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Vom Jubelfest der Berliner Dienstmannschaft

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Textdaten
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Autor: Karl Ruß
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Titel: Vom Jubelfest der Berliner Dienstmannschaft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 423, 424
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Das Dienstmann-Institut, 1863; Beckmann, Friedrich: Der Eckensteher Nante im Verhör: Lokal-Posse; Mit einem colorirten Steindruck, Rücke 1833, MDZ München
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Vom Jubelfest der Berliner Dienstmannschaft.

Zur Erinnerung an die Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Dienstmanns-Institute.


 „Ne, ne, der Nante is nich dumm,
 Nachjrade kriegt er Bildung,
 Er dient mit Fleiß det Publikum. –
 Des sieht man an die Schildung.“
     „Eckensteher Nante“ von Friedrich Beckmann.

Eine interessante Erinnerung taucht mir jedesmal auf, wenn ich über den Dönhoffsplatz von Berlin gehe und in der Nähe der gewaltigen Erzsäule, welche die dankbare Nachwelt dem großen Bürger Stein gesetzt hat, mich umblicke; ich muß dann eines längst verstorbenen Mannes gedenken, dessen Thätigkeit recht bedeutungsvoll für das Wohl und Wehe einer Anzahl seiner Mitmenschen gewesen. Hier auf den Bänken lagern nämlich die sogenannten Sonnenbrüder, jene Bummler und Tagediebe, in denen wir die alten Eckensteher, wie sie dereinst Friedrich Beckmann so gemüthlich und urkomisch geschildert und wie sie uns Eduard Jakobson im „Lachenden Berlin“ jetzt wieder vor Augen führt, wenigstens einigermaßen lebenstreu vor uns haben. Vergleichen wir nun aber mit dem Eckensteher Nante seine Nachfolger, die Dienstmänner von Berlin, so finden wir wohl ernste Veranlassung dazu, uns den zu vergegenwärtigen, der in humanem Streben und mit genialem Weitblick jene Einrichtung, welche man als die Dienstmanns-Institute bezeichnet, ins Leben gerufen und diesen Leuten also dazu verholfen hat, daß man sie nicht mehr bloß als gemächliche Bummler ansehen darf, sondern als gewissenhafte und treue, geschickte und kenntnißreiche Arbeiter schätzen muß.

Nur zu oft im Leben bringt das Columbus-Ei einer guten, hochwichtigen Idee dem, der es zuerst thatsächlich fest auf die Spitze gestellt, leider nur geringen oder gar keinen Nutzen; so auch hier. Der Kaufmann Eduard Berger in Bromberg, dessen Portrait in dem Medaillon unserer Anfangsvignette unter dem Dienstmann aus der guten alten Zeit wiedergegeben ist, war ein reichbegabter und strebsamer Mensch; trotzdem ließ ihn einerseits ein ruheloses und unstätes Wesen und andrerseits ein unheilvolles Geschick keineswegs zum Genuß der Früchte seines Strebens gelangen. Den höchsten Lohn, welcher ihm zu Theil geworden, fand er in der Ehre, daß die von ihm ins Leben gerufenen Dienstmanns-Institute sich rasch von Ort zu Ort verbreiteten und daß städtische Behörden von weit und breit her sich an ihn wandten mit der Bitte um Belehrung über die Grundzüge dieser für die dienenden Leute so wohlthätigen, wie für das große Publikum vortheilhaften Einrichtung. Im Uebrigen fand er keine thatsächliche Belohnung, sondern er ging elend zu Grunde und starb im Schuldgefängnisse.

Nach meiner Ueberzeugung führte Berger zur Errichtung dieser Institute viel weniger das Streben nach Erwerb und Reichthum, als der leider nur nicht genug geklärte und solid begründete Drang, seinen Mitmenschen zu nützen. Ed. Berger hatte beim Magistrat von Bromberg nach und nach die Pläne für siebzehn verschiedene Unternehmungen eingereicht, darunter: Vertretung der Bürger beim Feuerlöschen durch Dienstmänner (Feuerwehr gab’s damals noch nicht), Einrichtung von Stadttelegraphen, Vermittelung von Vermiethung aller dienenden Personen (Dienstboten-Vermiethungsbureaus waren ja auch noch nicht vorhanden) u. A. m.

Berger selbst gab seiner Schöpfung den Namen Gepäckträger-Institute. Die mit gleichmäßigen Abzeichen versehenen Angehörigen derselben hießen jedoch in Bromberg, wo das erste Gepäckträger-Institut begründet wurde, dann auch in Posen, Schneidemühl, Danzig, Königsberg u. a. O. Bergersleute; erst seitdem solche Einrichtungen auch in Berlin ins Leben getreten, wurden sie Dienstmänner genannt.

Die Organisation der Dienstmanns-Institute wurde von folgenden Grundsätzen aus festgestellt. Jeder dieser Arbeiter muß eine durchaus zuverlässige Persönlichkeit sein; das Polizeipräsidium von Berlin ist gegenwärtig bei der Ertheilung der Berechtigung so streng, daß ein Führungszeugniß für die letzten zehn Jahre verlangt wird. Ferner muß jeder Dienstmann eine gewisse Summe, die sogenannte Kaution, niederlegen, mit welcher er für jeden von ihm etwa verursachten Schaden, durch Vernachlässigung, Verlieren, Veruntreuung etc. aufzukommen hat. In der Regel beträgt diese Summe 75 Mark, in der Gesellschaft der selbständigen Dienstmänner von Berlin aber für jedes Mitglied 1000 Mark. Jeder Dienstmann hat seine bestimmte Nummer, sein Dienstbuch mit einer Uebersicht aller Verrichtungen, die er übernehmen muß, mit Angabe der Preise für seine Leistungen, einem sogenannten Wegmesser, und Alles dies ist durch eine ausführliche „Polizeiverordnung betreffend den Betrieb des Dienstmanns- Gewerbes“ geregelt; außerdem hat jeder seine bestimmten Abzeichen, insbesondere ein Schild mit seiner Nummer an der Mütze zu tragen, und schließlich muß er gedruckte Marken mit Nummer und Preis bei sich führen.

