Zum Inhalt springen

Polytechnikum der Gartenlaube

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Polytechnikum der Gartenlaube
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[94]
Polytechnikum der Gartenlaube.
Nr. 1.
Unterseeische Telegraphen ohne Kabelleitung. – Kesselexplosionen. – Springfedern aus Kork. – Trüffelplantagen, – Drahtmatratzen. – Giftige Strümpfe und explodirende Kleider. – Elektrocapillarität.

Die Pflege und der weitere Ausbau der Naturwissenschaften und deren Anwendung auf das praktische Leben haben unbeirrt von jeweiligen Spannungen und Gewittern in der politischen Atmosphäre ihren steten Fortgang; mehr und mehr erweitern sich bald in dieser, bald in jener Richtung, in größeren und kleineren Fortschritten die Grenzen unseres Wissens und Könnens, vermehrt sich der Reichthum an wissenschaftlichen Ergebnissen, Entdeckungen und Erfindungen, das Gemeingut aller Culturvölker, dem Menschenfreunde zu hoher Freude, nur wenigen dunkelen Köpfen zum Aergerniß. In der That ist ja auch die Theilnahme des größeren Publicums an den Fortschritten auf den Gebieten der Wissenschaft, Industrie und Technik in unserer Zeit so hoch gestiegen, wie dies bei ihrem so vielfachen Eingreifen in die verschiedensten Lebensverhältnisse, und bei dem wachsenden Streben nach allgemeiner Bildung nur erwartet werden kann. Und so dürfte es hoffentlich auch von manchem unserer Leser nicht ungern gesehen werden, fortan in unserem Blatt allmonatlich eine kurze Uebersicht der in die bezeichneten Fächer einschlagenden neuen Erscheinungen zu finden, so weit solche ein nicht blos fachmännisches Interesse zu haben scheinen, sondern auch für größere Kreise in irgend welcher Art instructiv, nutzbringend oder Annehmlichkeit fördernd sein könnten.

Eine außerordentliche Entdeckung ist angekündigt und mag verzeichnet werden auf die Gefahr hin, daß sie sich in einen amerikanischen Puff auflöst. Die unterseeische Telegraphie soll künftig keiner Kabelleitung mehr bedürfen, und noch ehe die Franzosen ihren Strang nach Amerika gelegt haben werden, soll eine andere Correspondenz hergestellt sein, die frei durch’s Wasser geht. Das klingt freilich unglaublich genug, aber die Telegraphie, wie sie heute besteht, die Eisenbahnen, die Photographie etc. waren doch auch einmal unglaubliche Dinge. Ein Amerikaner, Mower oder Wouer, hat also, wie mit aller Bestimmtheit gemeldet wird, die Entdeckung gemacht, daß das Kabel entbehrt werden kann, und mit seinen neuen Apparaten an den großen nordamerikanischen Seen, namentlich am Ontario zwischen den Städten Toronto in Canada und Oswego im Staate New–York, mit bestem Erfolge experimentirt. Es ist stundenlang ohne die geringste Störung hin und her telegraphirt worden. Die Uebermittelung der Zeichen erfolgte so gut wie augenblicklich. Der Erfinder will demnächst nach Europa kommen und zwischen Spanien (oder Portugal) und Nordamerika seine erste transatlantische Linie einrichten, deren Herstellung nicht mehr als fündzigtausend Franken kosten soll, eine Kleinigkeit gegenüber den fünfundzwanzig bis dreißig Millionen, die für Anfertigung und Legung eines Kabels erfordert werden! Die Erfindung soll auf folgendem, allerdings schwer einleuchtenden Erfahrungssatze beruhen: Die in’s Wasser geleitete Elektricität zersetzt dasselbe und es entstehen dadurch Stöße, die, statt sich nach allen Richtungen auszubreiten, sich lediglich in einer geraden horizontalen Linie fortsetzen, die ausschließlich und genau der Richtung zwischen Ost und West folgt, wie die Linien der Breitengrade laufen. In diesem Falle bedürfte es allerdings neben dem Zeichengeber nur noch eines Apparates zum Aufsaugen und Sichtbarmachen dieser Strahlungen, deren Existenz nach den bisherigen Erfahrungen über das Verhalten der Electricität nicht zu vermuthen war und also erst zu beweisen wäre. –

Das der Benutzung der Dampfkraft noch anhaftende große Uebel, die Kesselexplosionen, ist bisher mit so wenig Erfolg bekämpft worden, daß die Unglücksfälle dieser Art in letzter Zeit sich sogar vermehrt haben, in größerem Verhältniß als die Dampfmaschinen selbst. Wären die Fachleute erst über die eigentlichen Ursachen der Explosionen im Reinen, so würde auch das wirksamste Gegenmittel bald gefunden sein, aber so weit ist man eben noch nicht; es giebt noch vielerlei widerstreitende Meinungen, Erklärungen und Hypothesen über den Gegenstand, die alle mehr oder weniger Anhänger gefunden haben. Eine neuerdings von Herrn Wasserbau-Inspector Hipp in Coblenz aufgestellte und gegen verschiedene Einwürfe gut vertretene Theorie hat viel Einleuchtendes und Ansprechendes. Derselbe findet die Ursache der Explosionen ganz allein in der Bildung und Verbrennung explosiver Gasgemische im Kessel. Es kann zwar wohl die Dampfspannung in einem solchen durch zu starke Feuerung so übertrieben werden, daß die Kesselwände dem Drucke nicht mehr gewachsen sind; dann erfolgt an der schwächsten Stelle eine Zerreißung und der Dampf strömt einfach aus. Von solchen Kesselberstungen, die schon durch gewöhnliche Aufmerksamkeit zu verhüten sind, unterscheiden sich aber wesentlich die eigentlichen Explosionen mit ihren oft furchtbar verheerenden Wirkungen. Der Kessel ist dann eine mit Knallgas geladene platzende Bombe. Die Entstehung von Knallgasen ist aber sehr wohl möglich unter der Voraussetzung, daß bei zu tiefem Wasserstande frei gelegte Partieen der Kesselwandungen in’s Glühen gerathen.

