Zum Inhalt springen

ADB:Schliemann, Heinrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schliemann, Heinrich“ von Alfred Brueckner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 171–184, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schliemann,_Heinrich&oldid=- (Version vom 11. Dezember 2024, 22:58 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schenk, Karl
Nächster>>>
Schlüter, Andreas
Band 55 (1910), S. 171–184 (Quelle).
Heinrich Schliemann bei Wikisource
Heinrich Schliemann in der Wikipedia
Heinrich Schliemann in Wikidata
GND-Nummer 118608215
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|55|171|184|Schliemann, Heinrich|Alfred Brueckner|ADB:Schliemann, Heinrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118608215}}    

Schliemann *) Heinrich Sch., Kaufmann und Alterthumsforscher. Am 6. Januar 1822 als eins der neun Kinder des protestantischen Pfarrers zu [172] Neu-Buckow in Mecklenburg-Schwerin geboren, wurde er auf den Namen Julius getauft, aber nach dem Tode eines Bruders auf dessen Namen von den Eltern umgenannt. Er besuchte die Dorfschule zu Ankershagen, wohin sein Vater übergesiedelt war, bis er mit neun Jahren seine Mutter verlor und in die Pflege eines Oheims kam, der ihn fürs Gymnasium vorbilden ließ. Aber er war nur ein Vierteljahr auf dem Gymnasium zu Neu-Strelitz und machte dann die Realschule der Stadt durch bis 1836, da die Mittel seines Vaters nicht reichten, ihn für einen gelehrten Beruf vorzubereiten. Er kam nach Fürstenberg in die Lehre und blieb dort 5½ Jahre, bis ihm beim Heben eines Fasses ein Blutgefäß in der Brust sprang und er für die schwere Arbeit in dem Geschäfte untauglich wurde. Sein Vater war um dieselbe Zeit aus seinem Amte verabschiedet und in Armuth gegangen; der Sohn raffte seine ersparten 30 Thaler zusammen, ging in 10 Tagen zu Fuß nach Hamburg, aber wenig in Buchführung und Correspondenz geübt und infolge der Verletzung noch geschwächt, behielt man ihn nirgends lange. In seiner Verzweiflung wollte er Schiffsjunge werden und verschaffte sich durch die Vermittlung eines Freundes seiner Eltern einen Platz auf einer Brigg, die nach Venezuela bestimmt war. Aber das Schiff scheiterte an der holländischen Küste.

Mit dem nackten Leben davongekommen, schlägt er sich nach Amsterdam durch. Eine Sammlung, die der Hamburger Freund für ihn veranstaltet, öffnet ihm die Thür einer großen Firma des Platzes, und unter den Anregungen eines großen und vielsprachigen Geschäftslebens bethätigt sich die Zähigkeit seines Charakters. Er lernt in zwei Jahren kaufmännische Handschrift und Correspondenz, dazu Holländisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch, und gewinnt damit in dem Maße das Vertrauen seiner Principale B. H. Schröder & Co., daß sie den 22jährigen als ersten Buchhalter über ihre 15 Angestellten setzen. Das wird ihm zum Ansporn, – ohne Lehrer – es mit dem Russischen zu versuchen, und der Erfolg, den die Firma davon hatte, ließ ihn alsbald als ihren Vertreter in St. Petersburg geeignet erscheinen.

Dort Ende Januar 1846 eingetroffen, ist er im Laufe des Jahres vier Mal in dem noch nicht durch Eisenbahn verbundenen Moskau, kann sein Geschäft für eigene Rechnung, in der Hauptsache Indigo-Import, begründen, reist in den letzten 2½ Monaten des Jahres zur Anknüpfung und Befestigung von Handelsbeziehungen nach den Hansestädten und Holland, England, Frankreich, Belgien, Preußen und wird nach kaum einem Jahre in Petersburg in die Gilde der Großhändler eingetragen. „The irresistible desire to travel and to see the world“,[WS 1] wie er in seinem Tagebuche aus dem Anfang der 50er Jahre schreibt, trieb ihn, nachdem er eben in erstaunlich kurzer Frist im fremden Lande festen Fuß gefaßt, weiter.

1848 war das erste Gold in Kalifornien entdeckt worden. Anfang der 50er Jahre reist Sch. dorthin, wo ihm kurz vorher ein Bruder gestorben war. Sein Tagebuch schildert, wie er drüben sein Glück zu machen versteht. Sechs Tage nach der Ankunft in New-York ist er in Washington, hört den Nachmittag den Verhandlungen des Congresses zu und meldet sich am Abend beim Präsidenten der Vereinigten Staaten Mr. Fillmore, to whom I made my introduction by stating that the great desire to see this beautiful country of the West and to make the acquaintance of the great men who govern it had induced me to come from Russia, and that I now decerned it my first and most agreeable duty to pay my respects to the President.[WS 2] Er bleibt den Abend über im Hause des Präsidenten, wird mit den leitenden [173] Männern bekannt. Acht Tage darauf ist er auf der Reise über Panama nach S. Francisco; seine Aufzeichnungen, englisch und spanisch, schließen kurze Erkundungen über die Verfassung des Landes, den Charakter der Bevölkerung und die Producte des Bodens ein. In Kalifornien angekommen, sorgt er für das Grab des Bruders und faßt den Entschluß, am selben Orte, in Sacramento, ein Geschäft zu gründen. Nach einer mehrwöchentlichen Reise in die Minendistricte eröffnet er a banking-house for the purchase of golddust and the sale of ‚Exchange‘ on the United States and Europe,[WS 3] in steter Verbindung mit dem Zweigetablissement der Londoner Rothschilds in S. Francisco. Nach drei Monaten angestrengtester Thätigkeit von früh bis Abends spät – seine acht Sprachen kamen ihm zu gute – schreibt er: „My business is now on an enormous scale and my profits are large. If in former years I had known that I should one day gain only one quarter of what I earn now, I should have thought myself the happiest of men, but now I feel myself very unfortunate, since I am separated by a distance of 18/m wersts from St. Petersburg, where all my hopes, all my desires are concentrated. In fact, in the midst of the hurricanes on the roaring oceans, in dangers and hardships, in toil and difficulties, in the whirlwind of amusements and in the bustle of business my beloved Russia, my charming St. Petersburg is constantly before my eyes. Whilst here in Sacramento I can every moment expect to be murdered or robbed, I can in Russia sleep tranquilly in my bed without any fear for my life or property, for thousand eyes of justice watch there over the peaceful inhabitant. Whilst nearly the whole western Europe is constantly alarmed by impending disturbances, Russia (by far the most powerful and largest of all empires that ever existed or that will ever exist) beams with the bright ray of eternal peace thanks to his wise and most glorious emperor Nicolas.“[WS 4]

