ADB:Ditters von Dittersdorf, Carl
[263] wahrer Volkstondichter, daneben fruchtbar wie wenig Andere und ausgerüstet mit der gediegensten Bildung, nach einem viel bewegten, an Wechsel und Erfahrungen reichen Künstlerleben in Armuth und Elend gestorben – ein Mann, der seinem deutschen Vaterlande zur größern Ehre gereicht als diesem selber die Art, wie es den Verlassenen sterben ließ. Er ward geboren (wie wir aus seiner eigenen, seinem Sohn unter den größten Schmerzen und vom Todtbette aus in die Feder dictirten „Lebensbeschreibung“ erfahren) den 2. Nov. 1739 zu Wien als Sohn ziemlich wohlhabender Eltern. Bei früh erwachender Neigung zur Musik war er mit noch nicht 9 Jahren seinem ersten Lehrer, König, schon ebenbürtig, und als dessen Nachfolger Zügler seinem jungen Zögling Gelegenheit verschaffte, in der Kirche beim Benedictinerchor mitzuspielen, erregte D. die Aufmerksamkeit des General-Feldzeugmeisters Prinzen Joseph Friedrich von Hildburghausen in solchem Maße, daß ihn dieser, mit Zustimmung von Ditters’ Vater, in seine Hauscapelle aufnahm. Im Palaste dieses Gönners erhielt der junge D. eine solide, nicht blos musikalische, sondern allgemeine geistige Bildung (wobei die Sprachen nicht die unterste Stufe einnahmen); speciell in der Musik wurden dem talentvollen „Kammerknaben“ der Componist Bonno und der Violinist Trani zu Lehrern gegeben. Von nicht geringem Einfluß auf seine Geschmacksbildung war auch die berühmte Opern- und Capellsängerin Vittoria Tesi, welche nach einer glänzenden und auch in sittlicher Beziehung makellosen theatralischen Laufbahn ihre vollendete Gesangskunst und ihre immer noch imposante Stimme in den Concerten des Prinzen von Hildburghausen entfaltete. D. weihte dieser charaktervollen Künstlerin zeitlebens eine dankbare Verehrung. Schlecht wirkte dagegen auf die Sitten des Jünglings der spätere in Folge des siebenjährigen Krieges eingerissene Müssiggang; er wurde ein Spieler, machte Schulden, und um sich seinen Verlegenheiten zu entziehen, verließ er heimlich Hildburghausen, wo er sich damals seit längerer Zeit aufhielt, und suchte eine Stellung in Wien, bald darauf in Prag. Der Prinz ließ ihn jedoch von hier zurückholen und verzieh ihm großmüthig seinen Undank. Regierungsgeschäfte riefen indessen den Prinzen bleibend nach Hildburghausen zurück und zwangen ihn, seine Hauscapelle zu entlassen. D. erhielt wol durch seine Verwendung eine Anstellung am Theater zu Wien, aber er fühlte sich hier nicht nach Wunsch und ergriff mit Freuden die Gelegenheit, mit dem berühmten Gluck (damals Hof- und Theatercapellmeister) eine Kunstreise nach Italien zu machen (1761). In Bologna gab Gluck seine Oper „Il Trionfo di Clelia“, D. ein Concert auf der Violine; beide ernteten Ruhm und Bewunderung, und kehrten mit vollstem Erfolge nach Wien zurück, um den musikalischen Vorbereitungen zu der Königskrönung des nachherigen Kaisers Joseph II. zu Frankfurt a. M. beizuwohnen. In Wien trug nun D. den Sieg über den berühmten Violinisten Lolli davon, lernte den liebenswürdigen Joseph Haydn näher kennen, überwarf sich mit dem Theaterintendanten Grafen Spork und trat in Folge dessen unter glänzenden Bedingungen als Musikdirector an Stelle des nach Salzburg abgehenden Michael Haydn (Josephs Bruder) an die Capelle des Bischofs von Großwardein, eines ungarischen Magnaten, der zufällig in Wien anwesend war. In dieser neuen Stellung schrieb D. sofort, neben einer neuen Cantate, sein erstes Oratorium „Isacco“, errichtete im Schloß ein kleines Theater, arrangirte selber die Stücke dazu (darunter seine erste opera buffa „Amore in Musica“) und führte ein durch Genuß und Vergnügungen aller Art (Jagd, Liebesabenteuer etc.) reichlich gewürztes Leben. Nach 5 Jahren nahm aber die Herrlichkeit ein unvorhergesehenes Ende: verleumderische Zwischenträgereien des Inhalts, daß der Bischof auch an Fasten und Adventstagen seine stehende Comödiantentruppe spielen lasse, zogen demselben einen Verweis der in diesem Punkt unnachsichtigen Kaiserin Maria Theresia zu, und in einem Exceß [264] gekränkten Ehrgefühls entließ er seine Capelle (1769). Nach einem kurzen Aufenthalt in Oberitalien finden wir D. im Dienste des Fürstbischofs von Breslau (v. Schafgotsch), der damals auf seinen im kaiserlichen