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Zum hundertjährigen Todestage Kaiser Josefs II.

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Textdaten
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Autor: R. Mahrenholtz
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Titel: Zum hundertjährigen Todestage Kaiser Josefs II.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 112–114
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zum hundertjährigen Todestage Kaiser Josefs II.

Das Dichterwort „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“ findet in vollem Maße auf den unglücklichen Fürsten Anwendung, der nach einer kaum zehnjährigen Regierung voll der höchsten Entwürfe und des edelsten Thatendrangs bitter enttäuscht auf einsamem Krankenlager dahinsiechtc. Als er nach der langen Herrschaft seiner zielbewußten, kraftvollen Mutter Maria Theresia im besten Mannesalter auf den Thron kam, rühmten begeisterte Vorkämpfer der neuen Zeitrichtung ihn als den Beglücker der Menschheit, als den Erretter seines Volkes aus weltlichem und geistlichem Drucke. Dann aber erhoben sich Stimmen, die sein Wirken mit dem Philipps II. von Spanien und Albas verglichen, ihn im Hinblick auf seine Reformen und die Aufhebung der alten Landesverfassung in den österreichischen Niederlanden als den Mörder der in heißen Kämpfen errungenen niederländischen Freiheit brandmarkten. Und ähnlich standen sich die Meinungen der Parteien auch nach seinem Tode gegenüber. In den Zeiten, da Napoleons I. eherne Hand schwer auf dem habsburgischen Kaiserstaate lastete, errichtete man ihm als dem Schirmherrn der Größe Oesterreichs ein Denkmal auf dem Josefsplatze in Wien, österreichische Dichter verherrlichten ihn noch in den stürmischen Jahren 1848–1850, als die künstlich zusammengefügte Monarchie in den Fugen krachte, und selbst in den jüngsten Tagen hat sein Andenken die edelsten Verfechter des Deutschthums in dem Kampfe der Nationalitäten zu muthigem Ausharren und zuversichtlicher Hoffnung gestärkt. Dagegen stehen die nichtdeutschen Bewohner des österreichischen Kaiserstaates ihm zumeist nicht bloß kühl und zurückhaltend, sondern geradezu feindlich gegenüber, ein Grund mehr für uns Deutsche, seinen Namen in Ehren zu halten.

Wir können das Wirken Josefs II. nur im Zusammenhange mit der Regierung seiner Mutter begreifen, ist es doch in vieler Hinsicht nur die rücksichtslose Fortführung ihres vorsichtig und einsichtsvoll begonnenen Werkes. Die große Fürstin, deren männliche Festigkeit und unbeugsame Zähigkeit schon in ihrer äußeren Erscheinung sich kundgiebt, hatte es verstanden, den buntgemischten, vielsprachigen Kaiserstaat zu einer fast einheitlichen Monarchie umzugestalten, wobei ihr das Beispiel ihres großen Gegners Friedrich II. oft den Weg gezeigt hat. Als sie zum Beginn ihrer Regierung im Kampfe mit Frankreich, Preußen und Bayern um den Bestand ihrer Herrschaft rang, wußte sie durch ihr unverzagtes Auftreten und durch kluge Rücksichtnahme alle Stämme ihres Reiches – auch die Ungarn, welche so oft den Feinden Habsburgs den Weg ins Herz der Monarchie gebahnt hatten – zu ihrem Schutze zu vereinigen und den gefahrvollen Streit nur mit dem Verluste einer Provinz zu enden. In dem siebenjährigen Ringen mit Friedrich dem Großen um die Vorherrschaft im Deutschen Reiche standen wiederum die Volksstämme diesseit und jenseit der Donau für sie in Waffen, und als der Hubertusburger Friede geschlossen war, nutzte sie die letzten siebzehn Jahre ihrer Herrschaft, um den Wohlstand und die freie Bewegung ihres Volkes zu heben, die lähmenden Einflüsse im geistigen und kirchlichen Leben zu mindern, ihre Herrschaft nach außen hin zu vergrößern und durch mächtige Bundesgenossen zu sichern. Aber wie sehr auch das Staatswohl sie zu manchen Maßregeln nöthigte, die den Anhängern der alten Zeit schmerzlich ins Fleisch schnitten, so blieb sie aus Ueberzeugung wie aus Berechnung eine treue Förderin der katholischen Interessen. War doch die gemeinsame Religion vor allem das einigende Band des österreichischen Völkergemisches. Nach wie vor war der beste Grund und Boden in den Händen der Kirche, eine Unzahl von Klöstern und Stiften entzog dem Gewerbe, Handel und Ackerbau tüchtige Kräfte, die Steuerbefreiung der Geistlichen machte eine um so stärkere Belastung des Bürger- und Bauernstandes nöthig, die Fronden und andere Zwangsleistungen schmälerten noch die freie Zeit des schwer geplagten Landmannes. Wenig bedeutete die Verminderung der kirchlichen Festtage, die Maria Theresia auf den Rath ihres Ministers Kaunitz verfügte, und selbst die theilweise Aufhebung der Leibeigenschaft am Ende ihrer Regierung, die uns den wohlthätigen Einfluß ihres Sohnes Josef – den Maria Theresia 1765 zum Mitregenten der österreichischen Monarchie ernannt hatte – wahrnehmen läßt, brachte zunächst nur geringe praktische Vortheile. Auch die altererbten Vorrechte der Provinzen, die Vielheit des Rechtes, der Verfassungen, die hemmenden Schranken der Binnenzölle, die Fesseln der Erwerbsfreiheit und Eheschließung, die Unterdrückung der Glaubens- und Preßfreiheit, die Greuel der Folter- und Marterjustiz, der schwerfällige und willkürliche Prozeßgang und so viele andere Uebelstände aus grauer Vorzeit blieben bestehen. Nicht ohne Grund fürchtete die staatskluge Regentin, daß die Wegnahme dieser zum Theil morschen Stützen des Staatsbaues das gesummte, schwankende Gefüge zu Fall bringen könnte.