Mehrmaliges Fieber zwang ihn zur schleunigen Aufgabe des Geschäftes und zur Rückkehr nach St. Petersburg. 1852 heiratete er eine Russin, Katharina Lyschin, eine Ehe, die Ende der 60er Jahre getrennt worden ist, und gründete in Moskau eine Filiale seines Petersburger Geschäftes. Seine über die alte und neue Welt sich ausdehnenden Verbindungen, die Schnelligkeit seines Entschlusses und das Glück halfen ihm bei der Vermehrung seines Vermögens weiter; vor allem der Krimkrieg, später der amerikanische Bürgerkrieg brachten ihm Gewinn. Bald war es Indigo, bald Kriegsmaterialien, bald Baumwolle, bald Thee, woran er im Großen verdiente. Indessen daneben reizt ihn das Erlernen anderer Sprachen, unter denen im Laufe der 50er Jahre das Griechische, zuerst die moderne Sprache, dann die alte, in den Vordergrund zu treten beginnt. Er hat Neugriechen zu Lehrern, aber in der Hauptsache lernt er nach seiner eigenen, sprichwörtlich gewordenen Methode. „Wieder befolgte ich getreulich meine alte Methode, und um mir in kurzer Zeit den Wortschatz anzueignen, verschaffte ich mir eine neugriechische Uebersetzung von ‚Paul et Virginie‘ und las dieselbe durch, wobei ich dann aufmerksam jedes Wort mit dem gleichbedeutenden des französischen Originals verglich. Nach einmaligem Durchlesen hatte ich wenigstens die Hälfte der in dem Buche vorkommenden Wörter inne, und nach einer Wiederholung dieses Verfahrens hatte ich sie beinahe alle gelernt, ohne dabei auch nur eine Minute mit Nachschlagen in einem Wörterbuche verloren zu haben. So gelang es mir, in der kurzen Zeit von sechs Wochen die Schwierigkeiten des Neugriechischen zu bemeistern; danach aber nahm ich das Studium der alten Sprache vor, von der ich in drei Monaten eine genügende Kenntniß erlangte, [174] um einige der alten Schriftsteller und besonders den Homer verstehen zu können, den ich mit größter Begeisterung immer und immer wieder las.“

Schon seit dem Ende der 50er Jahre dachte er als reicher Mann sein Geschäft aufzulösen; Ende 1863 führte er die Absicht aus. Die Reiselust trieb ihn von seiner Familie fort in die weite Welt hinaus. 1858 und 59 war er in Italien und Aegypten, eignete sich das Arabische an, um sich für die Reise selbständig zu machen, immer seine Gewohnheit befolgend, seine Beobachtungen und Erlebnisse in der Sprache des Landes aufzuzeichnen; dann kehrte er über Palästina und Syrien, Kleinasien und Griechenland heim. Sobald er das russische Geschäft aufgegeben hatte, trat er im Frühjahr 1864 eine Reise um die Erde an, die ihn nach Tunis und Aegypten, nach Indien bis zum Himalaya, nach Java und China bis zur chinesischen Mauer und nach Japan führte. Er schrieb darüber Berichte an eine Petersburger Zeitung, die er während der Muße der fünfzigtägigen Ueberfahrt nach S. Francisco zu einem Buch zusammenfaßte, das unter dem Titel: „La Chine et le Japon au temps présent“ Paris 1867 erschien.

Dort hatte er sich im Frührjahr 1866 niedergelassen, um, wie er schreibt, „sich dauernd dem Studium der Archäologie zu widmen, das ich von nun an nur durch gelegentliche kürzere Reisen nach Amerika unterbrach“. Er war amerikanischer Staatsbürger geworden, hatte Besitzungen in Cuba und war sonst an amerikanischen Werthen stark interessirt. Sein Tagebuch von der viermonatlichen Reise nach Nord- und Mittelamerika Ende 1867 bis Anfang 1868 enthält im Wesentlichen gründliche Erkundigungen über die Handelsverhältnisse.

Von 1868 ab ist die Thatkraft des Vielgereisten auf das Griechenland Homer’s gesammelt. Er steht im Bann der homerischen Sage. Wenn er darüber, wie es die Gewohnheit in seinen Büchern ist, berichtet, so leitet er die Anlässe dazu aus seinen Kinderjahren her, wo die Gespenstergeschichten der Heimath das Gemüth beschäftigt und das Bild des brennenden Troja in einer Weltgeschichte für Kinder ihm schon damals den Gedanken an eine Ausgrabung eingegeben habe; am Fürstenberger Ladentische rührten ihn die homerischen Verse, die ihm ein betrunkener Müllergeselle vortrug, zu Thränen. Sein Kinderglaube faßte, was der Dichter nach Ueberlieferungen erzählt und ausgestaltet, als Wirklichkeit auf. Ein dunkles Ahnen trieb ihn, das Außerordentliche, was ihn in der Jugend erfüllt hatte, mit Händen zu greifen. Dies ins Werk zu setzen, befähigten ihn dieselben Vorzüge, welche ihm in Rußland und Amerika seine Erfolge verschafft hatten, seine Sprachkenntniß, seine Findigkeit, mit den ihm förderlichen Personen anzuknüpfen, und seine freie Verfügung über ein großes Vermögen: für die Forschung auf fremdem Boden sehr wesentliche Mittel, deren Mangel dem gelehrten Betriebe noch anklebte und die classischen Studien einschränkte und einseitig machte. In planloser Muße in die Ferne zu schweifen, genügte seinem Ehrgeiz nicht mehr. Er wollte für die Welt der Entdecker der ältesten Herrlichkeiten auf classischem Boden werden.

Seine erste Unternehmung war noch im wesentlichen eine Orientierungsreise. Am Phäakenhaften Eiland von Korfu schwimmt er durch eine Bucht, die ihm der Führer zeigt, ans Land; das mußte die Bucht sein, wo sich Odysseus einst ans Gestade rettete. In Ithaka gräbt er mit vier Arbeitern nach dem Oelbaum, aus dem Odysseus sein Ehebett gezimmert; er findet ein paar Väschen und schwelgt in dem Gedanken, daß er in seinen fünf kleinen Urnen die Asche des Odysseus und der Penelope oder ihrer Nachkommen bewahre. Durch seine Vorlesungen aus der Odyssee erweckt er vor den jubelnden [175] Bewohnern der Insel den Geist des Dichters. In Mykenae bringt ihn die Schuttanhäufung hinter dem Löwenthor bereits auf den Gedanken, daß darin die Gräber des Agamemnon und der Seinigen zu finden wären. Ueber seine Ankunft vor Troja schreibt er: „Ich gestehe, daß ich meine Rührung kaum bewältigen konnte, als ich die ungeheure Ebene von Troja vor mir sah, deren Bild mir schon in den Träumen meiner ersten Kindheit vorgeschwebt hatte. Nur schien sie mir bei dem ersten Blicke zu lang zu sein und Troja viel zu entfernt vom Meere zu liegen, wenn Bunarbaschi wirklich innerhalb des Bezirks der alten Stadt erbaut ist, wie fast alle Archäologen, welche den Ort besucht haben, behaupten.“ In der That führt ihn Frank Calvert, ein im Lande ansässiger Engländer, zu einigen von ihm auf dem Hügel von Hissarlik gezogenen Gräben, die an der bisherigen Ansetzung der Stadt irre machen konnten und die Aufmerksamkeit auf diese Stelle als Stätte nicht nur des hellenistischen, sondern auch des homerischen Ilion lenkten. Daraus ergab sich für Sch. der Plan, den ganzen Hügel abzutragen, „um zu den Ruinen der Paläste des Priamus und seiner Söhne sowie zu denen der Minerva und des Apollon zu gelangen“ und damit ähnlich große Bauwerke aufzudecken, wie sie in Tiryns und Mykenae noch sichtbar waren. Daß sein enthusiastischer Reisebericht, den er in dem Buche „Ithaka, der Peloponnes und Troja. Archäologische Forschungen“ 1869 französisch und deutsch veröffentlichte, vielfach Spott herausforderte und im Ganzen als antiquarische Hallucination abgethan wurde, war begreiflich, aber seine Bestimmung der Lage von Troja war beachtenswerth, und in dem einen Punkte erhob er sich über die bisherigen Homertopographen, daß er sich nicht mit Erkundungen an einer einzelnen Stelle begnügte, sondern sowohl in Ithaka wie in Mykenae und Troja einzusetzen suchte. Auf seine Bewerbung hin verlieh ihm die philosophische Facultät der Universität seines Vaterlandes, Rostock, für das Buch den Doctortitel.