Schlesien belegenen Gütern zu Johannesberg wohnte. Hier zeichnete sich der gewandte D. auch noch in anderen als musikalischen Künsten, z. B. in der Rolle des Waidmanns dergestalt aus, daß ihm von seinem neuen Herrn die Stelle eines Forstmeisters des Fürstenthums Neiße zugetheilt wurde. Die körperlichen Uebungen, welche der junge „Kammerknabe“ des Prinzen von Hildburghausen fleißig hatte treiben müssen, fingen an Früchte zu tragen. Vorher ging noch die Erhebung des vielseitigen Künstlers zum Ordensritter vom goldenen Sporn (Neujahr 1770) durch Vermittlung seines vornehmen Gönners. Auch hier wurde ein Theater hergerichtet und die Kunst keineswegs vernachlässigt; es entstand das Oratorium „Davide“ und die komische Oper „Il viaggiatore Americano“. In ersterem zeichnete sich in der Titelrolle Fräulein Nicolini besonders aus; D., der ihr Musikunterricht zu ertheilen hatte, eignete sich die Rolle eines in Wirklichkeit Verliebten an und führte die schöne Italienerin als Frau nach Hause. Ein ferneres Oratorium „Esther“, welches in Wien aufgeführt wurde, trug Geld und Ehre ein; D. hatte kaum vier Wochen zu dessen Composition gebraucht, wie er denn rasch und mit ungewöhnlicher Leichtigkeit arbeitete; in dem Zeitraum von zehn Monaten hat er einmal (1780) ein Oratorium „Hiob“ und vier Opern (drei deutsche und eine italienische) componirt, die drei deutschen („Betrug durch Aberglauben“, „Doctor und Apotheker“, „Liebe im Narrenhause“) hatten Erfolg, die italienische „Democrito“ dagegen fiel durch. – Das wichtigste Ereigniß im Leben des Componisten (wenigstens nach seiner eigenen Auffassung) war die im J. 1773 erfolgende Erhebung in den Adelsstand (als Karl von D.), welche verbunden war mit einer Beförderung zum Amtshauptmann von Freyenwaldau. Da aber D. am Hofe zu Johannesberg unentbehrlich war, so ließ er seine Amtmannsstelle durch einen Substituten verwalten. Die Capelle, welcher er vorstand, galt für die beste im kaiserlichen wie im preußischen Schlesien; fremde Virtuosen suchten um die Ehre nach, dort sich hören zu lassen. Leider hatte der ausbrechende baierische Erbfolgekrieg zur Folge, daß der Fürstbischof seine Musiker entließ – doch nur vorübergehend; nach dem Frieden von Teschen (1779) wurde die Capelle wieder hergestellt, großentheils aus den früheren Mitgliedern, und D., der während des Krieges in Freyenwaldau geamtet hatte, durfte die Acten wieder mit dem Dirigentenstock vertauschen. Es entstanden das Oratorium „Giobbe“ (Hiob), eine große Anzahl sogenannter „charakterisirter Symphonien“, deren Stoffe den Metamorphosen des Ovid entnommen waren (allerdings nach dem modernen, geläuterten Urtheil und Geschmack eine verpönte, weil über die Grenzen der Musik hinausliegende, für sie nicht darstellbare Gattung), und eine Anzahl Opern, worunter „Lo sposo burlato“ (auch deutsch erschienen als „Der gefoppte Bräutigam“) und „Doctor und Apotheker“. Alles das kam in Wien zur Aufführung und hatte durchschlagenden Erfolg. Auch das materielle Ergebniß war glänzend, und D. war um so weniger gleichgültig dafür, als er ein großer Verehrer eines comfortablen Lebens war und sich in Johannesberg auf ziemlich noblem Fuß eingerichtet hatte. Um so niederschlagender wirkten auf ihn die Veränderungen, welche er bei seiner Rückkehr (1787) am fürstlichen Hofe traf. Die Revenuen seines Herrn waren durch verschiedene Verumständungen derart geschmälert worden, daß die Capelle verkleinert werden mußte. Eine königliche Einladung nach Berlin zur Aufführung eigener Compositionen (1789) war zwar von einem Erfolg gekrönt wie noch nie; der Componist wurde mit Beifall und Ehren überschüttet – sein „Hiob“ wurde von einem Orchester von über 230 Musikern aufgeführt und die Mitwirkenden waren außer sich vor Verwunderung über das [265] eminente Directionstalent Dittersdorf’s; es regnete von „goldenen“ Anerkennungen – aber heimgekehrt fand der Gefeierte einen launischen, verstimmten, gegen ihn gleichgültig gewordenen, ja ungnädigen Herrn. D. bemerkte, daß seine Abwesenheit benutzt worden war, um ihn bei dem alten, schwachen Fürsten zu verleumden. Zwar gelang es ihm wieder, dessen Gunst zu gewinnen, aber nur mit dem Opfer seiner Gesundheit. Die monatelang andauernden Nachtwachen neben dem Schlafzimmer des kranken Herrn