Zum Inhalt springen

ADB:Arnim, Bettina von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Arnim, Bettina von“ von Gustav von Loeper in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 578–582, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Arnim,_Bettina_von&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 05:16 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 2 (1875), S. 578–582 (Quelle).
Bettina von Arnim bei Wikisource
Bettina von Arnim in der Wikipedia
Bettina von Arnim in Wikidata
GND-Nummer 118504185
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|2|578|582|Arnim, Bettina von|Gustav von Loeper|ADB:Arnim, Bettina von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118504185}}    

Bettina: Anna Elisabeth von Arnim, geborene Brentano, Schriftstellerin der neuromantischen Schule, geb. 4. April 1785 zu Frankfurt a. M., † 20. Jan. 1859 zu Berlin (in dem Hause Zelten Nr. 8). Sie stammt aus der zweiten Ehe des kurtrierischen Geheimen Raths und Residenten Peter Anton Brentano († 1797) mit der schönen Maximiliane Euphrosyne, der Tochter von Sophie v. Laroche. Der persönliche Einfluß der Eltern tritt jedoch zurück, da sie nach dem frühen Tode der Mutter (1794) dem Kloster zu Fritzlar (in Kurhessen, einige Meilen südlich von Kassel, an der Eder) zur Erziehung übergeben ward. In der Einsamkeit und den schönen Umgebungen des Klosters entwickelte sich die phantastische Richtung ihrer reich ausgestatteten Natur, ohne sie dem Leben zu entfremden; vielmehr liegt in der Klostererziehung der Grund ihrer spätern Abwendung von der katholischen Kirche, der sie äußerlich bis zu ihrem Tode angehörte. Im Kloster lernte sie die weiblichen Handarbeiten, in deren kunstsinniger Behandlung sie excellirte. Ebenso zeigte sich schon hier ihre große Begabung sowol für Musik als für bildende Kunst. Im J. 1801 von der Eder nach dem Main zurückgekehrt, lebte sie theils (bis 1807) im Hause ihrer Großmutter Laroche zu Offenbach oder im Cronstett’schen Stift zu Frankfurt bei ihrer sechs Jahre älteren Freundin Caroline von Günderode, theils bei ihren älteren Geschwistern, namentlich bei ihrer Schwester Kunigunde, der Gattin Savigny’s zu Marburg, Landshut, Berlin. Ihr Briefwechsel mit der Günderode, der gedachten romantischen und katholisirenden Dichterin (Tian), die aus verschmähter Liebe ihr Leben freiwillig endete (1806), und mit ihrem um sieben Jahre älteren Bruder Clemens geben ein klares Bild ihres damaligen, innerlich und äußerlich überreichen Lebens. Die Großmutter selbst vermittelte dem geliebten Kinde „ihrer Max“ die Culturformen des vorigen Jahrhunderts, welche sich an ihren und Wieland’s Namen knüpfen. Dort sah sie hervorragende französische Emigranten, auch jene Du Gachet, das Vorbild von Goethe’s „Natürlicher Tochter“, ferner Berühmtheiten wie Herder, noch kurz vor seinem Tode, Bonstetten, Friederike Brun, die Krüdener, die Stael u. A. m. In dem Emigrantenkreise erfuhr sie Enghien’s Tod, wie ihr schon früh der Name Mirabeau und der anderer Revolutionsmänner erklang. Napoleon trat, persönlich jedoch wol erst auf der Rückkehr vom preußischen Feldzuge am 22. Juli 1807, in ihren Horizont: die Frankfurter Republik wurde aufgehoben und eine monarchische Verfassung unter Dalberg, dem Fürsten Primas (Sept. 1806) eingeführt. Auch mit ihm kam sie früh in Verbindung. Unterricht erhielt sie von Privatlehrern, von Haberlein (Königsb. I. S. 53) und dem armen Arenswald; vor allem trieb sie Generalbaß und musikalische Composition. Sie sang zur Guitarre und zum Clavier selbstcomponirte Lieder, sie zeichnete, sie modellirte in Thon bei einem kunstreichen Töpfer, sie lebte ebenso sehr in der poetischen wie in der geschichtlichen und der Tageswelt, ohne jedoch selbst sich in dichterischen Formen zu ergehen. Durch ihren Bruder Clemens lernte sie dann Achim von Arnim kennen (Frühlingskranz [579] S. 246). Damals betheiligte sie sich durch Mittheilung von Volksliedern an „Des Knaben Wunderhorn“ (Herbst 1805) und an der „Einsiedlerzeitung“ (acht Strophen des Gedichts „Es schien der Mond gar helle“, Nr. 12 vom 12. Mai 1808 werden ihr zugeschrieben). So trat sie in den Mittelpunkt der romantischen Bestrebungen: sie war die Ungenannte, der Arnim seinen „Wintergarten“ zueignete (1809) und ihr widmeten noch später die Brüder Grimm die Kinder- und Hausmärchen (1843; die erste Ausgabe Bettina’s Sohne Freimund). Den Meister der Romantiker, Goethe, hatte sie von Kindheit an auch als ihren Meister verehren gelernt. Ihre Großmutter war seine mütterliche Freundin, ihre Mutter seine Jugendliebe gewesen. Von seiner noch in Frankfurt lebenden Mutter († Sept. 1808) empfing sie deren ganzen Schatz von Lebenserinnerungen. Auf einer Reise mit ihrer Schwester Meline (v. Guaita) suchte sie im April 1807 Wieland und Goethe in Weimar selbst auf. Hier knüpfte sich das schöne Verhältniß, welches sie nach Goethe’s Tode in dem „Briefwechsel mit einem Kinde“, unter Benutzung der zwischen ihnen in den nächsten Jahren (bis Anfang 1811) gewechselten Briefe dargestellt hat. Der Briefwechsel läßt erkennen, wie diese Bekanntschaft, der Jahre lange Aufenthalt in dem Savigny’schen Hause, die Reisen, besonders nach München, wo sie Schelling, Jacobi, und nach Wien, wo sie Beethoven bewundern lernte, und die Ereignisse der Napoleonischen Zeit ihren Gesichtskreis erweitert hatten.

