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Erinnerungen aus meinem Leben (Friedrich Hecker)/2

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hecker
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Titel: Der Hexenmeister der Prairie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 313-314
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
1. Wie die geheimen Wiener Conferenzbeschlüsse an das Tageslicht gezogen wurden
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[313]
Erinnerungen aus meinem Leben.
Von Friedrich Hecker.
2. Der Hexenmeister der Prairie.

Die herrliche wellenförmige Prairie mit ihrer wechselnden Blumenpracht, ihren rothschimmernden, von der Natur angelegten Erdbeerplätzen, dem im Winde gleich Wellen des Oceans wogenden Grase, ihrem Wildgeflügel und zahlreichen Heerden wohlgenährten Viehes, – sie lebt nur noch in der Erinnerung. Wo als Landmarke „der einsame wilde Kirschbaum“ stand, prangt ein Obstgarten voll saftiger Pfirsiche und prächtiger Aepfel; reiche Getreidefelder wogen, wo ehedem Abzuggräben gezogen waren, Wasservögel brüteten, und Reben bedecken den Hügel, welchen eine knorrige, dornige Gleditschie besetzt hielt. Welche Wandlung in zwanzig Jahren! Farm an Farm. Lauter Deutsche! Man kann weit herumziehen, ohne genöthigt zu sein sich des Englischen zu bedienen. Die jüngere Generation spricht beide Sprachen mit gleicher Leichtigkeit, und an ihr sind die Dialecte des deutschen Heimathlandes kaum mehr erkennbar. Englische Worte sind germanisirt eingemischt, obwohl nicht in dem Maße wie in den alten pennsylvanischen Niederlassungen, wo Einer im Stande ist, seiner Frau zu sagen: „Harriet, Du muscht Dei Gaun mende lo“ (Henriette, Du mußt Dein Kleid flicken lassen). Immerhin aber berührt es den Neuangekommenen, auch im Westen, ganz eigenthümlich, wenn er z. B. hört: „Ihr nehmt die Road (Weg) links, stoppt (haltet) an dem Store (Kaufladen), wartet bis Euer Bridle (Zügel) im Sattlershop (Werkstätte) gefixt (ausgebessert) ist, und dann trävelt (reist) Ihr gemächlich und könnt unterwegs in der Grocerie (Schenke) einen Drink (Trunk) nehmen, ehe Ihr an den River (Fluß) kommt und auf der Ferry (Fähre) übersetzt.“ Es wiederholt sich hier ein Sprachbildungsproceß, welcher eine tiefe Einsicht in die Geschichte der Ausbildung der modernen Sprachen besonders des Englischen und Französischen, gewährt.

Das in der Erinnerung schwebende Bild der wilden Prairie ruft mir eines der drolligsten Erlebnisse zurück. Es war jener furchtbar heiße und dürre Sommer des Jahres 1854; die kleineren Flüsse und die Bäche waren nur noch elende Rinnsale, die meisten Brunnen versiecht, viele Meilen weit mußte das Vieh getrieben werden, um es vor dem Verschmachten zu bewahren, zahlreich lag es dennoch verschmachtet auf der Prairie. Einzelne Farmer zogen mit ihren Haustieren an den Fluß und campirten in Nothhütten. Vom 16. Mai bis 26. October fielen nur unbedeutende Schauer; seit Menschengedenken hatte man sich keiner solchen Hitze und Dürre erinnert; die Arbeit war hart erschöpfend. Da band eines Sonntags ein mir bekannter Farmer W. sein Pferd an den Eichbaum im Hofe und nach der Begrüßung sah er neugierig auf die Bücher, in welchen ich eben gelesen hatte. Es waren Horst’s „Zauberbibliothek“ und die „Dämonologie“. Der Mann sah mit Verwunderung die entfalteten Zeichnungen der Zauberkreise, der kabbalistischen Figuren an und fragte, was ich da für sonderbare Bücher habe. „Das sind Zauberbücher,“ entgegnete ich, und mich an seiner ängstlichen Neugier weidend, fuhr ich fort: „Hier ist Dr. Faust’s großer und hier ‚der kleine spanische Höllenzwang‘, mit Letzterem kann man den Teufel aber nur zwingen, blos 333333 Ducaten zu liefern, aber wenn man nicht Alles recht macht, so bringt er Nichts“ – „oder,“ fiel er ein, „dreht einem das Genick herum.“ Hierauf las ich ihm einige der Zauberformeln vor, wobei ihm offenbar nicht wohl zu Muthe ward.

