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ADB:Chézy, Wilhelmine von

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Artikel „Chézy, Helmina von“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 119–122, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ch%C3%A9zy,_Wilhelmine_von&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 10:27 Uhr UTC)
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Band 4 (1876), S. 119–122 (Quelle).
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Chézy: Helmina v. Ch., Schriftstellerin, geb. am 26. Januar 1783 zu Berlin, † am 28. Januar 1856 zu Genf. Ihre Mutter (eine Tochter der bekannten Dichterin Anna Luise Karsch) hatte in zweiter Ehe, unglücklich wie ihre erste Ehe, einen Freiherrn v. Klenke geheirathet; als das Kind zur Welt kam, waren die Eltern schon wieder getrennt. Helmina, welche bei der Großmutter aufwuchs, gab frühzeitig Proben ihres Talents und schrieb schon mit 14 Jahren einen später vernichteten Roman. Im August 1799 verheirathete sie sich mit Baron Hastfer; aber die Ehe ward schon im October 1800 getrennt. In der Folge mit J. P. Richter bekannt, schrieb sie in einer Jean Paul-Lafontaine’schen Genlisirenden Eklektik, bis sie, im Mai 1801 von Frau v. Genlis nach Paris eingeladen, dahin übersiedelte, von wo aus sie in einem leichten flüssigen Feuilletonstile über französische Zustände fleißig nach Deutschland correspondirte. Helmina dichtete auch an einer „Napoleonide“, „es sollte eine Art Gerusalemme liberata werden“, bis ihr die Procedur gegen den Herzog von Enghien das Werk verleidete. Ihr späteres Buch „Leben und Kunst in Paris“ (1805–7 in 2 Bdn.) ließ Napoleon trotz eines an ihn gerichteten Widmungssonettes mit Beschlag belegen. Durch Fr. Schlegel mit dem ausgezeichneten Orientalisten Antoine Léonard de Chézy (geb. 15. Januar 1773 zu Neuilly) bekannt, reichte sie diesem 1803 ihre Hand, trennte sich aber mit ihren beiden aus dieser Ehe stammenden Söhnen Wilhelm und Max 1810 „auf unbestimmten Urlaub“ von ihm und zog nach Heidelberg, von wo viele Streifzüge nach Aschaffenburg (zum Fürst-Primas v. Dalberg), Mildenberg (Familie Horstig) und Amorbach unternommen wurden; hier dichtete sie bei dem bühnenliebenden Fürsten Leiningen das Schauspiel „Emma und Eginhard“, welches daselbst auch mit einer Musik von Hettersdorf zur Aufführung kam. Nach der Schlacht von Hanau betrieb sie mit Erfolg die bessere Verpflegung der nach Darmstadt gebrachten Verwundteten und Gefangenen. Ihre volle Thätigkeit entfaltete sie nach Napoleon’s Sturz. Mit einer großen Ladung von Charpie, kühlenden Getränken und gesammeltem Geld fuhr die mit einer eigenhändigen Cabinetsordre des Königs Friedrich Wilhelm ausgestattete Dichterin nach den Lazarethen Belgiens und des Niederrheins. Ihre rücksichtslose Heftigkeit verwickelte sie aber in einen Proceß, in Folge dessen sie nach Berlin ging, um ihr Recht selbst geltend zu machen. Angeklagt auf Verläumdung der Invaliden-Prüfungs-Commission wurde Helmina durch den Scharfsinn ihres Inquirenten, des Dichters E. Th. A. Hoffmann vom Kammergericht völlig freigesprochen. In Berlin schriftstellerte sie für den „Freimüthigen“, für Gubitz’ „Gesellschafter“ (z. B. die Erzählung „Der Apfelbaum“), machte Auszüge aus englischen Zeitungen, sammelte Erinnerungen für ihre „Aurikeln“ (1818) und veranstaltete eine Ausgabe „Auserlesene Schriften“ zum Besten der verwundeten Krieger (1817). Damals entstand auch ihre vieles Aufsehen machende Erzählung „Emma’s Prüfung“ (1817), welche L. Tieck für die beste Arbeit Helminens erklärte; das Ganze beruht auf Wahrheit und eigenen Erlebnissen; wie Frau v. Stäël Italien, so gedachte sie Deutschland zu schildern. Im Herbste 1817 siedelte sie nach Dresden über, 1823 nach Wien. Im Jahre 1826 bethätigte sich Helmina zur Zeit der Noth im Salzkammergut, besonders zu Hallstadt, wobei sie wiederum durch ihren wohlmeinenden Feuereifer, der die Dinge häufig anders erscheinen ließ, als sie lagen, in unliebsame Berührung mit den [120] Behörden kam, gerade so wie freilich bei anderweitigem Anlaß auch 1830 zu München. Doch wußte Erzherzog Johann die Sache durch den Wiener Hof in Ausgleich zu bringen. Nach dem Tode (31. August 1832) ihres Mannes eilte die Dichterin nach Paris, wo sie nach vielen Mühen endlich eine Pension von 1200 Francs als „Indemnität für die Wittwe eines Mitglieds des Instituts“ erwirkte; später fügte Friedrich Wilhelm IV. noch ein Jahrgehalt hinzu, um die von einem unruhigen Wanderdrange umhergetriebene Schriftstellerin vor Mangel zu bewahren. Krank und beinahe erblindet dictirte sie ihre Erinnerungen („Unvergessenes“) ihrer Großnichte Bertha Christiane Borngräber, welche 1853 zur Pflege der dahinsiechenden Frau eigens von Tirschtiegel nach Genf gekommen war, wo Helmina am 28. Januar 1856 ihr vielbewegtes und wie es scheint durch ihr eigenthümliches Wesen wenig sonniges Leben beschloß. Ihr phantastisches Talent ließ ihr die Thatsachen meist völlig anders erscheinen, als sie in Wahrheit waren, in Folge davon zerschlug sie sich häufig mit ihren besten Freunden, wofür sie durch ihre Berührungen mit den „höheren Kreisen“ an den Höfen zu Berlin, Dresden, Wien und München theilweisen Ersatz suchte. Nach den rücksichtslosen Schilderungen ihres eigenen Sohnes erscheint ihr Charakter sehr wenig anziehend. Von ihrer eigenen Person gibt sie in mittleren Jahren noch folgende selbstgefällige Schilderung: „Mein Haar vom feinsten Golde, meine hellblauen Augen, mein rosiger Mund mit sanftgerundeten Lippen, meine schneeweiße Haut, mein schlanker Wuchs waren für mich Schmuck genug“ (Unvergessenes I. 295). Ihr Portät wurde von Vogel v. Vogelstein, Flor, Hensel, u. A. öfters gemalt; viele ihrer Lieder und Gedichte componirt z. B. von Jos. Dessauer. Daß sie den zum Druck bereiteten Gesammtnachlaß ihres Mannes nicht herausgab, bleibt immer zu beklagen. Ihre eigenen Uebersetzungen in den Fundgruben des Orients sind (wie Jakob Grimm 1811 an Görres schreibt) „so schlecht als ihre eigenen Gedichte. Die Poesie der Weiber stiftet doch wenig Rechtes und Gutes und so muß es eigentlich der Karschin zugeschrieben werden, daß ihre Enkelin sich einbildet eine Dichterin zu sein“ (Görres, Freundesbriefe 1874 I. 229). Helmina freilich blieb der Ansicht, daß „die Krone des Genius ein Kunkellehen in der ganzen Familie war“ (Unvergessenes II. 162). Von den Werken ihrer Mutter besorgte sie Frankfurt 1805 eine Auswahl; von ihren