Eine neue Epoche eröffnete im April 1811 ihre zu Berlin geschlossene Ehe mit Achim von Arnim, dem „ersten Menschen“, dessen Ritterlichkeit und männliche Schönheit sie vor Jahren zuerst in Kassel gefesselt hatten. Die Geschichte dieser Heirath hat Arnim in einem Briefe an Görres vom 14. April 1811 humoristisch verzeichnet. Gleich darauf löste sich Bettina’s Verhältniß zu Goethe. Die Südländerin war nun in den Norden versetzt, die Frankfurterin nach Berlin. Die alsbald hereinbrechenden Kriegsereignisse erprobten ihren Patriotismus; der während der französischen Zeit in den Rhein- und Maingegenden neu erwachte deutsche Geist erhielt hier in Preußen praktische Ziele. Arnim war das Muster eines preußischen Patrioten im Stein’schen Geist, ein Gegner sowol Hardenberg’s als Haller’s. In diesem Sinne wirkte er auf seiner Besitzung Wiepersdorf bei Dahme in der Mark. Dort führten Arnims, mit Ausnahme einiger regelmäßig in Berlin zugebrachter Wintermonate, ein idyllisches Gutsherrn- und Familienleben, von Arnim theils in seinem „Landhausleben“, theils in seinen Briefen an Görres in reizenden Details geschildert. Die in jedem Betracht glückliche Ehe erfreute sich eines reichen Kindersegens; schon 1819 spricht Arnim von dem fünften Kinde. Zwischenher ging aber das eifrigste Kunsttreiben. Als Clemens 1824 in Schlangenbad seine dort zur Cur sich aufhaltende Schester wiedersah, gab er Görres eine Schilderung ihres Wesens. Er nennt sie „das großartigste, reichstbegabte, einfachste, krauseste Geschöpf“, das in stetem „Reden, Singen, Urtheilen, Scherzen, Fühlen, Helfen, Bilden, Zeichnen, Modelliren“ Alles in Beschlag nehme, um das „Gemeine als Modell zum Höheren in irgend einem Act zu stellen und das Ungemeine sich gesellig bequem zu setzen“.

Mit Arnim’s Tode (21. Jan. 1831) beginnt die dritte Epoche, die ihres selbständigen Auftretens als Schriftstellerin. Sie lebte nun mit ihren Kindern, vier Söhnen und drei Töchtern, dauernd in Berlin. Ihr Haus bildete einen Mittelpunkt für die aufstrebenden Geister der Nation, vorzüglich während der ganzen Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. In dieser großen gährenden Uebergangsepoche, in der Alles, was heute der Erfüllung entgegengeht, sich tumultuarisch ankündigte, fand auch ihre Stimme Raum. Sie sympathisirte mit dem edlen Aufschwunge des Königs, widerstrebte aber der Form, in der der Staat sich unter ihm organisirte. Während sie durch Veröffentlichung ihrer Briefwechsel [580] ihre poetische Jugendzeit verherrlichte, gleichzeitig auch die Werke ihres Gatten herausgab, wandte sie sich mit einer Reihe politischer und socialer Schriften direct an den König. Diese Erörterungen über die Probleme der Zeit goß sie in Gesprächsform; wie Plato den Sokrates, führte sie die Beschützerin und Lehrerin ihrer Jugend, die „Frau Rath“, Goethe’s Mutter, redend ein, um durch solche Fiction auch diesem schweren Stoffe eine Art künstlerischer Gestalt zu geben und ihn individuell zu beleben. Ihr Ende fiel mit dem des romantischen Königs zusammen. Es gibt wenig große Menschen ihrer Zeit, zu denen sie nicht in einer Beziehung gestanden. Als ihre Nächsten nennen wir die Grimm, Schleiermacher, Wilhelm v. Humboldt, Schinkel, den Architekten Stier, Prinz Waldemar von Preußen, Liszt, Tieck, Ranke, Pückler, Varnhagen, Ritter (schon in Frankfurt), ihren Schwiegersohn Herman Grimm, Joachim etc.

