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Genovefa

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Textdaten
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Autor: P. K. Rosegger
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Titel: Genovefa
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 305-311
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[305]
Genovefa.
Geschichte aus dem steirischen Oberlande.
Von P. K. Rosegger.

Am südlichen Abhange des Grübnergehölzes brennt der Wald. Er brennt schon Tage lang und im engen Gebirgskessel liegt so dichter Rauch, daß man von einem Berg kaum auf den andern sehen kann. Stechender Brandgeruch erfüllt das Thal; die Sonne ist eine rothe Scheibe und man vermag sie den ganzen Tag anzusehen. Schon von weitem hört man das Schnalzen und Knistern der brennenden Bäume und das dumpfe Dröhnen der fallenden Stämme; das sprüht dann zeitweise durch die dunkelbläulichen Rauchwolken hochauf, bis die Flammen und Funken in neuem, frischem Geäste wieder Nahrung finden. Dazwischen hört man das Schreien und Fluchen der Männer, welche da sind, um dem Brande Einhalt zu thun. Die Leute aus der ganzen Gegend sind beisammen, denn es droht ein fürchterliches Unglück.

Der Wald ist groß, er gehört theilweise einzelnen Bauern, die aus Holzkohlen ihren einzigen Erwerb ziehen; theilweise ist er Gemeingut des Dorfes, das davon alle Gemeindekosten bestreitet. Weit zieht sich das herrliche, dunkelbraune Gehölz hin über Hänge und Höhen bis gegen das stattliche Dorf hinein, welches auf der Breitebene liegt und seine silberweißen Schindeldächer und sein zinnblechernes Kirchthurmdach weit in die Gegend hinausschimmern läßt. Anfangs hatten die Einwohner vor dem Feuer das Gestrüpp und Gesträuch weggeräumt, aber die Flammen griffen höher, sie griffen zu den dichtbemoosten Stämmen und deren Kronen empor, welche die glühende Sonne schon seit Monaten getrocknet und gedörrt hatte. Da machten sich die Leute wohl an das Fällen und Abstocken, aber das Feuer folgte ihnen auf dem Fuße und Rauch und Hitze zwangen sie zum Einhalten.

„Wenn bis übermorgen kein Regen kommt, so ist der ganze Wald und auch das Dorf verloren!“ jammerten Viele, und man war rathlos.

Der Greßbacher war der Einzige, der nicht den Kopf verlor. „Den Grübnerwald müssen wir aufgeben,“ rief er, „aber das Dorfholz ist noch zu retten. Dort vom Ankogel hinab müssen wir abgrenzen. In zwei Tagen haben wir einen mehrere Klafter breiten Strich entstockt, und vor dieser Zeit kommt das Feuer wohl nicht dort hinüber!“

Und so ließen sie im Grübnerwalde den Gluthen und Flammen freien Lauf und arbeiteten nun am Ankogel. Der Grübner, der unten im Thale jenseits des Baches ein Haus hatte, war ein rasender Mann. Er steht am Zaun und muß zusehen, wie dort oben sein ganzer Wohlstand zu Grunde geht. Und wie der Mann so dasteht, derb, rauh und knorrig von oben bis unten gleich einer der wilden riesigen Hochwaldfichten, die dort drüben brennen, da kann man es in seinen Augen und Zügen sehen, daß auch der Grübner ein brennender Baum ist, der aber inwendig glüht und lodert, wie wenn der Blitz in ihn gefahren ist.

Vor vier Tagen war es gewesen, am Samstag spät Abends. Der Bauer schlief schon und Alles war ruhig im Hause. Da schlägt es plötzlich an’s Fenster, daß die Scheiben klirren, und ein Knecht, der alte Gregor, ruft herein: „Bauer, Bauer, der Wald brennt!“

Der Grübner fährt auf – das ist ja wie am helllichten Morgen, und wie er seine schlaftrunkenen Augen durch das Fenster gegen den Wald wendet, da muß er sie niederschlagen, so grell loht es auf drüben im Gehölze. Sie gingen zu retten, aber da zog ein heißer Luftstrom durch die Bäume, und als am Morgen die Sonne kam, war sie nur eine glanzlose hellrothe Scheibe. Seitdem brennt es und seitdem hat der Grübner keinen Bissen zu sich genommen. Gearbeitet hat er mit den Anderen Tag und Nacht und dem Feuer geboten: „Du mußt auslöschen!“ Aber das Feuer erlosch nicht. Das waren nicht dieselben Flammen, die daheim auf dem Herde knisterten und ihm Wärme und nahrhaftes Brod bereiteten, das waren böse, unheilvolle Feuerfluthen, aus der Hölle hervorgebrochen, um ihn, den Grübner, zum Bettler zu machen. Und als gar die Leute ihre Arme sinken ließen und nur an den Gemeindewald dachten, da fluchte er über die Menschen und raufte sich die grauen struppigen Haare, als wollte er damit das Moos von den Bäumen zausen – und er schlug sich die Faust in’s Gesicht, daß das Blut niederfloß aus Nase und Mund. „Wenn nur Gott helfen kann,“ schrie er auf, „warum thut er es nicht, warum läßt er mich, den fleißigen arbeitsamen Grübner, jetzt zum Bettler werden?! Bub’!“ rief er seinem zwölfjährigen Sohne in’s Ohr. „So ist dieser Gott und so sind diese Leute; jetzt siehst Du’s, so sind sie!“

Der Pfarrer war gekommen und wies ihn ob solchen Frevels derb zurecht.

„Wo ist der Gregor?“ rief der Bauer.

Der Gregor war noch beim Feuer, und als sonst kein Mensch mehr dabei arbeitete, hackte er noch die Aeste von den Stämmen und schleppte sie abseits. Rastlos eilte er durch Gestrüpp und Rauch. Seinen Lodenspenser hatten die Funken bereits durchlöchert und seine langen weißen Haare waren gekraust und roth geworden. Vorgestern war er in seiner Noth beim Caplan zur Beichte und [306] seitdem geht er nicht mehr weg von der Brandstätte, bis das Feuer gelöscht ist.

