lehren der [377 M.] Logik, Ethik und Physik, aus denen die Tugenden hervorgehen, die der Seele den Hang zu grossem Aufwand nehmen und die Liebe zur Einfachheit und Genügsamkeit in ihr erzeugen, wodurch sie Gott ähnlich wird[5]. 9 Denn Gott ist bedürfnislos, er braucht nichts, sondern ist sich selbst durchaus genug. Der Unverständige[6] hat viele Bedürfnisse, er dürstet immer nach den Dingen, die nicht da sind, aus unstillbarer und unersättlicher Begierde, die er wie ein Feuer immer wieder anfacht und entzündet und auf alle Dinge, kleine wie grosse, hinlenkt. Der Weise[7] dagegen braucht wenig, er steht auf der Grenze zwischen unsterblicher und sterblicher Natur, er hat zwar Bedürfnisse wegen seines sterblichen Leibes, braucht aber nicht viel wegen der Seele, die nach Unsterblichkeit strebt. 10 So stellen sie der Armut den Reichtum entgegen. Ebenso dem geringen Ansehen den Ruhm; denn das Lob, das ja zum Ausgangspunkt die Tüchtigkeit hat und daraus wie aus einer nie versiegenden Quelle fliesst, wohnt nicht bei der Menge unerprobter Menschen, die das ungleichmässige Wesen ihrer Seele zu enthüllen pflegen durch ihre unzuverlässigen Stimmen, die sie bisweilen, ohne zu erröten, um schnöden Gewinn verkaufen gegen die auserwählten Besten. Die Zahl dieser ist aber gering; denn die Tugend ist nicht sehr weit verbreitet im sterblichen Geschlecht. 11 Der Blindheit der Sinne ferner, an der viele noch bei Lebzeiten gleichsam vorher gestorben sind, weil sie kein dagegen schützendes Heilmittel finden konnten, steht die Einsicht gegenüber, das Beste von allem in uns, die den Geist erleuchtet, die an Sehschärfe die leiblichen Augen in allem und jedem weit übertrifft. 12 Denn diese nehmen nur die Oberfläche der sichtbaren Dinge wahr[323] und bedürfen zugleich des Lichtes von aussen[8], die Einsicht dagegen dringt auch in die Tiefe der Körper ein, erforscht sie durch und durch in allen ihren Teilen und beobachtet auch das Wesen der unkörperlichen Dinge, das die sinnliche Wahrnehmung nicht zu sehen vermag; sie besitzt nahezu die ganze Sehschärfe des Auges, ohne des unechten Lichtes zu bedürfen, denn sie ist selbst ein Stern und beinahe ein Abbild und eine Nachahmung der Himmelskörper. 13 Krankheiten des Körpers endlich schaden wenig, wenn die Seele gesund ist. Die Gesundheit der Seele aber besteht in der guten Mischung der Kräfte, die im Gemüt, im Begehrungsvermögen und im Denkvermögen enthalten sind, wofern nämlich die Denkkraft die Herrschaft führt und die beiden anderen wie widerspenstige Rosse am Zügel hält. 14 Der dieser Gesundheit eigentümliche Name ist [378 M.] Besonnenheit, weil sie Heil schafft dem denkenden Teil in uns[9]; denn sie lässt den Verstand, der oft in Gefahr ist vom Sturm der Leidenschaften hingerissen zu werden, nicht ganz versinken, sondern zieht ihn hinauf und hebt ihn hoch empor, beseelt und belebt ihn und macht ihn gewissermassen unsterblich. 15 Ueber alles Gesagte aber sind in der (Mosaischen) Gesetzgebung an vielen Stellen Anweisungen und Lehren verkündigt, die die Gehorsamen in milden und die Ungehorsamen in strengeren Worten zu überreden suchen, die körperlichen und die äusseren Güter[10] zu verachten, ein Ziel als erstrebenswert anzusehen, das tugendhafte Leben, und mit Eifer alles zu verfolgen, was darauf hinführt. 16 Und wenn ich nicht schon in den früheren Büchern[11] alles besprochen hätte, was zur Bescheidenheit gehört, so würde ich im gegenwärtigen Augenblick versuchen, in längerer Ausführung die zerstreut an[324] verschiedenen Stellen gegebenen Vorschriften zusammenzustellen und zu erörtern. Da ich aber alles bereits gesagt habe, was am Platze war, so mag ich hier nicht dasselbe wieder sagen. 17 Wer es jedoch nicht verschmäht, sondern sich ernsthaft Mühe gibt meine früheren Schriften zu lesen, der muss merken, dass alles, was darin über Bescheidenheit gesagt ist, so ziemlich auch von der Tapferkeit gilt; denn die Aufgabe einer starken, edlen und kraftvollen Seele ist es, alles zu verachten, was der Hochmut zu verehren pflegt zum Schaden für das wahrhafte Leben.

18 (4.) Das Gesetz zeigt aber ein so eifriges Bestreben, die Seele zur Tapferkeit heranzubilden und auszurüsten, dass es selbst über die Beschaffenheit der Gewänder, die man anlegen soll, eine Verordnung erlassen hat: es verbietet nämlich nachdrücklich dem Manne, ein weibliches Gewand anzuziehen (5 Mos. 22,5), damit auch nicht eine Spur oder ein Schatten des Weibischen ihm anhafte zum Schaden des männlichen Geschlechts. Das Gesetz schliesst sich nämlich stets der Natur an und will bestimmen, was zueinander passt und miteinander im Einklang steht, bis zum äussersten und bis zu den Dingen, die wegen ihrer Geringfügigkeit anscheinend keine Beachtung verdienen. 19 Denn da der Gesetzgeber sah, dass die Körpergestalten des Mannes und des Weibes, wie auf einer Tafel gezeichnete Figuren, ungleich seien und dass den beiden Geschlechtern nicht dasselbe Leben zugewiesen sei — dem einen nämlich ist das Leben im Hause, dem andern das Leben in der staatlichen Gemeinschaft zugeteilt —, so hielt er es für nützlich, auch in anderen Dingen, die nicht von der Natur geschaffen sind, sondern im Anschluss an die Natur von kluger Einsicht ersonnen werden, bestimmte Anordnungen zu treffen: es sind das die Bestimmungen über Lebensführung, über Kleidung und ähnliche Dinge. 20 Er wollte, dass der wahre Mann auch in diesen männlich auftrete und ganz besonders in der Kleidung: in dieser, die er immer Tag und Nacht trägt, darf er nicht das geringste Zeichen unmännlichen Wesens zeigen. 21 In derselben Weise wollte er auch die Frau an den passenden Schmuck gewöhnen und verbot ihr daher [379 M.][325] männliche Kleidung anzulegen[12], weil er ebenso wie die weibischen Männer die Mannweiber fernhalten wollte; denn wenn man, wie bei einem Bauwerk, ein Stück wegnimmt, so bleiben auch, wie er wusste, die übrigen nicht in dem gleichen Zustande.

22 (5.) Da die menschliche Tätigkeit sich auf zwei Zeiten erstreckt, auf Friedens- und auf Kriegszeit, so kann man die Tugenden in beiden sich bewähren sehen. Ueber die anderen Tugenden ist nun früher gesprochen und wird auch wieder, wenn ein Bedürfnis dazu vorhanden sein sollte, gesprochen werden; jetzt aber müssen wir die Tapferkeit behandeln, und zwar nicht so beiläufig. Ihre Werke im Frieden hat Moses, immer unter Benutzung der passenden Gelegenheit, an vielen Stellen seiner Gesetzgebung rühmend hervorgehoben, und wir haben an den geeigneten Orten daran erinnert; hier aber wollen wir mit den Werken der Tapferkeit im Kriege beginnen, nachdem wir folgendes vorausgeschickt. 23 Wenn eine Aushebung von Kriegern veranstaltet wird, meint er, dürfe man nicht die ganze junge Mannschaft dazu aufrufen; er will einige entlassen und fügt vernünftige Gründe zu ihrer Befreiung vom Kriegsdienst hinzu (5 Mos. 20,5 ff.)[13]: zunächst die Aengstlichen und Furchtsamen, die der angeborenen Kleinmütigkeit erliegen und den anderen Mitkämpfern dieselbe Furcht einflössen würden. 24 Denn der Fehler eines andern pflegt wohl auf den Nachbar ansteckend zu wirken, ganz besonders im Kriege, wo die vernünftige Ueberlegung durch das Kampfgewühl gestört ist und die Dinge nicht in ihrer wahren Bedeutung genau zu erfassen vermag; denn da pflegt man die Feigheit Behutsamkeit, die Furcht Vorsicht und das unmännliche Verhalten Sorge um die Sicherheit zu nennen, indem man schimpfliches Handeln mit wohlanständigen und stolzen Namen belegt. 25 Damit nun[326] nicht die eigene Sache Schaden erleide durch die Feigheit der in den Krieg ziehenden Leute und die Sache der Feinde das Uebergewicht erhalte, die auf leichte Weise die Mutlosen bezwingen würden, wies Moses in der Erkenntnis, dass ein träger Haufe von keinem Nutzen, sondern nur ein Hindernis für das Gelingen sei, die Mutlosen und vor Furcht Verzagenden zurück, wie ja auch den körperlich Leidenden kein Feldherr einen Zwang auferlegen wird zu kämpfen, da Krankheit genügend entschuldigt. 26 Eine Art Krankheit ist nämlich auch die Feigheit, ja eine schwerere als die Krankheiten des Körpers, weil sie die Kräfte der Seele schwächt; denn bei jenen dauert der Höhepunkt nur eine kurze Zeit, die Feigheit aber ist ein mitverwachsenes Uebel, das ganz ebenso wie die eng verbundenen Teile (des Körpers) einem anhängt von frühester Jugend bis zum äussersten Greisenalter, wenn Gott es nicht heilt; bei Gott ist ja alles möglich. 27 Aber selbst die Mutigsten ruft er nicht sämtlich (zum Kriegsdienst), mögen sie auch noch so kräftig sein in jeder Hinsicht, an Leib und Seele, und entschlossen in den ersten Reihen zu kämpfen und Gefahren zu bestehen: er lobt sie zwar wegen ihrer Bereitwilligkeit, weil sie eine für die Gemeinschaft besorgte, von Eifer erfüllte, unerschrockene Gesinnung zeigen, er forscht aber, ob sie nicht durch gewisse zwingende Ursachen gebunden sind, die sie mit Gewalt festhalten. 28 Er verordnet nämlich: „wenn jemand jüngst ein Haus gebaut hat und noch [380 M.] nicht eingezogen ist, oder wenn jemand einen neu angelegten Weinberg bepflanzt und selbst die Schösslinge in die Erde gesenkt, aber noch nicht Gelegenheit gehabt hat den Ertrag zu ernten, oder wenn jemand mit einer Jungfrau verlobt ist und sie noch nicht geheiratet hat, so soll er von allem Kriegsdienste frei sein“. Eine menschenfreundliche und zugleich strategische Massregel hat er mit dieser Befreiung ausfindig gemacht, aus zwei Gründen: 29 erstens damit nicht, da doch im Kriege die Verhältnisse unsicher sind, andere mühelos das Besitztum derer erlangen, die sich darum bemüht haben. Denn es schien bedenklich, dass einer nicht imstande sein sollte den Genuss von seinem Eigentum zu haben, dass einer ein Haus bauen und ein anderer es bewohnen sollte, dass einer pflanzen und ein anderer, der nichts damit zu tun hatte, die[327] Früchte ernten sollte, dass einer freien, ein anderer aber die Braut heimführen sollte; es ist doch sicherlich nicht nötig die Erfüllung ihrer Hoffnungen denen unmöglich zu machen, die die Erwartung hegen, dass sich ihre Lebensumstände glücklich gestalten. 30 Zweitens damit sie nicht mit dem Körper ins Feld ziehen, im Geiste aber zurückbleiben; denn es ist natürlich, dass ihr Sinn dorthin gerichtet ist im Verlangen nach dem Genuss des Guten, von dem sie weggerissen wurden. Denn sowie die Hungernden oder Dürstenden, sobald Speise oder Trank irgendwo sichtbar wird, eilends danach jagen und rennen in heftigem Verlangen nach ihrem Genuss, so werden auch die Krieger, die sich um die Gewinnung eines ehelichen Weibes oder eines Hauses oder eines Landgutes bemüht haben und die Hoffnung hegen zu dürfen glauben, dass der Zeitpunkt, da sie den Besitz antreten können, nahe sei, sehr ungehalten sein, wenn sie des Genusses beraubt werden, so dass sie zwar anwesend sind, aber nicht mit der Seele, dem besseren Teil, von dem das Gelingen oder Misslingen abhängt. 31 (6.) Diese und ähnliche Leute also, meint er, dürfe man zur Aushebung für den Heeresdienst nicht zulassen, sondern nur solche, die nicht von einem vorher bei ihnen auftretenden Gefühl beherrscht sind, so dass sie sich in freiem und unabhängigem Drange ohne Ausflüchte den Gefahren unterziehen können. Denn sowie eine volle Rüstung einem schwachen oder schadhaften Körper nichts nützt, weil er sie wegen seines Unvermögens von sich werfen wird, ebenso wird ein starker Körper zugrunde gerichtet durch eine Empfindung der leidenden Seele, die zu der augenblicklichen Lage der Dinge nicht stimmt. 32 Mit Rücksicht darauf unterzieht er nicht nur Hauptleute, Oberbefehlshaber und die anderen Führer des Heeres, sondern auch jeden einzelnen Krieger einer genauen Beurteilung und prüft, wie es mit ihrer körperlichen Beschaffenheit und mit der Ruhe ihres Geistes bestellt ist: den Körper untersucht er, ob er auch fehlerlos, ob er durch und durch gesund, ob er in allen seinen Teilen und Gliedern gut gebaut ist für die einem jeden von ihnen zukommende Haltung und Bewegung, die Seele, ob sie voll Kühnheit und Wagemut, ob sie unerschrocken und von [381 M.] edelmütigem Sinn erfüllt, ob sie ehrliebend ist und einem[328] ruhmlosen Leben den rühmlichen Tod vorziehen würde. 33 Denn eine jede dieser Eigenschaften ist schon für sich allein, wenn ich die Wahrheit sagen soll, eine Macht; wenn sie aber vereint beisammen sind, werden (ihre Besitzer) eine unbezwingliche und unwiderstehliche Kraft infolge grosser Ueberlegenheit zeigen und einen unblutigen Sieg über die Feinde davontragen.