Bis zum Tode seiner Mutter (29. Nov. 1780) hatte Josef immerhin nur geringen Einfluß auf Regierung und Verwaltung; höchstens das Militärwesen Oesterreichs erfreute sich seiner umgestaltenden, verbessernden Fürsorge. Es fehlte dem Kaiser sogar an einer völlig ausreichenden Vorbildung zum Herrscheramte, denn von verschiedenen Erziehern in ungleichartiger Weise gebildet, auf seinen weiten Reisen durch Europa wohl mannigfaltigen, aber flüchtigen Eindrücken ausgesetzt, konnte er sich nie so umfassende Kenntnisse und Erfahrungen erwerben, wie sie seinem großen Zeitgenossen Friedrich II. als Staatsmann und Philosophen zu Gebote standen. Mit Begeisterung, aber ohne tieferes und selbständiges Eindringen hatte er die Lehren der französischen Aufklärung, ihre Hauptgrundsätze der Glaubens- und Preßfreiheit, der Staatsallmacht in weltlichen und geistlichen Dingen, der Beseitigung aller unnatürlichen Schranken des Ackerbaus, Handels und Verkehrs in sich aufgenommen. Jetzt, nach langem Harren, zum Beherrscher des mächtigen Kaiserstaates geworden, wollte er ohne Zaudern die Gedanken eines Voltaire und Rousseau in die Wirklichkeit übertragen.

[113]

Kaiser Josef II.
Nach einem im Verlag von Artaria u. Comp. in Wien erschienenen Kupferstich von John, ausgeführt nach dem Original-Porträt von Füger.

[114] Das Wohl des gesammten Staates und die einheitliche Verwaltung der bisher durch Eifersüchteleien, Vorurtheile und Verkehrsschranken getrennten Provinzen wurde sein Hauptaugenmerk. Die Binnenzölle wollte er aufheben, dagegen, entsprechend den damals herrschenden volkswirthschaftlichen Ansichten, Oesterreich durch Grenzzölle vor dem Wettbewerb des Auslandes sichern. Ein für die ganze Monarchie geltendes Justiz- und Verwaltungssystem, eine von oben her gelenkte, sich streng gliedernde und abstufende Beamtenschaft, das Deutsche als Amtssprache sollten die Vielheit der provinziellen und ständischen Rechte, Gewohnheiten, Behörden und Sprachen verdrängen.