Nach einer abermaligen Reise nach Amerika, auf der er die Scheidung von seiner ersten Frau in die Wege leitete, wählte er seinen Wohnsitz in Athen. Er vermählte sich dort mit der Griechin Sophia Kastromenos, die seine aufopferungsvolle Gefährtin auch auf dem Ausgrabungsfelde wurde.

Nach einem kurzen vorläufigen Versuch im April 1870 erwirkte er im folgenden Jahre durch die Gesandtschaft der Vereinigten Staaten in Constantinopel einen Firman zu Nachgrabungen in Hissarlik und grub dort 1871 zwei Monate lang und in den beiden folgenden Jahre je 4½ Monate mit durchschnittlich 100 Arbeitern. Der Hügel hat eine Länge von etwa 200 m und eine Breite von 150 m. Da nach Homer auf der Höhe der Stadt der Tempel der Athena gestanden und die Götter Poseidon und Apollon die Mauer der Pergamos gebaut hatten, so mußte, rechnete Sch., in der Mitte des Hügels der Tempel zu finden sein und darum her, auf den Urboden gegründet, die Göttermauer. Er führte deshalb einen tiefen Quergraben; was an festen Mauern nicht auf dem Urboden lag, hatte für ihn kein Interesse und wurde daher abgerissen. Das Ergebniß war, daß erst in der Tiefe von 17 m der Urboden erreicht wurde. Aufgedeckt wurden Theile einer sehr alterthümlichen Ringmauer; zu ihr führte ein Stück einer stattlichen Rampe hinauf; dahinter kam auch ein ärmliches Wohnhaus zu Tage – mochte das Verhältniß dieser Reste zum Ganzen der Anlage inmitten der umgebenden Schuttmassen in Wahrheit ungeklärt bleiben, für den Entdecker gab es keinen Zweifel, daß er der Welt das Skäische Thor und den Palast des Priamos wiedergeschenkt hatte: „Möge dies heilige, erhabene Denkmal von Griechenlands Heldenruhm fortan auf ewige Zeiten die Blicke der durch den Hellespont Fahrenden fesseln, möge es ein Wallfahrtsort werden für die wißbegierige Jugend aller künftigen [176] Generationen und sie begeistern für die Wissenschaft, besonders für die herrliche griechische Sprache und Litteratur!“ Daneben kam aus den Schuttschichten eine überwältigende Masse von Steinäxten, Spinnwirteln – Terracotta-Vulkane oder Carousells hießen sie zunächst in den Berichten – und Gefäße aus Thon zu Tage, Hausrath der Steinzeit und Bronzeperiode, deren Reste bis dahin im Gebiete des Aegäischen Meeres ziemlich unbeobachtet geblieben waren. Die Funde in ihrer Urthümlichkeit hatten, abgesehen von einer Metope mit dem Relief des auffahrenden Sonnengottes, nichts von der classischen Schönheit, die S. hier zu finden hoffte. Er mochte einen Augenblick enttäuscht sein, aber er fand sich gleich im Anfang der Arbeiten darein: „Meine Ansprüche sind höchst bescheiden; plastische Kunstwerke zu finden, hoffe ich nicht; der einzige Zweck meiner Ausgrabungen war ja von Anfang an nur, Troja aufzufinden, über dessen Baustelle von hundert Gelehrten hundert Werke geschrieben worden sind, die aber noch niemals jemand versucht hat, durch Ausgrabung ans Licht zu bringen. Wenn mir nun dies nicht gelingen sollte, dann würde ich doch überaus zufrieden sein, wenn es mir nur gelänge, durch meine Arbeiten bis in das tiefste Dunkel der vorhistorischen Zeit vorzudringen und die Wissenschaft zu bereichern durch die Aufdeckung einiger interessanten Seiten aus der urältesten Geschichte des großen hellenischen Volkes. Die Auffindung der Steinperiode, anstatt mich zu entmuthigen, hat mich daher nur noch begieriger gemacht, bis zu der Stelle vorzudringen, die von den ersten hierher gekommenen Menschen betreten worden ist, und ich will bis dahin gelangen, sollte ich selbst noch 50 Fuß zu graben haben.“ Seine Ausdauer wurde belohnt, als er im dritten Jahre in der Tiefe der „verbrannten Stadt“ den großen Schatz fand, durch den er zum sprüchwörtlichen Schatzfinder geworden ist: pfundschwere goldene und silberne Becher, dazu Diademe und Ohrgehänge, bronzene Waffen und Geräthe in großer Zahl. Seine Berichte, die er darüber in der „Times“ und der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichte, hatten ein ungewöhnliches Aufsehen gemacht und ein lebhaftes Interesse an dem Problem erweckt. Er stellte sie zusammen zu seinem Buche „Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja“, 1874, das ihm A. R. Rhangabé ins Französische übersetzte, enthusiastisch und abenteuerlich in der Deutung der gefundenen Monumente; dazu gab er einen Atlas: „Trojanische Alterthümer“ in 218 Tafeln, ein überraschendes Material, aber so wenig für die Herausgabe geordnet, und so schlecht reproducirt, daß seine Veröffentlichung, zumal die Erwartungen durch Schliemann’s Berichte so hoch gespannt waren, eine scharfe Kritik hervorriefen. Nur die Schrulle des Entdeckers, so schien es, konnte diese Alterthümer für Reste des homerischen Troja halten. So war es ein bitterer Lohn, den das Ehepaar Schliemann nach allen Entbehrungen und aller Ausdauer auf der unwirthlichen Höhe, nach allem Rausch der Begeisterung erntete. Sch. trug schwer daran, aber es machte ihn an der einmal betretenen Bahn nicht irre.

