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Fremde Hand im Vaterland?

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Titel: Fremde Hand im Vaterland?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 91–92
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Mit Illustration von C. Stauber
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Fremde Hand im Vaterland?
Eine Antwort dem Rittergutsbesitzer Herrn v. M. im Hannöverischen.

Sie haben es, wie Sie uns schreiben, für Ihre „heilige Pflicht“ gehalten, die „Gartenlaube“ davon in Kenntniß zu setzen, wie stark dieselbe in ihrer Ansicht von der Gesinnung des Kerns der Bevölkerung von Hannover, d. h. der ländlichen, sich täusche, wenn sie glaube, ihre „deutschpatriotischen Umtriebe hätten vermocht, auch hier den Haß gegen das Ausland zu nähren und die Treue gegen den angestammten Fürsten zu untergraben“. Sie versichern uns, daß die Welfentreue dem Adel und dem Landvolk mehr gelte, als all’ das Poetengesinge vom sogenannten deutschen Vaterlande, und daß mit dieser Welfentreue vollkommen im Einklang der Ausspruch stehen könne: „lieber französisch, als preußisch!“

Wir würden Ihren Brief als ein zwar trauriges, aber unschädliches Zeichen der Zeit still bei Seite gelegt haben, wenn Ihre Behauptung blos auf den Adel, nicht auf das gesammte Landvolk Hannovers sich bezöge. Alle Welt weiß jetzt, daß, je kleiner ein Staatswesen, um so kleinlicher das adelige Treiben, je größer und mächtiger ein Staat, um so größer die Aufgaben, um so würdiger die Ziele auch des Adels werden. Ihn wie das Volk hat die Kleinstaaterei nicht gehoben, sondern erniedrigt: ein reußischer, hessischer, nassauischer etc. Adel konnte im persönlichsten höheren Kammerdienerdienst am kleinsten Fürstenhofe noch etwas Bevorzugtes vor allem Volke erkennen, – ein Mann von deutschem Adel niemals!

Sie heucheln einen kosmopolitischen Standpunkt, um nur desto ungenirter in Welfendienstwonne zu schwärmen; das mag man Ihrer eigenen Verantwortung überlassen, – aber Sie unterstehen sich, im Namen „des Kerns“ Ihres Volkes zu reden, und das zwingt uns, Sie bei Seite stehen zu lassen und uns an dieses Volk selbst zu wenden.

Unsere Leser wissen, wie häßlich erlogen es ist, daß die Gartenlaube Haß gegen das Ausland und Untreue gegen die heimischen Fürsten lehre, und zwar Alles unter dem Mantel der Vaterlandsliebe. Allerdings freuen wir uns, ja, wir sind stolz darauf, daß der Begriff „Vaterland“ mehr zu Ehren gekommen ist. Wie tief er gesunken war, davon hat das Volk der Gegenwart keine Ahnung. „Hm, was ist Vaterland? Der Topf ist Vaterland!“ So sprach noch der alte Voß. Schiller verstand noch 1782 unter Vaterland das Herzogthum Würtemberg und wohnte zu Jena „im Auslande“. Erst die Befreiungskriege weckten den ganz entschlafenen Gedanken an ein „deutsches Vaterland“ wieder auf, und weder der heiligen Allianz noch dem deutschen Bunde gelang es, ihn wieder auszurotten. Wie aber soll treue Liebe zum gemeinsamen Vaterland die Treue gegen die Fürsten schmälern, wenn diese selbst jene treue Liebe mit hegen? Muß die gemeinsame Liebe zum großen Ganzen nicht Volk und Fürst erst recht innig verbinden? Haben wir dafür etwa keine Beispiele in der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts? – Ebenso wird derjenige, welcher der Begeisterung für sein eigenes Volk und Land fähig ist, auch der rechte Mann sein, das Ausland nach seinen Vorzügen zu würdigen, ohne Neid und ohne Haß, wenn dieses Ausland sich zu gleicher gerechter Würdigung versteht.