Ich ließ mich nun eines Weiteren über die Verirrungen des menschlichen Verstandes, über den im Volke herrschenden Aberglauben, das Unsinnige, Absurde, Verderbliche desselben aus und demonstrirte ihm vor, wie Aufklärung und Wissenschaften den düstern Kram großentheils weggefegt hätten und hoffentlich bald den letzten Rest vertilgt haben würden. Da erzählte er mir einige wunderbare Geschichten, die er von „andern Leuten“ gehört habe, welche solche ebenfalls von Anderen gehört hatten, und schloß auf gut Pfälzisch: „Lieber Herr, es is halt so, nix Gewisses weeß mer nit. Sehen Sie,“ fuhr er nach einer Pause fort, „draußen beim Gottlieb F. geht’s um, jede Nacht klopft’s, rumort’s, kratzt’s am Hause, auf dem Dache, zieht’s den Leuten das Bett weg, wirft mit Hafer und kleinen unreifen Pfirsichen, kitzelt sie im Gesicht, kurz es geht ein Geist im Hause um, und die Leute sind gar zu elend und krank von dem Geisterspuk.“

Da riß mir denn doch die Geduld. „Wenn Ihr nichts Gescheidteres habt mit in dieses Land bringen können, als die kolossalen Eseleien und Dummheiten, den unsinnigen Hexen- und Geisterkram, so wäre es besser gewesen, das Meer hätte Euch verschlungen. Ich weiß, wann das F.’sche Haus gebaut wurde, wer es gebaut hat, der Erbauer lebt noch, es ist ein neues Haus, als eine neue Ansiedelung hat es F. erkauft; zum Henker! wo wollt Ihr denn da irgendwie einen Geist hernehmen, der darin sein Wesen treiben soll?“ Alle Vernunftgründe und Auseinandersetzungen schienen wenig zu verschlagen und Alles bei ihm in dem „nix Gewisses weeß mer nit“ zu gipfeln. Ich beschränkte mich endlich darauf, ihn auszufragen, ob außer der F.’schen Familie noch irgend Jemand in dem Hause verweile, und erfuhr, daß eine Familie von „Grünen“, so pflegt man die neuen Einwanderer zu tituliren, Bekannte F.’s aus der alten Welt, ein Unterkommen daselbst gefunden, bis sie für sich eine Heimath gewählt haben würden, die Söhne aber sich an Nachbarfarmer verdingt hätten. Nun hatte ich den Faden, fragte genau Alles, was die Einwanderer betraf, aus, ermittelte, daß sie selbst gern den F.’schen Platz erwerben möchten, und setzte dem W., wie später dem F. auseinander, daß der ganze Spuk darauf angelegt war, dem Letztern die Farm zu verleiden und ihn zum Losschlag zu bestimmen. Zur Vergrößerung und Erweiterung der Geistergeschichte trug noch besonders bei, daß ein dem Whiskey sehr ergebener Amerikaner und ein gleichdurstiger [314] Schmied, als sie in halb- oder dreiviertelseligem Dusel das Geisterhaus besuchten, um sich von der grausen Mär zu überzeugen, vor dem Klopfen und dem Scharren und dergleichen Dingen so erschraken, daß sie eiligst die Stiege hinabstolperten und mit Steinwürfen regalirt wurden, geschleudert, wie sie versicherten, von Geisterhand, da meilenweit auf der Prairie keine Steine zu finden sind.