Die Fortsetzung in Troja, so hoffte er, würde sich eine der heimischen Akademien angelegen sein lassen. Er selbst wollte als Mäcen in Griechenland von Athen aus (siehe unten) thätig sein und begann alsbald an den Ruinen von Mykenae den Resten von Agamemnon’s Macht nachzuspüren. Aber ein Proceß, den die türkische Regierung wegen der ihr zustehenden Hälfte der trojanischen Funde gegen ihn in Athen anhängig machte, hielt ihn auf; nach langen Verhandlungen wurde er zur Zahlung von 10 000 Frcs. verurtheilt. Er sandte das fünffache dem Ministerium für das kaiserliche Museum in Constantinopel, um die Erneuerung seines Ausgrabungsfirmans möglich zu machen. Unterdessen hatte er zwischendurch nach anthropologischen Studienreisen [177] in Europa und kurzen Ausgrabungen in Motye bei Sicilien und in Kyzikos am Marmarameere auch von der griechischen Regierung – der er 1876 auch die Mittel gab, den Frankenthurm der athenischen Akropolis abzutragen – die Erlaubniß erlangt, Mykenae in großerem Stile zu untersuchen.

Diese Grabungen hatten einen die trojanischen überbietenden Erfolg. Nach seinem Grundsatze: wo viel Schutt liegt, ist auch viel zu finden, grub er hinter dem Löwenthore, das er von der Verschüttung reinigte, stieß auf einen doppelten Kreis von aufrechtstehenden Steinplatten und innerhalb dessen auf Grabsteine mit hochalterthümlichen Reliefs. Nachdem diese fortgenommen waren, zeigten sich auf dem Boden der fünf Grabschachte die unberührten Gräber von fünfzehn Leichen, gefüllt mit fabelhaften Reichthümern. Große goldene Masken, welche die Züge der männlichen Verstorbenen nachbildeten, goldene Brustplatten, reich mit Spiralen verziert, dazu 700 kleinere runde Goldbleche mit eingestanzten Mustern – erst hielt man sie für Besatz der Kleidung, bis sie später als Beschläge der Särge erkannt wurden – Diademe, Armspangen und Fingerringe, Scepterknäufe und Waffen, goldene und silberne Krüge und Becher und Büchsen – durch all diese Funde bestätigte sich für den glücklichen Entdecker sein Glaube, daß Homer das goldreiche Mykenae und seine Fürstenmacht treu geschildert hatte. So wie ihm Agamemnon im Traume erschienen, so hatte er seine Leiche gefunden. Voll seines Triumphes telegraphirte er an den König von Griechenland: „Avec une extrême joie j’annonce à Votre Majesté que j’ai découvert les tombeaux que la tradition … dessignait comme les sépulcres d’Agamemnon, de Cassandra, d’Eurymédon et de leurs camarades, tous tués pendant le repas par Clytemnestre et son amant Egisthe … J’ai trouvé dans les sépulcres des trésors immenses en fait d’objets archaïques en or pur. Ces trésors suffisent à eux seuls à remplir un grand musée, qui sera le plus merveilleux de monde et qui, pendant des siècles à venir, attirera en Grèce des milliers d’étrangers de tous les pays. Comme je travaille par pur amour pour la science, je n’ai naturellement aucune prétention à ces trésors, que je donne avec un vif enthousiasme intacts à la Grèce. Que Dieu veuille que ces trésors deviennent la pierre angulaire d’une immense richesse nationale.“ (Mycènes, 16/28 Nov. 1876.)[WS 5]

Sch. veröffentlichte seine Funde diesmal mit besseren Abbildungen in dem Buche „Mykenae“ (englisch und deutsch Ende 1877, französisch 1878). Er widmete es dem König von Griechenland. Gladstone, der in Schliemann’s Sinne die trojanischen Alterthümer besprochen hatte, schrieb ihm auf seine Bitte eine Vorrede dazu, die bezeugte, daß die Leichen des Agamemnon und der Kassandra leibhaftig gefunden seien.

Waren die Fundberichte auch unzulänglich, die Deutungen bei dem Mangel an geschulter Kritik vielfach unannehmbar, die Funde blieben doch eine Thatsache, ein Fundament für die griechische Geschichte vor der dorischen Wanderung; man gewöhnte sich, die Epoche unter dem Eindrucke dieser Funde als die mykenische schlechthin zu bezeichnen. Denn mit einem Schlage war hier das Bild einer ungeahnten reichen Cultur entrollt, welches die Culturgeschichte Griechenlands bis weit ins zweite Jahrtausend hinein verfolgen ließ. Daß in Mykenae eine stattliche Fürstenburg gewesen, hatten die Dichtung und die Ruinen schon vordem bezeugt. Aber jetzt sah man die Fürsten auf ihren Grabsteinen kämpfen und jagen, hatte ihre Kleinodien, geziert mit Darstellungen des Götterdienstes, des Thierlebens und übersponnen von einer [178] feinen Ornamentik, Metallarbeiten von meisterhafter, in ihrem Entstehen und Vergehen räthselhafter Technik und neben den Erz- und Steinarbeiten auch eine Keramik, die, über die trojanische weit hinaus entwickelt, zeigte, wie der Kunstsinn der Fürsten sein Widerspiel auch bei der Bevölkerung gefunden hatte.

Aber Schliemann’s Wirkung blieb nicht auf die Fachkreise beschränkt. Das allgemeine Interesse an der homerischen Dichtung und der Goldglanz der Funde, des Entdeckers Laufbahn vom Ladendiener zum Millionär, seine Vielsprachigkeit und sein Homergedächtniß, die Einheit seiner Jugendträume und ihrer Erfüllung, die Befriedigung, daß der Autodidakt die Gelehrten überflügelte, seine enthusiastische und streitbare Berichterstattung, die in allen Zungen der civilisirten Welt Jahr für Jahr Entdeckungen verkündete, welche die Wunder der Sage und Dichtung zu greifbarer Wirklichkeit stempelten, die Vereinigung aller dieser Momente gab Sch. selbst den Nimbus des Wunderbaren und machte ihn zu einem der populärsten Männer diesseits und auch jenseits des Oceans. Für weite Kreise des Publicums wurde Homer und die classische Alterthumskunde und Sch. ein einheitlicher Begriff.