Aber – „lieber französisch, als preußisch!“? Wahrlich, der Graf von Paris mag Recht haben, wenn er in seinem bekannten Briefe über Deutschland sagt: „Der preußische Hochmuth im Benehmen, der den Deutschen selbst unerträglich ist, wenn sie ihn zu ertragen haben, schmeichelt ihrem Stolze, wenn sie ihn gegen das Ausland gerichtet sehen,“ – dieser Hochmuth mag schwer wiegen: nur den Männern Niedersachsens, den Enkeln der französischen Unterthanen des Königreichs Westphalen und der Departements der Ems, der Weser und der Niederelbe des französischen Kaiserreichs, den Enkeln der Truppen des Rheinbundes in Napoleon’s Hand, den Enkeln der Helden von Waterloo – ihnen sollte sein und ist sicherlich eine solche Parole unmöglich!

Völker haben ein kurzes Gedächtniß für die Missethaten der Gewaltigen, nur darum, um den Deutschen die Augen offen zu erhalten über die Glückseligkeiten, die ihnen unter französischer Herrschaft geworden, haben wir eine Reihe von Bildern und Artikeln aus den „Zeiten unserer schweren Noth“ gebracht, und ebendeshalb schreiben wir auch die folgenden Zeilen. Ist es denn ganz vergessen, wie die Karte von Deutschland in den Jahren 1809 bis 1813 aussah? War es eine Zeit deutschen Fürstenruhms und Volksglücks, als Oesterreich, vom deutschen Reiche ausgeschieden, ohnmächtig im Südosten, wie Preußen, auf 2800 Quadratmeilen zusammengeschmolzen, machtlos im Nordosten der Staaten eines Rheinbundes lag, dessen fünfzehn Millionen Deutsche dem französischen Kriegsherrn ein Heer von mehr als 120,000 Mann zur Verfügung stellen mußten? Und liegen die Leiden dieser Rheinbundstruppen, liegt die massenhafte Hinopferung derselhen in Tirol, Spanien und Rußland so weit hinter uns? Und wie wurde den tapferen Deutschen ihr französischer Heldenmuth gelohnt! Gleich Strafsoldaten galten sie nur als Kanonenfutter! Es ging hoch her! Als das Regiment der Herzoge von Sachsen, das erst in Tirol geblutet, bei Barcelona sich abermals ausgezeichnet, erhielt der Mann fünfzehn Groschen, um an Napoleons Geburtstag auf des Kaisers Wohl zu trinken! – Und wie hoch ehrte er sie, seine Vasallentruppen! Als vor dem [092] russischen Feldzuge, noch in Dresden, wo im Hoftheater ihm zu Ehren die Inschrift strahlte: „Weniger groß und glänzend als Er ist die Sonne!“ – ein Russe ihn auf die vielen Menschenleben hinwies, die dieser Krieg fressen werde, sagte er lachend, auf die vierfache Zahl seiner deutschen, italienischen und polnischen Hülfstruppen hinweisend: „Si vous perdez cinq Russes, je ne perds qu’un Français et quatre cochons“ – „Wenn Sie fünf Russen verlieren, verliere ich nur einen Franzosen und vier Schweine!“ Ein sauberes Compliment für die Träger der „Helenamedaille“!

Neuerdings hat in einigen Theilen Deutschlands der Widerwille gegen „preußische Vergewaltigung“ auch Männer des Volkes, aber immer erst auf dem beschönigenden Umweg der Lehre von der Solidarität der Nationen, bis zu der Annahme verführt, daß als Mittel zum Zweck jede Hülfe, folglich auch französische, nicht zurückzuweisen sei. Diese Volksfreunde, so ehrlich sie es mit dem nach ihrer Ansicht wahren Wohl des Volks auch meinen, sahen sich dadurch dem Vorwurf preisgegeben, mit den offenen Feinden der deutschen Vaterlandsliebe, den Ultramontanen, und den Feinden deutschen Freiheitsstrebens, den persönlich ergebensten Dienern jeder Souveränetät, Hand in Hand gehend, mit dem Ausland zu liebäugeln. Ihre Beschönigung dieses Treibens besteht darin, daß sie nicht auf die Hülfe der ihnen verhaßten dermaligen französischen Regierung hoffen, sondern auf die des französischen Volks – und in diesem Sinne rechtfertigen sie das hier und da sogar laut gewordene „lieber französisch, als preußisch“. Man schraubt sich zur Schwindelhöhe der Gegnerschaft gegen jede Nationalitätspolitik hinauf, um für den Freiheitskampf um so breiterem Boden zu gewinnen; – aber man vergißt, daß auch für dieses Ideal gar Vieles noch nicht reif ist und daß die Deutschen mit dem unwürdigen Opfer, das Vaterland für „Freiheit aus fremder Hand“ aufzugeben, noch allezeit allein in Europa standen und schließlich zum Schaden die Schande mit in den Kauf nehmen mußten.