Fast hatte ich die ganze Geschichte vergessen, als gegen Abend ein Knabe, Sohn des F., eintrat und mir sagte, Vater, Mutter und er selbst seien krank und ganz herunter. Bei Tage die schwere Erntearbeit und dann keine Nachtruhe, da regelmäßig zur Geisterstunde der Spuk losgehe und, obgleich sie todtmüde, an Schlaf nicht zu denken sei. Die Eltern ließen mich um Gotteswillen bitten, ihnen zu helfen, den Geist zu bannen. Der W. habe ihnen gesagt, ich könne Alles und sei der einzige Mann in Amerika, der ihnen helfen könne. Anfangs wurde ich fuchsteufelswild über die Stupidität; allein die ganze Zumuthung war so komisch, der Junge sah so elend aus und bat so dringend und flehend, daß ich ihn, nachdem ich ihn über Verschiedenes noch ausgefragt hatte, mit dem Bescheide abfertigte, ich würde kurz vor elf Uhr Nachts dort eintreffen, das solle er seinen Eltern im Geheimen, aber ja sonst Niemandem mittheilen, sonst gehe es ihm schlecht. Der Junge athmete tief auf und ging.

Nun rief ich meinen Arbeiter (Knecht) Landolin S., meinen Neffen Otto und setzte ihnen, sowie meinem Freunde H. v. V., welcher die Expedition mitmachen wollte, auseinander, daß der Geist solle erlöst werden, zu welchem Behufe sie drei saftige Hickory-Bengel schneiden und sich bereit halten sollten. Ich selbst schnitt eine Haselruthe mit einer Gabel, decorirte sie durch theilweise Entfernung der Rinde mit Figuren gar absonderlich anzuschauen, hing mein Jagdhorn unter den Rock, steckte den Revolver in die Tasche, nahm ein 1646 gedrucktes Corpus juris canonici von ehrwürdigem schweinsledernem Aussehen, groß Quart, zur Hand, und der Marsch in die Prairie nach der über zwei Meilen entfernten F.’schen Farm wurde angetreten. Meine Begleiter waren voll Jubel und Muthwillen. Sie erhielten die Instruction, sich in einiger Entfernung vom Hause, im Prairiegrase versteckt zu lagern, sobald sie aber drei Stöße meines Jagdhornes vernähmen, im Geschwindschritte herbeizukommen und mit ihrer Handvoll ungebrannter Hickory-Asche die Geister, welche ich ihnen bezeichnen würde, windelweich auszutreiben. Luftsprünge vor Vergnügen!

Mit Würde und Salbung betrat ich das Haus; verblüfft sehen mich die „grünen“ Gäste an; die Hausfrau wollte in Redefluß gerathen – „Still!“ sie schwieg.

„Herr F.,“ begann ich, „Sie haben mich bitten lassen, Sie von dem bösen Geiste, der im Hause spukt, zu befreien!“

„Ja, Herr.“

„Wenn ich Ihnen Ruhe verschaffen soll, so muß ich in Ihrem Hause volle, unbeschränkte und unbedingte Gewalt über Alles, was lebt und nicht lebt, haben; wenn ich mit Stricken knebeln und mit Ketten fesseln will, muß mir dieses ohne Widerrede und Widerstand zustehen. Wollen Sie mir diese volle Gewalt einräumen?“

„Ja, Herr.“

Hier wollte das alte Weib des „Grünen“ etwas drein sprechen, da es ihr offenbar ein wenig unheimlich ward.