Diesen Zustand der Dinge nimmt Herr Hipp für alle vorkommenden Explosionen als vorhanden an, und hiergegen könnte sich wohl Opposition erheben; sie würde dann aber den evidenten Nachweis zu führen haben, daß Kessel auch ohne vorgängiges Erglühen explodiren können. Glühendes Eisen zersetzt, wie allbekannt, Wasserdämpfe, um mit dem Sauerstoff derselben Oxyd zu bilden. Sind aber die Dämpfe mit Luft gemischt, wie dies in einem Kessel immer der Fall, so lange die Speisepumpe im Gange ist und mit dem Wasser auch Luft zuführt, so erfolgt eine Dampfzersetzung nicht, sondern das Eisen nimmt bequemer den ungebundenen Sauerstoff der Luft auf. Erst wenn diese bei unterbrochener Speisung sich erschöpft hat und noch glühende unoxydirte Flächen vorhanden sind, muß der Dampf den Sauerstoff hergeben und Wasserstoff bleibt übrig, ein an sich ganz unschädliches Gas, das aber, wenn wieder Wasser mit Luft in den Kessel gelangt, in Vermischung mit letzterer ein gefährliches Knallgas bildet. Die meisten Explosionen finden nun aber gerade beim Anlassen der Maschinen, also bei Zuführung frischen Speisewassers statt. Eine andere Knallgasfabrication kann Platz greifen beim Gebrauch fettigen Speisewassers. Das Fett wird von den glühenden Wänden zersetzt, es bildet sich Kohlenwasserstoff, Leuchtgas, ganz wie in einer Gasretorte, und es liegt diese Gefahr eigentlich noch näher als die erstere, denn es braucht dabei nicht erst eine Lufterschöpfung und Wiederzufuhr erfordert zu werden, sondern das Kohlengas kann sich jederzeit mit der Kesselluft mischen und, wenn das richtige Mischungsverhältniß eingetreten und glühende Stellen vorhanden sind, sich entzünden. Kommt es aber dahin, so wirkt natürlich die augenblickliche ungeheure Hitzesteigerung auch auf das Kesselwasser und verwandelt einen großen Theil desselben in Dampf, und so wird eine Kraft entfesselt, der selbst die stärksten Mauern schon haben weichen müssen. Das richtige und sehr einfache Vorbeugungsmittel gegen Unglück wäre sonach, daß man das Glühendwerden von Kesselpartieen verhüte durch immer hinreichend hohen Wasserstand. –

Stahl bildet bekanntlich vorzugsweise das Material für elastische Federn. Die Nordamerikaner haben jetzt angefangen, denselben durch einen anderen Stoff zu ersetzen, dem man die Befähigung hierzu kaum zutrauen sollte, nämlich Kork. Zur Anfertigung dieser neuartigen Federn erweicht man vorher die Korkstücke in einem Gemisch von Wasser und Syrup, schneidet sie in Scheiben von sechs oder sieben Zoll Durchmesser, durchlocht diese in der Mitte, schichtet eine Anzahl derselben in einen eisernen Hohlcylinder und preßt sie in einer hydraulischen Presse so weit zusammen, daß die Korksäule auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Höhe reducirt wird. Nachdem nun durch das System ein eiserner Schraubbolzen geschoben und eine Mutter gegengeschraubt ist, kann die Presse gelöst werden und die Feder ist fertig. In einer New-Yorker Maschinenfabrik sind derartige Federn schon seit fünf Jahren in Anwendung und haben sich bei den gewaltsamsten Stößen und schwersten Drücken, die in der Praxis vorkommen können, so unversehrt erhalten, daß man ihnen das Prädicat „unverwüstlich“ beilegen möchte. –