Und die Geschichte hat es doch kaum einem Volke bequemer gemacht, so viel von den Wohlthaten des französischen Volks zu wissen, als dem deutschen. Wir wollen auf die glorreichste französische Zeit hinblicken, als die siegende französische Republik allen Nachbarvölkern mit den Waffen in der Faust „Freiheit, Gleichheit und Recht“ zu bringen verhieß. Da handelte denn doch wohl das Volk unmittelbar. Und was hat es jenen vier Departements des deutschen Rheinlandes, Roer, Donnersberg, Saar und Rhein-Mosel, welche die Republik 1798 befreite, d. h. an sich riß, statt des verheißenen Volksglücks gebracht? Pariser Pastetenbäcker und Juweliere wurden Oberforstmeister dieser Lande, um die schönen Wälder zu verwüsten und das Geld in den eigenen Säckel zu stecken; man ballt die Faust heute noch, wenn man liest, mit welch’ grenzenloser Unverschämtheit von den republikanischen Beamten die Länder bestohlen und ausgesogen, mit welch’ empörender Wegwerfung jede Reklamation der Bewohner behandelt, wie Alles hervorgesucht wurde, was nur irgend das Selbstgefühl derselben auf das Tiefste verwunden konnte. Das hat kein monarchischer Gewaltherr befohlen, das ist von den Freiheitsaposteln jenes Volks selbst ausgegangen. Und dieses Volk ist seitdem um kein Haar anders geworden, noch heute kann es sich keinen Fortschritt anders denken, als daß Frankreich an der Spitze marschirt und Paris den Mittelpunkt der Welt bedeutet.

Und die Heere der französischen Republik, die in Wahrheit „das Volk in Waffen“ waren und, wie ihre Proclamationen verkündeten, nur gegen die Tyrannen fochten, – wie behandelten sie in Deutschland das Volk? Die Alten sind freilich fast alle gestorben, welche unter dem Uebermuth der welschen Beglücker und Sieger hatten den Rücken krümmen müssen, aber der Großvater hat’s dem Enkel auf dem Knie erzählt, wie sie gehaust haben, diese Wüthriche voll bübischer Zerstörungswuth, und in den Schuldenbüchern gar vieler Gemeinden, Städte und Länder ist heute noch jene Zeit zu spüren. Das Unausstehlichste blieb aber immer der freche Hohn, mit welchem die gemeinste Hab- und Genußsucht unser braves Volk marterten und die heimischgewohnten Genüsse in jeder Fremde forderten. – Der Krieg ist kein Menschenveredler; je länger er herrscht, um so üppiger wächst die Rohheit der Leidenschaften. Die Scala derselben könnte kein Volk genauer studiren, als wiederum das deutsche, das in seinem Lande in den letzten vierthalbhundert Jahren einhundertfünfzig Kriegsjahre erlebte und alle waffentragenden Völker Europas als Sieger und Besiegte, als Freunde und Feinde auf seinem Boden sah. Von allen hat es unsägliches Leid erfahren, aber von keinem Feinde gehässigeres, als von den ersehnten Freunden unserer von Haß geblendeten Zeitgenossen.

