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Zur Naturgeschichte des Wilderers

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Textdaten
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Autor: Oskar von Riesenthal
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Titel: Zur Naturgeschichte des Wilderers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 272–275
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zur Naturgeschichte des Wilderers.

Vom Großvater bis zum Enkel – drei Generationen in ihrem verbrecherischen Handwerk zeigt uns unser lebensfrisches und – wahres Bild!

Mit dem Hirsch hat es ihnen geglückt: der Alte stellte sich auf dem Wechsel vor, die beiden Begleiter trieben ihm den Hirsch langsam zu; noch einige Minuten, dann ist derselbe aufgebrochen und zum heimlichen Transport fertig gemacht. Plötzlich stutzt der Wache haltende Alte; sein feines Gehör hat ihn nicht getäuscht, des Försters Hund tritt auf die Blöße und windet nach dem Schweiß des aufgebrochenen Wildes; da muß auch sein Herr in der Nähe sein – darum fertig den Stutzen und den Finger am Abzuge! Der Andere hält das Messer fest gepackt zum Stoß, und nur der Junge ist noch grün im Geschäft und sucht ängstlich beim Alten Schutz.

Klebt nicht ein ganzes Stück Romantik an dem alten wetterfesten Kerl und seinem trotzigen Thun? Gewiß, gerade soviel wie an einem „Rinaldo Rinaldini“, „Baierischem Hiesel“ und ähnlichem besungenem Ungeziefer; aber das waren ja Räuber und Mörder!

Nun, und der Alte hier?! Wozu schlägt er denn mit dem Stutzen an? Etwa nur, um dem Förster einen guten Morgen zu bieten?!

Gerade diese romantischen Darstellungen und Schilderungen sind es, welche das große Publicum über die wahre Wesentlichkeit, die „Naturgeschichte“ des Wilderers täuschen und nicht selten sogar eine gewisse Sympathie hervorrufen; auch die malerische Gebirgstracht und das charakteristisch geschnittene Gesicht des Bergbewohners muß herhalten, denn noch nie sah ich einen Wilddieb „aus dem Osten“ mit langem Kittel und entsprechendem Gesichtstypus zu belletristischen Zwecken abgebildet; mit solchem ist kein Staat zu machen, er fesselt nicht und verdirbt den Effect, die ungeschminkte Thatsache tritt zu grell an ihm hervor – höchstens könnte er das Lied vom „armen Mann“ illustriren, dem die Noth und Verzweiflung, sich und den Seinen das Leben zu fristen, das Schießgewehr in die Hand drängen, während der Andere die Sippe derer vertritt, welchen eine angeborene Jagdpassion keine Ruhe läßt, dem das Schweifen durch Wald und Flur Lebenselement ist und dem schließlich, wenn er seiner Leidenschaft zum Opfer gefallen ist, ein gewisses Mitleid wie einem tragischen Helden folgt.

„Wie kann man so hart mit einem Mitmenschen verfahren, der sich doch nur an Thieren vergriffen hat, die der liebe Gott für Alle schuf? wie darf man ein Menschenleben gegen das eines Hirsches bedrohen oder gar nehmen?!“

Wahrlich zu Thränen könnten Einen solche humanistische Ergüsse rühren und den pflichttreuen Forst- und Jagdbeamten zu einem wahren Scheusal stempeln, wenn die Sache eben so wäre; aber sie ist nicht so, und wir hoffen mit Folgendem den Beweis dafür zu erbringen.