eigenen Schriften erwähnen wir außer den oben genannten: „Gedichte“, 1812, in 2 Theilen; „Blumen in Lorberen von Deutschlands Rettern gewunden“, 1813; „Gemälde von Heidelberg, Mannheim, Schwetzingen, dem Odenwald und Neckarthale“, 1816 (in 3 Auflagen); „Iduna“, 1820; „Erzählungen und Novellen“, 2 Thle. 1822; „Stundenblumen“, 1824 ff. in 3 Theilen; „Der Wunderquell; dramatische Kleinigkeit“, 1824; „Jugend-Leben und Ansichten eines papiernen Kragens“, 1830; „Herzenstöne auf Pilgerwegen“, 1833; „Norika. Neues ausführliches Handbuch für Alpenwanderer und Reisende durch das Hochland und Oesterreich ob der Enns, Salzburg, Gastein, die Kammergüter und die obere Steyermark“, 1833. – Eine Unzahl von Aufsätzen und Gedichten ist in allen gleichzeitigen Zeitschriften, Almanachen und Taschenbüchern zerstreut; außerdem verfaßte sie auch das Textbuch zu Weber’s „Euryanthe“. Ihre unter dem Titel „Unvergessenes“ von Bertha Borngräber 1858 in 2 Bänden herausgegebenen „Denkwürdigkeiten aus dem Leben“, enthalten eine Menge interessanter Züge und schilderungen von mehr oder minder berühmten Männern, Frauen und Zeitgenossen, mit welchen die Dichterin verkehrte.

Max Ch., Maler, geb. am 25. Jan. 1808 zu Paris, † am 14. Dec. 1846 zu Heidelberg, ihr zweiter Sohn, genoß den ersten Unterricht bei Professor Hartmann zu Dresden, studirte zu Wien und München, seit 1829 in Paris beim Maler Hersent. Nach der Julirevolution kehrte er nach Deutschland zurück, wo er zu München, [121] Düsseldorf und Baden-Baden lebte. Von ihm existiren viele Bildnisse in Wasserfarben, er zeichnete auch mit der Kreide auf Stein, z. B. das Porträt des Dichters Josef Kenner (vgl. Kreißle’s „Schubert“, 1865. S. 14 und Wurzbach, Lexik. XI. 167). In Paris lieferte Ch. eine ausgezeichnete Copie von Greuze’s berühmter Brautschau. Im Münchener Kunstverein waren 1840 zwei Oelbilder, ein „Hirtenmädchen“ und „Egmont und Klärchen“ ausgestellt. Vgl. die „Erinnerungen“ seines Bruders Wilhelm 1863 III. 81 und III. 389. Es war ein schönes, leider viel zu früh abgeblühtes Künstlerleben. – Wilhelm Ch., Romanschriftsteller und Journalist, geb. am 21. März 1806 zu Paris, † 14. März 1865 zu Wien. Der älteste Sohn der obigen. Begleitete seine Mutter auf ihren vielfachen Wanderzügen an den Neckar und an den Rhein, nach Berlin und Dresden. In Wien erhielt er 1823–29 gründlichen philologischen Unterricht durch Anton Stein; seine poetische Ader wurde durch den Verkehr mit Bauernfeld, Ernst v. Feuchtersleben und Moritz v. Schwind, welcher damals den Festzug zur „Hochzeit des Figaro“ zeichnete, vielfach geweckt. Wohlvorbereitet in Philologie und Geschichte kam Ch. im Herbst 1829 nach München, entsagte aber bald der Rechtswissenschaft, um nach Spindler’s Vorbild sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. 1831 zogen beide nach Baden-Baden, wo Ch. 1834 eine Villa baute, die sich während des Sommers alljährig mit auserlesenen Badegästen bevölkerte. Hier entstanden seine besten Novellen und Romane, von welchen manche unter Spindler’s Namen in die Welt gingen. 