„Und wenn mein Wald hin sein muß, so soll auch das Gemeindeholz brennen und das Dorf und die ganze Welt!“ schrie der Grübner. Er lachte, als gegen Abend ein starker Luftzug kam und als gar einzelne Windstöße das Feuer doppelt auffachten und die flammenden Reiser hoch über die Wipfel dahintrugen gegen den Gemeindewald und das Dorf. Die Sonne sah man nicht mehr und im Thale war es ganz dunkel geworden. Nur die grellen Flammen leuchteten noch, aber das war heute kein ruhiger Schein, wie in den früheren Nächten, es war ein Flackern und Wogen und über die Felder und Auen flogen die finsteren Schatten des gepeitschten Rauches dahin. Wild toste der Sturm, die Gebäude ächzten und das Prasseln der Flammen war schrecklich zu hören. Jetzt ließen die Arbeiter ihre Aexte sinken und eilten dem Dorfe zu, um dort zu retten, was noch zu retten war. In wenigen Stunden schon konnte sich das Flammenmeer über den ganzen Wald ergossen haben und an die Dächer des Dorfes schlagen.

Da loderte aus dem schwarzen Abendhimmel ein Blitzstrahl nieder und diesem folgte ein erschütternder Donnerschlag und ein heftiger Regenstrom. Das rauschte nieder wie ein Wolkenbruch, und bald schossen Gießbäche den Thalweg entlang und brausten um Haus und Stall und hinab über den Hang. Um Mitternacht war Alles ruhig und heiter und der Vollmond schien in das Thal und aus den Schluchten stiegen schneeweiße Nebel auf. Aller Rauch und Brandgeruch war fort und der Waldbrand war gelöscht. Am Morgen lagen im Grübnerwald zwischen den schwarzen Strünken nur dampfende Brände, und über den ganzen weiten Hang hin lohte keine einzige Flamme mehr. Freilich waren über zwanzig Joch des herrlichsten Stammholzes verloren, aber noch mehr war dem Grübner wider Erwarten davon erhalten geblieben. Und weil das nun einmal so war, so ergab sich der Bauer drein, ließ sich wieder seine Morgensuppe schmecken und machte dabei Pläne, was mit dem ausgebrannten Waldgrund nun weiter zu thun sei.

Genovefa, die Stallmagd, schaffte in der Futterkammer, fütterte die Kalben, molk die Kühe und trieb sie endlich aus und aufwärts gegen das Hochfeld zur Weide. Die Magd war unstät und blickte rechts und links, und als sie zur Höhe kam, stieg sie auf die Kreuzwand, blickte ringsumher und horchte. „Gregor!“ rief sie dann. Aber das gab heute keinen lustigen Wiederhall vom Walde herüber wie sonst, wenn sie ein Lied sang und die Kühe bei ihren Namen rief; jetzt steht ja kein einziger lebendiger Baum mehr drüben – Alles verbrannt, verdorben. „Gregor!“ schrie sie wieder. Nein, es wird ihm doch nichts geschehen sein; jetzt ist er schon seit zwei Tagen nicht mehr im Hause gewesen, ein ordentliches Dienstbot’ muß ja immer da sein, ich werd’ ihm das schon sagen – aber er weiß ja sonst selbst, was ein ordentliches Dienstbot’ zu thun hat. So dachte die Magd bei sich und ging dann wieder in den Hof hinab.

Der Bauer war in der Wagenhütte und stellte die Schlarpfen – ein Fahrzeug, halb Wagen, halb Schlitten, zum Transport des Holzes in den Hängen – zusammen. Er wollte nun die Brände und Strünke seines verbrannten Waldes zu der Kohlstatt hinausführen und sehen, ob daraus noch Kohlen zu gewinnen seien, die an das große Stahlwerk draußen in der Ebene gut zu verwerthen sind. Den Brandgrund wollte er dann reinigen, entstocken, umpflügen und zu einem Acker machen, denn Bäume wachsen auf solch einem ausgebrannten Boden sobald nicht wieder. Der Bauer dachte daran und steckte eben ein Rad an die Schlarpfe, als Genovefa vor ihm stand und fragte:

„Aber, Bauer, wo ist denn der Gregor alleweil?“

„Der Gregor? Nu, wenn er nicht auf dem Eschenbaum ist und für die Schafe Aeste herabhackt, dann weiß ich’s nicht.“

„Ja, er ist aber schon zwei Tage nicht mehr dagewesen, es wird ihm doch nicht wo was geschehen sein, Bauer?“

„Ei nu, und wenn ihm was geschehen wär’, was geht denn das Dich an? Ich bin Bauer und ich hätt’ den Schaden, wenn er sich ein Bein gebrochen oder den Hals; ich hab’ ihm den Lohn zu geben für’s ganze Jahr und nicht Du! – – Wird halt bei den Löschern gewesen sein und heut’ Nacht drüben im Dorf geholfen haben – was weiß ich!“

Der Mann schlug den Nagel an die Radachse, daß es klirrte, und er sprach kein Wort mehr.

Genovefa ging traurig in den Stall an ihre Arbeit. Sie war durchaus nicht mehr jung, doch bei ihrem Geschäft noch ganz rüstig; heute aber – heute ging’s nicht. Sie lehnte die Streugabel an die Wand und ging fort. Sie war an den Werktagen noch nie so fortgegangen von ihrer Arbeit, aber heute mußte sie, und sie wußte doch nicht, wer es ihr gebot. Sie eilte gegen den Bach und jenseits des Thales aufwärts gegen das Gebrände. Da glühte es noch unter den Bränden und Aschen, und die Magd mußte einen weiten Umweg machen, um gegen den Dorfwald zu kommen. Sie wollte in das Dorf hinüber und den Gregor suchen. Aber als sie an die Grenzen des Brandgrundes kam, wo der grüne, frische Wald beginnt, da lag der Gregor auf dem versengten Boden. Er schlummerte und hielt eine Hand tief in das Moos gebohrt. Das Kleid seines linken Fußes war ihm förmlich vom Beine gebrannt, und die Haut war dunkelblau angelaufen und blutete an einzelnen Stellen.

„Jesus – aber Gregor!“ schrie Genovefa.

Der Greis schlug die Augen auf und sagte ruhig: „Das ist die Vefa, gelt?“

„Ja, was machst Du denn da? Du hast ja eine fürchterliche Brandwunde; heiliger Gott, ich geh’ schnell um Leute.“

„Das hilft nichts, Vefa, bleib’ nur da und lege kaltes Moos auf das Bein; schau, ich hab’s nicht können in die Erde bringen, die Erde kühlt so was recht ab. – Sag’ mir, wenn Du da vom Weg heraufgegangen bist, brennt es noch wo?“

Die Magd antwortete nicht, sie weinte, legte Moos und Erde auf die Brandwunden und schlug ihr Kopftuch um dieselben.