Gewiß giebt es in der großen Schaar der Wilderer hin und wieder Einen, welcher, sonst unbescholten, von der bittersten Noth gedrängt, sich ein Stück Wild zueignet, um den Hunger zu stillen, oder welcher der Jagdlust nicht widerstehen kann, wenn sich ihm eine günstige Gelegenheit bietet; die Vertreter dieser beiden Classen von Wilddieben sind Gelegenheitsdiebe und weder dem Wildstande noch dem Beamten ernstlich gefährlich, sie weichen dem Letzteren geflissentlich aus, und es giebt Beispiele, daß solche vom Jagdteufel besessene Individuen, wenn und so lange die Möglichkeit mit ihnen anzuknüpfen vorhanden war, zu retten waren. – So erinnere ich mich eines durch seine Jagdleidenschaft gänzlich heruntergekommenen Müllers, welchem man gleichwohl eine gewisse Ehrenhaftigkeit nicht absprechen konnte; er hatte nachweislich ein Mutterwild geschossen, sich den Beamten nicht ernstlich widersetzt und bei diesen dadurch eine gewisse Sympathie erregt, welche schließlich

[273]

A. NEUMANN X. A., Al. Toller sc.
Der Wilderer.
Nach dem Oelgemälde von M. Correggio.

[274] auch auf den Grundherrn überging, sodaß er ihn versuchsweise als Heger anstellte, in welchem Amte er so treue Dienste leistete und den Wilddieben, deren Kniffe er selbstverständlich aus dem Grunde kannte, so gefährlich wurde, daß aus dem Wilddiebe ein geachteter und sehr erfolgreicher Jagdbeamter erstand.

Aber das sind seltene Ausnahmen, Diamanten unter Kieseln; das Hauptcontingent sind die handwerksmäßigen Wilddiebe, jene gemeingefährlichen Verbrecher, welche ihre Sache auf Nichts gestellt und dem Gesetze Krieg bis auf’s Messer geschworen haben. – Häufig lernen die Jungen das Handwerk von den Alten, wie unser Bild an dem würdigen Kleeblatte zeigt, oft auch erfaßt sie die gefährliche Neigung ganz von selbst und schwer erklärlich; so stahl der Sohn eines höchst achtbaren Dorfküsters, in welchem Letzteren sicher keine Spur von Jägerblut erfindlich war, Orgelpfeifen aus der Kirche, goß sich Kugeln aus jenen und schoß damit Wild, für dessen Erlös er sich weiter ausrüstete, einer der gefährlichsten Wilderer, der endlich mit durchschossener Brust im Walde liegend gefunden wurde.

In den meisten Fällen kann man diesen verderblichen Hang schon am Knaben erkennen. Munter und gewitzigt, zeigt er Neigung zum Umherschweifen in Wald und Feld, aber entschiedenen Widerwillen vor einer dauernden regelmäßigen Beschäftigung, sieht mit der Begehrlichkeit einer Katze Vögeln und Hasen nach und ist im Sprenkelstellen weit sicherer, als im Schreiben und Lesen; mit dem Knaben, welcher am gefangenen Vogel Freude zeigt, ihn hegt und pflegt, steht es keineswegs schlimm – das tut aber der Wilddiebslehrling nicht, er behandelt ihn hart, sucht ihn zu verhandeln oder sonstwie zu verwerthen, freut sich des gelungenen Fanges, aber nicht des Vogels, und läßt ihn verkommen, wenn sich keine Verwerthung bietet, quält ihn auch wohl gar.

Solch verheißungsvoller Bursche findet nun leider gar bald seinen Lehrmeister, einen ausgelernten Wilddieb, welcher mit ihm anknüpft, ihn ermuntert, nach Wild auszuspähen und ihm die Fundstellen mitzutheilen, ihn mit hinaus nimmt, über Fährten und Spuren belehrt, denselben auch als Treiber benutzt und dabei die Seele des Knaben oder des Jünglings mit Haß gegen die betreffenden Beamten erfüllt, welche dem armen Mann nichts gönnen, aber nach dem Leben trachten, und endlich spielt er den letzten Trumpf aus, indem er ihm einen kleinen Antheil aus dem Erlös des geschossenen Wildes giebt und zu einem Gewehr verhilft.