Ueber das Wesen und die Vegetationsbedingungen der Trüffeln hat man lange nichts Rechtes gewußt und namentlich hat der willkürliche Anbau derselben trotz vieler Versuche nicht gelingen wollen. Erst in neuer Zeit ist die Trüffelfrage gelöst, und es giebt nun in Frankreich wirklich Trüffelplantagen und ein sicheres Anbauverfahren. Das letztere ist von den Bauern einiger Gemeinden der Provence entdeckt, lange im Stillen ausgebeutet und ihnen endlich abgelauscht worden. Will man auf dem für die Trüffel allein passenden sterilen, kalkig-kiesigen Boden eine Pflanzung anlegen, so ist außer dem Umhacken des Bodens nichts nöthig als Eicheln zu säen von einem Baume, unter welchem recht reichlich Trüffeln wachsen. Die Aussaat geschieht reihenweise in bemessenen Abständen, die Pflanzung wird alljährlich behackt und allmählich, so wie die jungen Eichen heranwachsen, durch Herausnehmen von Bäumchen mehr gelichtet, bis der bleibende Abstand von vier Meter erreicht ist. Im fünften oder sechsten Jahre erscheinen um die Stämmchen die ersten Trüffeln, der Ertrag nimmt dann alljährlich zu, ist am reichlichsten zwischen zwölf und zwanzig Jahren und dauert bis zum Absterben des Baumes. In dem Maße, als die Eiche größer wird und ihre Saugwurzeln weiter nach außen schiebt, erweitert sich auch der Trüffelring, denn nur über dem kleinen Gewürzel wächst der Pilz. Düngung ist zulässig, aber lediglich mit gerbstoffhaltigen Pflanzentheilen, wie Eichen- und Kastanienblättern, den grünen Schalen der letzteren etc. Gießen bei Dürre hat keinen Erfolg gegeben. Die Trüffel, die schwarze nämlich, denn die übrigen, sämmtlich geringer geschätzten Sorten werden nicht gebaut, beginnt ihr Wachsthum im Mai oder Juni, ist im September schon groß, aber wässerig und fadschmeckend; im November sieht sie marmorirt aus und vom December an reift sie. Sie ist dann schwarz oder violett und entwickelt ihr charakteristisches Parfüm. Der Reifezustand tritt plötzlich, gleichsam über Nacht ein, aber immer nur an einzelnen Knollen, und es zieht sich demzufolge die Ernte bis in den März hinein. Zum Ausnehmen der reifen Knollen bedienen sich die Pflanzer der bekannten professionirten Trüffelsucher mit ihren abgerichteten kleinen Hunden oder Schweinen; indem diese Thiere nur die reifen Stücke markiren, weil die unreifen noch nicht riechen, bleiben die letzteren ungestört. Die Trüffelbeete selbst sind so leicht an der kahlen trockenen Beschaffenheit des Erdreichs zu erkennen, daß die zahlreichen Diebe sie auch bei Nacht zu finden wissen; aber da sie für das speziellere Aufsuchen keine vierbeinigen Kundschafter mitbringen können, so hacken sie eben Alles um, stehlen einen Theil und verderben das Uebrige. –

Die Apparate und Geräthe der Haushaltung haben durch die industrielle Technik, seitdem sich dieselbe mit einer gewissen Vorliebe diesem Fache zugewendet, schon manche sehr dankenswerthe Verbesserung erfahren, und selbst manches ganz Neue ist zur Verfügung gestellt und macht sich nützlich durch Vereinfachung der Arbeit, Ersparniß an Zeit und Geld, oder größere Bequemlichkeit und Annehmlichkeit. Als ein solcher neuer, aller Beachtung werther Artikel erscheinen die patentirten elastischen Drahtmatratzen der Herren R. Mitzbach und Lieber in Augsburg. Wenn bisher Stahlfedermatrazen das Beste und Theuerste in diesem Bedarfsartikel waren, so leisten die kaum halb so theuren Drahtgebilde nicht nur ganz dieselben Dienste, sondern versprechen selbst noch größere Annehmlichkeit. Dieselben bestehen aus einem doppelten, an den Kanten dreifachen, verzinkten Metallgeflecht, sind im Innern hohl und scheinen so leicht und luftig gebaut, daß man ihnen beim bloßen Anblick ihre Widerstands- und Sprungkraft gar nicht zutrauen sollte, vielmehr dieselbe erst durch Daraufsetzen oder [95] -Legen erproben muß. Es bedarf nur des Ueberbreitens einer Filz- leichten Seegras- oder Roßhaardecke, um ein äußerst behagliches, gleichsam schaukelndes Lager zu haben. Preis, bei sechsjähriger Garantie, zehn bis sechszehn Gulden. –

Daß es auch giftige Strümpfe geben könne, ist wohl noch Niemandem von selbst in den Sinn gekommen. In England war kürzlich eine Sorte in grellen Anilinfarben gemusterter Strümpfe oder Unterstrümpfe (Chaussettes) stark in die Mode gekommen, aber sie bewirkten bei einer großen Anzahl Trägerinnen ernstliche locale Hautkrankheiten. Es wurden deshalb Klagen vor den Richter gebracht und nach Constatirung der Thatsache mußte die gefährliche Waare aus dem Handel verschwinden. Ein Paar solcher Strümpfe war auch nach Hâvre gekommen und hatte nach dem Befunde zweier Aerzte in folgender Weise Uebel angerichtet: die Grundfarbe des Stoffes, Anilinviolett, war durchaus ohne Wirkung auf die Haut geblieben, dagegen hatte sich die ganze aus lebhaft hochroth gefärbter Seide bestehende Streifenmusterung abcopirt in sehr heftiger geschwollener, wie Brandblasen aussehender Entzündung. Ein allgemeines Unwohlsein, einer leichten Vergiftung ähnlich, hatte sich hinzugesellt und wich erst nach zweitägiger ärztlicher Behandlung. Die giftige Farbe erwies sich als Corallin, das gleich dem Anilin aus dem Steinkohlentheer stammt, aber aus der darin vorfindlichen Phenolsäure (Steinkohlenkreosot) hergestellt wird. Das Corallin als das lebhafteste Roth findet auch sonst in der Färberei jetzt häufig Anwendung, und man hat übrigens von dem Tragen so gefärbter Zeuge noch keine nachtheiligen Folgen bemerkt. Man wird sie nach der Meinung der französischen Aerzte auch ferner ohne Besorgniß benützen dürfen zu allen Theilen der Bekleidung, welche nicht unmittelbar und fest an der Haut anliegen, und dieser Fall wird ja überhaupt wohl nur bei den Strümpfen vorkommen. Während aber somit dieser eine künstliche Farbstoff sich als ein häßliches Zugpflaster erwiesen hat, kann ein zweiter andere Gefahren oder wenigstens Schrecken bewirken. Die Gelbfärberei in Seide geschieht jetzt großentheils mit pikrinsaurem Kali, einem explosiven Stoff, den keine Eisenbahn mehr zum Transport übernehmen will. Hat eine Dame in ihrer Kleidung solches Gelb, so liegt die Möglichkeit gar nicht so fern und soll sich in England schon verwirklicht haben, daß in der Nähe eines heißen Ofens oder Kamins solche Theile warm genug werden, um mit einem plötzlichen Knalleffect auf Nimmerwiedersehen zu verpuffen. –