„Das ist ein großer Schaden für den Grübner, gelt?“ sagte der Mann.

„Nein, wie ist Dir denn das geschehen, Gregor?“

„Das da? Ich war ungeschickt, Vefa, und so ist beim Arbeiten ein brennender Ast auf mich gefallen. Zuerst hab’ ich gemeint, ich muß schreien vor Schmerz, und es ist mir heiß und kalt durch den Leib gegangen. Hab’ auch schon glaubt, ich muß verbrennen hier, weil ich nicht weitergehen konnte; aber da ist der Regen gekommen und hat das Feuer gedämpft, und meinen Schmerz hat er auch abgekühlt. Vefa, dieser Regen war wohl gut, sonst wär’ der ganze Wald und das Dorf und Alles hin gewesen.“

„Gieb mir doch die Hand, Gregor, ich richte Dich auf und führe Dich heim.“

„Nein, laß die Händ da drin, das ist so kühl – hab’ mir sie ein Bischen stark verbrannt.“

„Aber so mußt Du sterben hier, Gregor!“

„Meinst Du? – Ach nein, wegen so was stirbt man nicht. Schau, sonst bin ich noch stark. Es freut mich auch, daß Du gekommen bist, Vefa. Du bist mir der liebste Mensch auf dieser Welt. Aber jetzt – heute ist es mir erst recht, daß wir nicht geheirathet haben; wenn es geschehen wäre, so wärst Du jetzt eine Bettlerin. – Ei, laß mich, es ist mir so heiß in der Brust – Vefa, wenn ich doch sterben müßte! – Bauer, wenn ich jetzt stürbe, das wäre bös für uns Beide. Schau, ich will Dir jetzt dienen, zehn, zwanzig Jahre, so lang’ ich lebe, und Du sollst mir keinen Kreuzer lohnen, bin schon so auch fleißig. Tag und Nacht werd’ ich arbeiten und Sonntags geh’ ich betteln vor die Kirchthür, daß Du mir auch keine Nahrung zu geben brauchst. Meine Hand darauf, Bauer!“

„Hilf uns die liebe Frau! Gregor, der Bauer ist ja gar nicht da!“

„Nicht? Aber brennen wird’s schon wieder. O lieber Gott, es ist mir nur so heiß. Das macht das dumme Liegen da, hilf mir auf, Vefa, ich weiß nicht, daß ich heute gar so schwach bin.“

Genovefa richtete den Kranken ein wenig auf und betete in Gedanken zu der Jungfrau Maria in Zell, auf daß doch Jemand komme und ihr helfe in dieser Noth.

„Hab’ ich Dir das Andere schon erzählt, Vefa? Nicht? So muß ich es aber doch gleich thun. Aber Du mußt mir versprechen, daß Du es Niemandem sagst, so lang’ ich lebe. Wenn ich heut’ oder morgen schon sterben muß, und es kann wohl sein, weil mir der Brand zum Herzen kommt, so kannst Du es heut’ oder morgen schon sagen; und wenn ich noch fortlebe, so mußt Du all die Tage das Geheimniß in Dir tragen, sonst sperren sie mich ein, und dann kann ich gar nichts mehr gut machen. – Leg’ mir jetzt Moos auf die Stirn und auf die Wunden da, daß [307] ich ruhig denken und sprechen kann. So. Und jetzt mußt Du auch nicht erschrecken, Genovefa; und zuerst mußt Du mir auch noch versprechen, daß Du mir’s glaubst, daß ich nicht schlecht bin, wirst mir’s aber nicht glauben wollen, Vefa, daß ich den Wald angezündet hab’!“

„Jesus Maria! – Gregor!“ schrie die Magd auf, deckte ihr Gesicht mit der Schürze zu und zitterte.

„Ei ja, das hab’ ich mir gedacht, Ihr Weiber seid Alle so, daß Ihr Alles gleich in die Welt hinausschreit. Hätt’ ich’s wohl auch thun mögen, als es brannte, aber was hätt’s genützt? Sollst Dir doch denken, daß es nicht blos Bosheit giebt, sondern auch Unglück, und so eins ist uns jetzt halt auch begegnet. – Am Samstag zum Feierabend bin ich in das Dorf hinüber zum Segen gegangen, um zu beten, daß es regne – das weißt Du. Ist rechtschaffen weit hinüber für Unsereinen, und auf dem Rückweg da bin ich auf einmal so müde geworden mitten im Wald – nu, Du weißt, Vefa, wenn man alt wird – das Korntragen war auch so schwer den ganzen Tag. Da hab’ ich mich halt ein wenig hingesetzt auf einen Stein und hab’ mir gedacht: Ein Stücklein Brod wäre jetzt wohl gut. Aber weil Du kein Brod hast, Gregor, so zünd’ Dir ein Pfeifchen an, das stärkt auch. Hab’ mir darauf das Zündholzkästlein aus der Tasch’ genommen, aber die Hölzlein werden bei dem vielen Schweiß einmal zu feucht, sie zünden wohl, löschen aber wieder aus, und keines hat mir brennen wollen. Nehme mir da ein wenig Moos und dürres Reiser, wie es genug um mich herum lag, und damit ging’s. Ja, ich glaub’, es ging, und so, beiläufig, mußte es gewesen sein, ich weiß das nicht mehr recht; bin dann noch sitzen geblieben und hab’ ein wenig geschlafen. Als ich wach geworden, hat Alles gebrannt, das Moos, die Reiser, Alles, und an den nahen Baumstämmen ist das Feuer hinaufgestiegen und ist oben auf den Aesten herumgeflogen wie ein Vogel mit goldenen Flügeln. Jesus Maria! denk’ ich, jetzt brennt der Wald! Auf die Reiser bin ich getreten, hab’ meinen Hut und Rock auf die Flamm’ geworfen; auf die Bäume hab’ ich wollen und das Feuer tödten; ersticken mit den Händen; mit meiner Brust; bin zurückgefallen auf den Boden und wäre zuletzt selbst bald mit verbrannt. Das kann ein großes Unglück werden, denk’ ich noch, und lauf’ heim, was ich laufen kann, und weck’ die Leut’ ... weißt es ja so, Vefa. – Wenn doch nur wieder ein Regen käm’, da – da drinnen brennt’s so wild fort und das kann kein Mensch dämpfen.“

„Aber jetzt geh’ ich, Gregor, und werde den Bauer bitten, daß er sogleich um den Arzt fährt.“

„Nein, aber wenn Du mir den Caplan holst, so ist’s mir schon recht. Ich schlaf’ da derweil, mußt aber bald kommen, Vefa!“

Da lief die Magd fort und lief, was sie konnte, gegen das Haus und dachte unterwegs: Heiliger Gott, jetzt hat Der den Wald angezündet!