34 (7.) Einen klaren Beweis für das Gesagte bietet die heilige Schrift (4 Mos. 25,1–9. 31,1–12). Ein sehr zahlreiches Volk sind die Araber, die in alter Zeit Midianiter hiessen. Diese waren gegen die Hebräer feindlich gesinnt, aus keinem andern Grunde eigentlich als weil diese den höchsten und ältesten Urgrund (aller Dinge) mit frommer Scheu verehren und dem Schöpfer und Vater des Alls anhängen. Die Midianiter wenden nun alle List an und machen alle möglichen Versuche, um sie zum Abfall von der Verehrung des Einzigen und wirklich Seienden zu bringen und von der Frömmigkeit zur Gottlosigkeit zu verführen, denn so meinten sie sie leicht überwinden zu können. Als sie nun viel geredet und getan hatten und schon ganz müde waren, wie Menschen, die dem Tode nahe sind, weil sie alle Hoffnung auf Rettung aufgegeben haben, ersinnen sie endlich noch folgende schlaue Massregel[14]. 35 Sie berufen die Schönsten unter ihren Weibern und sprechen so zu ihnen: „Ihr seht, wie unermesslich die Menge der Hebräer ist. Ein stärkeres Bollwerk aber als ihre grosse Zahl ist ihre einträchtige Gesinnung, und der oberste und wesentlichste Grund dieser Eintracht ist der Glaube an den einen Gott, woraus wie aus einer Quelle die einigende und unlösbare Liebe entspringt, die sie zu einander hegen. 36 Am leichtesten zu fangen ist nun der Mensch durch die Lust, ganz besonders durch den Umgang mit einer Frau. Ihr seid durch Schönheit ausgezeichnet, die Schönheit ist ein natürliches Lockmittel, und die jungen Männer sind[329] leicht zur Ausschweifung zu verführen. 37 Fürchtet euch nicht vor den Ausdrücken „Unzucht“ und „Ehebruch“, wie wenn sie euch Schande eintragen würden, und stellet ihnen den aus der Tat entstehenden Nutzen entgegen: aus diesem Grunde wird sich eure vorübergehende Schande in unvergänglichen und nie endenden Ruhm verwandeln, weil ihr zwar eure Leiber anscheinend preisgebet — eine gegen Feinde klug ausgesonnene List —, eure Seelen aber jungfräulich rein bewahret, mit denen ihr auch für die Zukunft eure Keuschheit besiegeln werdet. 38 Und einen ganz neuen Ruhm wird dieser Krieg bringen, der durch Frauen und nicht durch Männer glücklich ausgefochten wird; denn unser Geschlecht würde, wir bekennen es offen, eine Niederlage erleiden, weil die Gegner mit allen Mitteln zum Kampf im Uebergewicht sind, euer Geschlecht dagegen wird einen vollständigen Sieg davontragen und, was das grösste Glück ist, Kampfpreise erringen, ohne Gefahren bestehen zu müssen; denn ohne Blutvergiessen, ja ohne jeden Kampf, werdet ihr beim ersten Erscheinen, sobald ihr nur gesehen werdet, Sieger sein“. 39 Als die Frauen, die für ein reines Leben nicht das geringste empfanden und eine rechte Erziehung nicht genossen hatten, dies hörten, stimmten sie zu; hatten [382 M.] sie doch ihren angeblichen Sinn für Keuschheit die übrige Zeit nur geheuchelt. In kostbaren Gewändern, mit Halsketten und allen anderen Dingen geschmückt, mit denen eine Frau sich zu putzen pflegt, und ihre natürliche Schönheit durch besondere Sorgfalt noch anziehender machend — der Kampfpreis war ja kein kleiner, handelte es sich doch um das Einfangen von jungen Männern, die nicht leicht zu fangen waren — gehen sie auf die Strasse hinaus. 40 Und als sie in der Nähe (des israelitischen Lagers) waren, verlocken sie durch buhlerische Blicke, durch Koseworte, durch unzüchtige Gebärden und Bewegungen den leichtsinnigen Teil der Jugend, die schwankenden und noch nicht gefestigten Charaktere. Und nachdem sie mit der Schande ihres Leibes die Herzen derer, die sich zu ihnen gesellten, geködert hatten, laden sie sie zu den verbotenen Schlacht- und Trankopfern ihrer Götzen und entfremden sie dem Dienste des einen und wirklich seienden Gottes. 41 Nachdem sie dies vollbracht, bringen sie ihren Männern die frohe[330] Botschaft; und sie hätten auch die anderen nicht ganz Gefestigten an sich gelockt, wenn nicht der gütige und gnädige Gott aus Erbarmen über das Leid durch sofortige Bestrafung der von Sinnen Gekommenen — es waren das 24000 — die durch den Schrecken Gewarnten zurückgerissen hätte, die schon in Gefahr waren wie von einer Flut weggeschwemmt zu werden[15]. 42 Der Führer des Volkes aber, der den Ohren seiner Untergebenen die Grundsätze der Frömmigkeit zuführen und ihre Seelen zu ihnen hinleiten will, veranstaltet eine Aushebung und wählt aus jedem Stamme tausend Mann der Besten aus, um Rache zu nehmen für die List, die sie mit Hilfe der Frauen ins Werk gesetzt hatten in der Hoffnung, das ganze Volk von der Höhe der Frömmigkeit hinabzustürzen und zugrunde zu richten, was sie aber nur bei den Genannten vermochten. 43 (8.) Diese geringe Zahl, die vielen Myriaden entgegengestellt wurde, aber Kriegserfahrung und Kühnheit zugleich besass, indem jeder einzelne Mann gleichsam ein ganzer Haufe war, drang mit stolzer Verachtung in die dichten Reihen (der Feinde) ein, tötete die Zunächststehenden und richtete arge Verheerungen an in den anfangs dicht zusammenstehenden Scharen wie unter denen, die zur Ergänzung der leer gewordenen Reihen nachrückten: so streckten sie beim ersten Anlauf viele Tausende nieder und liessen keinen von den ihnen gegenüberstehenden jungen Kriegern am Leben. Sie töten auch die Frauen, die dem frevelhaften Plan der Männer zugestimmt hatten, und nehmen aus Erbarmen für das schuldlose Alter die Jungfrauen gefangen[16]. 44 Und während sie in einem so grossen Kampfe Sieger blieben, verloren sie keinen von den ihrigen: in derselben Anzahl und so wie sie in die Schlacht ausgezogen waren, kehrten sie unverwundet und unversehrt zurück[17], ja[331] sogar, wenn man die Wahrheit sagen soll, mit verdoppelter Kraft; denn die Freude über den Sieg erhöhte nur noch ihre frühere Stärke. 45 Die Ursache dieses Gelingens war aber nichts anderes [383 M.] als das eifrige Verlangen, den gefahrvollen Kampf für die Frömmigkeit zu unternehmen, worin Gott selbst Vorkämpfer ist, der unbezwingliche Helfer, der den Herzen gute Ratschläge an die Hand gibt und den Leibern starke Kraft verleiht. 46 Ein Beweis für den Beistand Gottes ist die Tatsache, dass von einer geringen Anzahl viele Tausende überwältigt wurden, und dass von den Feinden keiner entkam, von den Freunden aber keiner getötet und weder ihre Zahl noch ihre leibliche Stärke vermindert wurde. 47 Deshalb verheisst auch Moses in seinen Mahnreden (5 Mos. 28,1.2.7): „wenn du Gerechtigkeit und Frömmigkeit und die anderen Tugenden übest, wirst du ein Leben ohne Krieg und in ungestörtem Frieden führen, oder wenn ein Krieg ausbrechen sollte, wirst du leicht der Feinde Herr werden, da der unsichtbare Führer deines Heeres Gott sein wird, der darauf bedacht ist die Guten mit aller Macht zu retten. 48 Wenn sie nun auch mit vielen Tausenden heranrücken, wohlbewaffnetes Fussvolk und Reiterei, oder wenn sie feste und leicht einzunehmende Plätze zuerst besetzen und Herren der Gegend werden, oder wenn sie mit reichen Kriegsmitteln versehen sind, so fürchte dich nicht und verzage nicht, selbst wenn dir alle die Dinge fehlen sollten, an denen die Feinde Ueberfluss haben, Bundesgenossen, Waffen, Plätze in guter Lage, Kriegsvorräte. 49 Denn jene reichen Mittel gleichen einem mit allerlei Gütern angefüllten Lastschiff, das oft ein hereinbrechender Sturm plötzlich umwirft und zerstört; den unansehnlichen und kümmerlichen Mitteln andrerseits spendet Gott gleichsam wie Aehren, die infolge von Dürre und Regenmangel zu verkümmern drohen, Tau und Regen und verleiht ihnen die heilsamen Kräfte, dass sie sich wieder aufrichten und reife Früchte hervorbringen können“. 50 Hieraus geht klar hervor, dass man an Gerechtigkeit und Frömmigkeit festhalten muss; denn wem die Gottheit freundlich gesinnt ist, der ist in hohem Masse glücklich, wem sie aber feind ist, der ist äusserst unglücklich. Soviel mag auch über die Tapferkeit für den Augenblick zur Genüge gesagt sein.

[332]
Ueber die Menschenliebe.

51 (1.) Der Frömmigkeit[18] ganz nahe verwandt und geradezu Zwillingsschwester von ihr ist die Menschenliebe, die wir nunmehr betrachten müssen. Diese schätzte der prophetische Gesetzgeber wie kaum ein anderer, denn er wusste, dass sie wie ein gebahnter Weg zur Frömmigkeit führt; deshalb suchte er alle seine Untergebenen zur Betätigung des Gemeinsinns anzuleiten und zu ermuntern und schilderte als herrliches Beispiel wie ein Mustergemälde sein eigenes Leben[19]. 52 Alles das nun, was er von frühester Jugend bis ins Greisenalter in zartester Fürsorge für jeden einzelnen und für alle Menschen insgesamt getan hat, ist früher in zwei Büchern dargelegt worden, [p. 384 M.] die ich unter dem Titel „über das Leben des Moses“ geschrieben habe. Eine oder zwei Handlungen aber, die er am Ende seines Lebens vollbracht hat, verdienen noch erwähnt zu werden; denn sie sind Proben der beständigen, fortwährend wirksamen und unerschütterlichen Tugendhaftigkeit, die er seiner mit göttlichem Gepräge geformten Seele als Siegel aufgedrückt hat. 53 Als nämlich das Ende der vorbestimmten Zeit sterblichen Lebens für ihn herannahte und deutliche Gottessprüche ihn erkennen liessen, dass er von hinnen scheiden müsse, ahmte er nicht das Beispiel der anderen Herrscher oder Privatpersonen nach, die nur ein Streben und einen Wunsch haben, ihre Kinder als Erben zu hinterlassen, sondern, obwohl er Vater von zwei Söhnen war, liess er sich nicht von der Verwandtenliebe und dem Gefühl für das eigene Blut überwältigen und hinterliess keinem von beiden die Führerschaft. Und wenn er schon der Befähigung der eigenen Kinder nicht traute, so fehlte es ihm doch nicht an wackeren Bruderssöhnen, die als Auszeichnung für ihre Tugend das höchste Priesteramt erhalten hatten. 54 Aber vielleicht hielt er es nicht für recht sie vom heiligen Dienst abzuziehen, oder er bedachte ganz richtig, dass dieselben Männer unmöglich[333] beide Aemter gut verwalten könnten, das Priesteramt und das Herrscheramt, von welchen das eine zum Dienste Gottes berufen ist, das andere für die Menschen Sorge tragen soll. Vielleicht hielt er sich auch nicht für den geeigneten Richter in einer so wichtigen Angelegenheit; denn den zur Herrschaft wohl befähigten Mann prüfend auszuwählen ist eine sehr grosse Sache und erfordert beinahe göttliche Kraft, der allein es ein Leichtes ist den Charakter eines Menschen zu durchschauen. 55 (2.) Der klarste Beweis für das Gesagte ergibt sich aus folgendem. Einen Freund hatte er, der schon seit frühester Jugend sein vertrauter Schüler war, mit Namen Jesus (Josua). Dessen Freundschaft hatte ihm keine der sonst bei anderen vorkommenden Veranlassungen verschafft, sondern die himmlische, reine, wirklich göttliche Liebe, aus der jede Tugend erwächst. Dieser war sein Zeltgenosse und war immer mit ihm zusammen, ausser wenn Moses göttliche Offenbarungen erhielt und verkündete und Alleinsein ihm dann anbefohlen war. Er versah bei ihm auch die verschiedenen Dienstleistungen, besonders dem Volke gegenüber, er war gewissermassen Unterbefehlshaber und stand ihm in der Verwaltung zur Seite. 56 Wiewohl Moses aber seit längerer Zeit gründliche Beweise seiner Tüchtigkeit in Wort und Tat und – was am unentbehrlichsten war – seiner Zuneigung zum Volke erhalten hatte, glaubte er doch auch ihn nicht als Nachfolger zurücklassen zu dürfen, weil er fürchtete eine falsche Meinung über ihn zu haben und ihn für tüchtig zu halten, der es in Wahrheit nicht sei; denn die Urteile des menschlichen Verstandes sind ja ihrer Natur nach unklar und unsicher. 57 Da er also zu sich selbst kein Vertrauen hatte, wendet er sich an den (wahren) Beurteiler der unsichtbaren Seele, an Gott, der allein genau ins Herz zu schauen vermag, [385 M.] und fleht ihn an, aus der Reihe der Besten den zur Führerschaft geeignetsten Mann auszuwählen, der wie ein Vater für die Untergebenen sorgen würde; die reinen und, wie man figürlich sagen könnte, jungfräulichen Hände zum Himmel ausgestreckt betet er: 58 „Ersehe doch Gott der Herr der Geister und[20][334] alles Fleisches einen Mann für die Gemeinde, zu ihrer Hütung und Leitung einen Hirten, der sie tadellos führe, damit das Volk nicht verkümmere wie eine auf dem Berge zerstreute[21] Herde, die keinen Hirten hat“ (4 Mos. 27,16.17). 59 Wer unter den damals Lebenden wäre wohl nicht verwundert gewesen, wenn er dieses Gebet gehört hätte? „Was sagst du, o Herr?“ würde er sprechen; „hast du nicht eheliche Söhne, hast du nicht Bruderssöhne? Hinterlass doch die Herrschaft deinen Söhnen, diese sind ja naturgemäss die ersten Erben, und wenn du sie ausschliessen willst, dann wenigstens den Bruderssöhnen. 60 Wenn du aber auch diese für ungeeignet hältst und das Volk dir höher steht als die nächsten Verwandten und Angehörigen, so hast du doch einen untadligen Freund, der dir Allweisem den Beweis vollkommener Tüchtigkeit geliefert hat. Warum also willst du, wenn es bei der Wahl nicht auf Abkunft, sondern auf Tüchtigkeit ankommen soll, nicht (selbst) diesen Freund erwählen“? 61 Darauf würde er erwidern: „In allen Dingen geziemt es sich Gott zum Richter zu wählen, ganz besonders aber bei wichtigen Dingen, deren gute oder schlechte Ausführung viele entweder zum Glücke führt oder umgekehrt zum Unglück. Es gibt aber nichts Wichtigeres als ein Herrscheramt, dem die Angelegenheiten von Städten und Ländern in Krieg und Frieden anvertraut sind; denn wie zu einer guten Seefahrt ein tüchtiger, verständiger und erfahrener Steuermann nötig ist, ebenso bedarf es überall zur guten Leitung von Untergebenen eines weisen Führers. 62 Ueber die Weisheit aber zu urteilen, die nicht nur viel früher als ich, sondern auch früher als die ganze Welt geschaffen wurde[22], ist keinem andern erlaubt und möglich[335] als Gott und denen, die sie aufrichtig, rein und wahrhaft lieben. 63 Ich bin durch mein eigenes Beispiel darüber belehrt, dass ich auch nicht einen andern der für das Herrscheramt geeignet Scheinenden dazu bestimme. Denn ich selbst habe die Verwaltung und Leitung des Gemeinwesens weder aus freien Stücken übernommen noch auch weil ich von irgend einem andern Menschen dazu gewählt wurde, sondern selbst dann noch, als Gott durch deutliche Offenbarungen und klare Aussprüche mir laut den göttlichen Auftrag zur Führung (des Volkes) erteilte, weigerte ich mich und bat und flehte im Hinblick auf die Grösse der Aufgabe, bis ich endlich dem wiederholten Befehl aus Furcht gehorchte. 64 Wäre es nun nicht sonderbar, jetzt nicht derselben Spur zu folgen und, nachdem ich selbst zur Zeit, da ich Führer werden sollte, mich nur der Entscheidung Gottes gefügt, nicht ihm allein wieder die Wahl [386 M.] des Nachfolgers anheimzustellen, ohne dass menschlicher Verstand mitwirkt, dem das Wahrscheinliche näher steht als die Wahrheit, zumal es sich um die Leitung nicht irgend eines beliebigen Volkes handelt, sondern des zahlreichsten von allen auf Erden, das sich zur wichtigsten Aufgabe bekennt, zur demütigen Verehrung des wirklich Seienden, der der Schöpfer und Vater des Alls ist? 65 Denn was aus der bewährtesten Philosophie denen erwächst, die ihr obliegen, das wird den Juden durch ihre Gesetze und Bräuche vermittelt, die Erkenntnis von dem höchsten und heiligsten Urgrund aller Dinge, da sie die Irrlehre von den geschaffenen Göttern verwerfen; denn kein Geschaffener ist ein Gott in Wahrheit, er ist es nur in der Meinung der Menschen, da ihm die wesentlichste Eigenschaft fehlt, die Ewigkeit“.

66 (3.) Dies ist der erste deutliche Beweis seiner menschenfreundlichen und treuen Gesinnung gegen seinen ganzen Stamm; ein anderer bleibt hinter dem erwähnten nicht zurück. Nachdem nämlich Jesus, der sein Schüler und Nachahmer seines liebenswürdigen Charakters war, durch göttliche Entscheidung zum Führer bestimmt war (4 Mos. 27,18 ff.), wurde Moses nicht, wie es ein anderer gewesen wäre, in Trauer versetzt darüber, dass nicht die Söhne oder Bruderssöhne gewählt wurden; 67 vielmehr war er von unsagbarer Freude erfüllt, dass das Volk[336] einen in jeder Hinsicht sehr tüchtigen Leiter erhalten sollte, da er wusste, dass der unbedingt tüchtig sein müsse, der Gott wohlgefiel. Er fasste ihn bei der Rechten und führte ihn vor das versammelte Volk, und unbekümmert um sein eigenes bevorstehendes Ende, vielmehr in noch verstärktem Frohsinn, nicht nur wegen der Erinnerung an die früheren Freuden, die er durch seine Tugenden aller Art in reichem Masse genossen hatte, sondern auch wegen der Hoffnung auf baldige Unsterblichkeit, da er aus vergänglichem Leben in unvergängliches übergehen sollte, sprach er mit heiterem Antlitz, infolge der Heiterkeit der Seele auch leiblich froh und vergnügt, folgendermassen: 68 „Für mich naht bald die Zeit aus dem leiblichen Leben zu scheiden, der von Gott erwählte Nachfolger aber, der euch fortan leiten wird, ist dieser hier“; zugleich fügte er die über dessen Einsetzung ergangenen Gottessprüche hinzu, und sie glaubten daran. 69 Darauf wendet er sich an Jesus und ermahnt ihn, mutig zu sein und stark in seinen Entschlüssen (5 Mos. 31,7.23), gute Anträge in Vorschlag zu bringen und mit unerschütterlichem und festem Sinn das Beschlossene zu schöner Ausführung zu bringen. Das sagte er dem Manne, der vielleicht einer solchen Ermahnung nicht bedurfte, aber er konnte die leidenschaftliche Liebe, die er für ihn und für das Volk hegte, nicht verbergen, und von ihr gleichsam wie von einem Stachel angetrieben, erteilte er ihm die Ratschläge, die er für nützlich hielt. 70 Er hatte auch von Gott den Auftrag erhalten, den Nachfolger zu ermahnen und stark zu machen für die Leitung des Volkes, sodass er vor der schweren Last des Amtes nicht zurückschrecke; denn er solle Richtschnur und Norm werden für alle kommenden [387 M.] Führer, die ihren Blick auf Moses als urbildliches Muster gerichtet halten, und keiner solle den Nachfolgern gute Ratschläge versagen, sondern alle sollen durch gute Lehren und Ermahnungen ihre Gemüter anleiten und aufmuntern. 71 Denn die Ermunterung eines wackeren Mannes vermag die in ihren Entschlüssen Wankenden aufzurichten und hoch über die Zeitumstände und Sachen emporzuheben, indem sie ihnen tapferen und unerschrockenen Sinn einflösst. 72 Nachdem er so in angemessener Weise mit den Untergebenen[337] (dem Volke) und mit dem Erben des Führeramtes gesprochen, beginnt er in einem Gesange Gott zu preisen (5 Mos. 31,30 ff.) und ihm den letzten Dank in seinem leiblichen Leben abzustatten, dafür dass er von der Geburt bis zum Greisenalter immer neue und ungewöhnliche Gnaden empfangen hatte. 73 Er berief gleichsam eine göttliche Versammlung, die Elemente des Alls und die hauptsächlichsten Bestandteile der Welt, Himmel und Erde (5 Mos. 32,1), die Erde als Heim der Sterblichen, den Himmel als Wohnstätte der Unsterblichen, und stimmte in ihrer Mitte den durchweg harmonisch klingenden Sang an. 74 Denn hören sollten ihn Menschen und diensttuende Engel, jene als Schüler, damit sie lernen in gleicher Weise den Dank abzustatten, jene als Aufseher, die auf Grund ihrer Erfahrung darauf achten, ob nicht im Gesange ein Missklang vorkomme, und die zugleich starke Zweifel hegen, ob ein an den vergänglichen Leib gefesselter Mensch in derselben Weise wie Sonne und Mond und der heilige Reigen der anderen Gestirne seinen Geist musikalisch zu bilden und mit dem göttlichen Instrument, dem Himmel und dem gesamten Weltall, in Verbindung zu bringen vermag. 75 Der grosse Prophet aber stellte sich in die Reihe der Reigentänzer am Aether und mischte in den dankerfüllten Gesang zum Lobe Gottes die aufrichtigen Gefühle seiner Liebe zu dem Volke: dazu gehörten Hinweise auf alte Sünden, Warnungen und Zurechtweisungen für die Gegenwart, Aufmunterungen für die Zukunft durch Erweckung guter Hoffnungen, denen mit Notwendigkeit einst glückliche Erfüllung folgen muss.