Elektrocapillarität ist die Aufschrift eines neu eröffneten Capitels der Naturwissenschaft, das mit einer Reihe neuer interessanter Thatsachen beginnt und deren ohne Zweifel noch mehr gewähren wird. Durch langwierige Versuchsarbeiten ist der rühmlich bekannte französische Professor Becquerel zu Ergebnissen gelangt, die sowohl an sich als in Betracht der daran zu knüpfenden Folgerungen höchst belangreich erscheinen. Die Sache ist in der Kürze folgende: Wenn man die Lösungen zweier verschiedener Salze zusammenmischt, so erfolgt in einer Mehrzahl der Fälle sofort eine Umpaarung oder sogenannte doppelte Zersetzung derselben; die Säuren oder Basen der Salze wechseln ihre Stellen und es entstehen aus den früheren Salzen zwei neue. Dieser Vorgang erfolgt stets und ist vorherzusagen, wenn man weiß, daß das eine der neuen Salze eine in Wasser unlösliche Verbindung ist, denn eben durch die Unlöslichkeit ist die engere Verwandtschaft dieses Paares documentirt. Dieses Salz scheidet sich also als Niederschlag aus der Mischung ab und ist in der Regel amorph, das heißt ohne kristallinische Gestaltung. Statt dieser allbekannten Erscheinungen verlaufen aber nach Becquerel die Dinge ganz anders, wenn die beiden Flüssigkeiten nicht direct zusammengebracht, sondern eine jede für sich in ein Behältniß gegossen werden, das vermittels einer durchlässigen Membran von organischem Gefüge, etwa ein Stück Thierblase, in zwei Abtheilungen geschieden ist. Die Wirkung erfolgt nun in weit langsamerem Gange und andere Neubildungen treten auf; statt amorpher Niederschläge entstehen auf beiden Flächen der Scheidewand Kristalle, die chemisch und physikalisch anders als jene beschaffen sind. Es läßt sich aber dabei die Mitwirkung einer anderen als der chemischen Kraft, der Elektrizität nämlich, deutlich nachweisen. Ein jedes unter den angegebenen Umständen zusammengebrachtes Paar chemisch verschiedener Flüssigkeiten bildet in Wirklichkeit ein galvanisches Element mit positivem und negativem Pol. Füllt man beispielsweise die eine Zelle des Apparats mit Thonerdekali, die andere mit Chromchlorür, so schießen auf der positiven Fläche der Membran, welche mit der ersteren Flüssigkeit in Berührung ist. Krystalle von wasserhaltiger Thonerde, auf der anderen grüngefärbte von gewässertem Chromoxyd an. Analog verhalten sich Thonerdekali und Antimonchlorür. Bringt man an Stelle der ersteren Substanz kieselsaures Kali, so entstehen ausgezeichnete Kieselerdekrystalle von solcher Härte, daß sie Glas ritzen. Eine einseitige Krystallisation wird erhalten durch die Gegenwirkung zwischen Kali- und Kobaltlösung. Bei directer Vermischung dieser beiden entsteht ein blauer Niederschlag von Kobaltoxyd; im getheilten Apparat dagegen schießt das Oxyd in schönen Krystallen an. Durch diese und eine große Anzahl anderweiter Experimente ist also dargethan, daß bei Dazwischenkunft einer organischen Membran, obwohl sie selbst durchaus keiner chemischen, sondern nur physikalischer Wirkungen fähig ist, bekannte chemische Vorgänge ganz wesentlich abgeändert werden, und es liegt nun sehr nahe, diese Erscheinungen mit denjenigen in Parallele zu setzen, welche in den lebendigen Organismen der Thier- und Pflanzenwelt zu Stande kommen.

Es hat sich in der heutigen Gelehrtenwelt die Ueberzeugung oder der Glaube herausgebildet, daß die belebte Natur von ganz denselben Gesetzen beherrscht wird wie die unbelebte, daß eine besondere Lebenskraft nicht existirt, vielmehr alle pflanzlichen und thierischen Lebenserscheinungen aus dem Zusammenwirken chemischer, physikalischer und elektrischer Kräfte zu erklären sein müssen. Hierbei könnte nun Bequerel’s Elektrocapillarität sehr wohl dienlich sein, denn der Pflanzen- und Thierkörper besteht ja fast ausschließlich aus membranösen Scheidewänden zwischen verschiedenartigen Flüssigkeiten. So lange diese Gewebe sich im normalen Zustande erhalten, besteht Elektrocapillarität und damit die Fortdauer der Lebensfunctionen; erschlaffen die Gewebe, erweitern sich ihre Poren, so ändern sich die Dinge: es tritt allmählich directe Berührung zwischen den verschiedenen Flüssigkeiten ein und damit gelangt die so zu sagen ordinäre Chemie zur Action, welche für den betreffenden Organismus Krankheit und Tod bedeutet.