Als sie zum Grübner kam, rief sie ihm beinahe athemlos zu: „Bauer, ich bitt’ Euch um Gotteswillen, fahrt geschwind zum Bader und zum Pfarrer, der Gregor liegt drüben im Wald; er hat sich völlig verbrannt!“

Der Mann horchte auf. „Verbrannt hat er sich? Was geht denn der Narr zum Feuer! Nu; wegen mir magst in’s Dorf gehen, hab’ nichts dagegen wegen ein, zwei Stunden, aber fahren kann ich nicht, das Roß ist auf der Weid.“

Hierauf nahm der Bauer Stein und Schwamm heraus und schlug sich Feuer. Die Pfeife zwischen den Vorderzähnen fragte er dann die rathlose Magd: „Wo liegt er denn?“

Diese schluchzte in die Schürze und entgegnete: „Dort; wo das Feuer ausgeloschen ist.“ Dann trocknete sie sich die Augen und eilte fort gegen das Dorf.

Im Dorfe war noch große Verwirrung. Da standen im Freien Kästen, Schränke und anderes Geräthe; und die Leute gingen zwischen den Dingen hin und her und sprachen laut und schnell miteinander und lachten. Sie schafften nun die Sachen wieder in die Häuser; die Feuersgefahr war ja vorüber.

Als der Arzt und der Caplan im Chorrocke durch den Wald hinabstiegen und Genovefa mit dem Licht in der Laterne vorausging, kam ihnen Gertraud, die Dienstgefährtin der Genovefa, entgegen. Sie hatte den Verunglückten gesucht, aber nicht gefunden und schloß sich nun den drei Menschen an. Als sie schon eine Weile durch den hohen, finsteren Wald hinabgegangen waren und nun gegen die Lichtung kamen, wo das Gebrände anfing, blieb Genovefa stehen und war im Begriffe, ihrer Gefährtin die Laterne zu geben, aber sie schloß den Henkel fester in die Hand und ging noch einige Schritte weiter.

Plötzlich standen sie vor dem alten Knecht. Aber er war todt. Er lag auf dem Angesichte und um ihn herum war das Moos aufgewühlt.

Der Arzt untersuchte die Leiche und sagte dann halblaut zum Priester: „Der Mann hat viel gelitten!“ Dann gingen die zwei Männer wieder durch den Wald hinauf gegen das Dorf.

Genovefa und Gertraud hatten lange vor dem Todten gekniet und gebetet. Die Mittagssonne blitzte durch die hohen Baumkronen nieder und von Zeit zu Zeit hörte man einen Vogel zwitschern. Endlich flochten die Mägde zwei Aeste ineinander, legten den Gregor hinauf und trugen ihn gegen den Grübnerhof.

Der Bauer stand an der Thür, hatte die Arme über die Brust geschlagen und rauchte seine Pfeife. Als sie mit dem Todten herankamen, trat er einen Schritt bei Seite, nahm die Pfeife ein wenig aus dem Munde und winkte gegen die Wand, wo die Bodenstiege war.

Man stellte sofort unter der Stiege ein paar lange Stühle zusammen und legte die Leiche darauf. Dann kam die Bäuerin, bedeckte den Todten mit einem Leintuch und zündete daneben ein Oellichtlein an. Dann gingen sie zum Essen und nach dem Essen Jeder an seine Arbeit wie jeden Tag.

Den andern Morgen zogen sie Alle in das Gebrände hinüber und schafften die halbverbrannten Baumstrünke gegen die Kohlstatt hinaus. Die zwei Knechte hieben die noch stehenden Stämme um und schlugen die schwarzen Aeste von denselben. Die Mägde trugen und zogen die halbverkohlten Stücke an bestimmte Plätze, wo dieselben durch die Schlarpfe weitergeschafft wurden. Da Gregor nicht mehr war, so führte der Bauer das Pferd. Dabei hatte er allerlei Gedanken. Der schöne reiche Wald ist nun todt und verbrannt zu Kohlen; aber nicht zu solchen, die man draußen verkaufen kann um schweres Geld. – Der Mann biß sich derb in die Lippen; das Pferd hätte er aus Zorn schlagen mögen mit dem Peitschenstock – aber dann wäre es ihm mitsammt der Schlarpfe hinabgerannt über den Hang und hätte sich gar alle Beine gebrochen.

Gustl, der einzige Sohn des Grübner, kam mit dem Mittagsmahle. „Komm her, Bub!“ schnaubte ihm der Bauer entgegen, und als der Junge bei ihm war, stieß er ihn, daß die Suppe aus dem Topfe floß, und dann schlug er ihn erst, weil er das Essen halb verschütte.

Im Gebrände selbst gab es sonderbare Erscheinungen. Da lagen gebratene Vögel herum und auch ein verkohltes Reh hatten sie gefunden. Das Merkwürdigste war ein Eichhörnchen – oder war’s ein Wiesel, man kannte es nicht mehr recht – es hing an einem Baume und hatte sich fest um einen dicken, halbverkohlten Ast geklammert, war aber ganz schwarz und durchgebrannt bis auf die bleichen Beinchen. Unter all dem waren jedoch gar viele lebendige Würmer und Mücken; die sind klein und zart und leben fort hinaus über das Verderben und Unheil.

Aber wie es denn geschehen sein mochte und wie es begonnen hatte? Das fragte der Grübner zehnmal. Es hat doch kein Blitz eingeschlagen in der sternenhellen Nacht! Am Ende haben Vagabunden im Walde gelagert und ein großes Feuer angemacht, wie dergleichen Gesindel gern thut, oder – es ist gar von einem Nachbar geschehen aus Bosheit und Schlechtigkeit. Ja, schlecht sind sie genug, diese Menschen, und darum haben sie meinen Wald auch brennen lassen und nur das Gemeindeholz retten wollen. Der Greßbacher kann’s auch gethan haben, der ist so Einer, der! – So war das Denken des erbitterten Mannes.