zerrütteten seine Lebenskraft, welche ohnedies schon durch öftere äußerst schmerzhafte Podagraanfälle geschwächt war, und als er sich für einige Zeit zur Ruhe nach Freyenwaldau zurückzog, fing das Complott wieder an gegen ihn zu agitiren, diesmal mit noch größerem Erfolg. D. durfte seinem Herrn nicht mehr unter die Augen treten (1794), und als dieser Anfangs 1795 starb, so wurde D. von dessen Nachfolger mit 500 österr. Gulden (nach 26 Dienstjahren!) in Ruhestand versetzt. Aber es war ein Nothstand. Zwar die Verdächtigungen gegen seine Redlichkeit wurden durch ein höchstes Hofdecret aufgehoben und seine Unschuld ging makellos aus der Untersuchung hervor, aber körperlich war er gebrochen. Vergebliche Badecuren zehrten seinen Sparpfennig vollends auf. In dieser äußersten Noth bot ihm Ignaz Freiherr v. Stillfried im Taborerkreis unfern Neuhaus) auf seiner Herrschaft eine Unterkunft an, um ihn nicht „sammt seiner Familie verhungern zu lassen“. Hier lebte er noch beinahe zwei Jahre und schrieb, um seine noch immer drückende Lage zu verbessern, Opern, Symphonien und eine große Anzahl Clavierstücke. Es zerreißt das Herz, wenn wir in seiner, wenige Tage vor seinem Ende verfaßten Biographie den Jammer des kranken Mannes mit anhören müssen, daß sich – „mein Gott!“ – bisher trotz Ankündigungen in der Leipziger musikalischen Zeitung „noch kein Abnehmer eines einzigen Stückes gefunden hat“, und noch herzzerreißender ist es, wenn der berühmte, gefeierte Componist sich die Theilnahme eines undankbaren deutschen Publicums erschmeicheln muß durch die beigefügten, nicht ihn, sondern seine Zeitgenossen wahrhaft niederschmetternden Worte, daß er „gewiß gute Waare für Geld gebe!!“ Er wünschte „Gottes Lohn“ auf den herab, der nach seinem Tode seiner armen Familie etwas Gutes thue! Am 1. Oct. 1799 starb er. Sein freimüthiges Geständniß, daß „sein Leichtsinn in Schonung seiner Gesundheit unverzeihlich sei, um so mehr, als ihm die gütige Natur einen festen und dauerhaften Körper geschenkt habe“, trägt kaum dazu bei, unsere Theilnahme für ihn zu vermindern. Wie glücklich ist, diesem traurigen Schicksal gegenüber, das doch gewiß auch nicht glänzende Loos seines begabtesten Nachfolgers in der komischen deutschen Oper – das Loos Albert Lortzing’s! Dittersdorf’s Thätigkeit auf musikalischem Gebiete ist eine vielseitige; er pflegt die Kirchenmusik (Oratorien) wie die weltliche (Symphonien, Opern, Cantaten, Concerte, Sonaten); mehrere seiner Werke sind Manuscript geblieben. Sein eigentliches und glücklichstes Gebiet ist das der komischen Oper, und mit Recht bewähren seine beiden Hauptwerke dieser Gattung „Doctor und Apotheker“ und „Hieronymus Knicker“ noch jetzt durch ihre zwar etwas derbe, aber immerhin gesunde und volksthümliche Komik eine große Anziehungskraft. Eine heitere ungekünstelte Melodie, eine musterhafte Instrumentirung, welche oft einen höheren Anlauf nimmt, sind ihnen eigen; auch die Texte sind nicht ohne großes Geschick und Bühnenkenntniß (meistens von Componisten) zurecht gemacht. D. hat ferner das Verdienst, das größere Ensemblestück zuerst in der deutschen komischen Oper zur Anwendung gebracht zu haben. „Doctor und Apotheker“ ist das erste Werk, welches lange und ausgearbeitete Finales hat. Wir nennen von seinen Opern außer den oben schon einmal erwähnten noch: „La contadina fedele“, 1785; „Orpheus der zweite“, 1787; „Das rothe Käppchen“ (Rothkäppchen), 1788; „Der Schiffspatron oder der neue Gutsherr“, 1789; „Hocus [266] Pocus“, 1790; „Das Gespenst mit der Trommel“, 1794; „Gott Mars oder der eiserne Mann“, 1795; „Der Schach von Schiras“, 1795; „Die lustigen Weiber von Windsor“, 1796; „Terno secco“, 1797; „La opera buffa“, 1798; „Don Coribaldi“, 1798; „Il mercato delle ragazze“, 1798; eine ernsthafte Oper (wol die einzige, die er geschrieben) ist „Ugolino“, 1796.
Dittersdorf: Karl v. D. (eigentlich und ursprünglich Karl Ditters), glänzender Virtuos auf der Geige und begabter Componist, in erster Reihe stehend auf dem Gebiete des volksthümlich-jovialen Humors in der Oper; ein- Vgl. über F. Dittersdorf: E. L. Gerber, Lexikon der Tonkünstler, Leipz. 1812; Gust. Schilling, Encyklopädie der Tonkunst. Stuttg. 1835 und Ed. Bernsdorf, Neues Univers.-Lexikon der Tonkunst, Dresden 1856.