[190]
Nr. 2.
Ein unfaßbares neues Metall. – Wunderbare Lichtwirkungen – Zum Besten der Farbenreiber. – Mechanischer Lichtbilderdruck. – Künstliches Krapproth. – Tränkung der Locomotiven im Laufen. – Schwimmende Telegraphenstationen. – Die Monsterbrücke zwischen England und Frankreich. – Das Lachgas. – Dampfkesselexplosionen noch einmal.


Ueber die Aufsaugung von Gasen durch Metalle bei gewissen höheren Temperaturen oder unter Einfluß der Elektricität sind von dem bekannten englischen Chemiker Graham eine Reihe interessanter Versuche angestellt worden. Die Metalle verhalten sich in den Graden ihrer aufsaugenden Kraft verschieden, allen voran aber steht dam Palladium. Wird ein Blech oder Draht dieses Metalls in ein Glasrohr gebracht, die Luft herausgezogen und dafür trockenes Wasserstoffgas andauernd hineingeleitet, so absorbirt das Metall, wenn das Rohr dabei auf hundert Grad C. erhitzt wurde, davon das Neunhundertfünfzig- bis Neunhundertachtzigfache seines eigenen Volumens. Schon bei gewöhnlicher Sonnenwärme wird das Dreihundertsechsundsiebenzigfache verdichtet; dagegen bewirken Temperaturen über hundert Grad hinaus, je höher sie steigen, in zunehmendem Maße eine Wiederaustreibung bis zur gänzlichen Erschöpfung. Auf einfachere Weise wird die Sättigung des Metalls mit dem Gase erreicht durch Verbindung des ersteren mit dem Wasserstoffgas einer galvanischen Batterie, in welcher Wasser zersetzt wird. Das im Metall verdichtete Gas zeigt die ihm eigenen chemischen Reactionen, aber energischer als unter gewöhnlichen Umständen; ein gasbeladenes Palladiumstäbchen entfärbt die blaue Jodstärke, das übermangansaure Kali bildet in einer Lösung von Blutlaugensalz Berlinerblau etc.

Also das leichteste aller Gase, das sich noch auf keine Weise zu einer Flüssigkeit verdichten ließ, befindet sich in den Poren eines Metalls in fast tausendfacher Concentration, und es liegt nun die Frage nahe, in welchem Zustande es sich hierbei befinden möge. man könnte wohl vermuthen, die Wasserstoffatome möchten zu einer Flüssigkeit zusammengedrängt sein; Graham dagegen ist zu der Ueberzeugung gelangt, der Wasserstoff selbst sei nichts anderes als der Dampf eines höchst flüchtigen Metalls, welches sich unter den angegebenen Umständen mit dem Palladium zu einer ordentlichen Legirung zusammen thue und somit einen festen Bestandtheil in derselben ausmache. In der That zeigt sich das mit dem Wasserstoff gesättigte Metall in seinen Eigenschaften dem entsprechend verändert: seine Dichtigkeit und Fähigkeit sind wesentlich vermindert, ebenso seine Leitungsfähigkeit für Elektricität, wie dies bei Legirungen der gewöhnliche Fall ist. Dagegen erhält das Palladium, welches an sich sehr wenig magnetisch ist, durch die Verbindung mit Wasserstoff diese Eigenschaft in ansehnlichem Grade, ganz so, als sei es mit einem stark magnetischen Metall legirt worden. Auf diese Indicien hin hat Graham den Wasserstoff in die Reihe der Metalle gestellt und Hydrogeninm benannt. Daß man aber dieses flüchtige Wesen jemals in Form solider Barren in die Hände bekommen werde, ist undenkbar. Die Graham’schen Versuche sind von hohem Interesse, aber das daraus Gefolgerte ist zur Zeit noch Hypothese. –

Großes Interesse erregen in England die neuen Untersuchungen des Professors Tyndall über die chemischen Wirkungen des Lichts, die dem Gelehrten viel zu denken, dem Laien wenigstens ein magisch anziehendes Schauspiel geben, gleichsam Träume der Natur sichtbar vorführen. Der Professor gebraucht bei seinen Darstellungen eine wagerecht aufgestellte Glasröhre von etwa drei Fuß Länge und dritthalb Zoll Weite, an einem Ende mit einer Luftpumpe verbunden, während am anderen eine elektrische Lampe steht, deren Strahlen längshin durch die Röhre fallen. Statt des elektrischen kann auch Sonnenlicht dienen und die Wirkung beider ist ganz die nämliche. Durch die Pumpe wird gereinigte Luft in die Röhre geschafft, welche vorher durch eine gewisse Flüssigkeit streichen muß, um sich mit den Dämpfen derselben zu sättigen. Die verschiedenen chemischen Flüssigkeiten, welche einzeln den Versuchen unterworfen werden, sind solche, deren Empfindlichkeit gegen das Licht bekannt ist, namentlich salpetersaures Amyl, Bromwasserstoff, Jodwasserstoff etc. Eine jede bewirkt Erscheinungen von besonderem Charakter. Ist nun das Glasrohr in angegebener Weise mit dampfhaltiger Luft erfüllt und von dem starken Licht durchleuchtet, so ist anfänglich nichts Besonderes zu bemerken; nach einigen Minuten aber entstehen in der Röhre Nebel, welche bald allerlei symmetrische Formen und Gruppirungen annehmen, und zwar manche derselben von sehr complicirtem Charakter. Es zeigen sich je nach den Umständen Gestalten wie Rosen, Sonnenblumen, Fischaugen oder mit Kiemen versehene Fischköpfe, schneckenförmige Gewinde, Trichter etc. in manchen Fällen sind diese Gebilde mit den brillantesten Farben ausgestattet. stets aber herrscht bei der Gruppierung derselben eine gewisse Symmetrie, und namentlich bei den thierähnlichen Gestaltungen findet sich für jedes Bild immer ein Gegenbild. Es sind nach Professor Tyndall vorzugsweise die dunkeln, mit der stärksten chemischen Wirkung begabten Strahlen des Lichtes, welche diese Phänomene zu Stande bringen; sie zersetzen die dunstförmigen chemischen Verbindungen und gruppiren durch ihre Schwingungen die schwebenden Atome etwa in ähnlicher Weise, wie die Luftwellen musikalischer Töne die bekannten Klangfiguren erzeugen. So wäre es denn das Licht, welches, wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte, Ordnung und Symmetrie in das Chaos bringt, und das planetarische Leben verdankte der Sonne nicht nur die Existenz, sondern erhielte von dort gleichsam auch die Modelle zu den Formen, in denen es sich ausprägt. –