Gegen Abend, als er am Wege noch einige Brände auflud, fand er im halbversengten Moose eine Tabakspfeife und ein Zündholzkästlein aus Bein. „Aha!“ rief er aus, „das ist dem Gregor sein Zeug und da liegen die Hölzlein noch herum – hat Der mir den Wald –?“

Da trat Genovefa zum Bauer und sagte, daß sie Alles wisse, und erzählte auch Alles, was sie wußte, setzte aber hundertmal hinzu: „Seid nicht bös auf ihn, Bauer, zu Fleiß hat er’s nicht than und er hat deswegen sterben müssen!“

Der Grübner schwieg anfangs dazu; aber später sagte er: „Ist mir immer so vorgekommen, daß dieser Mensch mein Unglück [308] sein wird. Warum hab’ ich ihn auch nicht fortgeschickt, hat so kaum das Brod verdient, das er mir gegessen!“

Als Genovefa mit Gertraud allein war, schluchzte sie: „Hast Du gehört, was der Bauer gesagt hat? Nein, Gertraud, wenn er mir all’ meine Finger abhacken that, so thät’s mir nicht so weh, als wenn er über den Gregor so redet.“

„Und noch dazu jetzt, wo er auf der Bahr’ liegt!“ entgegnete Gertraud; „ich mein’ aber immer, unser Bauer hat gar kein Gewissen; hast Du’s schon gesehen, was er macht, wenn er betet? Nein, man soll so was gar nicht sagen, aber – da hat er in einer Hand den Rosenkranz und die andere hat er im Sack und klimpert mit dem Silbergeld. Gelt, das thut kein Christ?“

Am Abend, als Genovefa in’s Haus kam, besprengte sie die Leiche mit Weihwasser und füllte frisches Oel in die Lampe. Dann hatte sie einen schweren Stein auf dem Herzen; morgen soll schon der Begräbnißtag sein, und der Bauer hatte noch gar keine Anstalten dazu getroffen.

Indeß beim Abendessen sagte der Grübner zu den zwei Knechten: „Morgen um das Sonnenaufgehen müssen wir wieder im Brand sein, und früher tragt mir den da draußen in’s Dorf hinüber, daß er doch einmal aus dem Hause kommt!“

Genovefa legte den Löffel weg und aß nichts mehr. Alle waren still, und die Knechte zitterten um den Mundwinkel und waren roth im Gesicht. Der Bauer aß und zuckte mit seinen buschigen Augenbrauen und sah nicht nach rechts und nicht nach links. Da hielt Genovefa plötzlich die Hände ineinander und rief laut: „Bauer, gelt, ich darf Euch bitten – Ihr laßt den Gregor ordentlich begraben!“

„Was geht Dich der Gregor an, Du graue Vettel!“ brach der Bauer los; „ich mein’, mit den dummen Liebsg’schichten habt Ihr’s lang’ g’nug trieben; ist Euch nicht gut angestanden, Ihr alten Stöck’; ich hab’ nur nichts sagen wollen, weil es gar nicht der Mühe werth ist wegen solcher Kinderei; aber jetzt, weil Eins auf dem Brett liegt, mein’ ich, soll’s Andere an dem sündhaften Hallodriren g’nug haben! Nicht? – Nu, und hast noch nicht g’nug, Du alte Krautschreck’, so leg Dich halt hin zu ihm – laß Euch gern forttragen, all’zwei, gern!“

Die Knechte machten Bewegungen, aber Genovefa sagte dem Bauer die Worte: „Schmäht mich, wie Ihr wollt, Bauer, aber ihm werft keine Steine nach in die Ewigkeit und begraben laßt ihn christlich. Es ist ja noch ein Kasten von ihm da, es sind Kleider von ihm da; das reicht aus für den großen Conduct; drei Glocken können auch noch geläutet werden. Oft und oft hat der Gregor gesagt: ‚Mag mir sonst nichts mehr ersparen, weil ich schon schwach bin und allsonntäglich mein Gläslein Wein haben muß, und ohne Tabak thut es sich halt auch nicht – aber für ein ehrlich Begräbniß wird schon noch was übrig bleiben.‘ – Ich bitt’ Euch, Bauer, der Gregor hat Euch fünfundzwanzig Jahr’ treu und fleißig gedient, hat’s immer gut mit Euch und den Eurigen gehalten – laßt ihn christlich begraben!“

„Ja, ja, Kasten und Kleider! wir wissen’s schon, wie das aussieht. Und glaubt Ihr, das Zeug ist für das Eingraben da? – Kasten und Kleider! ich mein’, so viel wär’ mein Wald doch werth gewesen, nicht? Keinen Kreuzer geb’ ich, und wenn ein Jud’ käm’ und gäb’ mir drei Groschen für den starren Gregor da draußen – ist recht, ich verkauf’ ihn. Wer zahlt mir den Wald? Wer? – Treu und fleißig gedient, ja – als ob ich ihn dafür nicht auch bezahlt und überzahlt hätt’!“

„Bauer, ich dien’ Euch ein ganzes Jahr umsonst; keinen Groschen verlang’ ich, aber den Gregor laßt christlich begraben!“ bat die Magd wieder.

Der Grübner wischte den Löffel und spielte damit. „Ein Jahr, meinst Du? – Nu, können ja noch reden davon, sollst auch nicht sagen, der Grübner ist ein Stein!“

Nach dem Abendmahle sprach er im Vorhause noch lange mit der Magd, und Genovefa stand darauf die halbe Nacht bei der Leiche und weinte bitterlich.

Am übernächsten Morgen wurde Gregor im großen Conduct unter dem Geläute dreier Glocken christlich begraben. Viele Leute sind mit der Leiche gegangen, und Genovefa hat über all’ das vor Schmerz und Freude geweint. Zuletzt hat sie noch dem alten Einleger Gottfried eine Weihkerze und zwei Groschen gegeben, daß er für Gregor’s Seele bete.

Als der Großknecht an einem der folgenden Tage einmal mit Genovefa allein auf dem Felde war, da das Korn schon reif geworden, sagte er zu ihr: „Das war wohl einfältig von Dir, Vefa, daß Du dem Bauer ein ganzes Dienstjahr geschenkt hast; er hätte den Gregor auch so ordentlich begraben müssen; oder glaubst Du, wir hätten unsern Gespann in einen Sack genäht und auf den Friedhof getragen wie einen Bündel Haber in die Mühle? O, da hättest Du eher ganz was Anderes gesehen. Ich hab’ damals beim Tisch den Georg schon mit dem Fuß gestoßen – und wie der Bauer nur noch ein Wort sagt von einem solchen Eingraben wie einen Hund, nur ein solches Wort, und wir brechen ein paar Stuhlfüße ab und lehren den Bauer Gott erkennen! Wir hätten es than, und wenn er’s noch eine Weil’ so fort treibt mit Dir, so geschieht was. Glaubst, ich trau’ mich nicht, daß ich jetzt hingeh’ und zu ihm sage: ‚Grübner, Du bist ein Schuft!‘ Glaubst, ich trau’ mich nicht?“

„Laß es nur gut sein jetzt, Großknecht, und reden wir kein Wort mehr davon. Ich dien’ gern ein Jahr umsonst, wenn der Bauer nur dem Gregor nicht nachflucht – der Todte könnt’ ja kein’ Ruh’ haben im Grab.“ …

Und sie redeten nicht mehr davon.