Bettina’s Berühmtheit und ihre Stellung in der deutschen Litteratur wurzeln hauptsächlich in dem „Briefwechsel mit einem Kinde“, der bewußten künstlerischen Reproduction eines novellistischen Stoffes aus dem Leben. Einer dithyrambisch fortgerissenen Mädchennatur wird die diese bezähmende Sophrosyne des Dichters gegenübergestellt. Dem Zwecke dieser Charakterdarstellung entsprechend mußte sie die wirklich gewechselten Briefe frei bearbeiten, die daher nur als Documente für den Geist der Zeit, nicht für deren Ereignisse gelten können. Die darin enthaltenen Erzählungen aus Goethe’s Jugendzeit hat dieser jedoch selbst als Materialien zu „Dichtung und Wahrheit“ benutzt. Auch sonst ist der ursprüngliche Charakter der Briefe nicht eigentlich verändert; dies ergibt eine Vergleichung derselben mit Bettina’s gleichzeitigen Aeußerungen, z. B. mit ihrem unverändert abgedruckten Briefe an Jacobi vom 15. Oct. 1808. Das Buch „Die Günderode“ und „Clemens Brentano’s Frühlingskranz“ schließen sich jenem Briefwechsel als stilistisch vollendete Litteraturwerke an. Das letztere, weniger fortreißend als jener, erquickt durch die große Lieblichkeit und das zarte Ethos. Dagegen tritt, sowol nach der menschlichen, als nach der litterarischen Seite, der spätere Briefwechsel mit Nathusius „Ilius Pamphilios“ zurück, er ist ein Zeichen der Zeit, da Nathusius von der Romantik zur evangelischen Orthodoxie überging.

Wie jene Briefwechsel die stürmische Begeisterung der Epoche bekunden, wo der deutsche Geist sich romantisch in sich vertiefte und Deutschland den nationalen Charakter in seinen allgemeinen geistigen Bestrebungen wiederfand: so enthalten ihre spätern politischen Schriften den Versuch, diesen Geist ins Leben einzuführen. Neben dem vielen Unreifen, was jene Tage brachten, erscheint dieser Versuch einer Frau, Forderungen des Herzens auch im Staatsleben zu erheben, reif und berechtigt. Wer kann ihr widersprechen, wenn sie in jener Zeit „lebenausprägende Weisheit, Heldenthum, Kunst“ vermißt (Dämonen S. 39), wer sie tadeln, wenn sie gegen das Alltägliche, das Mittelmäßige eifert, wenn sie auf allen Gebieten Angriffe gegen die Verschanzungen der Philister unternimmt, gegen das „Geschlecht, das hocken bleibt auf Gesetz und Form und schaudert vor dem Getümmel regsamer Sinne“ und gegen die pergamentnen Staatsverwalter (Dämonen S. 12. 39. 77; Königsb. I. S. 60). Sie erfüllt der ächt weibliche Drang, dem Unterdrückten beizustehn, den Vaterlandshelden, den Tirolern 1809 (Briefw. mit einem Kinde) und den Ungarn vierzig Jahre später (Dämonen S. 105. 108). Sie, die schon in Marburg mit dem Juden Ephraim, dem Weisen aus Morgenland, und mit der jüdischen Goldstickerin Veilchen in Frankfurt Freundschaft geschlossen (Günderode II. S. 174. Frühlingskranz S. 13. 141. 185. 316), kämpfte auch später für die Emancipation der Juden (Dämonen zu Anfang), und für die Aufhebung der Todesstrafe tritt sie mit ganz neuen Argumenten in die Schranken (Königsb. II. [581] S. 418 ff.). „Jeder Blutstropfen, sagte sie, ist zu viel.“ Im Königsbuch stellte sie ihr Fürstenideal auf: der König soll den Geist der Demokratie in sich aufnehmen und intuitiv läßt sie Friedrich Wilhelm IV. in den „Dämonen“ über Volkssouveränität und Königthum von Gottes Gnaden sich ebenso aussprechen, wie es derselbe ohne ihr Wissen gleichzeitig in der Correspondenz mit Arndt wirklich that (Beilage zu Nr. 17 der Neuen Preuß. Zeitung 1861). Den inneren Zwiespalt des Königs stellt sie treffend dar. Auch ihre Charakteristik Napoleon’s ist ebenso tief als einer deutschen Frau würdig (Günderode II. S. 118 ff.). Nimmt sie in solchen Schriften, wie überhaupt, Anläufe über das Maß ihrer Natur hinaus, so tritt das „Ewig-Weibliche“ derselben am leuchtendsten in ihrem Wohlthätigkeitssinne hervor. Hier, in der Nähe, findet sie das Feld der christlichen Mission, deren ferne Ziele sie wol verspottet (Königsb. II. S. 463); sie durchwandert persönlich das Voigtland in und bei Berlin und veröffentlicht den Befund (das. S. 534–598). Wo es zu helfen gibt, tritt sie werkthätig und opferfreudig ein; sie scheut nicht die Ansteckung der Cholerakranken und den am Krebsgeschwür dahinsiechenden, von Allen verlassenen armen Knaben pflegt sie, die Fremde, allein, trotz der brennenden Hitze und des unerträglichen Geruchs.