76 (4.) Als er aber das aus Frömmigkeit und Menschenliebe gewissermassen zusammengesetzte Chorlied beendet hatte, begann er aus dem sterblichen Leben in das unsterbliche hinüberzuwandern und merkte allmählich, dass die Bestandteile, aus denen er zusammengesetzt war, sich voneinander schieden, [388 M.] indem der nach Art einer Muschel ihn umgebende Körper abgetan, die Seele aber ihrer Hülle entkleidet wurde und das natürliche Verlangen hatte, von hinnen zu scheiden. 77 Darauf bereitete er sich zum Weggange vor, vollzog aber sein Scheiden nicht eher, als bis er sämtliche Stämme des Volkes mit harmonisch ausklingenden Segnungen beehrt unter Nennung[338] der Stammväter (5 Mos. cap. 33). Dass diese Segnungen in Erfüllung gehen werden, müssen wir zuversichtlich hoffen[23]; denn der sie ausgesprochen, war ein Liebling Gottes, Gott liebt die Menschen, und die, denen die Segenssprüche gelten, sind von edler Abstammung und nehmen die höchste Rangstelle ein unter dem Schöpfer und Vater aller Dinge als Heerführer. 78 [Es waren aber Bitten um die wahren Güter, dass diese ihnen nicht nur in dem sterblichen Leben zuteil werden, sondern noch weit mehr zu der Zeit, wenn die Seele von der Fessel des Fleisches befreit sein wird][24]. 79 Denn Moses allein hatte erkannt, dass das gesamte Volk von Anfang an zu den göttlichen Dingen offenbar in ganz enger Verwandtschaft stehe, einer viel echteren als es die Blutsverwandtschaft ist, und darum erklärte er es zum Erben aller Güter, die nur die menschliche Natur zu fassen vermag; die er selbst hatte, gab er ihnen bereitwillig, die er nicht besass, bat er Gott ihnen zu gewähren, da er wusste, dass Gottes Gnadenquellen zwar unversiegbar sind, aber nicht allen offenstehen, sondern nur denen, die sich demütig an ihn wenden. Schutzflehende sind aber die nach Tugendhaftigkeit Strebenden, und diese dürfen aus den heiligsten Quellen schöpfen, wenn sie nach Weisheit dürsten.

80 (5.) Die Beweise für des Gesetzgebers Menschenliebe und Sorge für die Gesamtheit, die er teils vermöge der ihm von der Natur verliehenen guten Veranlagung, teils auf Grund der Belehrungen durch heilige Gottessprüche bekundete, sind nun dargelegt. Wir müssen aber auch die Vorschriften anführen, die er den Späteren gegeben hat, wenn auch nicht alle — das wäre nicht leicht —, so doch wenigstens die Verordnungen, die seinen Gedanken am nächsten verwandt sind. 81 Denn die nötige Rücksicht und Milde will er nicht nur in den Grenzen des[339] Gemeinsinns gegen Menschen walten lassen, er will sie in verschwenderischer Weise noch weiter erstrecken und dehnt sie auch auf die vernunftlosen Lebewesen und auf die verschiedenen Arten edler Bäume aus. Was er nun über alles und jedes im Gesetz angeordnet hat, müssen wir im einzelnen anführen und wollen mit den Menschen beginnen.

82 (6.) Er verbietet Geld auf Zins zu leihen dem Bruder (2 Mos. 22,24. 3 Mos. 25,36.37. 5 Mos. 23,20)[25]. Unter „Bruder“ versteht er hier nicht bloss den von denselben Eltern Entsprossenen, sondern jeden Mitbürger und Stammesgenossen; denn er hält es nicht für recht, Zinsen von Geldern zu fordern wie Junge vom Zuchtvieh. 83 Und er ermahnt sie, nicht aus diesem Grunde Ausflüchte zu machen und widerwillig Darlehen zu geben, sondern mit offenen Händen und offenen Herzen den Bedürftigen am liebsten Geschenke anzubieten; denn sie sollten bedenken, dass auch die freiwillige Gabe gewissermassen ein Darlehen [389.M.] ist, das unter besseren Verhältnissen ohne Zwang aus freien Stücken vom Empfänger zurückerstattet werden wird; wenn sie aber nicht schenken wollen, so sollen sie wenigstens bereitwilligst und gern leihen und nichts ausser dem Kapital zurücknehmen. 84 Denn so würden einerseits die Armen nicht ärmer werden dadurch, dass sie gezwungen sind mehr abzuzahlen als sie empfangen haben, andrerseits die Geldleiher nicht geschädigt werden, wenn sie nur das zurückerhalten, was sie hingegeben haben. Ist es doch nicht nur das; denn mit dem Kapital gewinnen sie statt der Zinsen, die sie nicht nehmen wollten, die schönsten und kostbarsten Besitztümer, die es bei Menschen gibt: Milde, Gemeinsinn, Güte, Grossherzigkeit, guten Namen, guten Ruf. 85 Welcher Besitz lässt sich damit vergleichen? Ganz arm erscheint selbst der Grosskönig, wenn man seinen Besitz mit einer Tugend vergleicht; denn sein lebloser Reichtum ist in Schatzhäusern und Erdwinkeln vergraben, die Schätze der Tugend dagegen ruhen in dem führenden Teil der Seele; Anteil haben an ihnen auch der Himmel, der reinste Bestandteil der Welt, und Gott, der Schöpfer aller Dinge. Die reiche Armut der[340] schmutzigen Wucherer muss man nun doch wohl in eine Reihe stellen mit dem Besitz der sich reich dünkenden Könige, die nie auch nur im Traume den „sehenden“ Reichtum[26] gesehen haben. 86 Manche gehen aber in ihrer Schlechtigkeit so weit, dass sie, wenn sie kein Geld (zum Ausleihen) haben, Nahrungsmittel auf Zins leihen, um einst mehr zurückzubekommen als sie gegeben haben. Vielleicht würden diese, die im Reichtum und Ueberfluss dem Hunger einen Platz anweisen, auch Bettlern auf die Weise eine Gabe reichen, dass sie aus der Leibesnotdurft unglücklicher Menschen Ertrag ziehen und Speisen und Getränke beinahe auf die Wage stellen, damit sie nur ja kein Uebergewicht haben. 87 Darum schreibt er denen, die an seinem heiligen Staate Anteil haben wollen, notwendigerweise vor, solche Arten von Erwerb von sich fernzuhalten; denn es sind das Bestrebungen einer knechtischen und durchaus unfreien Seele, die eine wilde und tierische Natur angenommen hat.

88 (7.) Eine auf Betätigung von Menschenliebe hinzielende Verordnung ist auch die, den Lohn dem Armen noch an demselben Tage zu geben (5 Mos. 24,15. 3 Mos. 19,13), nicht nur weil die Gerechtigkeit verlangt, dass einer, der den Dienst, zu dem er angenommen wurde, geleistet hat, den Lohn für die Dienstleistung unverzüglich bekomme[27], sondern auch weil der Handwerker oder Lastträger, der nach Art eines Lasttieres sich mit seinem ganzen Körper abplagt, gleichsam nur für den Tag lebt, wie man sagt, und seine ganze Hoffnung auf den Lohn setzt. Wenn er diesen sogleich bekommt, freut er sich und wird gekräftigt für den folgenden Tag, um dann mit doppelter Freudigkeit zu arbeiten; erhält er ihn aber nicht, so verliert er, abgesehen davon dass er sich sehr ärgert, vor Kummer alle Spannkraft und wird schlaff, so dass er nicht imstande ist an sein gewohntes Tagewerk zu gehen.

89 (8.) Ferner bestimmt er: ein Gläubiger soll nicht in die [390 M.] Häuser der Schuldner hineingehen, um sich mit Gewalt ein Unterpfand zu holen, er soll vielmehr draussen an der Türe stehend warten und in aller Ruhe jene auffordern es herauszubringen[341] (5 Mos. 24,10.11). Die Schuldner aber sollen, wenn sie etwas haben, keine Ausflüchte machen; denn es gebührt sich, dass der Gläubiger zwar seine Macht nicht zu willkürlicher Handlungsweise missbrauche zur Verhöhnung der Schuldner, dass diese aber auch angemessene Unterpfänder geben als Zeichen der Erinnerung an die Wiedergabe fremden Eigentums.

90 (9.) Wer möchte ferner nicht die Verordnung betreffend die Schnitter oder Winzer gutheissen? Er befiehlt nämlich bei der Ernte nicht die Abfälle der Garben aufzuheben und nicht das ganze Saatfeld abzumähen, sondern einen Teil des Ackerbesitzes beim Schnitt übrig zu lassen (3 Mos. 19,9. 23,22. 5 Mos. 24,19). Einerseits fördert er die Hochherzigkeit und Freigebigkeit der Wohlhabenden durch das Gebot, etwas von ihrem Eigentum hinzugeben und nicht alles gierig einzusammeln und nach Hause zu schaffen, um es aufzuspeichern, andrerseits macht er die Armen fröhlicher; denn weil sie keinen eigenen Besitz haben, gewährt er ihnen die Freiheit, auf die Felder der Stammesgenossen zu gehen und die übriggelassenen Ecken als ihr Eigentum abzuernten. 91 Ebenso befiehlt er zur Zeit der Weinlese den Besitzern beim Pflücken die abfallenden Beeren nicht aufzulesen und keine Nachlese in den Weinbergen zu halten (3 Mos. 19,10. 5 Mos. 24,21). Dieselbe Verordnung gibt er für die Olivenernte (5 Mos. 24,20), wie ein liebevoller und gerechter Vater von Söhnen, die nicht in denselben glücklichen Verhältnissen sind, sondern teils im Ueberfluss leben, teils in äusserste Armut geraten sind; diese bedauert und bemitleidet er und heisst sie in die Besitzungen der Brüder gehen, um die fremden Früchte mitzugeniessen wie eigene — nicht in unverschämter Weise, sondern nur um ihrer Not abzuhelfen — und nicht bloss einen Anteil an der Frucht, sondern auch an dem ganzen Besitztum scheinbar zu erhalten. 92 Es gibt aber Menschen, die von so schmutziger Gesinnung sind, die so am Gelde hängen und auf jede Art von Gewinn so ängstlich bedacht sind, ohne viel zu überlegen, woher er kommen mag, dass sie in ihren Weinbergen und Oelbergen Nachlese halten und im Gersten- und Weizenfeld nachernten; sie beweisen damit nur ihre knechtische und unfreie Engherzigkeit und versündigen sich gleichzeitig gegen Gott. 93 Denn sie selbst[342] haben nur wenig zur Bebauung des Feldes beigetragen, die meisten und unentbehrlichsten Dinge zum guten Gedeihen der Früchte bietet ja die Natur: Regengüsse zu rechter Zeit, die gute Temperatur der Luft, den das Wachstum fördernden, häufig herabfallenden, weichen Tau, belebende Winde, die unschädliche Gestaltung der Jahreszeiten, so dass weder der [391 M.] Sommer zu warm noch der Winter zu kalt wird und die Frühlings- und Herbstwenden den im Werden befindlichen Früchten nicht schaden. 94 Obwohl sie dies wissen und immerfort sehen, wie die Natur ihr Werk vollendet und mit reichen Gaben sie beschenkt, erdreisten sie sich doch deren Wohltaten nur für sich in Anspruch zu nehmen und gewähren keinem einen Anteil daran, als ob sie selbst die Urheber aller Früchte wären, und bekunden damit ihren Menschenhass und zugleich ihre Gottlosigkeit. Weil diese nun nicht aus freiem Entschluss sich um die Tugend bemühen, weist er sie zurecht und ermahnt sie wider ihren Willen durch heilige Gesetze, denen der Tugendhafte freiwillig, der Schlechte widerwillig gehorcht.

95 (10.) Die Gesetze gebieten ferner den Zehnten von Getreide, Wein, Oel, zahmen Haustieren und ihrer Wolle an die geweihten Priester abzugeben (4 Mos. 18,12. 5 Mos. 18,4)[28], von dem Ertrag der Felder und von den Baumfrüchten nach dem Verhältnis des Besitzes in gefüllten Körben (in den Tempel) zu bringen unter Gesängen zum Lobe Gottes, die in der heil. Schrift ausdrücklich verzeichnet sind (5 Mos. 26,1ff.)[29], und ausserdem die Erstgeburten der Rinder und Schafe und Ziegen nicht wie ihr Eigentum in die Herden einzureihen, sondern auch sie als Abgaben anzusehen (4 Mos. 18,17)[30]. So sollten sie gewöhnt werden einerseits die Gottheit zu ehren, andrerseits nicht alles zum Gegenstande des Gewinns zu machen, und sollten sich auf diese Weise mit den vornehmsten Tugenden der Frömmigkeit und Menschenliebe schmücken.

96 An einer andern Stelle heisst es: wenn du den Esel eines Verwandten oder Freundes oder überhaupt eines dir[343] bekannten Menschen in der Einsamkeit umherirren siehst, so führe ihn zu ihm und gib ihn ihm ab; und wenn der Eigentümer weit entfernt wohnt, so hüte ihn bei deinem Vieh, bis dieser kommt und sich holt, was er dir nicht zur Aufbewahrung anvertraut hat, was du aber, nachdem du es gefunden, aus natürlichem Gefühl für die menschliche Gemeinschaft von selbst zurückgibst (5 Mos. 22,1–3).

97 (11.) Die gesetzlichen Bestimmungen über das siebente Jahr (2 Mos. 23,10.11. 3 Mos. 25,3ff.), in welchem man das Land ganz brach liegen lassen soll und die Armen nach Belieben die Äcker der Reichen betreten dürfen, um die als Geschenk der Natur von selbst wachsende Frucht zu ernten, — zeigen die nicht Güte und Menschenfreundlichkeit? 98 Sechs Jahre hindurch, sagt er, sollen die Besitzer den Genuss haben von den Äckern, die sie erworben und bearbeitet haben, in einem Jahre aber, im siebenten, die Besitz- und Vermögenslosen, ohne dass irgendwelche Feldarbeit verrichtet wird. Denn es wäre ja eine Ungerechtigkeit, wenn die einen das Feld bebauten und andere die Früchte davon bekämen. Vielmehr sollten die Äcker gewissermassen herrenlos gelassen werden, da keine Feldarbeit darauf verwendet wurde, und die Gaben zweckmässig und vollständig von Gott allein kommen und den Bedürftigen zuteil werden[31]. 99 Vollends aber die [392 M.] Verordnungen über das fünfzigste Jahr (3 Mos. 25,8 ff.), übertreffen sie nicht alles an Menschenfreundlichkeit? Wer kann das leugnen von denen, die nicht nur mit dem Lippenrand von der (Mosaischen) Gesetzgebung gekostet[32], sondern in weiterem Masse an ihren schmackhaften und schönen Lehren sich gesättigt und ergötzt haben? 100 Für das fünfzigste Jahr gelten nämlich dieselben Vorschriften wie für das siebente, es bringt aber dazu noch etwas Wichtigeres[33], nämlich die Zurücknahme des eigenen Besitztums, das man infolge ungünstiger Verhältnisse anderen überlassen hatte. Einerseits nämlich gestattet der Gesetzgeber nicht ewigen Besitz fremden Eigentums und versperrt deshalb die Wege zur Habsucht, um die hinterlistige[344] und alles Unheil verschuldende Begierde zu zügeln, andrerseits hielt er es nicht für recht, dass die (ursprünglichen) Besitzer für immer ihres Eigentums beraubt werden und gleichsam Strafe zahlen mit ihrer Armut, die nicht bestraft zu werden verdient, sondern vielmehr auf Mitleid vollen Anspruch hat. 101 Es gibt unter den Einzelgesetzen noch viele andere wohlwollende und menschenfreundliche Bestimmungen für die Volksgenossen; da ich ihrer aber zur Genüge schon in den früheren Büchern gedacht habe, will ich mich mit den eben erwähnten begnügen, die ich zur Probe passenderweise herangezogen habe.

102 (12.) Wie er aber für die Volksgenossen gesetzliche Anordnungen getroffen hat, so muss man nach seiner Ansicht alle Fürsorge auch den fremden Zuwanderern (den Proselyten) angedeihen lassen, die ihre Blutsverwandtschaft, ihr Vaterland, ihre Sitten, ihre Heiligtümer, die Bildsäulen ihrer Götter und ihre Verehrung aufgegeben und eine herrliche Uebersiedelung vollzogen haben von den mythischen Gebilden weg zur offenkundigen Wahrheit und zur Verehrung des einen und wirklich seienden Gottes[34]. 103 Er befiehlt also den Volksgenossen die Proselyten zu lieben, nicht nur wie Freunde und Verwandte, sondern wie sich selbst (3 Mos. 19,33.34. 5 Mos. 10,19), in leiblicher wie in seelischer Hinsicht, in leiblicher dadurch, dass man sie soweit als möglich an allem teilnehmen lässt, in geistiger, indem man Freud’ und Leid mit ihnen teilt, so dass in geteilten Gliedern ein Wesen enthalten zu sein scheint, da das gemeinsame Gefühl füreinander sie verbindet und gleichsam zusammenwachsen lässt[35].[345] 104 Ich brauche gar nicht zu sprechen von Speise und Trank und Kleidung und allen anderen notwendigen Lebensbedürfnissen, die den Proselyten nach dem Gesetze von den Einheimischen gewährt werden sollen; denn dies folgt alles von selbst aus der von Wohlwollen erfüllten gesetzlichen Vorschrift, dass man den Proselyten ebenso lieben soll wie sich selbst.