„Still,“ herrschte ich, „hier rührt sich Niemand, hier spricht Niemand, mein ist alle Gewalt. Stellen Sie den Tisch in die Mitte des Zimmers und mehrere Lichter darauf,“ befahl ich, während ich die Thür abschloß. Es geschah. Nun ordnete ich die Lichter auf dem Tische, legte das alte Corpus juris in die Mitte, den Revolver rechts, die Ruthe links. Die sämmtlichen Anwesenden mußten sich in einer Reihe auf eine Bank an der Wand gegenüber setzen. Jeder Versuch zu reden wurde mit ‚Still!‘ niedergeworfen. Aengstlichkeit auf den meisten Gesichtern. F. und seine Frau schienen allein erleichtert, und die Hoffnung, die bisherige Qual loszuwerden, stand deutlich auf ihrer Stirn. Nun schlug ich auf’s Gerathewohl das Buch auf. Decr. Greg. Liber II. Tit. XVI. ut lite pendente nihil innoveatur lag vor mir. Es kostete mich heillose Mühe, nicht laut aufzulachen und meine Salbung zu bewahren, als mir die alte Proceßvorschrift entgegenstarrte. Jede Maus hätte man laufen hören. Nun schaute ich ernst nach der Decke des Zimmers und bewunderte, was da oben für Allerlei hing. Dann nahm ich den Stab (die Ruthe) in die Hand und las Capitel I., blickte dann feierlich nach einer Ecke, wo ein alter Kittel hing. Dann nahm ich eines der Lichter, ging um den Tisch, trat zu der Reihe der Sitzenden, leuchtetete Jedem einzeln in das Gesicht, fixirte ihn starr und scharf, besonders den ‚alten Grünen‘ M. und Frau Gemahlin. Sie konnten den Blick nicht aushalten. Dann untersuchte ich die Schädel der Anwesenden, wie Phrenologen thun. Als ich den Schädel des ‚alten Grünen‘ M. untersucht hatte, trat ich rasch einen Schritt zurück, noch einmal vor, fixirte ihn scharf und rief aus: „Der ist’s, der ist’s. Herr F., der Mann und seine ganze Sippe müssen, sobald der Tag graut, aus Ihrem Hause, weg von Ihrer Farm, weg aus der Nähe, so weit wie möglich, ohne Widerrede, ohne Verzug, sonst bürge ich für Nichts. Daß sie aber abziehen werden, dafür verlassen Sie sich auf mich; beim geringsten Widerstreben sollen sie mich kennen lernen und es mit Schrecken bereuen.“

Sofort schritt ich zur Thür, indem ich mein Jagdhorn unter dem Rocke hervorholte, öffnete und dreimal in’s Horn stieß. Da stürzten auch schon meine Begleiter herein, bereit eine grün-gelb und blaue Suppe einzubrocken. Es war nicht nöthig.

„Alle Lichter aus! Still! Alle zu Bett!“ lautete das Commando. Es geschah. Ich blieb am Tische, zündete ein Licht an, setzte mich und las in der alten Scharteke.

Um ein Uhr rief ich F’s. „Es ist Eins vorbei; der Hahn hat gekräht, Sie sehen, mit dem Geiste ist’s auch vorbei.“ Nun theilte ich den F.’schen Eheleuten nochmals meine Ansicht über die Ursache des Spuks mit, bestand auf der sofortigen Entfernung der M.’schen Sippschaft, erklärte ihnen, welches Späßchen ich mir erlaubt und warum; sie dankten mir herzlich und sagten: „Wir wußten wohl, daß Sie uns Ruhe verschaffen würden.“

Der Geist war erlöst. Das Klopfen, Kratzen, das Scharren am Hause und auf dem Dache hatten offenbar die bösen Buben des M., die im Complote und in der Nachbarschaft waren, mit Haken und anderen Werkzeugen, an Stangen befestigt, bewerkstelligt; das Wegziehen der Bettdecke geschah mittelst einer krummgebogenen Nadel und feiner Schnur, das Werfen in der Dunkelheit von den alten M.s mit verstecktgehaltenem Material. Die Betheiligten dieses Vorganges sind größtentheils noch am Leben. Zu jeder Ernte wurde bei F.s die Geschichte in erneuerter, vermehrter und verbesserter Auflage erzählt.

Als ich später auf einer Jagdexcursion in einer Schenke auf der Prairie einkehrte, um zu ruhen und mich etwas zu erfrischen, fiel mir die Heiterkeit, das Schmunzeln und Lächeln, das halbunterdrückte Kichern der anwesenden Leute auf, deren Blicke nach mir gerichtet waren. Ich fragte den Wirth um die Ursache. Nach einigem Zögern sagte er. „Als Sie in Sicht kamen, sagte Einer: ‚Eben kommt der Hexenmeister unserer Prairie.‘“