Weiblich ist auch ihr schriftstellerischer Charakter. Gleich der, viel bewußteren, Rahel und der Sévigné hat sie ihr Bestes in Briefen ausgemünzt. Diese sind ihre Gedichte. Auf unmittelbare Wirkung ausgehend, griff sie weder zum Liede, wie die Droste-Hülshof, noch zur Romanform. Was gleichwol in ihr an Gestaltungskraft vorhanden, zeigte sich in dem künstlerisch schönen Gipsmodell und den Zeichnungen zu einem Goethe-Monument (in Berlin befindlich). Aecht weiblich ist sie groß im Gefühlserguß, im liebevollen Ergreifen der Welt, in der Idylle, in der Begeisterung, schwach in der logischen Entwicklung, in klarer Begründung; aber in dem Ersten ist sie wieder so groß, daß sie in ihrer weiblichen Einseitigkeit doch wieder Vollständigkeit erreicht. Alle Bildungselemente der Zeit, mit Ausnahme der Alten und der italienischen Renaissance, hatte sie in sich aufgenommen, aber aus Allem nur den Geist der Wahrheit, der Einfachheit, des Edlen geschöpft. Dem Französischen blieb sie fremd, und wie sie Italien nie gesehen, war auch das Italienische ihrer Abstammung im Deutschen aufgegangen, bis auf das südliche Feuer, das ihre Worte durchglüht, den feinen plastischen Formensinn und die Abwesenheit aller Sentimentalität.

Der Mangel der neu-romantischen Schule an historischem Sinn, das Ueberwiegen des Bildlichen über das Sachliche, der Synthese über die begriffliche Analyse, die Verbindung und Vermischung des Heterogensten – alles dies bezeichnet zugleich Eigenschaften des andern Geschlechts. Theilte B. alle diese Mängel in hervorragendster Weise, so blieb sie eben in dem ihr von der Natur angewiesenen Gebiete. Ihr, der Frau, geziemte die Reaction des Gefühls gegen das einseitig Verständige, gegen das Herkömmliche, die äußere Regel; von ihr erträgt man das „Strampeln“ gegen das „Gescheute“, gegen die Bildung (Günderode II. S. 75 und 79), da ihre Opposition aus einer gesunden, unverfälschten Natur spontan hervorbricht. Diese wirkte elektrisch zündend auf ganze Kreise, wie auf Einzelne. Eifersüchtig wahrte sie ihre Selbständigkeit, ihre Unantastbarkeit, ihr Selbstdenken, vornehmlich in religiösen Dingen (Günderode II. S. 162; Dämonen S. 13; Königsb. I. S. 42. 56). Auch die körperliche Gymnastik, das verwegene Klettern und Springen sah sie an als Vorübung, um im Geistigen und Sittlichen die Krücken wegzuwerfen (Günder. II. S. 82). Es spricht aus ihr ein Höheres instinctiv. Ein Werderuf, der Ruf: Aufwärts! Excelsior! durchdringt alle ihre Schriften (Königsb. II. S. 420), göttliche Worte, Anklänge, Erinnerungen an das Tiefste, Religion werdend, vieldeutig [582] wie Orakel und vor Ueberschwänglichkeit nie sich dem begrifflichen Umrisse fügend. Dann wohl, gleich den andern Neuromantikern, nach einer neuen Religion suchend, erscheint sie als das weibliche Gegenbild zu Schelling und zwar ebensowol zu dem Philosophen der Natur und der Identität, als zu dem Philosophen der Religion. Ueberschreitet sie hier ihre Sphäre, so ist sie im Poetisiren der Natur in ihrem eigensten Elemente: ein Gedicht wie Goethe’s Herbstgefühl wird zum adäquaten Ausdrucke ihres Innern (Günder. II. S. 177).