Den Entdecker trieben die erreichten Erfolge weiter auf die Suche nach den Spuren Homer’s. 1878 begann er nach einem wenig ergiebigen Aufenthalt auf Ithaka (vgl. Ilios S. 54) Ende September die Fortsetzung seiner zweiten großen Ausgrabung in Troja, zu der ihm der Firman nach langwierigen Unterhandlungen durch den britischen Gesandten in Constantinopel ausgewirkt war, und beendete sie im folgenden Jahre, von E. Burnouf, dem ehemaligen Director des Ecole Française in Athen und von Rud. Virchow als seinen Gästen unterstützt. Abgeseen von der Ausdehnung der Arbeiten auf die großen Grabhügel am Rande des Skamanderthales blieben die Ergebnisse denen der ersten Grabung gleichartig. Allein in der Art seiner Berichterstattung suchte er mehr zu gruppiren. Er arbeitete das früher gewonnene Material mit dem neu gefundenen zusammen, und neben Homer traten ihm die anthropologischen Gesichtspunkte auf Grund seiner eigenen Studien und vieler persönlichen Anknüpfungen in den Vordergrund. Virchow schrieb die für das Verdienst des Entdeckers und den wissenschaftlichen Werth seiner Funde begeisterte Vorrede zum Buch Ilios, das Sch. ihm widmete. Der volle Titel lautet: „Ilios, Stadt und Land der Trojaner, Forschungen und Entdeckungen in der Troas und besonders auf der Baustelle von Troja.“ Sch. beginnt mit einer ausführlichen Autobiographie, die mit den Gespenstergeschichten und Kinderträumen von Ankershagen anhebt und mit der Versicherung schließt, daß sein Vermögen groß genug sei, um ohne Benachtheiligung seiner Familie die kostspieligen Ausgrabungen zu bestreiten. Er bietet dann eine Zusammenstellung der antiken und modernen Nachrichten über Land und Bevölkerung, Thier- und Pflanzenleben der Troas, gibt eine Geschichte von Ilion und verfolgt den Streit um die Lage der Stadt. Darauf erst folgt der Haupttheil, die Funde nach den sieben „Städten“ geordnet, die er in den Schichten des Hügels zu erkennen glaubte; zum Schluß eine Besprechung der Grabhügel; dazu exkursartige Beiträge seiner gelehrten Freunde – ein μέγα βιβλίον[WS 6], ein Zeugniß der gewaltigen Betriebsamkeit des Verfassers. Aber zu einer ruhigen Beobachtung auf dem Ausgrabungsfelde war der Schwärmer inmitten seiner 100–150 Arbeiter so wenig im Stande, wie am Studirtische zur reinlichen Scheidung der Fülle von Problemen, zu denen seine Funde anregten. Was ihm dazu die große Zahl seiner englischen und französischen, deutschen und griechischen Berather und Freunde aus den verschiedensten Wissenschaften und Berufen gelegentlich mittheilte, ließ das Buch nur anschwellen, ohne den Kern der Sache klarer zu machen. Die Natur der aufgedeckten Ruinen und ihre [179] Zeitbestimmung blieben auch nach den Plänen und Ansichten E. Burnouf’s, die zum Buche hinzukamen, ungelöste Räthsel, zumal jetzt die raffinirte Feinheit der Cultur Mykenaes im Widerspruche schien zu der Urthümlichkeit der Funde von Troja.

Am Ende seiner Biographie schrieb er: „Meine großen Sammlungen trojanischer Alterthümer haben einen unschätzbaren Werth, doch sollen sie nie verkauft werden. Wenn ich sie nicht noch bei meinen Lebzeiten verschenke, so sollen sie kraft letztwilliger Bestimmung nach meinem Tode dem Museum derjenigen Nation zufallen, die ich am meisten liebe und schätze.“ Als er nach den ersten trojanischen Ausgrabungen sich in Athen sein stolzes Haus gründete, war sein Plan gewesen, die Funde bei sich zu bewahren und sein Haus zu einem Museum zu machen, das er durch Grabungen in Griechenland zu vermehren hoffte. Der Name, der noch heute am Sims des Hauses Schliemann in der Universitätsstraße glänzt, Ἰλίου Μελάθρον, und der Wandschmuck und die Mosaiken der Innenräume gehen auf diesen Gedanken zurück. Aber er stieß dabei auf lebhaften Widerstand im griechischen Parlamente und bei den Behörden. Er sagt darüber am 18. März 1874 in der Zeitung Νέα Ἑλλάς am Schlusse eines Artikels, der sich gegen einen athenischen Sammler und Kunsthändler richtet: „Meine Uneigennützigkeit und meinen Enthusiasmus für die Wissenschaft hätte ich nicht besser beweisen können als durch den im Juni 1873 dem griechischen Parlament von mir gemachten Vorschlag, mir in Berücksichtigung eines Museums Schliemann, welches ich zu bauen, und meiner ganzen trojanischen Sammlung, die ich der griechischen Nation zu schenken versprach, zu erlauben, auf eigene Kosten Olympia und Mykenae auszugraben mit der Bedingung, daß alle zu findenden Gegenstände im Museum aufgestellt und nebst diesem nach meinem Tode in den ausschließlichen Besitz des griechischen Volkes kommen sollten. Obgleich das Parlament meinen Vorschlag annahm, weigerte sich das Ministerium, denselben zu billigen. Hierdurch, sowie namentlich durch die Beschimpfungen, die mir fortwährend von den Vorstehern der Wissenschaft zu Theil werden, ist meine Liebe zu Griechenland gänzlich erkaltet und ziehe ich auf immer von hier weg.“ Während seines Processes mit der Türkei hat er die trojanischen Alterthümer einmal der französischen Regierung angeboten (Revue archéol. XIX, 1892, S. 434). Ende der 70er Jahre waren sie mehrere Jahre in London im South-Kensington-Museum ausgestellt. Inzwischen hatte ihn im J. 1877 die deutsche Anthropologische Gesellschaft zu ihrem Ehrenmitgliede gemacht. Ihr Vorsitzender Rud. Virchow war derjenige, der für Schliemann’s wissenschaftliches Streben am wärmsten eingetreten war und an den Arbeiten des Jahres 1879 den thätigsten und förderlichsten Antheil genommen hatte. Damals eröffnete auf einer Reise zum Ida ihm Sch. den Gedanken, seine Sammlungen an Deutschland zu vermachen. Es sei doch das Land, wo man in den weitesten Kreisen Homer am höchsten schätze, und nirgends würde seine Sammlung größeren Nutzen bringen als in Berlin. Dieser Eindruck bestätigte sich ihm, als er 1880 mit den Seinen nach Berlin zu dem Deutschen Anthropologischen Congreß kam, der mit einer prähistorischen Gesammtausstellung der deutschen Sammlungen verbunden war. So entschloß er sich im Winter 1880, die Leihgabe von London zurückzuziehen und dem deutschen Volke seine trojanischen Sammlungen „zu ewigem Besitze und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt als Geschenk“ zu überweisen. Kaiser Wilhelm I. dankte unter dem 24. Januar 1881 dem Stifter, indem er bestimmte, „daß die genannte Sammlung der Verwaltung der preußischen Staatsregierung unterstellt und in der Folge in dem im Bau begriffenen ethnographischen Museum in Berlin [180] in so vielen besonderen Sälen, als zu ihrer würdigen Ausstellung nöthig sind, aufbewahrt werde, sowie daß die zu ihrer Aufbewahrung dienenden Säle für immer den Namen des Geschenkgebers tragen. Zugleich spreche ich Ihnen Meinen Dank und Meine volle Anerkennung für diese von warmer Anhänglichkeit an das Vaterland zeugende Schenkung einer für die Wissenschaft so hoch bedeutenden Sammlung aus und gebe Mich der Hoffnung hin, daß es Ihnen auch ferner vergönnt sein werde, in Ihrem uneigennützigen Wirken der Wissenschaft zur Ehre des Vaterlandes gleich bedeutende Dienste zu leisten als bisher.“ Sch. selbst leitete, von seiner Frau unterstützt, die erste vorläufige Ausstellung der Sammlung im Berliner Kunstgewerbemuseum; die Stadt Berlin machte ihn nach Bismarck und Moltke zum Ehrenbürger, und Virchow bewillkommnete ihn als solchen am 7. Juli im Festsaale des Rathhauses mit feierlicher Rede, die geeignet war, das Gefühl der Verkennung vergessen zu machen.