105 (13.) Noch weiter erstreckt er das Gebiet der natürliche Anziehungskraft besitzenden Menschenliebe und gebietet diese auch in Bezug auf Beisassen: er will, dass die zeitweise in fremdem Lande Niedergelassenen denen, die sie aufgenommen haben, einige Ehre erweisen, und zwar denen, die ihnen Wohltaten erwiesen haben und freundlich mit ihnen umgegangen [393 M.] sind, Ehren jeder Art, wenn sie ihnen aber ausser der Aufnahme nichts geboten haben, Ehrerbietung in mässigerer Form; denn das Weilen in einem ganz fremden Staate, ja schon das Betreten eines fremden Bodens ist an sich ein genügendes Geschenk für solche, die in ihrem eigenen Lande nicht wohnen können. 106 Moses aber geht selbst über die Grenzen der Billigkeit hinaus und ist der Ansicht, dass man auch schlechte Behandlung durch die Aufnehmenden nicht nachtragen dürfe, weil diese, wenn auch ihre Handlungsweise nicht menschenfreundlich ist, es doch dem Namen nach sind. Er gebietet nämlich ausdrücklich: „du sollst den Aegypter nicht verabscheuen, denn Beisasse warst du in Aegypten" (5 Mos. 23,8). 107 Und dies, obwohl es für die Aegypter nichts Böses gab, was sie nicht dem Volke angetan hätten, indem sie immer neue Grausamkeiten ersannen und zu den früheren hinzufügten. Trotzdem sollen sie, weil sie sie überhaupt aufgenommen, ihre Städte ihnen nicht verschlossen und den Einwanderern den Eintritt in ihr Land nicht verwehrt haben, als besondern Vorzug das vertragsmässige Recht auf freundliche Aufnahme haben. 108 Und wenn von ihnen welche zur Gemeinschaft der Juden würden übertreten wollen, so solle man sie nicht wie Söhne von Feinden in unversöhnlicher Gesinnung zurückweisen, sondern so mit ihnen verfahren, dass man sie im dritten Geschlecht in die Gemeinde berufe (ebd. V. 9) und am göttlichen Worte teilnehmen lasse,[346] durch das die Einheimischen, die Abkömmlinge edler Ahnen, Offenbarungen erhalten dürfen.

109 (14.) Das sind die gesetzlichen Vorschriften, die er im Interesse derer gibt, die Fremde als Beisassen bei sich aufgenommen haben. Ebenso wohlwollend und voller Milde sind seine Verordnungen für Feinde. Er will nämlich, dass diese selbst dann, wenn sie (die Israeliten) schon vor ihren Toren sind und in voller Ausrüstung an den Mauern stehen und die Belagerungsmaschinen anlegen, noch nicht als Feinde angesehen werden: erst sollen sie durch Herolde mit ihnen unterhandeln und sie zum Frieden auffordern, um in dem Falle, wenn sie nachgeben, das höchste Gut, Freundschaft, zu erlangen, wenn sie aber hartnäckig widerstreben, unter dem Beistande des Gerechten (Gottes) mit der Hoffnung auf Sieg in den Kampf zu gehen (5 Mos. 20,10ff.)[36]. 110 Wenn du aber, so heisst es weiter (5 Mos. 21,10ff.), von Liebe zu einem schönen Weibe aus der Kriegsbeute ergriffen wirst, so befriedige nicht sofort an ihr als einer kriegsgefangenen Sklavin dein Gelüste, sondern habe freundliches Mitleid mit ihrem veränderten Schicksal, erleichtere ihr das Unglück und wende ihr alles zum Besseren. 111 Verschaffe ihr Erleichterung: schere ihr das Haupthaar, beschneide ihr die Fingernägel, ziehe ihr das Gewand aus, in welchem sie gefangengenommen wurde, (und gib ihr ein anderes), lasse ihr dreissig Tage Zeit und gestatte ihr so lange ungestört um Vater und Mutter zu trauern und zu weinen und um die anderen Verwandten, von denen sie getrennt wurde und die entweder gefallen sind oder ein noch schlimmeres Unglück als den Tod erlitten haben, das Los der Knechtschaft; und dann verbinde dich mit ihr als deiner rechtmässigen Gattin. 112 Denn es gebührt sich, dass die Frau, die das Lager mit dem Manne nicht um Lohn teilen [394 M.] soll wie eine Dirne, die ihre Jugendreize feilbietet, sondern wegen der Liebe des Mannes oder zum Zwecke der Kindererzeugung, aller Rechte einer vollkommen gesetzmässigen Ehe für würdig erachtet werde[37]. 113 Ganz vortrefflich sind alle diese Vorschriften; denn erstens liess er der bösen Begierde nicht[347] ungezügelten freien Lauf, sondern hemmte ihre Heftigkeit dreissig Tage lang. Zweitens stellt er die Liebe auf die Probe, ob sie bloss in heftigem und unbeständigem Verlangen und ganz und gar in Leidenschaft bestehe, oder ob auch ein reinerer Gedanke daran teilhabe, ob vernünftige Ueberlegung damit verbunden sei. Vernünftige Ueberlegung nämlich wird die Begierde zügeln und nicht zulassen, dass sie eine gewalttätige Handlung begeht, sondern bewirken, dass sie die monatliche Frist abwartet. 114 Drittens hat er Erbarmen mit der Kriegsgefangenen, wenn sie noch Jungfrau ist, weil nicht die Eltern sie verloben und ihr den ersehnten Ehebund verschaffen, wenn sie aber Witwe ist, weil sie, des ersten Gatten beraubt, nun einen andern bekommen soll, und zwar einen, der als Herr sie bedroht, wenn er sie auch tatsächlich zur ebenbürtigen Gattin macht; denn der Untergebene fürchtet immer die Macht des Herrschenden, auch wenn er milde Gesinnung zeigt. 115 Wenn aber einer seine Begierde befriedigt hat und der Kriegsgefangenen überdrüssig geworden ist und keinen Umgang mehr mit ihr pflegen will, so bestraft ihn zwar das Gesetz nicht, es weist ihn aber zurecht und belehrt ihn, seinen Charakter zu bessern: es befiehlt ihm nämlich, sie weder zu verkaufen noch fernerhin als Sklavin zu behalten[38], sondern ihr die Freiheit zu schenken und sie frei aus dem Hause ziehen zu lassen (5 Mos. 21,14), damit sie nicht, wenn eine andere Frau einziehe und dann, wie gewöhnlich, Zank entstehe, aus Eifersucht unerträgliche Qualen erdulde, wenn der Herr durch neue Liebesbande gefesselt sich um die alten nicht mehr kümmere.

116 (15.) Noch manche andere Verordnungen, die auf freundliches Verhalten hinzielen, bietet er aufmerksamen Ohren. So befiehlt er, wenn die Esel von Feinden unter dem Druck der Lasten, die sie zu tragen haben, erliegen und niedersinken, nicht vorüberzugehen, sondern ihnen die Last zu erleichtern[348] und ihnen aufzuhelfen (2 Mos. 23,5). Damit will er uns die Lehre geben, dass wir uns über das Unglück unserer Hasser nicht freuen sollen; denn die Schadenfreude ist, wie er wohl wusste, eine Empfindung unversöhnlichen Grolles, verwandt und zugleich entgegengesetzt dem Neid: verwandt, insofern beides aus einem leidenschaftlichen Gefühl hervorgeht und beide Empfindungen sich auf dieselben Personen beziehen und beinahe aufeinander folgen können, entgegengesetzt aber, weil der Neid Trauer über das Glück des Nachbarn, die Schadenfreude dagegen Vergnügen über das Unglück des Nächsten hervorbringt. 117 Wenn du aber, so heisst es weiter, den Esel eines Feindes herumirren siehst, so überlass solchen Zündstoff [395 M.] zu weiterer Feindschaft Menschen von schlimmerem Charakter und führe den Esel (zu seinem Besitzer) zurück (2 Mos. 23,4)[39]. Denn damit wirst du mehr noch als deinem Feinde dir selbst nützen, denn er gewinnt nur ein vernunftloses Tier, das vielleicht gar keinen Wert hat, du aber gewinnst das Grösste und Wertvollste von allem auf Erden, eine edle Tat. 118 Ganz notwendig folgt aber, wie der Schatten dem Körper, auf eine solche Tat die Lösung der Feindschaft; denn einerseits wird der Empfänger einer solchen Wohltat selbst wider seinen Willen durch den Liebesdienst gefesselt und zur Versöhnlichkeit getrieben, andrerseits hat einer, der von edler Handlungsweise geleitet einen solchen Dienst erweist, damit schon beinahe sein Herz zur Versöhnung gewandt. 119 Das ist es aber hauptsächlich, was der fromme Prophet durch seine ganze Gesetzgebung erreichen will: Eintracht, Gemeinschaftsgefühl, Gleichheit der Gesinnung und Harmonie der Charaktere, Eigenschaften, durch die Familien und Städte, Völker und Länder und überhaupt das ganze Menschengeschlecht zur höchsten Glückseligkeit gelangen können. 120 Allerdings sind das bis zum gegenwärtigen Augenblick bloss fromme Wünsche, sie werden[349] aber, wie ich fest überzeugt bin, zu wahrer Wirklichkeit werden, wenn Gott ebenso, wie er die jährlichen Früchte spendet, rechtes Gedeihen auch den Tugenden bescheren wird; mögen wir ihrer nie verlustig gehen, die wir das Verlangen nach ihnen seit frühester Jugend in uns tragen.

121 (16.) So und ähnlich lauten die Bestimmungen, die er in Bezug auf Freie getroffen hat. Ganz im Einklang damit stehen auch offenbar seine Verordnungen über die Sklaven; denn auch diese lässt er an den auf milde Gesinnung und Menschenliebe abzielenden Gesetzen teilnehmen. 122 Tagelöhner nun, die zur Befriedigung ihrer notwendigen Bedürfnisse Dienstleistungen für andere auf sich genommen haben, dürfen nach seiner Meinung nichts erdulden, was der Freiheit, die sie von Geburt besassen, unwürdig wäre (3 Mos. 25,39–43): er ermahnt die Empfänger solcher Dienste auf den unsicheren Bestand des Glückes zu achten und den Umschlag zu fürchten. Die aber, die infolge täglicher Anleihen Schuldner geworden sind und den Namen und die schlimmen Folgen eines solchen Schicksals auf sich nehmen mussten oder auch durch zwingendere Umstände aus freien Männern Knechte wurden, diese lässt er nicht für immer in ihrem Unglück, sondern gewährt ihnen im siebenten Jahre Freiheit für alle Zeit (2 Mos. 21,2. 5 Mos. 15,12). 123 Denn für die Gläubiger, die entweder das ausgeliehene Geld nicht zurückerhalten oder auf andere Weise die zuvor frei Gewesenen sich zu Sklaven gemacht haben, genügt nach seiner Meinung eine Dienstzeit (des Schuldners) von sechs Jahren; die Knechte aber, die es von Geburt nicht sind, sollen nicht für immer die Hoffnung auf Besserung ihrer Lage verlieren, sondern zur früheren Freiheit wieder gelangen, die ihnen durch ungünstige Verhältnisse geraubt worden war. 124 Und [396 M.] weiter heisst es: wenn eines andern Sklave, der schon im dritten Gliede Sklave ist[40], aus Furcht vor den Drohungen seines Herrn oder als Mitwisser von bestimmten Vergehen oder auch ohne selbst etwas verbrochen zu haben, nur weil er einen grausamen und gemütsrohen Herrn hat, sich zu dir flüchtet, um bei dir Hilfe zu suchen, so sollst du sie ihm nicht versagen[350] (5 Mos. 23,16.17). Denn einen Schutzflehenden darf man nicht ausliefern[41], ein Schutzflehender ist aber auch der Sklave, der sich an deinen Herd flüchtet, wie in ein Heiligtum, und er muss dort gerechterweise Sicherheit finden, indem er, wenn möglich, aufrichtige und straflose Verzeihung (von seinem Herrn) erlangt oder schlimmstenfalls weiter verkauft wird[42]; denn wie das Wechseln des Herrn ausfallen wird, ist ungewiss, das ungewisse Uebel ist aber immerhin leichter als das gewisse.

125 (17.) Dies sind die gesetzlichen Bestimmungen über Einheimische und Fremde, über Freunde und Feinde, über Sklaven und Freie und Menschen überhaupt. Der Gesetzgeber will aber die milde und freundliche Behandlung auch auf die vernunftlosen Wesen ausgedehnt wissen und gewährt auch diesen die Möglichkeit, wie aus freundlicher[43] Quelle Gutes zu schöpfen. 126 Er gebietet nämlich betreffs der Herden zahmen Viehes, der Schaf-, Ziegen- und Rinderherden, sich des sofortigen Genusses der neugeborenen Tiere zu enthalten und sie weder unmittelbar zur Nahrung noch angeblich zu den Opfern zu nehmen (2 Mos. 22,29. 3 Mos. 22,27)[44]. Denn er meinte, es verrate eine rohe Seele, auf die Gebärenden aufzupassen, um sofort die Jungen von der Mutter zu trennen zu dem Zwecke, sich einen leiblichen Genuss zu verschaffen,[351] in Wahrheit aber sich eine in hohem Grade ekelhafte Nahrung zuzuführen. 127 Zu dem, der in seinem heiligen Staate leben will, spricht er etwa also: „Mein Lieber, du hast doch Ueberfluss genug an Dingen, die du geniessen kannst, ohne dass dich ein Tadel dafür trifft; sonst wäre dein Verhalten vielleicht verzeihlich, da Not und Mangel einen zwingt vieles zu tun, was nicht angenehm ist. Du aber hast die Pflicht, dich in Enthaltsamkeit und in den anderen Tugenden auszuzeichnen, da du in die schönste Klasse eingereiht bist und das gerade Gesetz der Natur[45] zum Befehlshaber hast; darum musst du von Milde erfüllt sein und darfst in deiner Seele nichts aufkommen lassen, was vom rechten Wege abweicht. 128 Was aber wäre verkehrter als zu den Geburtsschmerzen noch andere Schmerzen von aussen hinzuzufügen, dadurch dass man sofort die neugeborenen Jungen (von der Mutter) trennt? Bei der natürlichen Liebe der Mutter zu den Jungen muss sie ja bei ihrer Entfernung in Aufregung geraten, ganz besonders zur Zeit der Geburt, da doch die schwellenden Brüste, wenn der Säugling fehlt und der Zufluss der Milch zurückgedrängt wird, verhärtet und gespannt und durch den Druck der innen sich verdickenden Milch von Schmerzen gequält werden. 129 Schenke also, sagt er, der Mutter ihr Junges, wenn auch nicht für alle [397 M.] Zeit, so doch wenigstens die ersten sieben Tage, dass sie es mit ihrer Milch säuge, und lass nicht die Milchquellen, die die Natur in den Brüsten fliessen lässt, unnütz versiegen, wodurch du ihr zweites Gnadengeschenk vernichtest, das sie in ihrer grossen Fürsorge bereit hält, weil sie mit ihrer ewigen und vollkommenen Einsicht von langher die Folgen schaut. 130 Das erste Geschenk ist nämlich die Geburt, durch die das Nichtseiende ins Dasein gerufen wird, das zweite der Zufluss der Milch, eine angemessen weiche und jedes jugendlich zarte Wesen labende Nahrung, die zugleich Speise und Trank ist; denn die Flüssigkeit der Milch ist Getränk, und was davon dick wird, ist Speise. Diese Vorkehrungen hat die Natur in weiser Fürsorge getroffen, damit das Neugeborene nicht leide unter dem Mangel, der zu verschiedenen Zeiten immer droht, sondern[352] durch die stets gleiche Zuführung der doppelten Nahrung sofort den lästigen Herren, Hunger und Durst, entgehe“. 131 Leset dieses Gesetz, ihr braven und geschätzten Eltern, und schämet euch, die ihr immer an den Säuglingen eure Mordgier auslasset, die ihr den Neugeborenen nachstellet, um sie auszusetzen, ihr unversöhnlichen Feinde des ganzen Menschengeschlechts[46]. 132 Denn wem werdet ihr freundlich begegnen, die ihr eure eigenen Kinder mordet? die ihr, wenn es auf euch ankäme, die Städte veröden würdet und mit der Vernichtung der euch am nächsten Stehenden den Anfang machet, die ihr die Satzungen der Natur umstürzet und das, was sie aufbaut, zerstöret, indem ihr in eurer wilden und ungezähmten Herzensroheit der Geburt Vernichtung und dem Leben Tod entgegen stellet. 133 Seht ihr nicht, wie dagegen der allervortrefflichste Gesetzgeber sorgsam darauf bedacht war, dass nicht einmal die Jungen der vernunftlosen Tiere von der Mutter getrennt werden, bis sie ihre Nahrung empfangen haben. Und zwar hauptsächlich euretwegen, ihr Vortrefflichen, damit ihr die Verwandtenliebe, wenn sie euch nicht angeboren ist, wenigstens durch besondere Unterweisung kennen lernet, dadurch dass ihr an die jungen Lämmer und Böckchen denket, die in dem reichen Vorrat von notwendiger Nahrung ungestört schwelgen dürfen; denn die Natur hat solche an geeigneten Stellen bereitet, wo die Bedürftigen sie bequem geniessen können, und der Gesetzgeber bestimmt in weiser Fürsorge, dass niemand den wohltätigen und heilsamen Gottesgaben sich hindernd in den Weg stelle.