Aus dem lebendigen Ergreifen der Dinge fließt die Anschaulichkeit und Freiwilligkeit ihrer Sprache. Sie streift zwar den rheinisch-fränkischen Dialekt, absichtlich bisweilen, wie in den Erzählungen der „Frau Rath“: die frische Farbe ihrer Diction tritt so nur in desto stärkern Gegensatz zur abgeblaßten Buchsprache. Das Belebende und Verjüngende ihres Stils liegt, abgesehen von rein geistigen Ursachen, in den vielen der äußern Natur entlehnten Bildern, in dem so stets mit dieser geführten Wechselgespräche, darin, daß das Schönste des Himmels und der Erde, Gestirne und Blumen, ihr das Geistige deuten, daß „Blüthen und Kräuter“ zu Worten werden (Günder. II. S. 185). So spricht sich unbewußt eine tiefe poetische Individualität aus und deren Einfluß bleibt. Ihre Naturschilderungen sind ein Höchstes dieser Stilgattung. Aber auch für die Ereignisse des Lebens weiß sie das richtige Wort genial zu treffen: in den Marburger Studentengeschichten, in den Erzählungen vom Erdbeermädchen, vom Juden Ephraim, der Fahrt mit dem pedantischen Professor und dem Balle gibt sie entzückende Genrebilder (Frühlingskr. S. 296 ff. u. 353 ff.). Der Schmelz der ersten Jugend und Unschuld ruht auf solchen Darstellungen; unerwartet aber verwandelt sie sich in einen deutschen Kobold, und glaubt man ihn zu fassen, so steht eine Sibylle vor uns. Die Herrschaft über das Wort, mehr noch über das gesprochene als über das geschriebene, blieb ihr durch das ganze Leben. Etwas so Stilvolles wie die Widmung ihres Königsbuches schreibt heute, außer George Sand, vielleicht Niemand. Oft muß man freilich einen Superlativ der Begeisterung, einen fast bacchantischen Taumel und eine im Nebel sich verlierende Phantasie mit in Kauf nehmen, so daß man mit jenem Manne in der „Günderode“ (II. S. 152) ausrufen möchte: „Das geht über alle Unmöglichkeit hinaus!“

Im Leben, in ihrer Familie, in der Unschuldswelt ihrer reichbegabten Kinder überwog das Mütterliche, Vorsorgliche, Hülfreiche ihres allem Kleinlichen und Unedlen abgewandten Wesens und sie bewährte Tertullian’s Wort: Die menschliche Seele ist eine Christin von Hause aus.

Bettina’s Schriften bei Goedeke Grdrß. III. 36. u. 37 (wo jedoch unter Nr. 5, 1848 statt 1811 zu lesen ist). Dazu: An die aufgelöste preußische Nationalversammlung, Stimmen aus Paris 1849; Compositions par B. v. A., dédiées à Spontini; die Melodien zu ihres Gatten „Gräfin Dolores“ (s. oben Bd. I. S. 557) und (ungedr.) zu mehreren Stücken aus „Faust“. – Briefe Bettina’s zerstreut, u. a. in Jacobi’s Nachlaß von Zöppritz 1869, II. S. 27, in Fürst Pückler’s Briefwechsel etc. 1873, Bd. I u. in Görres’ Ges. Schriften 1874, Bd. IX. Originalbriefe Goethe’s an B. in Bl. f. litt. Unterh. 1861, Nr. 45 und bei Ersch u. Gruber (unter Ludw. Emil Grimm). – Ueber den „Briefw. mit e. Kinde“ nachträglich zu Goedeke noch: Görres, Morgenbl. 1835, Nr. 78–87; W. Alexis, Bl. f. litt. Unterh. 1835, Nr. 79–81; Gervinus, Ueber den Goethe’schen Briefw. 1836, S. 153 ff., endlich Siegfried’s Epistel 1858 (gegen Lewes). – Bettina’s Goethe-Denkmal s. Katalog der Goethe-Ausstellung. Berlin 1861.