Das Verreiben von Farben mit Leinöl, Firniß u. dgl. ist bekanntlich, wenn es nicht einer Maschine übertragen werden kann, eine so mühsame wie zeitraubende, dabei scheinbar ganz unausweichliche Arbeit. Dennoch hat sich gefunden, daß man sich in mehreren Fällen davon dispensiren und auf weit leichtere und raschere Art zum Ziele gelangen kann. Dies ist thunlich, so weit bis jetzt constatirt worden, bei Bleiweiß, Zinkweiß und Zinkgrau, Mennige, Kienruß, also gerade den meist gebräuchlichen Substanzen, während andere, namentlich Erden und Ocker, für das Verfahren nicht taugen. Die einfache, im kleinsten wie größten Maßstabe ausführbare Operation ist folgende. Das Farbepulver wird in viel Wasser eingerührt (der Ruß nach vorheriger Durchfeuchtung mit etwas Spiritus) und die dünne Suppe durch ein Haarsieb gelassen, womit man der gröberen Theile ledig ist. Hat sich der Farbstoff zu Boden gesetzt, so gießt man das meiste Wasser ab, gießt Leinöl zu und arbeitet die Masse mit Spatel, Kelle u. dgl. durch. Nach einigen Minuten schon fangen Oel und Farbstoff an sich zu verbinden, das Wasser sondert sich als obere Schicht völlig klar ab und ist leicht zu entfernen. Durch weitere knetende Verarbeitung läßt sich alles noch etwa mechanisch eingeschlossene Wasser absondern und die Farbe ist dann zum verstreichen fertig, kann auch beliebig mit mehr Oel oder Siccativ versetzt werden. Bei den für diese Behandlung ungeeigneten Stoffen bleibt das Durcheinanderrühren ohne Erfolg, es sondert und bindet sich nichts, und man muß demnach bei jenen andern eine besondere Neigung annehmen, mit dem Oel in chemische Verbindung zu treten. –

Mit dem Auftreten der wunderhaften, uns jetzt so alltäglich gewordenen Lichtbildnerei war eine große Aufgabe gelöst und eine neue gegeben: die Ermöglichung des Abdrucks photographisch erzeugter Bilder auf dem gewöhnlichen mechanischen Wege. Die Versuche dazu begannen alsbald nach dem Bekanntwerden von Daguerre’s Erfindung; man bemühte sich damals, die Quecksilberbilder durch Aetzen der Metallplatten abdruckbar zu machen. Seitdem ist die Sache noch von mancher anderen Seite angegriffen worden und zwar von so vielen Gelehrten und Praktikern und mit solchem Eifer, daß man sich sagen konnte, die volle Lösung – denn an halben Erfolgen hat es nicht gefehlt – werde sicher noch gefunden werden und die Angelegenheit sei nur eine Zeitfrage. Jetzt haben sich der Lösungen gleich zwei angekündigt, ganz verschieden in der Art des Verfahrens, aber beide den Versicherungen zufolge zu solcher Vollendung gebracht, daß nichts zu wünschen übrig bleibt. Die von Herrn Hofphotograph J. Albert in München erfundene Methode liefert von Glasplatten gedruckte Bilder, die sich in nichts von gewöhnlichen Photographien unterscheiden und die ganze Kraft und Weichheit der Töne wie Feinheit der Details, deren photographische Aufnahmen fähig sind, getreulich wiedergeben. Ganz das Nämliche wird behauptet von der jetzt zur Reife gediehenen, Erfindung des Franzosen Drivet. Sein Verfahren besteht im Allgemeinen darin, daß über dem auf photographisch-chemischem Wege gewonnenen Original eine Kupferplatte galvanisch niedergeschlagen wird, welche das Bild nach Belieben erhaben [191] oder vertieft wiedergiebt und zwar so kräftig ausgeprägt, daß die Platten für große Mengen von Abdrücken dienen können. Das Verfahren soll für jegliche Größe und Art von Bildern, namentlich auch für Porträts sich eignen, und es wird der Vortheil hervorgehoben, daß man künftig für denselben Preis, den ein paar Dutzend gute Porträtkarten beim Photographen kosten, eine Platte werde erhalten können, welche auf Jahre hinaus zur Abnahme von Drucken tauglich bleibe. Dies wäre natürlich nur ein Minimum von allen den großen Vortheilen, welche in der Möglichkeit liegen, große Mengen guter bildlicher Darstellungen von unvergänglicher Dauer bedeutend leichter und rascher herstellen zu können, als es dem Photographen in seinem Copirrahmen möglich ist. –