134 (18.) In seinem Bestreben, in mannigfaltiger Weise den Samen der Milde und Freundlichkeit den Gemütern einzupflanzen, erlässt er noch eine den vorigen verwandte Verordnung: er verbietet Mutter und Junges zusammen an demselben [398 M.] Tage zu schlachten (3 Mos. 22,28). Wenn man sie schlachten muss, soll es wenigstens zu verschiedenen Zeiten[353] geschehen; denn es wäre der höchste Grad von Roheit, die Urheberin der Geburt mit dem von ihr geborenen Wesen an einem Tage zu töten. 135 Und zwar zu welchem Zweck? entweder doch unter dem Vorwande, sie als Opfer darzubringen, oder zum Zwecke leiblichen Genusses. Geschieht es nun zu Opferzwecken, so ist schon die Bezeichnung falsch; denn das ist ein Schlachten, kein Opfer. Wo gibt es denn auch einen Gottesaltar, der so unheilige Opfergaben annehmen wird? welches Feuer würde sich nicht zerteilen und auseinanderfallen aus Scheu vor der Verbindung mit einer Sache, mit der es nicht in Berührung kommen darf? Ich glaube, es würde das nicht eine kleine Weile aushalten, sondern sofort verlöschen, sorglich darauf bedacht, dass nicht die Luft und die heilige Natur des Odems durch die aufsteigende Flamme befleckt werde. 136 Wenn sie aber nicht zu Opferzwecken, sondern zum Mahle geschlachtet werden sollen, wird da nicht jeder ein so unerhörtes und ungewöhnliches Verlangen übermässiger Gefrässigkeit verabscheuen? Ganz sonderbar sind die Gelüste, die solche Menschen zu befriedigen suchen. Was für ein Vergnügen kann beim Fleischessen darin bestehen, das Fleisch einer Mutter und ihres Jungen zusammen zu geniessen? Mir scheint sogar, ihre Glieder würden, wenn einer sie untereinander mischen und an den Spiess stecken wollte, um sie zu braten und dann zu verzehren, nicht ruhig bleiben, sondern vor Empörung über eine so unerhörte Grausamkeit ihre Stimme erheben und laut schelten über die Gefrässigkeit von Menschen, die ein so ungeniessbares Mahl rüsten. 137 Das Gesetz dagegen schliesst von der geweihten Stätte auch die Tiere aus, die trächtig sind, und gestattet nicht sie als Opfer darzubringen, ehe sie geboren haben[47]: es stellt die Frucht im Mutterleibe mit dem bereits geborenen Tiere gleich, nicht deshalb weil etwa die noch nicht ans Tageslicht getretene Frucht den gleichen Wert hätte, sondern[354] um schon von vornherein der Leichtfertigkeit derer einen Zügel anzulegen, die alles in Verwirrung zu bringen pflegen. 138 Denn wenn schon die nach Art der Pflanzen noch im Wachsen begriffene und als Teil des schwangeren Tieres geltende Leibesfrucht, die jetzt noch mit ihm verbunden ist, nach Verlauf von einigen Monaten aber sich von dieser Verbindung lösen wird, wegen der erwarteten Geburt durch die der Mutter gewährte Sicherheit geschützt wird, damit nicht die erwähnte Freveltat geschehe, um wieviel mehr gilt dies für die bereits geborenen Tiere, die für sich selbst eine Seele und einen Körper haben. Die allergrösste Sünde ist es fürwahr, zu einer Zeit und an einem Tage Junges und Mutter zugleich zu töten. 139 Dies scheint mir der Grund zu sein, weshalb manche Gesetzgeber das Gesetz über die verurteilten Frauen eingebracht haben, wonach Schwangere, wenn sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen haben, in Gewahrsam gehalten werden sollen, bis sie geboren haben, damit nicht bei ihrer Tötung die Leibesfrucht mit vernichtet werde[48]. 140 Aber jene Gesetzgeber haben diese Bestimmung nur für Menschen getroffen. Moses [p. 399 M.] aber geht noch weit darüber hinaus und dehnt die freundliche Rücksicht auch auf die vernunftlosen Tiere aus, dass wir sie an den anders gearteten (Tieren) üben und dann in um so grösserem Masse menschenfreundlich sein sollen gegen unseresgleichen, indem wir uns aller gegenseitigen Kränkungen enthalten und die eigenen Güter nicht aufspeichern, sondern überall mit allen Menschen teilen, die uns ja verwandt und von Natur verbrüdert sind. 141 Mögen nun die schlimmen Verleumder noch weiter unser Volk des Menschenhasses beschuldigen und unsere Gesetze anklagen, dass sie Absonderung und Ungeselligkeit vorschreiben[49], während doch diese Gesetze[355] in solcher Klarheit Mitleid selbst mit den Viehherden bekunden, und unser Volk durch die von frühester Jugend ihm gelehrten Gesetzesvorschriften gewöhnt wird alle Härte in den Gemütern in Milde umzuwandeln[50]. 142 Der Gesetzgeber übertrifft sich aber selbst noch als fruchtbarer Tugendlehrer und durch die Mannigfaltigkeit seiner herrlichen Unterweisungen: nachdem er nämlich geboten, das Junge der Mutter nicht zu entreissen, bevor es entwöhnt sei, weder Lamm noch Böckchen noch sonst eins von den Tieren in den Herden, und nachdem er dazu verordnet, dass man auch nicht an demselben Tage Mutter und Junges töten solle, fügt er noch folgende Vorschrift hinzu: „du sollst nicht kochen das Lamm in der Milch seiner Mutter“ (2 Mos. 23,19. 34,26. 5 Mos. 14,21). 143 Denn er hielt es für widersinnig, dass die Nahrung des lebenden (Tieres) als Würze und schmackhafte Zutat des getöteten dienen solle, und während die Natur in weiser Fürsorge für seine Erhaltung die Milch spende, die sie in den Brüsten der Mutter als Behältern fliessen lässt, die Unmässigkeit der Menschen so weit gehen solle, dass sie dieses Mittel zum Leben zur Verwendung der Ueberreste des Körpers (des geschlachteten Tieres) missbrauchen. 144 Wenn man also Fleisch in Milch kochen will, so soll man es nicht in roher Weise tun und nicht so, dass man sich einer Sünde schuldig macht. Giebt es doch zahllose Viehherden überall, und an jedem Tage werden sie gemolken von Kuh-, Ziegen- und Schafhirten, für die als Viehzüchter die grösste Einnahme die Milch ist, teils in flüssigem Zustande, teils geronnen und verdickt zu Käse. Darum verrät einer, der trotz des vorhandenen Ueberflusses das Fleisch von Lämmern oder jungen Ziegen in der Muttermilch kocht, eine schlimme und rohe Gemütsart, da ihm die unentbehrliche und einer vernünftigen Seele angeborene Empfindung des Erbarmens fehlt[51].

[356] 145 (19.) Bewundern muss ich auch jenes Gesetz, das in vollem Einklang mit den vorigen, wie in einem harmonischen Reigen, ausdrücklich verbietet „einem Ochsen beim Dreschen das Maul zu verbinden“ (5 Mos. 25,4). Er ist es ja, der vor [p. 400 M.] der Aussaat die Furchen in das fette Erdreich zieht und für den Himmel und den Landmann die Fluren bestellt, für diesen, damit er rechtzeitig aussäen kann, für den Himmel, damit die tiefen Einschnitte den gespendeten Regen in sich aufnehmen und so allmählich der Saat die fette Nahrung reichlich liefern, bis sie reift und den jährlichen Fruchtertrag hervorbringt. Und nach der Reife ist der Ochse wieder zu anderem Dienste unentbehrlich, zur Reinigung der Garben und zur Ausscheidung des Auswurfs aus dem echten und nützlichen Getreide[52]. — 146 Nachdem ich aber die milde und wohlwollende Vorschrift über die dreschenden Ochsen angeführt habe, will ich sogleich auch das ganz verwandte Gesetz erörtern, das für die den Acker pflügenden Zuchttiere erlassen ist. Es verbietet nämlich zum Pflügen des Ackers Rind und Esel zusammenzuspannen (5 Mos. 22,10), nicht nur mit Rücksicht auf die unpassende Verbindung der beiden Tiere, weil nämlich das Rind ein reines Tier ist, der Esel aber zu den unreinen gehört, und weil es sich deshalb nicht ziemt, so verschiedene Gattungen zusammenzubringen, sondern auch weil ihre Kräfte ungleich sind und das Gesetz für die Schwächeren Sorge trägt, dass sie nicht von der Gewalt der Stärkeren gedrückt und gequält werden[53]. Allerdings wird das schwächere Tier, der Esel, von geweihter Stätte ausgeschlossen, während das stärkere, das Rind, nach der Vorschrift des Gesetzes bei den vollkommensten Opfern verwendet wird[54]. 147 Trotzdem nimmt das Gesetz auf die Schwäche des unreinen Tieres Rücksicht und gestattet dem reinen nicht, seine Macht an Stelle des Rechts zu gebrauchen: es will damit denen, die Ohren in der Seele haben, laut verkünden, dass man einem, der einem andern Volke angehört, kein Unrecht zufügen dürfe, wenn man ihm nichts anderes vorzuwerfen[357] habe als seine fremde Abstammung, was doch keine Schuld ist; denn was weder selbst Sünde ist noch Folge von Sünde, steht ausserhalb aller Schuld[55].

148 (20.) In reichem und überreichem Masse bekundet der Gesetzgeber sein Wohlwollen, indem er sich von den vernünftigen Wesen zu den vernunftlosen wendet und von den vernunftlosen weiter zu den Pflanzen, über die wir nun zu sprechen haben, nachdem wir über die Menschen und die anderen beseelten Geschöpfe alles gesagt haben. 149 Er verbietet ausdrücklich Bäume edler Zucht umzuhauen, ährentragendes Feld zum Schaden (der Frucht) vor der Zeit abzumähen und überhaupt eine Frucht zu verderben[56], damit das Menschengeschlecht immer einen Vorrat von reichlicher Nahrung habe und im Ueberfluss lebe nicht bloss an den unentbehrlichen Dingen, sondern auch an Mitteln zu einem üppigeren Leben. Unentbehrlich ist nämlich die Brotfrucht, die zur Nahrung für die Menschen ausgedroschen wird, zum üppigen Leben dienen dagegen die zahllosen verschiedenen Arten von Baumfrüchten; in Zeiten der Not aber werden diese häufig zu einer zweiten Nahrung.

[p. 401 M.] 150 (21.) Er geht aber noch weiter und erlaubt nicht einmal das Land der Feinde zu verwüsten, gebietet vielmehr sich des Fällens von Bäumen und anderer Verwüstungen (in Feindesland) zu enthalten (5 Mos. 20,19); denn er hält es für unstatthaft, dass der gegen Menschen gerichtete Zorn sich auf Dinge entlade, die nichts Böses verschuldet haben. 151 Ausserdem meint er, dass man nicht nur die Gegenwart im Auge haben, sondern auch von weither, wie von einer Warte, mit dem Scharfblick des Verstandes in die Zukunft schauen solle, da doch nichts beständig bleibt, sondern alles dem Wandel und der Veränderung ausgesetzt ist, daher es vorkommen kann, dass die, die lange unsere Feinde waren, uns Friedensvorschläge machen und nach vollzogenem Friedensschluss alsbald in ein Bündnis mit uns treten. 152 Schlimm wäre es aber, wollte man unentbehrliche Nahrungsmittel Freunden rauben, die keins[358] von den nützlichen Dingen wegen der Unsicherheit der Zukunft aufbewahrt haben. Sehr schön ist jenes Wort der alten Weisen, man müsse sowohl Freundschaft in der Weise halten, dass man daran denke, wie leicht sie in Feindschaft übergehen könne, als auch Feindschaft so bekunden, wie wenn daraus Freundschaft werden könnte[57]; denn so wird ein jeder in seinem Wesen etwas für sich bewahren, was ihm Sicherheit gibt, und nicht darüber, dass er sich in Wort und Tat zu sehr enthüllt hat, Reue empfinden und zu grosser Nachgiebigkeit, wo sie unnütz war, sich anzuklagen haben. 153 Diesen Ausspruch sollten auch die Staaten beachten, indem sie im Frieden für den Kriegsfall und im Kriege für die Friedenszeit Vorsorge treffen, sie sollten weder auf ihre Verbündeten unbedingtes Vertrauen setzen, als ob diese nie auf die feindliche Seite übertreten könnten, noch auch den Feinden vollständig misstrauen, wie wenn diese niemals zu einem friedlichen Verhältnis überzugehen imstande sein würden. 154 Aber selbst wenn man wegen der Hoffnung auf eine mögliche Aussöhnung nichts für einen Feind zu tun nötig hat, so ist doch eine Pflanze kein Feind, vielmehr sind alle Gewächse friedlich und nützlich und die edlen unter ihnen ganz besonders notwendig, deren Fruchtertrag entweder als Nahrung dient oder ein der Nahrung gleichwertiger Besitz ist. Wozu also muss man feindselig auftreten gegen Dinge, die nicht feindlich sind, warum Bäume fällen oder verbrennen oder samt der Wurzel ausreissen, die die Natur selbst durch das Spenden von Wasserzufluss und durch gute Temperatur der Luft zur Reife bringt, damit sie den Menschen wie Herrschern ihren jährlichen Tribut liefern?

155 Wie ein guter Vormund war der Gesetzgeber auch darauf bedacht, die ausrüstende Kraft und Stärke nicht nur den lebenden Wesen, sondern auch den Pflanzen zu verleihen, besonders den edleren, die ja auch grössere Sorgfalt verdienen,[359] da sie nicht so kräftig sind wie die wildwachsenden Pflanzen und der sachkundigen Pflege des Landmanns bedürfen, um besser gedeihen zu können. 156 Er befiehlt nämlich die neu angepflanzten [p. 402 M.] Bäume drei Jahre hintereinander sorgsam zu pflegen und die überflüssigen Auswüchse wegzuschneiden (3 Mos. 19,23), damit die Bäume nicht durch deren Last gedrückt und aus Mangel an Nahrung, wenn diese sich zu sehr verteilt, geschwächt werden, die Pflanzung auch rings zu umgraben, damit nichts Schädliches daneben hervorkomme, was ihr Wachstum hindern könnte. Und ihre Frucht gestattet er nicht zu pflücken, um sie zu geniessen, nicht nur weil sie unvollkommen von unvollkommenen Bäumen kommt — auch unreife Lebewesen sind ja nicht zeugungsfähig —, sondern auch weil die jungen Bäume dadurch geschädigt und am Emporwachsen gehindert sich zu wenig über den Erdboden erheben würden[58]. 157 Viele Landleute passen auch schon zur Frühlingszeit auf die jungen Bäume auf, um die Frucht, die sie etwa hervorbringen, sofort abzureissen, bevor sie ordentlich gewachsen ist, aus Furcht, sie könnte die Bäume schwächen. Denn wenn man keine Vorsorge trifft, kommt es vor, dass sie zu der Zeit, wo sie gereifte Frucht tragen müssten, unfruchtbar bleiben oder unreife Frucht hervorbringen, weil sie durch das vorzeitige Tragen geschwächt sind; Zweige, die vorher mit solchen Früchten belastet waren, zerstören bisweilen die Stämme samt den Wurzeln. 158 Nach Verlauf von drei Jahren aber, wenn die Bäume tiefere Wurzeln geschlagen haben und fester im Boden haften und der gleichsam auf unerschütterliche Grundlagen sich stützende Stamm kräftig herangewachsen ist, werden sie imstande sein reife Früchte zu tragen im vierten Jahre entsprechend der vollkommenen Vierzahl. 159 In diesem vierten Jahre befiehlt er aber die Frucht nicht zum Genusse zu pflücken, sondern sie ganz und gar als Erstlingsabgabe Gott zu weihen (3 Mos. 19,24), teils zum Dank für den vorher gespendeten Segen, teils in der Hoffnung auf reiche Früchte in der Zukunft und guten Ertrag im folgenden Jahre. 160 Du siehst, wie der Gesetzgeber seine[360] Milde und Güte bekundet und wie er sie zunächst allen Klassen von Menschen in reichem Masse zuwendet, auch Fremden oder Feinden, dann allen Arten von vernunftlosen Tieren, auch wenn sie zu den unreinen gehören, zuletzt allen Feld- und Baumpflanzungen. Denn wer zuvor gelernt hat Milde zu üben an Naturgegenständen, denen Bewusstsein fehlt, der wird sich auch an keinem mit Seele begabten Wesen versündigen, und wer gegen die beseelten (Tiere) nichts Schlimmes zu unternehmen wagt, der zieht daraus die weitere Lehre, der vernunftbegabten (Menschen) sich erst recht anzunehmen.