Wenngleich alle diese Vorschriften im Laufe der Zeit allerdings auch immer weiter ausgebaut und vervollkommnet wurden, so waren sie im Wesentlichen doch bereits sämmtlich von Berger aufgestellt: Zu den wohlthätigsten Einrichtungen gehören auch die damit verbundenen verschiedenen Kassen, wie Kranken-, Altersversorgungs- und Wittwenkasse. Die Grundzüge der Dienstmanns-Institute beruhten also von vornherein auf den mehr [421] oder minder wohlthätigen socialen Ideen, deren Erörterung und Verwirklichung unsere Gegenwart so mächtig bewegt. Die staatliche Oberaufsicht führt die Polizeibehörde, und gegenwärtig steht die Dienstmannschaft von Berlin unter dem Polizeihauptmann Maurer. Die Gesammtzahl aller Dienstmänner hier beträgt etwa 1000 Köpfe, und zwar vertheilt in mehreren sogenannten Instituten, deren zwei älteste bereits im Jahre 1861 begründet worden, während das letzte, die „Genossenschaft selbständiger Dienstmänner“, seit 1877 besteht. Bekanntlich haben sich die Dienstmanns-Institute über die ganze civilisirte Welt verbreitet – und dieser Erfolg seiner Idee würde den Begründer, falls er ihn eben erlebt hätte, sicherlich hoch beglückt haben.

Berliner Dienstmann.

Das Jubelfest fand in Kellers Hofjäger, einem der in den weitesten Volkskreisen sehr beliebten Vergnügungslokale der Hasenhaide von Berlin, statt und war von etwa 500 Personen besucht. Als Volksfest im vollen Sinne des Worts bot es: „Von Nachmittags 4 Uhr ab großes Gartenkoncert, Familien können Kaffee kochen, Tanz ohne Pause nach der wechselnden Musik einer bürgerlichen und einer Soldatenkapelle, Vorträge des Gesangvereins ‚Modestia‘, Festrede und in der Kaffeepause zwischen 12 und 1 Uhr noch einen Festprolog.“ Zu Nante’s Zeit hieß es:

„Un wenn ich denn nach Hause konnn’,
Thut mene Olle brummen,
Da reich ich ihr die Pulle hin,
Sogleich dhut se verstummen.“

Heut zu Tage aber ist es anders; da gehen in Berlin mit dem Mann zusammen gemüthlich Weib und Kind in die Kneipe, und zwar eben so wohl zum Münchener und Nürnberger Bier, als dorthin, wo die Familien Kaffee kochen.

Da der eingeladene Festredner, Abgeordneter Albert Traeger, dnrch dringende Abhaltung im letzten Augenblick verhindert worden, so trat ich ein, erinnerte die Versammelten an den verdienten Begründer ihrer Institute, hob den Unterschied hervor zwischen ihrer Thätigkeit und der ihrer Vorgänger, der Eckensteher, schilderte die hohe Bedeutung und den Werth der Arbeit für das Menschenleben und schloß mit einem Hoch auf Alle, die tüchtig arbeiten können und wollen.

Zum Schluß muß ich es mir gestatten, noch auf eine absonderliche Seite der Dienstmannschaft hinzuweisen – was sich der Volksmund nämlich von ihr erzählt. So gar manche gesunkene, verkommene Persönlichkeit hat hier den letzten Halt gefunden, und nachdem sie aus Glanz und Ehren, Wohlleben und Vergnügen durch eigene Schuld oder Schicksalstücke hinausgestoßen worden, konnte sie sich noch retten in den Hafen, der für Tausende allein noch im Leben Schutz und Heil gewähren kann: die Arbeit. Da, flüstert uns unser Gewährsmann zu, der große, stattliche Mensch an jener Straßenecke ist ein früherer Gymnasial-Oberlehrer; der dort auf dem Platz war einst Kavallerie-Officier, ein dritter denkt mit Wehmuth daran, daß er auf einem großen Rittergut das Licht der Welt erblickt hat etc. Das sind so genannte gescheiterte Existenzen, die dem Blick des Eingeweihten hier – wie in den Reihen der Droschkenkutscher, Straßenkehrer u. A. – nur zu zahlreich entgegentreten. Kaum erfreulicher ist der Gedanke an die jungen Männer, welche, um zeitweiser Noth und der Verzweiflung zu widerstehen, hier vorübergehend Zuflucht suchen, gleichsam untertauchen in den Wogen des Lebens, sich verbergen mit ihrem Leid und Ungemach, bis es ihnen gelingt, wieder emporzukommen und einen festen Halt im bürgerlichen Leben zu gewinnen. So haben wir hier und da einen Studenten oder Kandidaten, einen Referendar, zahlreiche junge Kaufleute oder auch Handwerker u. A. im Dienstmannskittel vor uns, die darin den einzigen Weg finden, um ihren Lebensunterhalt zu erwerben. Dr. Karl Ruß.