1847 wurde Ch. nach Freiburg im Breisgau eingeladen zur Redaction der „Süddeutschen Zeitung“, 1848 ging er in gleicher Eigenschaft zur „Deutschen Volkshalle“ nach Köln, legte aber bald die Stelle nieder, um seit 1850 zu Wien sich an der „Reichszeitung“, der „Presse“ und beim „Oesterreichischen Volksfreund“ etc. in feuilletonistischer Weise zu betheiligen. Ein wiederholter Schlaganfall warf den Dichter am Abende des 14. März 1865 auf der Straße darnieder; wenige Stunden darauf verschied er im allgemeinen Krankenhause. Sein testamentarisch ausgesprochener Wunsch als „armer Mann“ und „katholischer Christ von dem humansten aller bestehenden Vereine“ (dem Verein Joseph von Arimathia) bestattet zu werden, wurde vollzogen. Ch. war kein politischer Schriftsteller und Redacteur im heutigen Sinne. Seine Feder gehörte (wie ein Nekrologist in den Histor.-polit. Blättern 55, 799 bemerkte) unter den politischen Strich, in das Feuilleton: hier war er aber auf seinem eigentlichen Boden. Zwar erlangte keiner seiner Romane eine durchschlagende Berühmtheit, deßungeachtet steht er seinem Vorbilde (Spindler) treulich zur Seite und übertrifft ihn häufig in der treuherzigen Ehrlichkeit der Erfindung und in der lauteren Wahrheit seiner Darstellung. „Wie sehr Chézy’s Verhältnisse in den letzten Jahren sich auch zu seinem Nachtheile geändert hatten, er blieb bis zu seinem letzten Athemzuge ein achtbarer Charakter, fast möchte man sagen, bei aller Armuth, ein echter Cavalier“ (Wurzbach XIV. 415). Eine bedeutende Anzahl seiner Erzählungen sind theilweise in Spindler’s „Zeitspiegel“, Lewald’s „Europa“, im Stuttgarter „Morgenblatt“ (seit 1836) und später in den Münchener „Fliegenden Blättern“ etc. zerstreut. Zu seinen besten Arbeiten gehören „Wanda Wielopolska, oder das Recht der Gewaltigen“ 1831 (aus den Polenkämpfen von 1772), dann „Der fahrende Schüler“ (1855, 3 Thle.), „Die Martinsvögel“ (1836), „Der fromme Jude“ (1845 4 Thle.). Auch im Gebiete des Schauspiels versuchte er sich mit zwei Künstlerdramen „Petrarca“ (1832) und „Camoens“. Außerdem erschien das Buch „Die noblen Passionen“ (zuerst 1837 im Morgenblatt) 1842, und „Der Ehrenhold“ (1848), ein Leitfaden der Heraldik. Dagegen ist das ihm häufig zugeschriebene „Ritterthum in Bild und Wort“ (1847) nicht von Ch. Wie er selbst in seinen „Erinnerungen“ III. 341 erklärt. Diese ebengenannte Autobiographie, welche 1863 ff. in 4 Bänden [122] erschien, zog dem Autor vielfachen Tadel zu ob der rücksichtslosen Weise, womit er das Thun und Treiben der eigenen Mutter behandelte. Helmina’s Charakter war jedoch ein häckeliger und das Benehmen der Dichterin gegen ihren Sohn kaum solcher Art, daß eine Verehrung und Liebe hätte Wurzel fassen können. Diese „Erinnerungen aus meinem Leben“ (wovon sich die beiden ersten Bände mit „Helmina und ihren Söhnen“, die beiden anderen mit „Hellen und dunklen Zeitgenossen“ befassen) bilden einen dankenswerthen Beitrag zur Zeit- und Sittengeschichte, da Ch. mit einem ausgedehnten Kreis hervorragender Persönlichkeiten aus allen Ecken und Winkeln des deutschen Vaterlandes in Berührung gerieth und die meisten mit originellen Strichen zu zeichnen verstand. Lehrreich ist III. 397 ff. das beiläufige Verzeichniß seiner überaus fleißigen litterarischen Thätigkeit. Eine gründliche Auswahl aus diesen viel zu schnell vergessenen Schriften wäre immer noch ein dankbares Unternehmen.