161 (22.) Durch solche Anweisungen veredelte der Gesetzgeber die Gemüter der in seinem Staate Lebenden und machte sie frei von Hochmut und Dünkel, diesen schlimmen und unangenehmen Lastern, an denen, als wären es grosse Tugenden, die meisten festhalten, ganz besonders wenn Reichtum, Ansehen und Herrschaft ihnen ein grosses Uebergewicht verschaffen. 162 Dünkel entsteht zwar auch bei Menschen ohne Ansehen und Achtung, ebenso wie alle anderen schlimmen Empfindungen, Schwächen und Krankheiten der Seele, er gelangt aber bei diesen nicht zu grösserem Wachstum, sondern vergeht [p. 403 M.] allmählich wie des Feuers Element aus Mangel an Brennstoff. Deutlich sichtbar wird er dagegen bei den Grossen, bei denen das Uebel, wie gesagt, Förderung erhält durch Reichtum, Ansehen und Herrschaft; in vollem Besitz dieser Dinge berauschen sie sich daran, wie wenn sie viel Wein zu sich genommen hätten, und lassen ihren Uebermut an Sklaven und Freien aus, bisweilen selbst an ganzen Staaten; „denn Sättigung erzeugt Uebermut“, wie es in dem alten Spruch heisst[59]. 163 Darum ermahnt uns unser trefflicher Lehrer Moses, dass wir uns von allen Versündigungen freihalten sollen, ganz besonders aber vom Hochmut. Er erinnert dabei an die Dinge, die diesen Charakterfehler hervorzurufen pflegen, an die masslose Ueberfüllung des Magens und den zu reichen Besitz an Häusern und Ländereien und Vieh (5 Mos. 8,11-14). Denn solche Menschen verlieren gleich die Herrschaft über sich[361] selbst, werden stolz und aufgeblasen, und die einzige Hoffnung auf Heilung beruht für sie darauf, dass sie niemals Gott vergessen[60]. 164 Denn wie beim Aufgehen der Sonne das Dunkel schwindet und alles von Licht erfüllt wird, ebenso muss, wenn Gott, die geistige Sonne, aufgeht und der Seele leuchtet, das Dunkel der Leidenschaften und Laster sich zerstreuen und das reine und kostbare Licht strahlender Tugend zum Vorschein kommen. 165 (23.) In dem Bestreben aber, den Hochmut noch mehr zu zügeln und ihn ganz zu beseitigen, fügt er den Grund hinzu, weshalb wir die Erinnerung an Gott unvergesslich im Herzen tragen müssen: „er verleiht dir ja“ sagt er „die Kraft, dir Macht zu verschaffen“ (5 Mos. 8,18) — eine sehr heilsame Lehre; denn wer genau erkannt hat, dass er als Geschenk von Gott seine Kraft und Stärke empfangen hat, der wird an seine Ohnmacht denken, die ihm vor Empfang dieses Geschenkes anhaftete, und wird darum den stolzen und hoffärtigen Sinn weit von sich weisen und dankbar sein dem Urheber der Wandlung, die ihn stärker machte. Ein dankbares Gemüt ist aber der Feind des Hochmuts, wie umgekehrt Undankbarkeit der Ueberhebung nahe verwandt ist. 166 Wenn, so sagt er, deine Verhältnisse erstarken, dadurch dass du Kraft empfängst und erwirbst, wie du sie vielleicht nicht erwartet hast, so verschaffe dir damit Macht. Was damit gemeint ist, muss denen, die es nicht ganz verstehen, genauer erläutert werden. Viele Menschen sind leicht geneigt das Gegenteil von dem zu tun, was man nach den Wohltaten, die sie selbst empfangen haben, von ihnen erwarten sollte: wenn sie nämlich reich geworden sind, bewirken sie bei anderen Armut, oder wenn sie zu grossem Ansehen und hohen Ehren gelangt sind, werden sie die Ursache, dass andere kein Ansehen haben und Geringschätzung erfahren. 167 Es müsste aber vielmehr der Kluge seine Nächsten so weit als möglich klug, der Besonnene müsste sie besonnen, der Tapfere tapfer, der Gerechte gerecht, und überhaupt der Gute sie gut machen. Denn darin besteht offenbar die Macht, nach[362] der als eigenstem Besitz der Weise streben wird; Ohnmacht [p. 404 M.] und Schwäche dagegen passen nicht zum Charakter eines Weisen. 168 Ausserdem gibt er die der vernünftigen Natur (des Menschen) völlig angemessene Lehre, Gott soviel wie möglich nachzuahmen und nichts ausser acht zu lassen, um diese Aehnlichkeit zu erreichen, soweit sie erreichbar ist. (24.) Er meint also: da dir Kraft verliehen ist von dem Allmächtigen, so lass andere daran teilnehmen und handle an ihnen so, wie an dir gehandelt ist; du wirst Gott nachahmen, wenn du ähnliche Wohltaten erweisest. 169 Denn zum Nutzen der Gesamtheit sind die Gnaden des obersten Herrschers bestimmt, die er einzelnen gewährt, nicht damit diese sie empfangen und dann versteckt halten oder zum Schaden für andere missbrauchen, sondern damit sie sie als Gemeingut hinaustragen und wie bei einer allgemeinen Speisung möglichst alle zu ihrem Gebrauch und Genuss einladen. 170 Wir sagen also dem Reichen, dem Angesehenen, dem Kräftigen, dem Kenntnisreichen, er solle reich, angesehen, kräftig, kenntnisreich und überhaupt gut machen die in seine Nähe Kommenden und solle nicht Neid und Missgunst über die Tugend stellen und nicht denen in den Weg treten, die sich ihr Glück zu schaffen imstande sind. 171 Die in ihrem aufs höchste gesteigerten Uebermut Aufgeblasenen aber lässt das Gesetz wie Menschen, die für immer unheilbar sind, mit Recht nicht vor ein menschliches Gericht bringen, sondern übergibt sie dem göttlichen Richterstuhl. Es heisst nämlich: „wer aus Uebermut etwas zu tun unternimmt, der erzürnt Gott“ (4 Mos. 15,30)[61]. 172 Warum? erstens weil der Uebermut ein Laster der Seele ist, die Seele aber nur für Gott sichtbar ist; und wenn ein Blinder strafen wollte, würde er getadelt werden, da er (mit Recht) der Unkenntnis geziehen werden kann, der Sehende dagegen ist zu preisen, da er in voller Kenntnis (des Sachverhalts) handelt. Zweitens weil jeder[363] Hochmütige von einem sinnlosen Wahn erfüllt ist und sich — um mit Pindar zu reden — „nicht für einen Menschen und nicht für einen Halbgott, sondern für einen ganzen Gott“ hält und die Grenzen der menschlichen Natur überschreiten zu können glaubt[62]. 173 Und wie die Seele, so ist bei ihm auch der Körper tadelnswert in seiner ganzen Haltung und in allen seinen Bewegungen: er stolziert auf den Fussspitzen einher, richtet seinen Nacken stolz in die Höhe, hebt sich über sein natürliches Mass hinaus, bläht sich auf, blickt beim Sehen mit seitwärts gerichteten Augen daneben und hört mit halbem Ohr; er behandelt die Sklaven wie das Vieh, die Freien wie Sklaven, die Verwandten wie Fremde, die Freunde wie Schmarotzer, die Bürger wie Fremdlinge; 174 er glaubt unter allen Menschen der Reichste, der Geachtetste, der Schönste, der Stärkste, der Klügste, der Besonnenste, der Gerechteste, der Beredteste, der Kenntnisreichste zu sein; und ebenso hält er die anderen für arm, [p. 405 M.] unbedeutend, verachtet, unverständig, ungerecht, ungebildet, für Scheusale, für nichts[63]. Mit Recht wird daher ein solcher, wie der Prophet sagt, Gott zum Widersacher und strafenden Richter haben.

[363]
Ueber die Reue.

175 (1.) Als Freund der Tugend, als Freund des Guten und Schönen und ganz besonders als Menschenfreund ermahnt der fromme Moses alle Menschen überall Frömmigkeit und Gerechtigkeit eifrig zu üben, indem er den Reuigen wie Siegern grosse Belohnungen verheisst, den Anteil an dem besten Staatswesen und den Genuss aller damit verbundenen grossen wie kleinen Vorteile. 176 (Es gibt nämlich Güter ersten Ranges und Güter zweiten Ranges:) Güter ersten Ranges sind, wenn es sich um den Körper handelt, vollkommene Gesundheit, wenn es sich um Schiffe handelt, eine ohne Gefahr vollendete gute Seefahrt,[364] wenn es sich um die Seele handelt, ein Gedächtnis, das nie vergisst, was im Gedächtnis behalten zu werden verdient. Güter zweiten Ranges sind solche, die in einer Wiederherstellung bestehen: die Genesung von Krankheiten, die glückliche Errettung aus den Gefahren einer Seefahrt, die aus dem Vergessen hervorgehende Wiedererinnerung. Sehr nahe verwandt mit dieser ist die Sinnesänderung, die nicht zu der ersten und obersten Klasse der Güter gehört, sondern zu der nach ihr kommenden, die die zweite Stelle einnimmt. 177 Denn überhaupt nicht zu sündigen kommt nur Gott zu, vielleicht auch einem gottbegnadeten Manne, die Umkehr aber vom Sündigen zu einem sündenfreien Leben ist die Aufgabe eines verständigen Mannes, der sein wahres Heil nicht für immer verkennt. 178 Deshalb sammelt er solche um sich, weiht sie ein, beruft sie und legt ihnen seine versöhnlichen und liebevollen Lehren vor, die die Mahnung enthalten, Wahrhaftigkeit zu üben und Dünkel zu verabscheuen, nach Wahrheit und Bescheidenheit zu streben, diesen unentbehrlichsten Tugenden, die zum Glücke führen, und sich aufzulehnen gegen Mythen und Fabeln, wie sie Eltern, Ammen, Erzieher und viele andere aus dem Bekanntenkreise den noch ganz zarten Gemütern von frühester Jugend an beigebracht und damit nur endlose Irrungen in der Erkenntnis des Besten bei ihnen hervorgerufen haben. 179 Was ist aber das Beste in der Welt, wenn nicht Gott? Die ihm zukommenden Ehren erweisen sie den Ungöttern, diese verherrlichen sie über alle Massen, Gott aber vergessen sie ganz und gar, die Sinnlosen. Alle nun, die dem Schöpfer und Vater des Alls Verehrung zu zollen entschlossen sind, wenn sie auch nicht von Anfang an, sondern erst später die Alleinherrschaft statt der Vielherrschaft anerkannt haben, muss man als gute Freunde und Verwandte ansehen, da sie das bieten, was zur Freundschaft und zu verwandtschaftlichem Gefühl am meisten beiträgt, ein frommes Herz[64]; man muss ihnen auch Glück [p. 406 M.]wünschen wie Menschen, die früher blind waren und ihr[365] Augenlicht wiedererlangt haben und nach tiefster Finsternis wieder strahlendes Licht erblicken.

180 (2.) Dies ist der erste und wesentlichste Punkt in der Erörterung über die Reue. Es soll aber einer seinen Sinn nicht nur ändern inbetreff der irrigen Meinung, in der er sich so lange befunden, da er die geschaffenen Dinge höher stellte als den ewigen Schöpfer, sondern auch in allen anderen Dingen, die für das Leben unentbehrlich sind: er soll gleichsam aus der schlechtesten der schlechten Verfassungen, aus der Ochlokratie, in das aufs beste eingerichtete Staatswesen, in die Demokratie, übertreten, d. h. er soll sich von der Unwissenheit wegwenden zur Kenntnis der Dinge, die nicht zu wissen eine Schande ist, vom Unverstand zur Einsicht, von der Zügellosigkeit zur Enthaltsamkeit, von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit, von der Feigheit zur Tapferkeit. 181 Ist es doch eine schöne und heilsame Tat, die tückische Herrschaft des Lasters abzuschütteln und sich unumwunden der Tugend zuzuwenden; auch müssen, wie in der Sonne der Schatten dem Körper folgt, mit der Verehrung des seienden Gottes die anderen Tugenden aufs engste verbunden sein. 182 Die Proselyten werden ja sogleich besonnen, enthaltsam, bescheiden, sanft, brav, menschenfreundlich, ernst, gerecht, hochherzig, wahrheitsliebend, erhaben über Schätze und Vergnügungen; und umgekehrt kann man wahrnehmen, wie die von unsern heiligen Gesetzen Abgefallenen zügellos, schamlos, ungerecht, leichtfertig, niedriggesinnt, streitsüchtig, Lügner und Meineidige werden, die ihre Freiheit für eine Speise, für Wein, für Leckerbissen, für eine schöne Gestalt verkaufen würden, um leibliche und wollüstige Genüsse zu erhalten, die am Ende die schwersten Schädigungen des Körpers und der Seele herbeiführen. 183 Sehr schöne Lehren erteilt er uns auch über die Reue, aus denen wir lernen sollen unser unharmonisch gestaltetes Leben in ein besseres umzuwandeln. Er sagt nämlich, dass die Erfüllung dieser Aufgabe gar nicht übermässig schwer sei, auch nicht in weiter Entfernung, weder hoch oben im Aether und an den äussersten Enden <der Erde noch jenseits> des grossen Meeres zu suchen, sodass wir sie nicht zu erreichen vermöchten, dass sie vielmehr ganz nahe sei, da sie in uns[366] selber an drei Stellen sich aufhalte, in unserem Munde, in unserem Herzen und in unsern Händen (5 Mos. 30,11-14), d. h. nach symbolischer Ausdrucksweise in unsern Reden, in unsern Entschlüssen und in unsern Handlungen; der Mund ist nämlich Sinnbild der Rede, das Herz Sinnbild der Entschlüsse, die Hände Sinnbild der Handlungen, und in diesen drei Dingen ruht unser Glück[65]. 184 Denn wenn Wort und Gedanke und Entschluss und Handlung vollständig übereinstimmen, dann ist das Leben rühmenswert und vollkommen, wenn sie aber in Zwiespalt miteinander sind, dann ist das Leben unvollkommen und tadelnswert. Wer diese Harmonie nicht vergisst, der wird Gott wohlgefällig sein und zugleich von Gott geliebt werden und Gott lieben. Vortrefflich ist daher und ganz im Einklang mit dem Gesagten [p. 407 M.] jener Ausspruch (der h. Schrift): „Gott hast du dir heute erwählt, dass er dir Gott sei, und der Herr hat dich heute erwählt, dass du ihm ein Volk seiest" (5 Mos. 26,17.18)[66]. 185 Fürwahr eine schöne Gegengabe für die Wahl, wenn der Mensch zur Verehrung des Seienden hineilt und Gott den Betenden unverzüglich sich zu eigen macht und dem Willen des aufrichtig und wahr zu seinem Dienste sich Nahenden entgegenkommt. Der wahre Diener und Beter aber, auch wenn es der Zahl nach nur einer ist, bedeutet, wie an anderer Stelle bemerkt ist[67], ebensoviel wie das ganze Volk und ist einem ganzen Volke gleichwertig. 186 So verhält es sich wirklich: wie nämlich auf einem Schiffe der Steuermann ebensoviel gilt wie alle Schiffer und in einem Feldlager der Feldherr ebensoviel wie alle Mannschaften — denn wenn er fällt, ist[367] die Niederlage ebenso gross, wie wenn die ganze junge Mannschaft besiegt würde —, ebenso kann der Weise an Würde sich mit einem ganzen Volke messen, weil er durch eine unzerstörbare Mauer geschützt ist, durch seine Gottesfurcht.

[367]
Ueber den Adel.

187 [p. 437 M.] (1.) Darum muss man auch die Menschen, die den Adel als das grösste Glück und als die Ursache grosser Glücksgüter preisen, nicht wenig tadeln, wenn sie zunächst nur die für adlig halten, die aus einer von alters her reichen und angesehenen Familie stammen[68]; denn auch die Vorfahren, von denen sie sich rühmen abzustammen, sind nicht wegen ihres grossen Reichtums glücklich gewesen, da das wahrhafte Glück nicht in einem der äusseren Güter, auch nicht in den körperlichen Gütern, ja nicht einmal in jedem Teil der Seele, sondern allein in dem führenden Teile (in der Vernunft) ruht[69]. 188 Denn als Gott in seiner Milde und Menschenliebe diesem Glück auch bei uns eine Stätte anweisen wollte, fand er keinen seiner Würde angemesseneren Tempel auf Erden als die Vernunft. Sie allein als das bessere Teil (in uns) trägt das Bild des Glückes in sich, mögen es auch manche nicht glauben, die von der Weisheit entweder gar nicht oder nur oberflächlich gekostet haben; denn [p. 438 M.] Silber und Gold, Ehren und Aemter, körperliches Wohlbefinden und schöne Gestalt scheinen den berufenen Machthabern zum Dienste der königlichen Tugend < zu genügen > ***[70], strahlendes Licht sehen sie nicht. 189 Da also der Adel eigener Besitz der durch vollkommene Reinigungsmittel entsühnten[368] Seele ist, so darf man adlig nur nennen die Vernünftigen und Gerechten, selbst wenn sie von geborenen oder gekauften Sklaven abstammen, den Schlechten dagegen, die von Guten abstammen, muss der Adelsplatz unzugänglich sein. 190 Denn ohne Haus und ohne Stadt ist der Schlechte, der wie aus der Heimat von der Tugend verbannt ist, die auch wirklich das Vaterland weiser Männer ist. Folgerichtig wird er, selbst wenn er von Grossvätern oder Ahnen abstammen sollte, die in ihrem Leben untadlig waren, mit Notwendigkeit unadlig, wenn er sich ihnen entfremdet und sich in Worten und Handlungen weit von dem Adel entfernt. 191 Aber abgesehen davon, dass die Schlechten ihrer Natur nach nicht adlig sind, sehe ich auch noch, dass sie sämtlich unversöhnliche Feinde des Adels sind, da sie die von den Ahnen ererbte Würde zerstören und allen Glanz ihres Geschlechts verdunkeln und auslöschen. 192 (2.) Darum scheinen mir selbst zärtlich liebende Väter (mit Kecht) Söhne zu enterben und von der Familie und Verwandtschaft auszuschliessen, wenn ihre Schlechtigkeit die natürliche Zuneigung der Erzeuger, sei sie auch noch so gross, überwiegt. 193 Die Wahrheit dieses Satzes kann man leicht auch noch aus anderen Beispielen erkennen. Was kann dem des Augenlichts Beraubten das scharfe Auge der Vorfahren zum Sehen nützen? Oder was nützt es einem an der Zunge Gelähmten zum deutlich Sprechen, dass seine Eltern oder Grosseltern eine helle Stimme hatten? Was hilft es dem von langer und zehrender Krankheit Geschwächten zur Kräftigung, wenn die Ahnen seines Geschlechts wegen ihrer Athletenstärke unter den Siegern in Olympia oder in den anderen regelmässigen Kampfspielen verzeichnet sind? Die körperlichen Gebrechen bleiben nichtsdestoweniger unverändert und nehmen keine Wendung zum Besseren aus dem Grunde, weil es den Angehörigen darin gut ging. 194 Ebenso nützen nun ungerechten Söhnen gerechte Eltern, zügellosen Söhnen vernünftige Eltern, und überhaupt schlechten Söhnen gute Eltern gar nichts. Nützen doch auch die Gesetze den ungesetzlich Handelnden nicht, die sie selbst bestrafen; ungeschriebene Gesetze sind aber auch die Lebensführungen der Menschen, die die Tugend eifrig geübt haben. 195 Wenn Gott den Adel in menschlicher Gestalt gebildet hätte, würde dieser, meine ich, vor die zuchtlosen[369] Abkömmlinge hintreten und so sprechen: „Verwandtschaft wird nicht nach dem Blut allein gemessen, wo Wahrheit herrscht, sondern nach der Gleichheit im Handeln und nach dem Streben nach denselben Zielen. Ihr aber tut das Gegenteil, ihr haltet das, was mir lieb ist, für hassenswert und das, was [p. 439 M.] ich hasse, ist euch lieb. Denn bei mir werden Sittsamkeit, Wahrhaftigkeit, Mässigung in den Leidenschaften, Bescheidenheit und Unschuld geschätzt, bei euch werden sie verachtet; verhasst sind mir die Schamlosigkeit, die Lüge, die masslose Leidenschaft, der Hochmut, die Lasterhaftigkeit, euch sind sie vertraut. 196 Wenn ihr euch nun so in euren Werken mir entfremdet, wozu heuchelt ihr mit Worten „Verwandtschaft“ und nehmet euch diesen schönen Namen als Maske vor? Verdrehungen und in schöne Worte gekleidete Täuschungen ertrage ich nicht; denn leicht ist es für jedermann schön klingende Worte zu finden, schlechte Sitten aber gegen gute zu vertauschen ist nicht leicht. 197 Darauf achte ich und darum sehe ich für jetzt und in Zukunft als Feinde die Menschen an, die den Zündstoff der Feindschaft angefacht haben, und ich werde sie mehr verachten als die, denen man unedle Abstammung zum Vorwurf macht. Denn diese können sich damit rechtfertigen, dass sie im eigenen Hause kein Vorbild der Tugendhaftigkeit haben, ihr aber seid straffällig, die ihr aus grossen Häusern stammet, deren Stolz und Ruhm die glanzvollen Geschlechter sind; von den herrlichen Mustern, die bei euch wohnen und gewissermassen mit euch verwachsen sind, habt ihr euch nicht entschliessen können etwas Schönes euch anzueignen“.