Ihnen gilt das Bild, welches der wackere patriotische Stauber in München aus jener schwäbischen Franzosenzeit der Gegenwart mahnend vor die Augen und Herzen stellt. Das ist nur eine von den hunderttausend damals verpesteten Häuslichkeiten unseres Landvolks. Die Hausfrau bereitet die beste Speise, die sie kennt, für die fremden Gäste, die Hausgenossen freuen sich die ganze Woche auf den Tag, wo sie auf den Tisch kommt, und der rohe Uebermuth besudelt die „Gottesgabe“ so arg, daß selbst das Kind im Korbe die Händchen erschrocken zusammenschlägt. Was aber der arme, solcher Brutalität schutzlos preisgegebene Bauer in diesem Augenblick gedacht und gefühlt, das möge Jeder nachzudenken und nachzufühlen suchen, der für Volkswohl und Menschenwürde das Wort führt. Ohne Humanität ist selbst die Freiheit werthlos. Die höchste Bildung des Menschen ist nur durch den nationalen Geist möglich, nur er kann den Weg zum höchsten Ziel alles Erdenstrebens bahnen, zu dem freien Menschenthum, welches die Nationen wie Kinder einer Familie vereinigen soll. Wer das Menschenthum will, muß den nationalen Beruf achten, der in jedem braven Herzen die Vaterlandsliebe zum Gewissen und zum Führer hat. Das gilt von jedem Volk und Land.

Es ist nicht Haß gegen eine fremde Nation gepredigt, wenn man Gerechtigkeit für die eigene fordert. Und ebenso wird es kein Unrecht sein, wenn man heutzutage auch von einem deutschen Fürsten fordert, daß sein Patriotismus größer sei, als seine Selbstsucht. Niemand wird den Entthronten die menschliche Theilnahme versagen, zu allen Zeiten ehrte man das Unglück und bestrafte die Verspötter desselben mit Verachtung. Aber der Unglückliche muß sich der Theilnahme würdig zeigen. Wer jedoch nicht nur duldet, daß fremde Gewalt für ihn aufgerufen werde, sondern nach solcher Hülfe selbst greift, verkehrt selbst das Mitleid in sein Gegentheil; und er begeht ein schweres Verbrechen am Vaterlande, wenn er dieselbe Gewalt in das Land hereinwünscht, unter welcher viele Millionen jahrelang so entsetzlich gelitten haben.

Wir konnten bereits die nächste Folge der Flugschriften und Petitionen sehen, welche Frankreich zum Eingriff in die deutsche Neugestaltung ermuthigen sollten. Dürfen wir auch nicht jedes Volk verantwortlich machen für das, was in seinen Reihen und angeblich in seinem Geiste öffentlich geäußert wird, so kennen wir doch die französischen Preßzustände zu genau, um nicht behaupten zu können, daß, was dort zu drucken gestattet ist, eines höheren Einverständnisses sicher sein muß. Und nun lese man unterschiedliche neuere französische Flugschriften, so findet man auf das deutsche „Lieber französisch, als preußisch“ die französische Antwort in „Le Rhin c’est la paix“ – „Der Rhein ist der Friede“, d. h. Frankreich gestattet allezeit mit Vergnügen die Wiederherstellung der alten Bundesherrlichkeit, wenn ihm dafür die Rheingrenze gegeben wird.

Ob unsere Hannoveraner, Hessen, Nassauer, Frankfurter und Schleswig-Holsteiner um diesen Preis ihre ehemalige „Selbstständigkeit“ zurückwünschen und unsere Baiern, Schwaben, Alemanen, Pfälzer und Franken die ihre um diesen Preis sichern wollen? Wir bitten schon wegen dieser Frage um Verzeihung. Wissen wir doch nur zu gut, was die Herzen dieser Völkerschaften mit Bitterkeit und Trauer erfüllt: sie alle wollen mit Leib und Seele gute Deutsche sein, das war die allgemeine Sehnsucht unter dem Bundestagsjammer; um so härter kommt es ihnen an, daß sie nun erst Preußen sein sollen, um Deutsche zu werden. Dieses ihr Mißgefühl hat seine Berechtigung, trotz alledem darf es ihnen den Patriotismus nicht in sein Gegentheil verkehren. Bei aller Vielstaaterei haben in Deutschland stets Deutsche gewohnt und zu allen Zeiten hatten sie nichts Höheres zu erstreben, als was mit rechtem Mannesmuth jetzt erst vollkommener als je vorher erstrebt werden kann und errungen werden muß: Jedem Deutschen eine freie Heimath in dem durch Einheit starken Vaterlande!



[093]

Aus der Rheinbundszeit.
Originalzeichnung von C. Stauber.