Zum Inhalt springen

ADB:Stamler, Johann Heinrich von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stamler, Johann Heinrich“ von Paul Wagner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 429–430, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stamler,_Johann_Heinrich_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 09:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Stamitz, Johann Karl
Nächster>>>
Stamm, Ferdinand
Band 35 (1893), S. 429–430 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Heinrich Stamler in der Wikipedia
Johann Heinrich Stamler in Wikidata
GND-Nummer 128424788
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|35|429|430|Stamler, Johann Heinrich|Paul Wagner|ADB:Stamler, Johann Heinrich von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=128424788}}    

Stamler: Johann Heinrich St., von einer vormals in Augsburg ansässigen Patricierfamilie abstammend, war am 22. October 1632 in Aurich, der Residenz der Grafen von Ostfriesland, geboren, studirte in Gießen und promovirte hier 1657 als Doctor der Rechte mit der Aufsehen erregenden Dissertation aus dem Gebiete des deutschen Staatsrechts: De reservatis imperatoris Romano-Germanici. In ausgesprochenem Gegensatz zu der berühmten Schrift des Hippolityus a Lapide vertheidigte er energisch und in beachtenswerther Weise die Hoheitsrechte des Kaisers gegenüber den Reichsständen und erlangte durch sein Erstlingswerk, in dem sich ausgebreitete Belesenheit mit nicht gewöhnlichem Verstande paarte, sogleich einen hervorragenden Platz in der publicistischen und staatsrechtlichen Litteratur des 17. Jahrhunderts. Verrieth er hier bereits eine streng monarchische Gesinnung, so bot sich ihm bald auch Gelegenheit, diese praktisch in Staatsgeschäften zu bewähren. Denn nach der Heimkehr in seine ostfriesische Heimath trat er in die Dienste des Fürsten Georg Christian und wurde 1663 Regierungsrath in Aurich. Als nach des Fürsten frühem Tode dessen Witwe Christine Charlotte die vormundschaftliche Regierung übernahm, wurde er einer der einflußreichsten Rathgeber dieser thatkräftigen Frau. Sie ernannte ihn 1679 zum Geheimen Rathe und Vicekanzler, später zum Kanzler und damit zum Leiter ihrer Politik. Seine Thätigkeit fiel in die Zeit, in der, wie anderwärts, so auch in Ostfriesland die fürstliche Regierung in heftigem Ringen mit den ständischen Gewalten begriffen war. Bei dem eigenthümlichen, zähen, fast eigensinnigen Charakter einer von den Vorstellungen uralter Freiheit beherrschten Bevölkerung war dieses Ringen hier besonders lebhaft und langwierig. Die Kleinheit der Verhältnisse und die Beschränktheit der Machtmittel auf beiden Seiten verhinderten entscheidende Schritte und zwangen andererseits die Parteien, auswärts Hülfe zu suchen. Jahrzehnte hindurch übten die Generalstaaten als Garanten der Landesaccorde einen bestimmenden Einfluß meist zu Gunsten der [430] Stände aus. Unaufhörlich erschienen staatische Deputationen, um zwischen den erregten Gemüthern Frieden zu stiften, wobei begreiflich das Interesse der Hochmögenden im Haag nicht zu kurz kam. Aber auch andere Nachbarn und entferntere Mächte griffen, gerufen und ungerufen, nicht selten in die Landesstreitigkeiten ein. Ostfriesland wurde durch diese innere Uneinigkeit lange Zeit der Tummelplatz Fremder. Es kam so weit, daß in dem kleinen Lande Garnisonen von vier fremden Herren lagen. In diesen Kämpfen hat St. seine beste Kraft eingesetzt, um die fürstliche Macht gegenüber der ständischen zu stärken, ohne daß es ihm aber gelungen wäre, einen entscheidenden Sieg zu erringen. Es kann der wechselnde Verlauf dieses oft um Kleinigkeiten entbrannten Kampfes, der die Geschichte Ostfrieslands in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfüllt, hier nicht näher geschildert werden. Es muß genügen, zu bemerken, daß St. seinen Standpunkt mit großer Schärfe und unbeugsamer Hartnäckigkeit im Rathe der Fürstin, bei ihm anvertrauten Missionen und in mehreren, aus seiner Feder geflossenen Staatsschriften verfocht und sich dadurch den Haß der Stände in solchem Grade zuzog, daß diese schon im J. 1668 seine Entlassung forderten. Die Fürstin Christine Charlotte, wie auch deren Sohn Christian Eberhard schenkten ihm jedoch bis zu seinem Tode unentwegtes Vertrauen, trotzdem sich nicht verkennen läßt, daß sein Einfluß zur Verschärfung der Gegensätze Vieles beigetragen hat, und er das fürstliche Haus in manche unhaltbare, nicht immer würdige Lage gebracht hat. Aus seinem Leben sei erwähnt, daß er 1663 als junger Regierungsrath bei der nach vieler Mühe endlich zu Stande gekommenen Huldigung der Stände für den Fürsten Georg Christian in Emden zugegen war, daß er das Jahr darauf nach Regensburg gesandt wurde, um den Fürsten gegen die Klage des Bischofs von Münster wegen Auslieferung fester Plätze in der Nähe der münsterschen Grenze an die Generalstaaten zu vertheidigen. Im J. 1677 war er Vertreter der Fürstin Christine Charlotte bei Unterhandlungen in Bremen, die zur Herbeiführung eines Ausgleichs mit den Ständen im Auftrage des Kaisers Graf Windischgrätz dort eröffnete, und im folgenden Jahre wurde er nach Rheine gesandt, um mit Abgeordneten des Bischofs von Münster den Abzug münsterscher Truppen aus Ostfriesland zu erwirken. Als die Fürstin 1686 nach Wien ging, um einer vom Kaiser zur Beilegung des Zerwürfnisses mit den Ständen niedergesetzten Commission nahe zu sein, begleitete sie St. dorthin, und bei dieser Gelegenheit war es, daß er vom Kaiser als Edler v. St. in den Adelstand erhoben wurde. Das Diplom vom 28. September 1686 erwähnt als Grund der Erhebung unter anderem auch die Verdienste, die er sich durch seine Dissertation um den Kaiser erworben hatte. Freilich weder jene Commission noch die Vermittlung des Kurfürsten von Brandenburg vermochten die Versöhnung in Ostfriesland herbeizuführen. Der Kampf spitzte sich in den Jahren 1689 und 1690 immer mehr zu, wie es scheint, nicht ohne Schuld Stamler’s, dessen Mißliebigkeit bei den Ständen sich fortwährend vergrößerte. Noch ehe der Streit zu einem Austrag kam, starb er am 13. December 1692. Trat auch sogleich nach seinem Tode noch keine Beruhigung ein, so war doch jetzt ein wesentlicher Stein des Anstoßes beseitigt.

Tjaden, Das Gelehrte Ostfriesland III. – Wiarda, Ostfriesische Geschichte V, VI.