198 Dass Moses wirklich den Adel von dem Besitz der Tugend abhängig macht und nur den für adlig hält, der sie besitzt, nicht aber jeden, der von braven und tüchtigen Eltern stammt, geht aus vielen Stellen klar hervor. 199 (3.) Wer möchte z. B. die Sprösslinge des erdgeborenen (Menschen)[71] nicht Söhne von Adligen und die Urahnen der Adligen nennen? Hatten sie doch eine im Vergleich mit den Späteren besonders bevorzugte Abstammung, da sie aus der ersten ehelichen Verbindung von Mann und Weib entsprossen sind, die damals[370] zuerst zu inniger Gemeinschaft sich verbanden zum Zwecke der Fortpflanzung ihrer Gattung. Dennoch hat der Aeltere von den beiden Söhnen, die ihnen geboren wurden, sich nicht gescheut den Jüngeren hinterlistig zu töten und durch Verübung der grössten Missetat, eines Brudermordes, zuerst mit Menschenblut die Erde befleckt. 200 Was nützte ihm also die adlige Geburt, da er die unedle Gesinnung seines Herzens an den Tag legte? Diese sah denn auch Gott, der über die menschlichen Handlungen wacht, deshalb zürnte er ihm, wandte sich mit Abscheu von ihm weg und verhängte Strafen über ihn, — nicht dass er ihn sofort tötete, damit er sein Unglück gar nicht empfinde, sondern er liess zahllose empfindliche Todesarten über ihm schweben durch rasch aufeinander folgende Leiden und Schrecken, um ihn sein trauriges Geschick recht fühlen zu lassen.

201 Später gab es unter den bewährtesten Menschen einen sehr frommen Mann[72], dessen Frömmigkeit der Gesetzgeber für würdig erachtete, dass sie in den heiligen Büchern verewigt werde. Dieser wird bei der grossen Sintflut, als ganze Städte in dem allgemeinen Verderben verschwanden, als selbst die höchsten Berge durch das gewaltige Anwachsen der reissenden [p. 440 M.] Wasserflut verschlungen wurden, ganz allein mit seinen Angehörigen gerettet und erhält so für seine Tugendhaftigkeit einen Lohn, wie man ihn grösser nicht finden kann. 202 Aber von den drei Söhnen, die diesem Manne geboren wurden und die dem Vater zuteil gewordene Gnade mitgenossen hatten, wagte es einer den Vater, den Urheber seiner Errettung, zu verspotten und dem Hohn und Gelächter preiszugeben, weil er absichtslos sich etwas vergangen hatte, und zur Schande für den Vater den Brüdern, die es nicht wussten, etwas zu enthüllen, was zu verbergen Pflicht war (1 Mos. 9,21 ff.). Daher hatte er keinen Nutzen von dem Glanze seiner adligen Abkunft, denn er wurde verflucht und ward so für seine Nachkommen der Urheber ihrer elenden Lage. Solche Strafe musste den treffen, der die Ehre der Eltern so missachtet hatte.

[371] 203 Aber warum muss ich an diese erinnern und sehe von dem ersten Menschen, dem erdgeborenen, ab? er, der hinsichtlich edler Abkunft keinem Sterblichen vergleichbar ist, der durch die Hand Gottes mit höchster plastischer Kunst zur körperlichen Figur gestaltet war, der einer Seele gewürdigt wurde, die nicht von einem geschaffenen Wesen stammt, sondern von Gott, der ihm von seiner eigenen Kraft einhauchte, soviel ein sterbliches Wesen aufzunehmen imstande war, — besass dieser nicht den höchsten Adel, mit dem kein anderer, der je zur Berühmtheit gelangt ist, sich zu vergleichen vermag? 204 Denn der Ruhm jedes andern Adels rührt von dem Glücke der Vorfahren her, die Vorfahren sind aber Menschen, hinfällige und vergängliche Geschöpfe, und ihr Glück ist unbeständig und meistens nur von kurzer Dauer, der Vater jenes (ersten Menschen) dagegen war kein Sterblicher, sondern der ewige Gott. 205 Da er nun gewissermassen Gottes Ebenbild war hinsichtlich der leitenden Vernunft in der Seele, hätte er dieses Ebenbild fleckenrein bewahren müssen, indem er soweit als möglich in den Tugenden seines Schöpfers wandelte, da ihm doch zur Wahl wie zur Vermeidung die gegensätzlichen Dinge vorgelegt waren, das Gute und das Schlechte, das Schöne und das Hässliche, das Wahre und das Falsche; er wählte aber lieber das Falsche, Hässliche und Schlechte und liess das Gute, Schöne und Wahre unbeachtet. Daher musste er natürlich das sterbliche Leben für das unsterbliche eintauschen, er ging des Glückes und der Glückseligkeit verlustig und musste sich einem mühseligen und elenden Leben zuwenden.

206 (4.) Aber diese Beispiele mögen allgemein als Normen für alle Menschen gelten, dass sie sich nicht mit ihrer Zugehörigkeit zu einem grossen Geschlechte brüsten, wenn sie der Tugend bar sind. Für die Juden gibt es aber noch besondere ausser den allgemeinen. Unter den Abkömmlingen[73] der Stammväter dieses Geschlechts gibt es nämlich einige, denen die Tugenden der Vorfahren gar nichts genützt haben, sobald sie sich tadelnswerter [p. 441 M.] und straffälliger Handlungen schuldig machten, auch wenn sie[372] nicht von einem andern überführt wurden, sondern nur von ihrem Gewissen, dessen Richterstuhl allein durch Redekünste nicht irregeführt werden kann. 207 Kinderreich war der erste Stammvater (Abraham), der mit drei Frauen Kinder gezeugt hatte, nicht zur Befriedigung seiner Lust, sondern in der Hoffnung auf Vermehrung des Geschlechts. Aber von den vielen Söhnen wurde einer allein zum Erben der väterlichen Güter erklärt, alle anderen aber, die von der gesunden Meinung abgewichen waren und nichts Gutes von ihrem Vater angenommen hatten, wurden verwiesen und aus dem so berühmt gewordenen Adel ausgeschlossen (1 Mos. 25,5.6). 208 Dem auserwählten Erben (Isaak) wiederum werden zwei Zwillingssöhne geboren, die nicht die geringste Aehnlichkeit miteinander zeigten[74], weder in körperlicher Hinsicht noch in ihren Anschauungen: der Jüngere war den beiden Eltern ein gehorsamer Sohn und erregte solches Wohlgefallen, dass ihm selbst von Gott Lob gespendet wurde, der Aeltere dagegen war unfolgsam und unmässig in der Befriedigung leiblicher und sinnlicher Gelüste, durch die er sich bestimmen liess, zuerst sogar sein Erstgeburtsrecht dem Jüngeren abzutreten, dann aber alsbald über den Verzicht Reue zu empfinden und einen tödlichen Hass gegen den Bruder zu fassen und auf nichts anderes sein Bemühen zu richten als auf das, womit er die Eltern betrüben konnte. 209 Darum erteilen sie dem Jüngeren die höchsten Segenswünsche (1 Mos. 27,27ff. 28,3.4), und Gott liess alle in Erfüllung gehen und wollte auch nicht einen unerfüllt lassen, dem andern aber gewähren sie aus Mitleid die untergeordnete Stellung, dass er nämlich dem Bruder dienen solle (1 Mos. 27,40); denn sie waren der ganz richtigen Meinung, es sei für den Schlechten das Beste, dass er nicht sein eigener Herr sei. 210 Hätte er nun diesen Dienst willig auf sich genommen, so wäre er wie bei Wettkämpfen des zweiten Tugendpreises gewürdigt worden. Er war aber eigenwillig und entzog sich der schönen Herrschaft und so wurde er für sich und seine Abkömmlinge die Ursache grosser Schande,[373] weshalb auch sein verfehltes Leben verewigt ist zum klarsten Beweis dafür, dass denen, die des Adels unwürdig sind, der Adel gar nichts nützt.

211 (5.) Diese nun gehören zu der tadelnswerten Klasse von Menschen, denen deshalb, weil sie als Söhne von Braven schlecht geworden sind, die Tugenden der Väter nichts genützt und die eigenen Charakterfehler sehr geschadet haben. Ich kann aber von anderen sprechen, die im Gegensatz zu ihnen eine bessere Klasse bilden, deren Vorfahren schuldbeladene Menschen waren, die selbst aber ein nachahmenswertes und im besten Rufe stehendes Leben führten. 212 Der Urahn des Volkes der Juden war von Geburt ein Chaldäer, Sohn eines sternkundigen Vaters[75], der zu denen gehörte, die sich mit den mathematischen Wissenschaften befassen [p. 442 M.] fassen, die die Gestirne und den ganzen Himmel und die Welt für Götter halten, durch die, wie sie sagen, alles Gute und Schlechte geschieht, was einen jeden trifft, da es nach ihrer Meinung keinen Urgrund ausserhalb der mit den Sinnen wahrnehmbaren Dinge gibt. 213 Was aber kann schlimmer sein als dies oder was kann besser den Nichtadel des Geistes erweisen, der durch die Kenntnis dieser vielen, in zweiter Reihe stehenden, geschaffenen Dinge hindurch zur Unkenntnis des Einen, des Aeltesten, des Ewigen, des Schöpfers des Alls gelangt, der sowohl aus diesen Gründen der Höchste ist als auch aus vielen anderen, die ob ihrer Grösse der menschliche Verstand nicht zu fassen vermag? 214 Nachdem er (Abraham) eine Vorstellung davon gewonnen und die göttliche Berufung erhalten hatte, verlässt er Vaterland, Verwandtschaft und väterliches Haus; denn erwusste, wenn er bliebe, würde ihm auch der Irrglaube an die vielen Götter bleiben, der die Entdeckung des Einen unmöglich mache, der allein der Ewige und der Vater des gedachten wie des sinnlich wahrnehmbaren Alls[76] ist, wenn er aber auswanderte, würde auch der Irrglaube aus seiner Seele schwinden, die statt der falschen Vorstellung die Wahrheit[374] empfangen würde. 215 Das Verlangen aber nach Erkenntnis des Seienden, das ihn erfüllte, wurde noch gesteigert durch göttliche Offenbarungen, die ihm zuteil wurden: von ihnen geleitet ging er mit unverdrossenem Eifer an die Erforschung des Einen und liess nicht eher ab, als bis er klarere Anschauungen gewonnen hatte, nicht von seinem Wesen — denn das ist unmöglich —, sondern von seinem Dasein und seinem fürsorglichen Walten. 216 Daher heisst es auch von ihm zuerst (in der h. Schrift), dass er an Gott glaubte (1 Mos. 15,6), weil er ja zuerst den festen und unerschütterlichen Glauben hatte, dass es eine oberste Ursache gibt und dass sie über die Welt und alles in ihr fürsorglich waltet. Nachdem er aber den Glauben, die sicherste der Tugenden, gewonnen hatte, erwarb er auch alle anderen mit, so dass er bei denen, die ihn in ihre Mitte aufnahmen, für einen König gehalten wurde (1 Mos. 23,6), nicht nach seinen äusseren Mitteln — denn er war ein einfacher Privatmann —, sondern nach seiner Seelengrösse, weil er einen königlichen Sinn besass. 217 Und in der Tat ehrten sie ihn immer wie Untergebene einen Herrscher in Bewunderung vor der alles überragenden Grösse seines Wesens, dessen Vollkommenheit über menschliche Begriffe hinausging. Denn auch im Verkehr war er ihnen nicht gleich, sondern meistens ernster, weil göttlicher Geist ihn erfüllte; wenn er nämlich von diesem ergriffen wurde, veränderte sich bei ihm alles zum Besseren, der Blick, die Farbe, die Grösse, die Haltung, die Bewegungen, die Stimme, weil der Geist Gottes, der ihm von oben eingehaucht wurde und in seine Seele einzog, seinem Körper besondere Schönheit verlieh, [p. 443 M.] seinen Reden Ueberzeugungskraft und den Hörern Verständnis. 218 Kann man nun nicht von diesem von allen Verwandten und Freunden verlassenen Auswanderer sagen, dass er hochadlig war, er, der nach der Verwandtschaft mit Gott strebte, der mit aller Kraft bemüht war sein Schüler zu werden, der in die vorzügliche Reihe der Propheten aufgenommen wurde, der an kein Geschöpf so glaubte wie an den ungeschaffenen Vater aller Dinge, der, wie gesagt, bei denen, die ihn aufgenommen hatten, als König galt, der nicht mit Waffen und Heeresmacht, wie sonst gewöhnlich, die Herrschaft erlangte, sondern[375] durch die Berufung Gottes, der die Tugend liebt und die Anhänger der Frömmigkeit mit selbständiger Macht ausstattet zum Heile ihrer Umgebung? 219 Dieser Mann ist ein Muster an Adel für alle Proselyten, die das von unnatürlichen Gebräuchen und frevelhaften Sitten herstammende unedle Wesen aufgegeben, nach welchen Stein und Holz und überhaupt unbeseelte Gegenstände göttliche Ehren erhalten, und dafür der wirklich beseelten, lebendigen Verfassung sich zugewendet haben, die von der Wahrheit geleitet und bewacht wird.

220 (6.) Solchen Adel haben nicht nur von Gott geliebte Männer, sondern auch Frauen zu erlangen gesucht, welche die ihnen anerzogene Unkenntnis vergassen, in der sie nur Göttern von Menschenhand Ehren erwiesen, und die Kenntnis der Lehre von der Alleinherrschaft (Gottes) sich aneigneten, durch die die Welt regiert wird. 221 Thamar war eine Frau aus dem syrischen Palästina, erzogen in einem Hause und in einer Stadt von Götzendienern, die mit Bildsäulen aus Holz und Stein und überhaupt mit Götterbildern angefüllt war. Als sie aber wie aus tiefem Dunkel einen kleinen Schein der Wahrheit zu sehen vermochte, wandte sie sich mit Todesgefahr zur Frömmigkeit und dachte gering vom Leben, wenn sie nicht ein schönes Leben führen könnte; das „schöne“ Leben bezog sie aber auf nichts anderes als auf die Verehrung und Anbetung des Einen, des Urgrundes (aller Dinge)[77]. 222 Obwohl sie nacheinander zwei Männer heiratete, die beide schlecht waren, den ersten als rechtmässigen Gatten, den zweiten nach dem Erbschaftsgesetz[78], weil der erste keine Nachkommenschaft hinterlassen hatte, bewahrte sie doch ihr eigenes Leben in voller Reinheit und war imstande den nur den Tüchtigen zukommenden guten Namen sich zu erwerben und für alle ihre Abkömmlinge der Ursprung ihres Adels zu werden. Aber sie war, wenn auch aus anderem Stamme, so doch eine Freie und die Tochter freier und vielleicht nicht unangesehener Eltern. 223 Als Dienerinnen[376] dagegen waren die jenseits des Euphrat an den äussersten Grenzen Babyloniens geborenen Mädchen[79] zur Mitgift ihren Herrinnen bei ihrer Verheiratung beigegeben worden; sie wurden aber für würdig befunden, Bettgenossen des weisen Mannes [p. 444 M.] zu werden, gelangten zuerst aus ihrem Stande als Kebsfrauen zu dem Namen und der Stellung von Ehefrauen und wurden aus Dienerinnen ihren Herrinnen beinahe gleichberechtigte Frauen, da sie von diesen selbst, was sehr sonderbar erschien, zu derselben Würde erhoben wurden; denn Neid zieht nicht in die Gemüter von Weisen ein, und da er nicht vorhanden ist, lassen sie andere an ihrem Glücke teilnehmen. 224 Die von ihnen geborenen unehelichen Söhne aber wurden in keiner Weise hinter den rechtmässigen Kindern zurückgesetzt, nicht nur bei dem Vater — denn das ist kein Wunder, dass der allen gemeinsame Vater auch denen, die nicht von derselben Mutter sind, die gleiche Zuneigung zuwendet —, sondern auch bei den Stiefmüttern: diese legten ihren Hass gegen die Stiefsöhne ab und verwandelten ihn in unsagbare Fürsorge für sie. 225 Die Stiefsöhne wiederum vergalten mit gleicher Zuneigung und ehrten die Stiefmütter wie leibliche Mütter, und die Brüder, die nur zur Hälfte als dem Geschlechte angehörig gelten konnten, meinten nicht bloss zur Hälfte einander lieben zu dürfen, sondern steigerten das Gefühl der Liebe und Gegenliebe auf das Doppelte, ergänzten das, was scheinbar fehlte, und bemühten sich denen, die von beiden Seiten Brüder waren, in harmonischer Charakterbildung gleichzukommen.

226 (7.) Was haben wir also mit denen zu teilen, die auf den Adel, als wäre er nur ihr Eigentum, Anspruch machen, während er ihnen (in Wahrheit) etwas Fremdes ist? Solche können, abgesehen von dem Gesagten, mit Recht als Feinde sowohl des jüdischen Volkes als auch aller Menschen allenthalben angesehen werden: des jüdischen Volkes, weil sie ihren Stammesgenossen die Freiheit gewähren wollen, ein vernünftiges und sittlich gekräftigtes Leben zu verachten im Vertrauen auf das Verdienst der Vorfahren, der anderen Menschen, weil diese auch[377] dann, wenn sie den Gipfel der Tüchtigkeit erreichen, keinen Nutzen davon haben sollen, weil sie nicht tadelfreie Eltern und Grosseltern gehabt hätten. 227 Ich weiss nicht, ob es eine schädlichere Lehre geben kann als diese, dass weder die von braven Eltern Abstammenden und dann schlecht Gewordenen die gerechte Strafe treffen noch den Braven, die von schlechten Eltern abstammen, Ehre zuteil werden soll, da doch das Gesetz einen jeden allein aus sich selbst beurteilt und ihn nicht nach den Verdiensten oder Fehlern von Verwandten belobt oder bestraft.