Gegen den Herbst kam eine schwere Arbeit. Im Gebrände mußte das Gestöcke entfernt und der Boden umgegraben werden. Mit dem Pflug kann man in solchem Waldgrund nichts anfangen, und so nimmt denn Jedes seinen Spaten oder die Haue und gräbt vom frühen Morgen bis zum späten Abend. In den Frühestunden da geht’s freilich noch gut, da geben die Bäume, die auf der Anhöhe stehen, ihren Schatten, aber bald guckt die Sonne über dieselben herüber, als ob sie sehen wollte, ob die Arbeiter wohl auch fleißig. Und dann werfen die Leute ihre Röcke weg und graben wieder. Die Sonne bleibt nun da und blickt immer auf die Arbeiter und wendet ihr Gesicht gar nicht weg. Und die Leute wischen sich den Schweiß und graben.

Für Einen, der mit der Haue sein trocken Brod herausgraben muß aus steinigem Grund, schleicht die Sonne gar langsam über den Himmel hin; aber auch für ihn kommt der Abend. Die Schatten des westlichen Bergwaldes werden länger und länger; die Leute richten sich auf, athmen in einigen langen Zügen die frischere Luft ein, fassen den Spatenstiel fester an und graben. Und erst wenn es dunkel geworden ist und die Haue in den Steinen schon helle Funken giebt, sagt der Großknecht: „Lassen’s gut sein für heut’!“ und die Leute suchen ihre Röcke, nehmen die Haue über die Achsel und gehen heim.

Solche Tagewerke hat auch die alte Genovefa mitmachen müssen, weil im Kuhstall der Gustl, der Grübnersohn, angestellt wurde. „Sonst thut’s mir nichts,“ hat sie gesagt, „aber das Kreuz will mir völlig abbrechen.“

Und wie nun der ganze Hang bearbeitet war, kam der Bauer mit dem Säetuch und streute Korn in den aufgelockerten Boden. Da ist – wie er gerade um einen kleinen Felsen säete – ein Vöglein vor ihn hingehüpft und hat einige Körnlein aufgelesen. Darüber gerieth der Grübner so in Zorn, daß er einen weiten Sprung machte, um das Thierlein in den Boden zu treten; aber das war lustig auf den nächsten Baum geflattert und der Bauer hatte im Schwingen sein ganzes Korn auf das Erdreich geschüttet. Nach dem Säen wurde die Erde noch einmal gelockert und der Same eingewühlt – dann war es für dieses Jahr fertig.

Die Witterung war lang hinaus schön und die Saat ging auf und grünte noch – endlich aber kam der Winter. Die Leute zogen sich allmählich unter das Dach zurück, in der Stube begann das Spinnen, in den Ställen das Füttern und auf der Tenne das Dreschen.

Genovefa, die sonst beim Spinnen die feinsten Fäden zu drehen wußte, die im Stalle zu schaffen verstand wie nicht bald Eine, mußte heuer auf der Tenne den schweren Dreschflegel handhaben. Sie dachte oft dabei, wie Gregor bei der Arbeit so flink und heiter war und für die Winterabende allerhand Geschichten wußte. Sie, die Vefa, hatte damals auch gesungen, jetzt aber hat sie gar keine Stimme mehr und es fallen ihr auch die Lieder nicht ein. Die Lieder kämen nur so beim Kuhmelken, aber jetzt darf sie ja nicht mehr in den Stall, dort hantirt der Gustl und will Alles selbst verstehen. Die arme Magd ist ganz verwaist und einsam.

Es kam die Weihnachtszeit und der Bauer ließ jedes Dienstbot [309] vor sein Tischlein rufen und zahlte den Jahrlohn aus. Nur Genovefa ließ er nicht rufen.

Aber der Großknecht fragte den Grübner: „Was ist’s, Bauer kriegt die Vefa nichts?“

„Das macht Dir gar nicht heiß, Bub’, Du hast Dein Sach’!“

„Aber ich will’s just wissen, kriegt sie was oder nicht?“

„Nein, sie kriegt nichts.“

„So! – Ist recht, Bauer, ist schon recht. Weißt Du, Grübner, die Leute denken sich schon lang’ was von Dir und ich denk’ mir auch dasselbe, und ich sag’ Dir’s auch, Du bist überhaupt so Einer –“

„So Einer! Was für Einer?“

„Was Du an der Vefa thust – man kann Dir bei Gericht nicht an, das weiß ich, denn Du hast sie eben überredet – aber schlecht ist es von Dir! – Bauer, Du bist ein elender Schuft!“ Mit diesen Worten spie ihm der Knecht in’s Gesicht.

„Anspeist Du mich?“ krächzte der Grübner und stürzte gegen den Tisch, wo ein Messer lag; „Teufel, ich stech’ Dich nieder!“

Aber in diesem Moment hatte ihn der Knecht am Halse gefaßt und schleuderte ihn gegen den Kachelofen, daß dieser borst und einbrach.

„Jetzt komm mit mir, Vefa!“ rief der Großknecht diese im Vorhause an, „komm, wir gehen zum Greßbacher – bin so zornig gewesen und hab’ dem Bauer den Kopf eingeschlagen. Hab’ mir nicht mehr zu helfen gewußt!“

Indeß stand der Bauer mitten in der Stube mit blutender Stirn, und die Leute, die über den Lärm zusammengeeilt waren, standen um ihn herum, und sein Weib wusch ihm das Blut mit kaltem Wasser weg und schlug dann ein Tuch um seinen Kopf. [310] Der Mann sagte nicht ein Wort, er frug auch nicht nach dem Großknecht. Der Großknecht hatte seine Kleider genommen und war fort; es war ihm ganz leicht um die Brust über das, was er dem verhaßten Bauer gethan hatte.