Der Steinkohlentheer, die schwarze Mutter der farbenprächtigsten Kinder, hat sich noch nicht erschöpft. Nachdem der Reihe nach das Anilin, das Naphtalin, das Theerkreosot ihren Beitrag zu der bunten Scala geliefert, ist noch ein anderer fester, dem Naphtalin verwandter Kohlenwasserstoff des Theers, das Paranaphtalin oder Anthracen, tributpflichtig geworden. In der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin haben kürzlich die Herren Gräbe und Liebermann die interessante Mittheilung gemacht, daß es ihnen gelungen sei, daraus den Farbstoff des Krapps, das Alizarin, künstlich darzustellen. Proben dieses Kunstproducts im Krystallzustande, sowie damit bedruckte Zeuge wurden vorgelegt. Bei allen Fortschritten in der Industrie der Theerfarben konnte man die Meinung hegen, daß wenigstens die beiden edelsten Pflanzenfarbstoffe, Indigo und Krapproth, dennoch immer in Amt und Würden bleiben dürften. Jetzt scheint die eine dieser Größen schon entthront, und so könnte es künftig möglicherweise dahin kommen, daß wir dem Orient, statt Krapp von dort zu beziehen, künstliches Alizarin zuführten. Zählen doch schon gegenwärtig selbst China und Japan unter den stärksten Abnehmern europäischer Theerfarben. –

In England beginnt eine gut ausgedachte Verbesserung im Eisenbahnwesen in Aufnahme zu kommen, eine Vorrichtung nämlich, durch welche bei Schnellzügen die Aufenthalte wegfallen, welche bisher durch die Einnahme von frischem Speisewasser verursacht wurden. Die Tender schöpfen vielmehr ihren Bedarf, während die Züge im vollen Laufe bleiben. Das Wasser wird ihnen nämlich in einem eisernen Troge vorgesetzt, der sich an der Einnahmestation zwölfhundert Fuß lang in der Mitte der Schienen hinzieht. Ein metallenes Schöpfrohr mit einer Weitung von zehn Zoll Breite und zwei Zoll Höhe geht schräg vom Tender herab gegen den Wasserspiegel. Sobald der Tender den Anfang des Troges erreicht, drückt der Wärter auf einen Hebel und das Rohr senkt sich so weit, daß es zwei Zoll tief in’s Wasser taucht. Das Weitere macht sich von selbst; durch das rasche Gegenfahren gegen das ruhende Wasser wird dieses gezwungen im Rohre aufzusteigen. Die Steighöhe bis zum Ausguß in den Tender ist siebenundeinhalb Fuß; nach der theoretischen Berechnung muß der Zug, um das Wasser so hoch emporzutreiben, die Geschwindigkeit von einundzwanzig Fuß per Secunde haben. Die Praxis ergab jedoch, daß, um die Sache in erwünschten Gang zu bringen, die Geschwindigkeit noch etwas höher gesteigert werden muß. Beim Durchfahren des ganzen Trogs können 1148 Gallonen Wasser aufgenommen werden. –

Eine neue Erweiterung der Communicationsmittel in England liegt erst im Plan vor, hat aber alle Aussicht ins Leben zu treten. Es sollen schwimmende Telegraphenstationen an geeigneten Punkten der britischen Küsten errichtet werden auf Schiffen, die einige vierzig oder fünfzig englische Meilen vom Lande ab in’s Meer gelegt werben und mit der Küste durch Unterwasserkabel verbunden sind. Die äußerste südwestliche Spitze Englands, der südliche Zugang zum St. Georgscanal, verschiedene Punkte im Norden und Süden Irlands sollen successive in dieser Art versorgt werden. Vorbeifahrende oder ankommende Schiffe werden dann schon aus der Ferne mit der Küste und dem ganzen Lande correspondiren können. In zweiter Linie sollen dann diese Ausliegeschiffe auch Stationen bilden zur Aufnahme und Abgabe von Personen, Briefen etc., deren Beförderung durch regelmäßig hin- und herfahrende Dampfboote besorgt werden soll. –

Das kolossale Project einer Eisenbahnbrücke zwischen England und Frankreich ist vielfach als ein ebenso großer Humbug bezeichnet worden; gegen solche Anschauung aber wird von Seiten der Unternehmergesellschaft lebhaft protestirt und die Gesundheit und Reellität des Unternehmens vertheidigt. Man beruft sich darauf, daß die bedeutendsten Sachverständigen beider Länder den Plan gebilligt und für wohl ausführbar erklärt haben; daß die viertausend Pfund, welche zur Herstellung eines in der Ausführung begriffenen großen Modells zusammengesteuert worden, zum guten Theil von Fachleuten gegeben sind; endlich daß das Unternehmen fortdauernd die hohe Protection des französischen Kaisers genieße. Die Brücke soll nach einer neuerlichen Abänderung des Planes dreißig Bogen erhalten, die Pfeiler werden nicht aufgemauert, sondern ein jeder wird aus einer Anzahl eiserner Hohlcylinder bestehen, einer Gruppe von Riesensäulen, die durch Zwischenwerk unter sich verbunden sind, übrigens aber isolirt stehen und den Wogen und Winden freien Durchgang gestatten. Bei der Höhe der ansehnlichsten Kirchtürme und den angenommenen Stärkedimensionen aller Theile wird der Bau ein Gewicht und eine Widerstandsfähigkeit haben, welche laut Rechnung die Kraft der stärksten Orcane um das Sechsunddreißigfache überbieten soll. –