Inzwischen hatte er schon Ende des Jahres 1880 und vom März 1881 ab in der dritten Stadt, der Homer nebst Troja und Mykenae das Beiwort goldreich gibt, im böotischen Orchomenos, am sogenannten Schatzhause des Minyas gegraben. Sein bedeutendster Fund war hier die Decke der Seitenkammer, die in grünem Stein ein reiches, vielverschlungenes Teppichornament, aufs nächste verwandt den Ornamenten von Mykenae, zeigt (vgl. Orchomenos. Bericht über meine Ausgrabungen im böotischen Orchomenos, 1881). Im Mai bereiste er die ganze Troas, überall spähend, wo ihm eine genügende Schutttiefe Aussicht auf Funde zu versprechen schien. Im Anschluß daran bemühte er sich, gestützt auf die neuen, zu Deutschland gewonnenen Beziehungen, einen Firman womöglich für das ganze Gebiet der Troas zu erlangen. Er eröffnete am 1. März 1882 in Hissarlik seine dritte Grabung. Was bisher von Troja gefunden, war zwar der Lage nach ein Rest der alten Königsstadt, aber seiner Ausdehnung nach war es nur ein Burgflecken und mit der Dichtung vom trojanischen Kriege unvereinbar. Sch. forderte, daß sich die Wahrheit der Vorstellung des Dichters erweisen müsse, der es als eine große Stadt bezeichnet. Darum wollte er den Kreis der Burg abschließend verfolgen und eine Unterstadt nachweisen; auch dachte er dabei auf weitere Reste von Tempeln, namentlich des Athenatempels, zu stoßen. Danebenher gingen kleinere Untersuchungen in der Umgegend. Seine Erwartungen wurden weniger erfüllt, als es sein übertreibender Bericht Wort hatte. Die Arbeiten hatten unter beständigem Kampfe mit dem türkischen Commissar und den militärischen Behörden zu leiden, die weder Messungen noch Notizen erlaubten in der Besorgniß, es könnten von Hissarlik aus die Geheimnisse der 6 km entfernten Batterien aufgenommen werden. So kam freilich das wichtigste Ergebniß nur unzureichend zur Darstellung. Denn endlich hatte Sch. zwei Architekten herangezogen, von denen der eine, Wilhelm Dörpfeld, bei der eben vollendeten deutschen Ausgrabung von Olympia geschult, aus dem Chaos der aufgewühlten Schuttmassen allmählich das klare Bild einer Herrenburg entwickelte. Er verfolgte ihre Steinmauer, sondirte die Reste ihres Lehmoberbaus aus dem umgebenden Erdreich, deckte zwei weitere Thorgebäude auf, lehrte die ursprüngliche Anlage von ihren Umbauten scheiden, säuberte in der Mitte des Mauerringes Grundriß und Aufbau eines Saalbaues von wahrhaft fürstlichen Ausmessungen und erkannte damit das Urbild des griechischen Tempels aus einer Zeit, welche die Säule noch nicht kannte. Die Reste der älteren und der jüngeren Siedelungen brachte er im Plan zu klarer Scheidung, nur kam die Bedeutung dieser Erkenntniß in dem Ende 1883 erscheinenden Buche Schliemann’s: „Troja, Ergebnisse meiner neuesten Ausgrabungen auf der Baustelle von Troja, in den [181] Heldengräbern, Bunarbaschi und anderen Orten der Troas im J. 1882“ in Schliemann’s Fassung neben vielen anderen Beiträgen der Freunde und Correspondenten noch nicht zur gebührenden Geltung. Das Buch ist der Kronprinzessin Victoria gewidmet.

Er glaubte seine Aufgabe in Troja gelöst und beendet und veröffentlichte französisch ein zusammenfassendes Werk „Ilios, ville et pays des Troyens“ 1885. Im Februar 1884 suchte er ohne Ergebniß nach dem Grabe der in der Schlacht bei Marathon gefallenen Athener. Eine größere Aufgabe stellte er sich im selben Jahre mit der Ausgrabung der Oberburg von Tiryns, die Dörpfeld im folgenden Jahre allein fortsetzte. Er fand hier keinen Goldschatz, aber was mehr war, er erreichte durch Dörpfeld’s Hülfe die völlige Aufdeckung eines Palastes der mykenischen Epoche. Er gewann damit, was so lange seinen Funden gefehlt hatte, den festen architektonischen Untergrund. Wenig unter dem Erdboden verschüttet, kamen bei sorgfältig beobachteter Grabung inmitten des cyklopischen Mauerringes der Grundriß des ganzen Palastes mit seinen Thorgebäuden, Höfen, Sälen und Gemächern zu Tage; der Aufbau und die Ausschmückung der Wände und die Säulenhallen ließen sich erkennen. Die Anlage von Tiryns klärte das Bild der troischen Burg und ihrer Bauweise. Die sogenannte II. Burg von Troja als älteste Anlage, die Reste von Tiryns, Mykenae, Orchomenos als jüngere und der Tempel der Hera von Olympia als Denkmal dorischer Bauweise ordneten sich zu einer Entwicklungsreihe, welche zum ersten Male die Baukunst des ältesten Griechenlands von Stufe zu Stufe verfolgen ließ.