Genovefa aber blieb wie vor im Hause und arbeitete und arbeitete. Auch Gertraud blieb ihrer Gefährtin zu Liebe und von einer fremden Pfarre waren zwei neue Knechte gekommen. So ging es seinen gewöhnlichen Lauf wieder fort. Der Bauer trug lange die Binde um die Stirne und sprach wenig; nur mit seinem Weibe fluchte er und seinen Sohn schlug er, wenn ihn irgend etwas wurmte.

Da geschah im Laufe des Winters einmal ein großes Unglück. Klopfte es um Mitternacht plötzlich an der Schlafkammer des Bauers und Genovefa rief: „Steht doch geschwind’ auf, draußen im Stall giebt’s was, die Vieher röhren fürchterlich.“

Und als sie mit Lichtern in den Stall kamen, lagen zwei Kalben und eine Kuh mit ausgelassenen Eingeweiden da und verendeten. Die wilde Mastkuh war von der Kette los geworden und hatte ihre scharfen Hörner den wehrlosen Nachbarn in die Leiber gerannt. Als der Grübner dies sah, war er über alles Erwarten ruhig, nur befahl er, daß man sogleich den Gustl, der die Aufsicht über den Stall hatte, herbeibringe. Gustl hatte in der Futterkammer sein Bett, aber das war heute leer, der Stallbub’ war nicht daheim. Unter der Decke war’s noch warm, er konnte nicht weit sein. Man schrie und rief ihn beim Namen, aber er gab keine Antwort und kam nicht. Man suchte ihn in der Scheune, auf dem Dachboden im Heu, in der Wagenhütte – er war nirgends.

Jetzt erst wurde der Bauer rasend und blieb es tagelang, denn der Junge kam nicht und Niemand hatte ihn seit der Zeit gesehen. Sofort kam wieder Genoveva in den Stall, aber sie hatte nicht mehr die Freude bei den Thieren wie einst.

„Den Buben schlag’ ich todt, wenn er kommt!“ schrie der Grübner oft und oft, aber es verging der Winter, es kam der Frühling und im Grübnerhofe wurde kein Todtschlag begangen. Der Sohn des Hauses blieb verschollen. Die Bäuerin hatte seit der Zeit viel geweint; der Bauer hatte nur manchmal, wenn er so in seiner Mühle auf dem breiten Steine saß, den Kopf geschüttelt und darauf recht fest in das Pfeifenrohr gebissen. – Anfangs war zu glauben der Gustl sei aus Furcht vor der Strafe nur zum Nachbar geeilt, habe sich dann in eine angrenzende Pfarre geflüchtet und er werde sich schon wieder einstellen im Elternhause. Aber es verging der Frühling und es kam der Sommer und der Junge kam nicht zurück.

„Du, Alte,“ sagte der Grübner einmal zu seinem Weibe, „der Bub’ macht mich noch närrisch!“

Das Weib fühlte selbst dergleichen, aber es war überrascht über dieses Wort ihres Mannes; mit einem solchen Ton hatte er schon seit Jahren keines mehr gesprochen. Sie fiel an seine Brust und weinte, aber der Bauer schob sie unsanft weg. „Die Welt ist eine Teufelei, die eigenen Kinder thun Einem die größte Pein an.“

Als der Hochsommer und die Mähzeit vorüber war, wurde es von den Kanzeln aller Pfarrkirchen in der Gegend verkündet, daß August Grübner, er möge sein wo immer, in’s Vaterhaus zurückkehren wolle, es wäre Alles gut und es geschähe ihm nichts zu Leide.

Aber da kam einmal der Dorfbote in den Hof und sagte zum Grübner: „All’ Euer Ausschreien ist für nichts, Euer Junge ist fort nach Amerika.“

„Muß ich Dich niederschlagen, Lügner!“ fuhr der Bauer den Boten an, aber später setzte er sich auf den Brunnentrog, stützte sein Kinn auf die Hand und brummte: „Mag sein, mag wohl sein!“

Es war ein schöner, warmer Sommer gewesen und die Erntezeit kam früher, als es sonst in jenen Gegenden zu geschehen pflegt. Das Korn am Hange des Waldgebrändes war bereits reif und die Leute, die des Holzweges kamen, wunderten sich über die langen vollen Aehren, die sie da sahen. In der ganzen Gemeinde gab es kein so herrliches Getreidefeld, als auf dem Waldgrunde des Grübners. Ganz, wie wenn es der letzte Sommer hätte gut machen wollen, was sein Vorgänger an diesem Boden verbrochen hatte. So ein Waldbrand richtet aber auch ein gutes Kornfeld; alle Gras- und Unkrautwurzeln werden vertilgt und die Erde mit Kohlen reichlich gedüngt.

Das gab vielleicht hundert Metzen, bis Alles in den Säcken – so viel erntete sonst kein Bauer in der Gegend. Das richtete den Grübner auch wieder auf, er wurde wieder herrischer und fluchte wieder mehr mit seinem Gesinde, schlug auch das Pferd kräftiger mit dem Peitschenstiele, kurz, es war wieder neues Leben in ihm.

So begann das Kornschneiden. Da wurde das Haus zugesperrt und Alle mußten auf das Gebrände. Der Bauer hatte die Leute selbst angestellt nach der Reihe über den Hang hinauf, stets Mann und Weib zusammen, wie es im Oberlande Brauch und Sitte ist. Da dreht die Magd, die voran schneidet, das Band aus Stroh, schneidet eine „Welle“ heraus und legt sie auf das Band. Hierauf kommt der Knecht, schneidet die zweite „Welle“, legt sie zur ersten auf das Band, bindet die beiden Büschel zusammen und die Garbe ist fertig.

So auch auf dem Hang. Voran schnitt Gertraud, die Weidmagd, dann kam ein Knecht. Diesem folgte die Genovefa mit dem zweiten Knecht, dann die Bäuerin und zuletzt der Bauer. Der Bauer fluchte, daß es so langsam gehe, er habe ja nichts zu thun und könne zehnmal schneller schneiden – was man denn vorne treibe? Aber vorne trieben sie gar nichts Sonderliches, nur daß sie sich zeitweilig das Angesicht abtrockneten. Genovefa hatte doppelt zu trocknen, den Schweiß und ein wenig Naß von den Augen. Sie dachte an Gregor und an die ganze Geschichte, die sich an das steile Kornfeld knüpft. Kein Mensch als sie dachte daran, daß heute der Jahrestag – Gregor’s Sterbetag sei! Als sich am späten Nachmittag die Leute um einen Stein zusammen setzten und Brod und kalte Milch verzehrten, schlich die alte Magd davon, pflückte am Raine einen Strauß von Kornblumen und wilden Mohnblüthen und eilte damit zwischen den Halmen gegen den Wald und zum Platz, wo vor einem Jahre Gregor gelegen und gestorben. Dort war noch das Moos, in welches der Arme seine wunden Glieder zu vergraben gesucht, aber es war nicht mehr versengt, es grünte wieder.

