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Wo stecken die Edelmetallschätze

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: L. K-r.
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Titel: Wo stecken die Edelmetallschätze
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 843
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[843] Wo stecken die Edelmetallschätze? Wo befinden sich die ungeheuren Reichthümer, von denen die Geschichte erzählt und über die wir schon als Schulkinder gestaunt haben? Wo sind die Goldkammern von Krösus und Salomo, von Cyrus und Sesostris? Was ist aus dem Hort geworden, den Schah Nadir dem Großmogul von Indien einst abnahm? Und wo stecken all’ die Massen Silbers und Goldes, welche aus Flüssen gewaschen und aus Bergwerken gewonnen worden sind? Ueber den Verbleib all’ dieser Schätze sind wir ganz und gar im Unklaren. Zwar können wir vermuthen, daß ein großer Theil davon vergraben und vergessen wurde, ein anderer mit untergegangenen Schiffen auf dem schweigsamen Meeresgrunde liegt; doch diese Vermuthungen genügen nicht, um das Verschwinden der zahlreichen Milliarden, welche früher von Menschen besessen wurden, zu erklären. Wahrscheinlich dürfte das Räthsel niemals gelöst werden; es ist keine Aussicht vorhanden, daß die Welt jemals einen verläßlichen Bericht erhalte über den gegenwärtigen Aufenthalt des vermißten Edelmetalles. Auch wissen wir nicht einmal, wieviel wir verloren haben; allerdings können wir es schätzen, aber ohne Anhaltungspunkte für die Richtigkeit oder Falschheit unserer Muthmaßungen.

In der Regel sind, wo es sich um seltsame Statistiken handelt, Engländer diejenigen, die sich damit abgeben; ein Engländer berechnete die Zahl der Haare auf den Menschenköpfen, ein anderer die Zahl der Worte der Bibel, etc. Diesmal jedoch haben wir es ausnahmsweise mit einem Russen zu thun. Es ist ein Herr Tarassenko Otreschkoff, der sich in einem curiosen Buche („Gold und Silber“) unter Anderem die Aufgabe stellt, die Eingangs aufgestellten Fragen zu beantworten und Alles ziffermäßig zu belegen – „beweisen“ kann man nicht recht sagen, denn beweisen läßt sich da schwerlich etwas. Der Curiosität halber mögen einige Daten aus diesen Untersuchungen hier einen Platz finden. Mittelst umfangreicher Berechnungen wird behauptet, daß der Werth sämmtlichen Edelmetalles, welches die Welt von der Erbauung des babylonischen Thurmes an bis zur Entdeckung Amerikas, also bis zum Jahre 1492, besaß, sich auf sechsunddreißig Milliarden Mark (gleich achtzehnhundert Millionen Pfund Sterling) belaufen habe. Es würde uns wenig nützen, hieran zu glauben oder es zu leugnen, denn wir haben weder für das Eine noch für das Andere Argumente. Da bisher eben nur diese eine Berechnung existirt, so müssen wir uns an sie halten.

Was die Zeit nach Columbus betrifft, so hat sie uns mit nahezu doppelt so viel Schätzen an Gold und Silber beglückt, als die Zeit vor diesem Entdecker der neuen Welt, der eigentlichen Goldwelt. Darüber ist kein starker Zweifel zulässig, hat doch sogar der vor zwei Jahren abgehaltene Brüsseler Münzkongreß angenommen, das Gold und Silber, welches seit dem letzten Decennium des fünfzehnten Jahrhunderts in den Besitz von Erdbewohnern gekommen sei, wäre etwa vierundsechszig Milliarden Mark werth. Somit hätten wir eine Summe von hundert Milliarden Mark während der Zeit von der Sündfluth bis zur Enthüllung des Hermann-Denkmals. Wo finden wir nun diese hundert Milliarden?

Gegenwärtig besitzen Europa und Nordamerika nicht mehr Edelmetall als für sechsunddreißig Milliarden Mark (zwanzig Milliarden in Gold, sechszehn in Silber). Auf Südamerika, Australien und die civilisirten europäischen Colonien mögen etwa vier Milliarden kommen. In der christlichen Welt befinden sich also beiläufig vierzig Milliarden. Davon dürften dreizehn Milliarden in Münze factisch circuliren – „darüber sind die Gelehrten ziemlich einig“. Weitere zwanzig Milliarden, also die Hälfte, figuriren als Schmuck, Geschirr und Baumaterial. Wenn wir diese Ziffern acceptiren, so bleibt uns nichts übrig, als von den fehlenden sieben Milliarden anzunehmen, sie seien verborgen. Der jährliche Verlust durch Abnutzung, Schiffbruch und andere Unfälle wird auf anderthalb Procent des umlaufenden Geldes geschätzt; die Abfälle von brachliegendem und von in den Gewerben angewendetem Edelmetall werden auf ein Procent taxirt. Demgemäß entsteht jedes Jahr ein Abgang von dreihundertundzwanzig Millionen Mark. Dagegen aber beträgt die Neugewinnung von Gold und Silber jährlich achthundert Millionen. Hiervon müssen – nach Mac Culloch – außer diesen dreihundertundzwanzig Millionen für Abnützung etc. noch zweihundert Millionen für Vermehrung der Umlaufsmittel und zweihundertundvierzig Millionen für den gewerblichen Gebrauch bestritten werden.

Viel schwieriger ist es, mit den übrigen, in den nichtchristlichen Ländern vorhandenen sechszig Milliarden fertig zu werden. Wohl weiß man, daß davon der größte Theil, besonders viel in Silber, seinen Weg nach Asien genommen, doch ist es schier unmöglich, über die Art der Verwendung Auskunft zu erhalten. Ein Nationalökonom hat sich dahin ausgesprochen, daß in Indien jetzt acht Milliarden in Münzen und Putzsachen zu finden sind. Von 1852 bis 1857 – also blos in sechs Jahren – sollen allein in Vorderindien und China zwei Milliarden in Silber vergraben worden sein. Auch von den ungeheueren Summen, die seit den Phöniciern bis heute nach Arabien gebracht wurden, hat sehr wenig wieder das Land verlassen. Wenn man sogar annimmt, daß von den sechszig Milliarden zwanzig in verschiedenen Gestalten im Umlauf und Gebrauch sind, so bleiben denn doch noch vierzig ohne Paß, und es resultirt hieraus, daß – wie groß auch immer die Verluste durch Unfälle etc. sein mögen – erstaunliche Quantitäten auf eine oder die andere Weise versteckt worden sind.

L. K-r.