Das Buch „Tiryns, der prähistorische Palast der Könige von Tyrins, Ergebnisse der neuesten Ausgrabungen von Dr. H. Schliemann mit Vorrede von Geh. Oberbaurath Prof. F. Adler und Beiträgen von Dr. W. Dörpfeld“, das 1886 erschien, steht als Ganzes betrachtet zu allen früheren Veröffentichungen Schliemann’s in einem Gegensatze, der zwar unausgesprochen, aber darum nicht weniger für seine Persönlichkeit und seinen Scharfblick bemerkenswerth ist. Als phantastischer Sonderling hatte er seine Studien begonnen und in jedem Baum und in jeder Quelle Ithakas und Trojas die Zeugen homerischer Begebenheiten geschaut und verkündet; die Masse seiner Funde und die Verbindung mit Virchow hatte ihn zum Prähistoriker gemacht und die Fülle von Erde und Himmel, Naturkunde und Technik, Sage und Geschichte umspannenden Ideen dieser glänzenden Wissenschaft brodelte um die trojanischen Töpfe und in die Schliemann’schen Bücher, die nächsten Aufgaben des Ausgrabungsberichtes, die klare Aufnahme des Befundes, verwirrend. Jetzt endlich drang in sein Werk methodische Sicherheit, eine Folge einerseits der Arbeiten, die vom Deutschen Archäologischen Institute zu Athen seit seiner Gründung im J. 1874 unter Ulrich Köhler’s Leitung ausgingen, und andererseits des persönlichen Verhältnisses, das ihn seit der letzten trojanischen Grabung mit Dörpfeld verband. Immer der zur Unternehmung Treibende und sie Leitende, nutzte der Dreiundsechzigjährige die Kraft, die er als sicher erkannte. Im Buche Tiryns beschränkte er sich, den äußeren Verlauf der Arbeiten, die Ueberlieferung über den Ort und die Einzelfunde wie Steinäxte, Vasenscherben, Thonfigürchen zu behandeln; den großen und sicheren Zusammenhang, der durch die Aufdeckung des Grundplanes von Tiryns in seine Entdeckungen kam, ließ er seinen Mitarbeiter darstellen. Mit welchem Pathos würde er ein Jahrzehnt vorher den Fries aus blauem Glasfluß, den ähnlich der Dichter am Palaste des Phäakenkönigs erwähnt, den Herd im Megaron und das Badegemach verkündet und in den homerischen Parallelen dazu geschwelgt haben! Es ist sehr merkwürdig, daß er sich beschieden hat, Dörpfeld darüber berichten zu lassen. Das Buch [182] widmete er W. Helbig als demjenigen, der inzwischen, von archäologischer Seite die Schliemann’schen Funde verwerthend, das homerische Epos systematisch aus den Denkmälern erläutert hatte. Auch eine Gesammtdarstellung seiner Grabungen ließ er seinen Verleger Brockhaus an Carl Schuchardt übertragen, dessen Buch: „Schliemann’s Ausgrabungen in Troja, Tiryns, Mykenae, Orchomenos, Ithaka im Lichte der heutigen Wissenschaft“ in übersichtlicher Form zusammenfasste.

Virchow beobachtete in dieser Zeit an ihm, daß die Anstrengung bei seinen Grabungen und Veröffentlichungen ihm mehr fühlbar geworden sei. Er sei reizbarer als früher gewesen und habe öfter als sonst das Bedürfniß nach Erholung empfunden. Gleichwohl lassen seine Pläne und seine häufig sie vorbereitenden Reisen kaum ein Nachlassen seiner Willenskraft spüren. 1886 gräbt er aufs neue mit Dörpfeld in Orchomenos, reist auf wenige Tage von Athen nach London, um das Alter des Palastes von Tiryns gegen einen Reporter zu vertheidigen, der darin eine byzantinische Ruine vermuthete, Eine andere Reise führte ihn noch einmal über den Atlantischen Ocean. Im Winter 1886/87 fährt er drei Monate lang auf einem Segelschiff den Nil hinauf; die arabische Mannschaft des Bootes und die Bücher, die er sich mitgenommen, sind dabei seine einzige Gesellschaft. Manche Pläne kamen nicht zur Auführung, so nach dem Sarge Alexander’s des Großen in Alexandria zu suchen, und vor allem im Reiche des Minos, Kreta, den Palast von Knossos auszugraben, den später der Engländer Evans mit so großem Erfolge aufgedeckt hat. Die Verhandlung über den Grundstückserwerb und das Eigenthumsrecht an den zu erwartenden Funden zogen sich in die Länge, bis schließlich der Ausbruch der Unruhen in Kreta die Unternehmung unmöglich machte. Eine neue Winterreise nach Aegypten, diesmal in Virchow’s Begleitung, brachte ihn auf den Gedanken, in der Heimat der Hittiter, in Kadesch am Orontes, zu graben und die Zusammenhänge zu untersuchen, die sie nach den Wandgemälden ägyptischer Tempel mit der mykenischen Cultur gehabt haben müssen; aber die Pest brach in Mesopotamien aus und vereitelte den Plan. 1888 hat er kurze Zeit in Kythera gegraben und danach im messenischen Pylos nach den Resten der Burg des Nestor gesucht.

Da zwang ihn eine hartnäckige Polemik, sich Troja wieder zuzuwenden, E. Boetticher, Hauptmann a. D., wurde seit dem Jahre 1883 nicht müde, in Zeitschriften und eigenen Büchern das Publicum darüber zu belehren, daß die Ruinen von Troja-Hissarlik arg verkannt, in Wirklichkeit eine große Feuernekropole seien. Ungenaue und mißverständliche Angaben aus Schliemann’s ersten Büchern dienten ihm zur Stütze; Erklärungen von Sch. hatten nur das Ergebniß gehabt, daß Boetticher zu der Behauptung sich verstieg, es seien bei den Ausgrabungen absichtlich Mauerzüge zerstört worden, um zu beseitigen, was der Hypothese vom Bestehen eines alten Palastes entgegenstehen könnte. Boetticher legte auf dem Anthropologen-Congreß in Paris im Sommer 1889 ein Buch: „La Troje des Schliemann, une nécropole à incinération“ vor und fand einen Fürsprecher in S. Reinach, einem der führenden französischen Gelehrten. Sch. selbst wohnte dem Congresse bei. Er entschloß sich kurz, lud seinen Gegner als seinen Gast nach Troja ein und faßte gleichzeitig den Plan, die Arbeit dort in großem Maßstabe wieder aufzunehmen. Im December fand die Conferenz mit Boetticher im Beisein der als Zeugen erschienenen Sachverständigen, des Professors Niemann als Vertreter der Wiener Akademie der Wissenschaften und des kgl. preußischen Majors Steffen, statt, welche die Aufnahmen Dörpfeld’s lediglich bestätigten.

Aber Boetticher fuhr fort, in den Zeitungen für seine These zu streiten, [183] und daher lud Sch. bei Beginn seiner Grabung im März 1890 eine größere internationale Conferenz zu Gaste in die Bretterhäuschen, die er als Unterkunft für 14 Fremde am Hügelrand des Skamanderthales neben der Pergamos hergerichtet hatte. Deutsche Gelehrte, unter ihnen Virchow, englische, amerikanische, französische Vertreter der Wissenschaft folgten der Ladung und versicherten mit ihrem Namen aufs neue die Richtigkeit von Schliemann’s und Dörpfeld’s Ergebnissen. Die Ausgrabung selbst führte zur weiteren Aufdeckung der II. Burg; sie sollte auch den hohen Schuttmantel, der vor ihrer Ringmauer stehen geblieben war, hinwegräumen; unter ihm hoffte Sch. im Stillen, dicht bei der Mauer, ähnlich wie in Mykenae, noch die Königsgräber zu finden, aber Dörpfeld’s sorgfältige Aufnahmen hemmten das Tempo und lieferten statt dessen in keramischen und architektonischen Resten die ersten Anhaltspunkte für die Klärung des trojanischen Problems, die Sch. selbst nicht mehr erleben sollte, für die Erkenntniß, daß nicht die II. trojanische Burg, sondern erst die VI. den Burgen von Mykenae und Tiryns gleichzeitig und gleichwerthig ist.