Damit ist nun in der Regel dessen Schicksal besiegelt, er wird ergriffen, zum ersten Male verurtheilt und kommt mit rachevollem Herzen aus dem Gefängniß zu seinem Treiben zurück; er weiß, daß eine zweite Verurtheilung härter ausfällt, denkt mit Schrecken an die Gefängnißzeit zurück und wehrt sich daher auf’s Aeußerste vor ihrer Wiederholung; aber was thun? Arbeit will er nicht, bekommt er auch nicht; die besseren Gemeindeglieder meiden ihn, das Geschäft geht schlecht, er leidet Noth, – da erfaßt ihn tödtlicher Haß gegen seine Widersacher, gegen Alles, was sich ihm entgegenstellt, gegen das Wild, weil es sich nicht schußmäßig ankommen läßt – gegen Gott und die Welt, er stellt seine Sache auf Nichts – „Ihr oder ich!“ ist sein Wahlspruch!

Traurig sieht es um seine Familie aus, um Haus und Hof – da wohnt er in der verfallenen Hütte, der verkommene Mensch, dessen Weib dahinsiecht und dessen Kinder betteln gehen! So lange er noch zuzusetzen hatte, behandelte er seine Familie wenigstens erträglich, als aber Alles verkauft, verpfändet und aufgezehrt war, und er bei erfolgloser Heimkehr, mit Gott und der Welt hadernd, Nichts zu essen fand, da schlug er das arme Weib und die hungernden Kinder und warf sie zur Thür hinaus! Hatte er ein Stück Wild geschossen, so mußte er es meilenweit zum Hehler tragen, um den halben Werth dafür in Empfang zu nehmen, und kam er endlich, schwer angetrunken, in seine Hütte zurück, so langte der Rest des Erlöses nicht für die schreiendsten Bedürfnisse; er selbst brauchte Geld zu Pulver, Blei und Draht für neue Schlingen zu seinem verruchten Gewerbe, und wenn er wieder davon schlich, mußten die Kinder in’s Dorf zum Betteln!

Der Wilddiebstahl vermittelst Schlingen ist eine Specialität dieses verruchten Gewerbes und stammt aus Frankreich; die Schlingen sind von starkem, geglühtem oder schwachem, mehrfach zusammengeflochtenem Draht und werden auf den Wechseln (wo das Wild zu gehen pflegt) an starken Zweigen oder an Stämmchen so angebracht, daß das Reh oder der Hase beim Hindurchgehen, respective Kriechen, durch Zuziehen der Schlinge sich fängt. Geschähe dies immer am Halse und zöge sich die Schlinge immer regelrecht zu, so wäre in Folge schnellen Erstickens wenigstens keine Quälerei damit verknüpft, so aber fängt sich das Reh meist am Hinterleibe und geht nun den gräßlichsten Qualen entgegen. (Eine solche empörende Scene hat Guido Hammer im Jahrgang 1882, S. 647 der „Gartenlaube“ in Bild und Wort dargestellt.)

Einmal hörte ein Beamter ein Rehkälbchen jämmerlich klagen und glaubte es in der Gewalt eines Raubthieres, gewahrte zu seinem Erstaunen aber auf der Stelle, von der die Töne kamen, einen Mann, der Etwas im Arme hatte; der Krimstecher belehrte ihn, daß diese Bestie in Menschengestalt ein gefangenes Kälbchen auf die brutalste Weise quälte, um durch die Klagetöne dessen Mutter zum Schuß herbeizulocken, zu welchem Zweck er das Gewehr schußfertig im Arm trug; vor dem Geschrei hörte er den heranschleichenden Rächer nicht: beim Handgemenge entlud sich das Gewehr des Försters und zerschmetterte dem Wilderer den rechten Arm.

Auf den Kampf mit solchen Elementen muß der pflichttreue Beamte stets gefaßt sein, welche an Landesgrenzen oder in Gegenden mit großen Hütten- oder ähnlichen industriellen Werken besonders gefährlich werden; dort thuen sich die Wilderer häufig in Rotten zusammen, und wehe dann dem Beamten, der in ihre Hände fällt!