Die gebräuchlichsten fest überall angewandten Betäubungs- und Schmerzverhütungsmittel bei Operationen am menschlichen Körper sind bekanntlich Chloroform und Schwefeläther. Jedes der beiden hat seine Verfechter, die das andere verwerfen, Thatsache ist es indeß, daß die Anwendung des einen wie des andern mit Gefahr verbunden ist und Todesfälle nicht allzuselten im Gefolge gehabt hat, und daß auch im gelungenen Fall Schwindel, Kopfschmerz und sonstiges Uebelbefinden als Folgen der Betäubung zurückzubleiben pflegen. In letzter Zeit beginnt nun als ein neues Anästheticum das Lach- oder Lustgas (Stickstoffoxydul) sich geltend zu machen, das eigentlich gar keine Neuigkeit ist, sondern schon 1800 von Davy zur Anwendung für denselben Zweck vorgeschlagen wurde. Allein obschon seitdem in Hörsälen und sonst mit dem Gas vieltausendfache Proben angestellt worden sind, weil sich immer Leute fanden, die seine eigenthümlichen Wirkungen an sich selbst zu erfahren wünschten, so hat seine praktische Anwendung doch erst in letzter Zeit, vor etwa zwei Jahren, und zwar zuerst in Amerika begonnen. Diesem Beispiele sind kürzlich die Engländer und Franzosen gefolgt. In Amerika zählt man bereits mehr als vierzigtausend Fälle gelungener Anwendung, in England über zweitausend. Das Mittel paßt indeß nicht für schwere und mehr Zeit erfordernde Operationen, sondern nur bei solchen, die in ein paar Minuten abzumachen sind, wie das Ausziehen von Zähnen, Oeffnung von Geschwüren und dergleichen. Es sind darum auch besonders die Zahnärzte die eifrigen Freunde des Lachgases geworden, obschon seine Anwendung umständlicher und seine Bereitung kostspieliger ist als die der andern Mittel. Denn es muß, um keine üblen Wirkungen zu haben, erstlich chemisch ganz rein sein und dann auch so verabreicht werden, daß es unvermischt mit Luft eingeathmet werden kann, wozu ein besonderer Apparat gehört. Unter diesen Bedingungen ist die Wirkung des Mittels so rasch als gutartig. in sechzig bis achtzig Secunden pflegt der Betäubungszustand einzutreten, fünfzig bis hundert Secunden anzudauern und dann plötzlich und vollständig, ohne Hinterlassung von Nachwehen, wieder zu verschwinden. Nun muß aber bei der gewöhnlichen Schilderung der Lachgaswirkungen – ungeheure Heiterkeit, unwiderstehlicher Lachtrieb, lebhafte Körperbewegungen und Gesticulationen – wohl die Frage entstehen, wie bei solchen Zuständen eine Operation thunlich sein könne. Hierauf antworten uns die Operateure. die Wirkungen sind nicht allein nach den Temperamenten verschieden, sondern hängen wesentlich auch von der augenblicklichen Gemüthsstimmung ab. Wer im Begriff ist sich einer Operation zu unterziehen, schwebt immer in einiger Besorgniß, und da kommt es gar nicht oder doch nur in den allerseltensten Fällen zu lebhaften Ausbrüchen. Manche Patienten verlieren auch gar nicht das Bewußtsein, sondern sehen Alles, was um sie vorgeht, aber in dem ungemeinen Wohlgefühl, das der Einathmung folgt, bleiben die Schmerzen der Operation von ihnen unbemerkt. Uebrigens ist die merkwürdige Wirkung dieses Mittels eben auch, wie bei Chloroform und Aether, nichts anderes als das Vorspiel einer Erstickung, die bei zu weit fortgesetzter Anwendung nicht ausbleiben würde. –

In Anlaß unseres neulichen Referats über die Hipp’sche Erklärung der Kesselexplosionen geht uns von competenter Seite eine Kritik dieser Knallgastheorie zu, nach welcher dieselbe denn doch auf schwachen Füßen stehen würde. Es wäre hiernach erstlich noch unerwiesen, daß überhaupt Kesselpartieen glühend werden können, so lange noch irgend Wasser im Kessel befindlich die mit Kesselstein und Oxyd bedeckten Wandungen gewährten dann selbst im glühenden Zustande nicht die Bedingungen, die zur Wasserzersetzung, noch weniger die zur Entzündung des präsumirten Knallgases erforderlich sind. Ein solches Gas in seiner Vermischung mit der ganzen Dampfmenge würde sich jedenfalls selbst durch den elektrischen Funken nicht entzünden lassen oder, die Möglichkeit einer Entzündung angenommen, doch eben wegen dieser Vermischung nur eine ganz unbedeutende Drucksteigerung bewirken können. Die Sache ist also nach unserm Gewährsmann unmöglich. Dagegen lehre die Erfahrung immer deutlicher, daß Explosionen nur durch sträfliche Vernachlässigung einer gehörigen Kesselprüfung entstehen, daß in fast allen Fällen die eigentliche Ursache darin gefunden wurde, daß man fortfuhr, Kessel zu benutzen, deren Wände durch Rost und Brand schon zu sehr geschwächt waren.