Sch. hat die erste mykenische Bügelkanne, die zum Vorschein kam, zwar noch als die Leitmuschel in der Chronologie der trojanischen Alterthümer begrüßt; aber die Sommerhitze zwang ihn, die Ausgrabungen einzustellen. Er dachte am 1. März des folgenden Jahres weiterzugraben und das angefangene Werk zu Ende zu führen. Indessen ein Ohrenleiden, Knochenauswüchse in beiden Gehörgängen, machten eine Operation nöthig. Er vollendete noch den „Bericht über die Ausgrabungen in Troja 1890“ zu Athen, begab sich im November, Virchow’s Rath folgend, nach Halle a. S., ließ sich dort auf beiden Ohren operiren, aber setzte noch vor völliger Heilung seine Reise fort. Am 12. December ist er in Leipzig bei seinem Verleger Brockhaus, am 13. in Berlin bei Virchow zur Besichtigung der Neuaufstellung seiner Sammlung und zur Besprechung über die Ueberführung ihres noch in Athen befindlichen Restes, am 15. bereits in Paris. Erneute Schmerzen nicht achtend, treibt es ihn nach wenigen Tagen von Paris nach Neapel, die Erwerbungen der Museen und das Neueste von Pompeji zu sehen. Dort in Neapel ist er am 26. December 1890 einer Gehirnentzündung erlegen.

Am 4. Januar 1891, als die letzten Sonnenstrahlen über die Akropolis hinweg in den Saal seines athenischen Hauses spielten, versammelten sich vor seinem Sarge um seine verwittwete Gefährtin und ihre Kinder Andromache und Agamemnon, der König und der Kronprinz von Griechenland, die diplomatischen Vertreter der fremden Mächte und die Minister des Landes, die Leiter der in Athen bestehenden fremden und einheimischen wissenschaftlichen Institute und die große Schar derer, die in seinem gastfreien Hause ein- und ausgingen. Vor der Büste Homer’s dankten sie dem Philhellenen, der die Museen Athens und die der Hauptstadt seines Vaterlandes glänzend bereichert, der für die Wissenschaft aller Nationen die Bresche gelegt, welche die ältesten Denkmäler diesseits und jenseits des ägäischen Meeres erschloß, sie dankten dem warmen Verehrer classischer Dichtung und dem vorbildlichen Menschen, der mit heroischer Willenskraft sich zu der Höhe eines großen Wirkens emporgerungen hatte.

Vgl. außer Schliemann’s eigenen Angabe in seinen angeführten Werken und bei Schuchhardt in der Einleitung a. a. O.: H. Schliemann’s Selbstbiographie bis zu seinem Tode vervollständigt (von A. Brueckner). Herausgeg. v. Sophie Schliemann. Leipzig 1891. – Gedächtnißfeier für Heinr. Schliemann im Festsaale des Berlinischen Rathhauses am Sonntag, den 1. März 1891. Berlin 1891. – Dörpfeld, Troja und Ilion. Ergebnisse der Ausgrabungen [184] in den vorhistorischen und historischen Schichten von Ilion 1870 bis 1894. Athen 1902. – J. Nelson, H. Schliemann und seine Homerische Welt, in Biographische Volksbücher. Leipzig 1900. – Einige Angaben zu Schliemann’s Anfängen nach handschriftlichem Material, dessen Kenntniß ich der gütigen Vermittelung von Frau Andromache Mela geb. Schliemann danke.

[171] *) Zu Bd. LIV, S. 43.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Übersetzung: das unwiderstehliche Verlangen zu reisen und die Welt zu sehen
  2. Übersetzung: …dem ich meine Aufwartung mit der Versicherung machte, dass das große Verlangen, dies anmutige Land des Westens zu sehen und die Bekanntschaft seiner großartigen Herrscher zu machen, mich zur Reise aus Russland hierher verleitet hätten, und dass ich es nun für meine erste und angenehmste Pflicht hielte, dem Präsidenten meine Hochachtung auszudrücken.
  3. Übersetzung: eine Bank für den Ankauf von Goldstaub und den Verkauf von Wechseln für die Vereinigten Staaten und Europa
  4. Übersetzung: Mein Geschäft wirft nun im großen Stil hohe Gewinne ab. Wenn ich früher geahnt hätte, dass ich später auch nur ein Viertel dessen verdienen würde, was ich jetzt verdiene, so hätte ich ich mich für den glücklichsten aller Menschen gehalten; aber jetzt fühle ich mich unglücklich, da ich 18.000 Werst (etwa 19.190 km) fern von St. Petersburg bin, wo all meine Hoffnung, mein Verlangen gebündelt ist. In der Tat war mir im Auge des Sturms auf der tosenden See, in Gefahren und Seenot, in Mühe und Erschwernissen, im Wirbel der Vergnügungen und in der Hektik des Geschäftslebens mein geliebtes Russland, mein bezauberndes St. Petersburg, ständig vor Augen. Während ich hier in Sacramento jeden Moment erwarte, ermordet oder ausgeraubt zu werden, kann ich in Russland ruhig in meinem Bett schlafen, ohne um mein Leben oder meinen Besitz fürchten zu müssen, denn dort wachen tausend Augen der Gerechtigkeit über den Schlaf des friedlichen Bürgers. Während in der Nachbarschaft ganz Westeuropa stets von Unruhen bedroht ist, dringt aus Russland – das bei weitem von allen vergangenen und künftigen Reichen das größte ist – der helle Strahl des Friedens, dank seinem weisen und höchst ruhmvollen Zar Nikolaus.
  5. Übersetzung: Mit großer Freude verkünde ich Eurer Majestät … dass ich die Gräber, die von der Überlieferung als die Gräber von Agamemnon, Kassandra, Eurymedon und ihren Gefährten bezeichnet werden, die alle bei einer Mahlzeit von Klytaimnestra und ihrem Geliebten Aigisthos getötet wurden, gefunden habe … In den Gräbern habe ich immense Schätze an archaischen Objekten aus purem Gold gefunden. Diese Schätze allein genügen, um ein großes Museum zu füllen, welches das wundervollste der Welt wäre und das in den kommenden Jahrhunderten Tausende von Fremden aus allen Ländern nach Griechenland locken würde. Da ich aus reiner Liebe zur Wissenschaft arbeite, erhebe ich natürlich keinen Anspruch auf diese Schätze, die ich mit großem Enthusiasmus unbeschädigt an Griechenland übergebe. Gott gebe, dass diese Schätze zum Grundstein eines immensen Nationalschatzes würden.
  6. Übersetzung: großes Buch