Kein Wunder, daß die in ihren altererbten Vorrechten Gekränkten erst durch stillen Widerstand, dann durch offene Widersetzlichkeit diesen Einheitsplänen entgegenarbeiteten, daß die Selbständigkeitsgelüste der Ungarn von dem amtlichen Gebrauche des Lateins nicht lassen, auf den Besitz der Krone des heil. Stephan, welche Josef II. nach Wien bringen ließ, und die Krönung des neuen Herrschers zum König von Ungarn nicht verzichten wollten! Begreiflicher noch, daß die Vlamen und Wallonen in Belgien, die sich ohnehin nie als Oesterreicher gefühlt hatten, den Aufhetzereien der gekränkten Geistlichen und Edelleute, sowie den Umsturzgedanken radikaler Geister Gehör gaben und die letzten Jahre der Regierung Kaiser Josefs durch offene Empörung und Losreißung von der habsburgischen Monarchie noch mehr erschwerten.

Die Beamtenschaft, seit lange an einen gemächlichen, bequemen Schlendrian gewöhnt und im geheimen den hohen Plänen des Kaisers unzugänglich, konnte den sich überstürzenden Anforderungen des neuen Dienstes nicht folgen – und selbst strenge Strafen und Drohungen mit Amtsentsetzung waren den mangelnden Fähigkeiten und dem bösen Willen gegenüber machtlos.

Man darf übrigens dem edlen Monarchen nicht den Vorwurf machen, daß er mit einem Male das Bestehende hätte wegfegen wollen, vielmehr ging er in seinen Reformen allmählich und schrittweise vor. So führte er die Preßfreiheit zwar im Grundsatze ein, verbot aber alle unsittlichen und religionsfeindlichen Schriften, wirkte namentlich der Verbreitung von Flugschriften durch Forderung von Bürgschaftssummen und Stempelabgaben entgegen und suchte auch die Zeitungen, Theaterstücke u. a. in ihrer freien Richtung einzuschränken. Wenn er Schmähschriften gegen seine eigene Person geradezu für straffrei erklärte, so stand ihm das Beispiel Friedrichs II., der solche Pamphlete des bequemeren Lesens halber niedriger hängen und öffentlich verkaufen ließ, vor Augen, aber er übersah, daß seine Stellung keine so unbestritten feste war wie die seinem großen Zeitgenossen. Wie die Preßfreiheit, so sollte auch die Glaubensfreiheit keine unbeschränkte sein. Die katholische Religion blieb die staatlich allein anerkannte, die anderen Konfessionen waren nur geduldet, und kleineren Sekten befahl der Kaiser, in die größeren Religionsgemeinschaften einzutreten. Als er an die Aufhebung der überflüssigen Klöster ging, beschränkte er sich zunächst auf die völlig zwecklosen, weder dem Unterrichte noch der Seelsorge noch der Krankenpflege dienenden Stiftungen, sorgte für Entschädigung der obdachlos gewordenen Mönche, für die nützliche Verwendung des frei gewordenen Einkommens zur Errichtung von Schulen, Hospitälern, bäuerlichen Niederlassungen.

Die Geistlichkeit sollte, wie der weltliche Beamtenstand, ganz von ihm abhängen, darum verbot er die Bekanntmachung päpstlicher Erlasse ohne kaiserliche Genehmigung, ließ dem heranwachsenden Klerus eine einheitliche, zeitgemäße Bildung in staatlichen Generalseminarien geben und suchte den Zusammenhang der Priester mit Papst und Kurie zu beseitigen oder doch zu lockern. Wie der Volksunterricht, der dem Kaiser ganz besonders am Herzen lag, so sollte auch die Einwirkung auf das Familienleben den Geistlichen thunlichst entzogen werden; daher wurde die Ehe für eine staatliche Einrichtung erklärt und die heutige Civilehe wenigstens vorbereitet, der Gottesdienst, die kirchlichen Feste, Prozessionen etc. kamen unter die Oberaufsicht des Staates. In diesem Bestreben, auch Kirche und Klerus in den einheitlichen Staatsgedanken einzufügen, ließ er sich durch den Widerspruch des Papstes und das Widerstreben der hohen Geistlichen nicht irre machen, auch eine Reise des Papstes Pius VI. nach Wien änderte nichts an der Richtung des kaiserlichen Verfahrens. Natürlich fanden diese religiösen Neuerungen den Beifall aller Geistlichen, die von den Gedanken der Aufklarung erfüllt oder durch den Druck der Kurie in ihrer Selbständigkeit gehemmt waren, namentlich die nun besser ausgestattete und unabhängiger gestellte Weltgeistlichkeit jauchzte ihnen zu. In einem Augenblicke offener Hingebung soll sogar Papst Pius geäußert haben, er würde als Herrscher von Oesterreich auch nicht anders handeln. Widerspruch fand Kaiser Josef nur bei denjenigen Geistlichen, deren Einkünfte und Rechte im Staatsinteresse geschmälert werden mußten.