In solchen Jagdrevieren befindet sich der Beamte stets auf dem Kriegspfade, ist aber noch viel schlimmer daran , als der Krieger im Felde; hat dieser sich hervorgethan, sb harren Ehrenzeichen seiner, und das Publicum jauchzt ihm zu! – er kämpfte Schulter an Schulter gegen einen offenen, sichtbaren Feiud! – Hat der Beamte seine Pflicht erfüllt im Kampfe gegen ein Geschöpf, welches ihn hinter Baum und Busch im Hinterhalt bedroht, oder gegen eine ganze Bande – er, ganz allein, verlassen von aller Hülfe – dann hat er noch eine strenge, gerichtliche Untersuchung zu erwarten, deren Berechtigung zwar nicht unterschätzt werden darf, die aber wahrlich auch keine Annehmlichkeit ist. Der Wilderer hat seine Sache auf Nichts gestellt, der Beamte hat Weib und Kinder zu ernähren – soll er warten, ob es Ersterem gefällig ist, diese zu Wittwe und Waisen zu machen?

Der Kampf zwischen Wilderern und Beamten ist stellenweise, so an der schlesisch-böhmischen Grenze, besonders aber in Oberschlesien, mit einer Grausamkeit von Seiten der Ersteren geführt worden, welche an die Kämpfe zwischen Rothhäuten und Weißen in Nordamerika erinnert. In Oberschlesien wurde ein Förster vermißt – alles Suchen war vergeblich; da bemerkten Hirtenjungen, daß ihre Schweine emsig an einem Ameisenhaufen schafften, und fanden, als sie herbeikamen, ein Paar in Stiefeln steckende Menschenfüße hervorragen. Entsetzt rannten sie nach Hülfe, und man zog – am fünften Tage – den von Wilddiebshand festgeknebelten, in diesen Ameisenhaufen geworfenen Förster noch lebend heraus, der aber bald seinen Geist aufgab. Ueber den vermuthlichen, auch mir persönlich sehr wohl bekannten Thäter herrschte nur eine Stimme, und doch konnte man ihm nicht beikommen; später, bei einem Mordanfall ergriffen, gestand er im Zuchthause die grausige That ein.

Ein anderer berüchtigter Wilddieb war aus dem Zuchthause nach langer Haft entlassen; seine erste That auf freiem Fuße war ein Schuß durch das Fenster in des Försters Wohnstube, wo dieser mit seiner Familie beim Abendbrod saß; die Kugel fuhr dicht an der Schläfe eines dreijährigen Kindes vorbei, ohne das beabsichtigte Verderben anzurichten. – Nach vier Wochen wurde der Raubschütz im Nachbarreviere erschossen gefunden; der Kampf artete in Blutrache aus – „Alle für Einen“, hieß es hüben und drüben.

Wollen wir weiter blättern in dem schwarzen Buche? – Ich denke, wir haben der Beweise genug und klappen es zu! Hat man in allerjüngster Zeit von solcher Grausamkeit auch nichts gehört, so ist leider doch festzustellen, daß die Giftpflanze des Raubschützenwesens nach wie vor wuchert und noch lange wuchern wird.

Zum Schluß ein Stücklein echten Galgenhumors und unvergleichlicher Wilddiebsfrechheit. – Ein Jagdonkel aus der Residenz hatte sich kürzlich bei schönem Mondschein in seinem Pachtjagdrevier auf Hirsch, Schwein, Reh und sonstiges Wild angesetzt und harrte der kommenden Ereignisse. Er hört Schritte und macht sich fertig – auf die Bildfläche tritt aber kein Wild, sondern ein großer, breitschulteriger Kerl mit einem Rehbock auf dem Rücken und stellt sich breitspurig vor ihn hin:

[275] „Wollt Ihr fünfzehn Mark geben, da laß ich Euch den Bock gleich hier und Ihr könnt ihn Muttern mitnehmen – kriegt sonst doch keinen!“

Im Mondlicht erkannte der also Angeredete einen bekannten Wilddieb aus der Gemeinde, von der er die Jagd gepachtet hatte, der Bock war natürlich in seiner Jagd frisch geschossen; verblüfft über solche bodenlose Frechheit hatte er noch keine Worte gefunden, als der Wilderer mit seiner Beute schon an der nächsten Waldecke verschwunden war.

O. von Riesenthal.