Genovefa kniete nieder, legte den Strauß auf den Rasen hin und betete. Thränen flossen ihr aus den Augen, aber das war zarter, kühlender Thau auf diese Stelle – nach den heißen Kämpfen, den glühenden Schmerzen, nach dem Herzbrechen und Vergehen! Und als sie so betete für den einzigen Menschen, den sie geliebt wie einen Bruder, da traf Genovefa ein Schlag in’s Gesicht, daß sie rückwärts taumelte.

„Ein schön Gesindel das, heut’ zu Tag; ist das ganze Kornfeld reif, daß schon die Körner ausfallen, geht so eine Creatur in den Schatten und faulenzt! Vefa, Dir muß man’s in den Kopf schlagen, was man will, sonst merkst es nicht. Aber ich werd’ Dir noch g’nugsam sein, das magst glauben!“

Der Bauer war’s und jetzt trieb er die Magd förmlich vor sich her und selbst, als Genovefa längst schon wieder schnitt, fluchte er noch fort. Der Großknecht kümmerte sich nicht um den Geifernden und redete während der Arbeit mit seiner Vorschnitterin von Diesem und Jenem, vom Waldbrand auch, und es komme ihm vor, als rieche es noch davon, es habe einen so sonderbaren Geruch auf diesem Gebrände.

Ueber solche Reden ärgerte sich der Bauer noch mehr; er wollte, daß unter seinen Leuten den ganzen Tag kein Wort gesprochen werde, damit nur die Arbeit noch besser vor sich ginge. Er würde von rückwärts jetzt noch mehr gedrängt haben; aber er war an eine Stelle gekommen, wo die Halme besonders dicht standen, so, daß einer den andern fast erstickt hatte. Das war dort am Felsen, wo der Bauer beim Säen im Verfolgen eines Vögleins das Korn ausgeschüttet hatte. Wie der Grübner hier so schnitt und hächelte, schrillte die Sichel plötzlich an ein Hartes und in demselben Augenblick stieß der Bauer einen wilden Schrei aus und taumelte zurück.

Was war’s denn? Ja, was war’s, eine halb verweste Menschenhand langte ihm aus den Halmen entgegen. Und als die Leute herbeikamen und das Getreide auseinander schlugen, da fanden sie am Gestein einen Leichnam kauern.

„Jesus, das ist der Gustl!“ rief die Bäuerin aus, und der Bauer sah die Leiche und das Gesicht mit den ausgehöhlten Augen, mit dem zerfressenen Unterkiefer – es war sein Sohn.

Der Mann rang nach Athem und brach zusammen. Als er stürzte, fiel er mit dem Arm in die scharfe Sichel – aber er gab keinen Laut von sich. Stärker war das Mutterherz; es hat [311] wohl geweint, daß es Allen durch Mark und Bein gegangen ist, aber zusammengebrochen ist es nicht. Für diesen Tag war es Feierabend auf dem Hang. Die Leute zogen heim. Die Männer trugen den Bauer auf zwei Stangen; Genovefa führte die Bäuerin am Arm und Gertraud trug die Röcke und die Sicheln nach.




Jetzt war es wohl recht still und traurig auf dem Grübnerhof. Den Sohn des Hauses hatten sie begraben, ohne Geleite und Glockenklang, denn dem halb vermoderten Körper klingt nichts mehr nach in die Grube. Die Leute sprachen unter sich noch hin und her, wie es sich doch mit dem armen Jungen zugetragen haben mochte. Er ist vielleicht durch jenen Lärm im Stalle erwacht, hat das Unglück geahnt, hat dann aus Furcht vor seinem Vater die Flucht ergriffen, ist herumgeirrt im Walde und auf den Hang und dort am Felsen erfroren. Das war die Muthmaßung. Der Bauer lag in seinem Stüblein und hielt die bleichen Hände ineinander. Er bewegte die Lippen, aber er fluchte nicht mehr.

Der Arzt sagte: „Es hat ihn der Schlag getroffen auf dem Felde und es ist gut, daß er in die Sichel gefallen ist und viel geblutet hat, denn sonst wär’ er sogleich todt gewesen.“

Da faßte der Kranke einmal die Hand des Arztes und lispelte ihm, wie geheimnißvoll, die Frage zu: „Bader, werd’ ich noch einmal gesund?“

Was der Arzt darauf geantwortet hat, muß nicht gut gelautet haben; denn der Bauer hat sein Weib und die Vefa zu sich rufen lassen und hat das Testament gemacht. –

In wenigen Tagen darauf lag der Grübner im Vorhause unter der Bodenstiege, wo vor einem Jahre Gregor gelegen war. Und der Großknecht hobelte in der Zeughütte ein Stück Holz und zimmerte ein Kreuzlein daraus. Und als er fertig war, malte er mit rother Zimmerfarbe auf den Querbalken die Worte: „Hier liegt Gallus Grübner“, und auf die Rückseite des Balkens: „Gott, gieb ihm die ewige Ruh’!“

Am übernächsten Morgen wurde die Leiche im großen Conduct unter dem Geläute dreier Glocken bestattet. Und als der Mann begraben war, gingen die Leute wieder hinüber in’s Gebrände und sichelten noch Tage lang, bis alles Korn ab war. Dann ging es in den Herbst und Winter hinein, und Genovefa arbeitete im Stall und im Haus und wo es was zu thun gab. Aber als die Weihnachten kamen und die Dienstleute von der Bäuerin ausbezahlt wurden, bekam Genovefa wieder nichts. Nun, seit dem Tode des Bauers ist sie eben keine Dienstmagd mehr, sie hat ihr Ableben auf dem Grübnerhof und wird gut gepflegt und braucht nichts zu arbeiten – so steht’s im Testament.

Aber Genovefa arbeitet doch – sie würde sonst krank, meint sie. Nur in der Erntezeit geht sie jedes Jahr an einem bestimmten Tag hinüber auf den Hang, wo immer schönes Getreide steht, und sucht am Waldrande das grüne Sterbebett ihres Gregor auf.