  1. Nach platonischer Lehre, der Philo hier folgt, ist die Tugend lehrbar, daher jede Tugend ein Wissen d. h. die Einsicht in die Gründe des Handelns nach der betreffenden Tugend. Die Tapferkeit definiert Plato als das Wissen von dem, was zu fürchten und nicht zu fürchten ist (ἐπιστήμη oder σοφία τῶν δεινῶν καὶ μὴ δεινῶν Protag. 360 d. Lach. 194 e).
  2. Für τῆς ψυχῆς ist τῇ ψυχῇ (Apposition zu τῷ κρείττονι μέρει) zu lesen.
  3. Vgl. Ueber Abraham § 25 Anm.
  4. Nach stoisch-kynischer Lehre braucht der Weise zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse nur die Dinge, welche die Natur bietet: vgl. Arnim, Stoic. veterum fragm. III 705 ff.
  5. Derselbe Gedanke bei Xenophon Memor. I 6,10 (aus kynischer Quelle); dort sagt Sokrates zu Antiphon: „du scheinst zu glauben, dass das Glück im Luxus und grossen Aufwand bestehe; ich aber meine, dass die Bedürfnislosigkeit der Gottheit zukommt, dass man aber, wenn man so wenig als möglich bedarf, der Gottheit sehr nahe kommt“.
  6. Wörtlich der „Schlechte“ und der „Gute“, die nach stoischer Ausdrucksweise gleichbedeutend sind mit dem „Toren“ und dem „Weisen“.
  7. Wörtlich der „Schlechte“ und der „Gute“, die nach stoischer Ausdrucksweise gleichbedeutend sind mit dem „Toren“ und dem „Weisen“.
  8. Aristoteles (de anima II 7 p. 418 b) lehrte zuerst, dass die Augen des Lichts bedürfen, um sehen zu können.
  9. Philo benutzt hier die von Plato Cratyl. p. 411 e gegebene Etymologie von σωφροσύνη (Besonnenheit) als σωτηρία φρονήσεως (Rettung des vernünftigen Denkens).
  10. Vgl. Ueber Abraham § 219 und die Anm. dazu.
  11. Philo vertritt an zahlreichen Stellen seiner Schriften die stoisch-kynischen Grundsätze einer einfachen und bescheidenen Lebensweise. Vgl. Wendland und Kern, Beitr. z. Gesch. d. griech. Philos. u. Religion S. 8 ff.
  12. Josephus Jüd. Alt. IV § 301 versteht diese biblische Vorschrift hauptsächlich von der Ausrüstung im Kriege. Aehnlich gründete nach Sifre zu 5 Mos. 22,5 R. Elieser ben Jakob auf diese Bibelstelle die Ansicht, dass die Frau nicht Waffen anlegen solle, um in den Krieg zu ziehen.
  13. Philo erwähnt zuerst die in V. 8 genannte Kategorie, dann (§ 28) die in V. 5–7 genannten. Dieselbe Reihenfolge hat Josephus Altert. IV § 298. Vgl. auch I Makkab. 3,56.
  14. Philo schreibt hier den Midianitern zu, was die Bibel (und danach auch Philo im Leben des Moses I § 300ff.) von Balak und den Moabitern erzählt, weil es ihm hier auf den Rachekrieg ankommt, der für diese Tat (nach 4 Mos. 31,2 ff.) gegen die Midianiter geführt wurde.
  15. Philo übergeht die Tat des Phineas und lässt im Anschluss an den Wortlaut der Bibel (4 Mos. 25,8.9) die 24000 durch eine Seuche umkommen; anders im Leben des Moses I § 303 f.
  16. Philo folgt hier genau der Erzählung der Bibel (4 Mos. 31,18), nach der auf Moses’ Befehl nur die unschuldigen Jungfrauen geschont werden sollten. Im Leben des Moses I § 311 erzählt er dagegen, dass auch die ganz jungen Knaben am Leben gelassen wurden.
  17. Dieselbe Uebertreibung im Leben des Moses I § 309.
  18. Zwischen dem ersten Abschnitt über die Tapferkeit und diesem über die Menschenliebe ist nach diesen Eingangsworten ein Abschnitt über die Frömmigkeit wahrscheinlich verloren gegangen: vgl. die Vorbemerkungen S. 315.
  19. Vgl. Leben Mosis I § 158.
  20. Die Septuaginta übersetzt אלהי הרוחת לכל בשר‎ durch ὁ θεὸς τῶν πνευμάτων καὶ πάσης σαρκός als ob וכל‎ dastände.
  21. Ich lese statt σποράδην, wofür die beste Handschrift ἐπ’ ὄρους bietet, σπορὰς ἐπ’ ὄρους. Diese von Philo zu dem sonst wörtlichen Zitat hinzugesetzten Worte klingen an eine andere Bibelstelle an: 1 Könige 22,17 ἑώρακα τὸν πάντα Ἰσραὴλ διεσπαρμένους ἐν τοῖς ὄρεσιν ὡς ποίμνιον, ᾧ οὐκ ἔστι ποιμήν.
  22. Vgl. Sprüche Salom. 8,22 ff.: „Der Ewige schuf mich (die Weisheit) als Anfang seines Weges, als erstes seiner Werke seit der Urzeit. Von Ewigkeit her bin ich gebildet, seit dem Anfang, seit der Entstehung der Erde“ u. s. w. Weish. Salom. IX 9: „Und bei dir ist die Weisheit, die deine Werke kennt und die zugegen war, als du die Welt schufest“.
  23. Im Leben Mosis II § 288 sagt Philo von diesen Segnungen: „davon ist ein Teil bereits eingetroffen, der andere wird noch erwartet, denn Zuversicht für die Zukunft bietet die Erfüllung in der Vergangenheit“.
  24. Die eingeklammerten Worte, die in der ältesten Handschrift fehlen, erweisen sich aus sachlichen und formellen Gründen als nichtphilonisch, sie sind wahrscheinlich Zusatz eines christlichen Lesers; vgl. Hermes 43 S. 213 f.
  25. Dieses Gesetz hat Philo auch Ueber die Einzelgesetze II § 74 ff. besprochen.
  26. Vgl. Ueber Abraham § 25 Anm.
  27. Vgl. Ueber die Einzelgesetze IV § 195 f.
  28. Vgl. Ueber die Einzelgesetze I § 141 und die Anm. dazu.
  29. Ueber dieses Gebot spricht Philo ausführlicher Ueber die Einzelgesetze II § 215 ff.
  30. Vgl. Ueber die Einzelgesetze I § 135.
  31. Vgl. Ueber die Einzelgesetze II § 104 ff.
  32. d. h. die sie nur oberflächlich kennen gelernt haben.
  33. Vgl. Ueber die Einzelgesetze II § 110 ff.
  34. Philo versteht unter dem גר‎ der Bibel (LXX προσήλυτος) fast durchweg den eingewanderten Fremdling, der sich zum Judentum bekehrt hat. Vgl. Ueber die Einzelgesetze I § 51 f.
  35. Josephus g. Apio II § 209: „Wie der Gesetzgeber auch auf freundliches Verhalten gegen Fremdlinge bedacht war, verdient Beachtung; denn es zeigt sich, dass er aufs beste dafür gesorgt hat, dass wir zwar unsere eigenen Bräuche nicht zerstören, dass wir sie aber denen nicht missgönnen sollen, die sich ihnen anschliessen wollen. Alle die kommen und unter denselben Gesetzen mit uns leben wollen, nimmt er freundlich auf, weil nach seiner Meinung nicht bloss die Abstammung, sondern auch die Gleichheit der Lebensgrundsätze die Menschen verbindet“.
  36. Vgl. Ueber die Einzelgesetze IV §220 ff. Josephus Altert. IV § 296. 297.
  37. Vgl. Josephus Altert. IV § 257 ff.
  38. So deutet Philo den Ausdruck οὐκ ἀθετήσεις αὐτήν (5 Mos. 21,14), womit die Septuaginta {{לא תתעםר בה‎ übersetzt. Dieselbe Auslegung findet sich bei den Rabbinen (vgl. Sifre z. d. St.) und bei Josephus (Altert. IV § 259 μηκέτ᾽ ἐξουσίαν ἐχέτω καταδουλοῦν αὐτήν).
  39. Dieses Gebot hat Philo schon oben § 96 angeführt, aber nach 5 Mos. 22,1–3 mit Urgierung des Ausdrucks „deines Bruders“ während er hier im Anschluss an 2 Mos. 23,4 vom Esel „des Feindes“ spricht. Josephus Alt. IV § 274 sieht von dieser Unterscheidung ganz ab, ebenso § 275 bei Anführung der von Philo vorher (§ 116) besprochenen Vorschrift.
  40. d. h. dessen Vater und Grossvater schon Sklaven waren.
  41. Vgl. den Ausspruch des Xenokrates bei Diog. La. IV 10 τὸν ἱκέτην δεῖν μὴ ἐκδιδόναι. Nach griechischer Sitte war ein wegen Blutschuld Verfolgter, der in ein Haus tritt und als Schutzflehender sich am Hausherde niederlässt, unverletzlich.
  42. Nach attischem Recht durfte ein Sklave, der von seinem Herrn zu grausam behandelt wurde, zu einem Heiligtume, das Asylrecht hatte, seine Zuflucht nehmen und dort verlangen, an einen andern Herrn verkauft zu werden; vgl. Lipsius, der attische Prozess S. 625.
  43. Für εὐμενοῦς ist vielleicht ἀενάου (stets fliessend) zu lesen und für τινος χρηστοῦ mit einer Hs. (G) τι χρηστόν.
  44. Philo bezieht die biblische Vorschrift, das Junge sieben Tage lang bei der Mutter zu lassen, auch auf die Schlachtung zu eigenem Gebrauch. Nach dem Wortlaut bezieht sie sich nur auf die Darbringung als Opfer (so versteht sie auch Josephus Alt. III § 236). Die Rabbinen waren geteilter Meinung: in Babylonien galt die Ansicht, dass Tiere auch zum Privatgebrauche vor dem achten Tage nicht geschlachtet werden dürfen; vgl Ritter, Philo und die Halacha S. 108.
  45. das Natur- und Sittengesetz nach stoischer Terminologie.
  46. Philo nimmt das Mosaische Gebot, neugeborene Tiere nicht vor dem 8. Tage zu schlachten, zum Anlass, um gegen die griechische Unsitte der Aussetzung schwächlicher und verkrüppelter Kinder anzukämpfen; vgl. die ausführliche Erörterung Ueber die Einzelgesetze III § 110 ff.
  47. In der Bibel findet sich eine solche Vorschrift nicht. Philo scheint angenommen zu haben, dass sie in dem eben erwähnten Verbot, Mutter und Junges an einem Tage zu schlachten, mitinbegriffen ist. Auch bei den Karäern ist das Schlachten trächtiger Tiere verboten. In der Mischna (Para 2,1) wird erwähnt, dass die Rabbinen eine Bestimmung, wie sie Philo allgemein angibt, bei der „roten Kuh“ (4 Mos. 19,2 ff.) anwenden wollten. Ritter S. 109 f.
  48. Diese Sitte bestand bei Aegyptern und Griechen (Diodor I 77. Plut. de sera num. vind. 7. Ael. Var. Histor. V 18). Auch das röm. Recht verbot die Vollziehung der Todesstrafe an einer Schwangeren (Clem. Alex. Strom. II 18; p. 478 Pott.; Digest. 48,19,3).
  49. Zu den hauptsächlichsten Vorwürfen, die von den judenfeindlichen griechischen Schriftstellern gegen die Juden erhoben wurden, gehörte der, dass sie sich von den andern Menschen abschliessen und keine Gemeinschaft mit ihnen haben wollen.
  50. Ebenso Josephus g. Ap. II § 213: οὕτως δ᾽ ἡμερότητα καὶ φιλανθρωπίαν ἡμᾶς ἐξεπαίδευσεν, ὡς μηδὲ τῶν ἀλόγων ζῴων ὀλιγωρεῖν.
  51. Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass Philo das biblische Gebot buchstäblich auffasst, dass man nämlich das Fleisch eines jungen Tieres nicht in der Milch seiner Mutter kochen solle. Die (spätere) rabbinische Vorschrift, dass man Fleisch und Milch überhaupt nicht zusammen kochen und zusammen geniessen dürfe, war ihm offenbar unbekannt. Ritter S. 128.
  52. Ebenso begründet Josephus Altert. IV § 233 die biblische Vorschrift.
  53. Derselbe Gedanke ist auch oben Ueber die Einzelgesetze IV § 205 ausgesprochen.
  54. Vgl. Ueber die Einzelgesetze I § 162 ff.
  55. Ueber die Einzelgesetze IV § 206 wird aus dieser biblischen Vorschrift die Lehre gezogen, dass der Richter die Nichtadligen nicht zurücksetzen dürfe.
  56. Dieses Gebot hat Philo selbst aus dem folgenden (§ 150) erschlossen.
  57. Von Bias, einem der „sieben Weisen“ Griechenlands, wird ein Ausspruch angeführt, dass man lieben solle, wie wenn man später hassen würde, und hassen, wie wenn man später lieben würde, d. h. dass man in der Freundschaft wie in der Feindschaft Mass halten solle (Diog. La. I 87. Arist. Rhet. II 13). Aehnlich wie von Philo ist derselbe Gedanke ausgesprochen von Sophokles im Aias 678 ff.
  58. Nach χαμαίζηλα ἔμελλε scheint ein Wort ausgefallen zu sein (etwa γίνεσθαι oder ἔσεσθαι).
  59. Ein bekanntes griechisches Sprichwort, das zuerst in einer Elegie des athenischen Gesetzgebers und Dichters Solon (frg. 8) vorkam.
  60. Vgl. Philos Ausführungen über dieselbe Bibelstelle in der Schrift de sacrif. Abelis et Caini § 55 f.
  61. Die Bibelstelle lautet wörtlich: „die Seele, die solches tut mit erhobener Hand (d. h. vorsätzlich sündigt), … lästert Gott“. Die Septuaginta übersetzt ביד רמה‎ durch ἐν χειρὶ ὑπερηφανίας, wofür Philo μεθ᾽ ὑπερηφανίας (mit Uebermut) sagt, und מגדף‎ durch παροξύνει (reizt, erzürnt). Philo bezieht auf Grund dieser Uebersetzung die Worte allgemein auf übermütiges Handeln (ebenso Ueber die Einzelgesetze I § 265).
  62. Die Worte enthalten eine offenbare Anspielung auf den Kaiser C. Caligula: vgl. Leg. ad Gaium II p. 556 M. „… er wollte nicht mehr in den Grenzen menschlicher Natur bleiben, sondern überschritt diese und wollte für einen Gott gehalten werden“.
  63. Auch diese Charakteristik passt ganz und gar auf Caligula.
  64. Philo spricht hier von den Proselyten, die zu seiner Zeit durch die eifrige Propaganda in der Diaspora in grosser Zahl für das Judentum gewonnen wurden.
  65. Dieselbe Deutung dieser Bibelstelle wiederholt Philo an mehreren Stellen: de poster. Caini § 85, de mut. nom. § 237, de somn. II § 180, quod omnis prob. lib. sit II p. 456 M. „Und in deinen Händen“ ist Zusatz der LXX.
  66. Philo gibt האמרת‎ und האמירך‎ in Uebereinstimmung mit der Septuaginta durch εἵλου und εἵλατο wieder nach dem Zeugnis der besten Handschrift, das durch Clemens Alexandrinus bestätigt wird. Die beiden andern Handschriften haben dafür ἀντηλλάξω und ἀντηλλάξατο, wie Aquila übersetzt hatte. Beide Uebersetzungen lassen darauf schliessen, dass im Originaltext vielmehr המרת‎ und המירך‎ gestanden hat; vgl. E. Nestle, Zeitschr. f. alttestam. Wissensch. 28 S. 149.
  67. Das ist wohl der Sinn der verderbt überlieferten Worte καθάπερ αὐτὸς αἱρεῖται. Vgl. Ueber den Dekalog § 37.
  68. Philo vertritt im folgenden den stoischen Grundsatz, dass nur der Tugendhafte (Weise) den wahren Adel besitzt und in Wahrheit adlig genannt werden darf. Vgl. P. Wendland und O. Kern, Beiträge z. Gesch. d. griech. Philosophie und Religion S. 51 ff.
  69. Vgl. Seneca Epist. 44,5 non facit nobilem atrium plenum fumosis imaginibus …: animus facit nobilem. De benef. III 28,1 nemo altero nobilior, nisi cui rectius ingenium et artibus bonis aptius.
  70. Die Worte ἐοίκασι τοῖς ἐν ταῖς ἡγεμονίαις ἐπὶ χρειῶν τεταγμένοις πρὸς τὴν οἷα βασιλίδος ἀρετῆς ὑπηρεσίαν sind verderbt und lückenhaft überliefert, sie geben keinen rechten Sinn; vor ἐοίκασι ist etwa ἐξαρκεῖν (zu genügen) oder ζηλωτά (erstrebenswert) ausgefallen, vor den Worten αὐγοειδέστατον φῶς μὴ ἰδόντες fehlen jedenfalls mehrere Worte.
  71. Adams, der nach der h. Schrift von Gott aus Erde gebildet wurde.
  72. Noah, von dem die Bibel sagt: „Noah war ein frommer, tadelloser Mann in seinem Zeitalter“ (1 Mos. 6,9).
  73. Nach ἀρχηγετῶν scheint παίδων oder ἀπογόνων ausgefallen zu sein, denn mit ἀρχηγετῶν sind offenbar die drei Erzväter gemeint.
  74. Die Worte ὅτι μὴ χεῖρας καὶ ταύτας ἕνεκά τινος οἰκονομίας sind ein törichte Einschiebsel und daher gar nicht übersetzt.
  75. Alle Chaldäer und so auch Abrahams Vater gelten Philo als Sternbeobachter und demgemäss als Sternanbeter. Vgl. Ueber Abraham § 69 ff.
  76. d. h. der Welt der Ideen (im platonischen Sinne) und der wirklichen Welt.
  77. Philo gibt hier eine stark idealisierte Auffassung der biblischen Erzählung von Thamar (1 Mos. 38,6 ff.).
  78. Philo gebraucht hier einen aus dem attischen Recht stammenden Ausdruck: ἐπιδικασία hiess der Anspruch auf eine Erbschaft, daher auch der Anspruch auf den Besitz einer alleinstehenden Erbin.
  79. Silpa und Bilha (1 Mos. 29,24.29. 30,3ff.).
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