Von gleich eigensüchtigen Beweggründen war der Widerstand geleitet, den die Befreiung der schwergedrückten Bauern, die theilweise Aufhebung der Zunftrechte, die Beseitigung der grausamen Härte der Justiz bei Edelleuten, Bürgern und Beamten fand. Gerade diese wohlthätigsten Neuerungen schnitten zu sehr in das Geldinteresse und die alte Gewohnheit ein, um von den zunächst Geschädigten geduldig ertragen zu werden.

Auch hier trug Kaiser Josef den Verhältnissen Rechnung, soweit sein kaiserliches Ansehen und das Staatswohl keine Nachtheile erlitten. Der Widerstand der Ungarn gegen die neuen Justizgesetze und Verwaltungsnormen bestimmte ihn zum Maßhalten und zu einschränkenden Erlassen, selbst die Stephanskrone gab er wieder zurück. Eine gleiche Schonung der belgischen Unzufriedenen machte ihm der revolutionäre, staatsfeindliche Charakter der in Brüssel und anderen Orten auftretenden Bewegung unmöglich.

Was die letzten Jahre seiner Regierung mit Mißerfolgen und Demüthigungen erfüllte, das war seine unheilvolle äußere Politik.

Nachdem sein Plan, Bayern mit Oesterreichisch-Belgien zu vertauschen und dem habsburgischen Staate in Süddeutschland eine erdrückende Uebermacht zu gehen, an Friedrichs II. Widerstande und der diplomatischen Einsprache Rußlands gescheitert war, ging er einen unvorsichtigen und nachtheiligen Vertrag mit der russischen Herrscherin, Katharina II. ein, um dem preußischen König seine einzige Bundesgenossin zu entziehen. Der Eroberungssucht der nordischen Macht dienend, nahm er 1788 und 1789 an einem ungerechten, verlustreichen Kriege gegen die Türkei theil, während es im Innern seines Reiches, in Ungarn, gährte und in Belgien eine Niederlage der österreichischen Truppen und offene Lossagung der Unterthanen erfolgte und zugleich Preußen und England eine drohende Haltung gegen die Eroberungspläne Josefs einnahmen.

Die Strapazen des türkischen Feldzuges, der Unwille über die in Belgien erlittene Demüthigung und den Widerstand der Ungarn, die ihm Geld und Truppen zur Kriegführung versagten, warf die ohnehin erschütterte Gesundheit des edlen Fürsten gänzlich zu Boden. In dem Gefühle, daß seine hohen Entwürfe mißlungen seien, sein Leben ein verfehltes gewesen, von seinem Bruder Leopold und seinem Minister Kaunitz in den letzten Kämpfen mit körperlichen und seelischen Leiden verlassen, starb er in der fünften Morgenstunde des 20. Februars 1790.

Sein Reich hinterließ er an der Ost- und Westgrenze, in Ungarn und Belgien, im Aufruhr und in einem Kriege, der die finanziellen Kräfte des Staates zerrüttete; aber was er für das Wohl seines Volkes gethan hatte, blieb auch unter seinen Nachfolgern bestehen. Ueber seinem Grabe schlugen die Sturmwellen der französischen Revolution zusammen, die mit den gewaltthätigsten Mitteln das niederriß, was selbst der Macht eines Kaisers unbezwingbaren Widerstand entgegengestellt hatte. Die Entrüstung, welche die Unthaten des französischen Jakobinerthums später in ganz Europa hervorriefen, gab den Anhängern der alten Zustände neuen Vorwand, das Andenken des „kirchenfeindlichen“ Herrschers zu schmähen, während edeldenkende Volksfreunde ihn als „Schützer der Menschheit“ verherrlichten. In seinem Volke aber, in den niederen Schichten vor allem, draußen auf dem Land unter den Bauern, da lebte er fort als der „gute Kaiser Josef“. Ihm liehen diese einfachen Gemüther alle Tugenden einer vollkommenen Obrigkeit und eines warmfühlenden Herrn, und tausend Geschichtchen hielten sein freundliches Bild in ihrem Herzen lebendig. Sie vergaßen es ihm nicht, daß er einem von ihnen den schweren Pflug aus der Hand genommen und selber durch die harte Scholle geführt hatte. R. Mahrenholtz.