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Das „gefährliche“ Karlsbad

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Textdaten
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Autor: Dr. med. Eduard Hlawacek
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Titel: Das „gefährliche“ Karlsbad
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 802–804
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[802]
Das „gefährliche“ Karlsbad.
Ein Protest gegen die Vorurtheile über Karlsbad.
Von Dr. med. Eduard Hlawacek.


Seit fünfunddreißig Jahren kämpfe ich in meiner Monographie über Karlsbad,[1] die bereits in zwölfter Auflage erschienen ist, gegen den genannten Feind, und – ich muß es mit einiger Genugthuung sagen – nicht ganz ohne Erfolg; denn die Reihen des Feindes sind schon bedeutend gelichtet. Aber demungeachtet cursiren noch immer in ziemlich weiten Kreisen, und zwar nicht blos unter Ungebildeten, sondern zum Theil sogar unter sonst hochgebildeten Besuchern unseres Curortes, ja – ich scheue mich nicht, es recht laut zu sagen – sogar noch bei einer nicht eben geringen Anzahl von Aerzten so große und zum Theile geradezu unbegreifliche Vorurtheile, daß es sich wohl der Mühe lohnt, einmal in einem vielgelesenen und in allen Schichten des Volks verbreiteten Blatte gegen den besagten Feind anzukämpfen, da medicinische Monographien relativ doch nur von Wenigen gelesen werden.

Das wichtigste dieser Vorurtheile ist aber das Vorurtheil in Betreff der vermeintlichen Gefährlichkeit der Mineralquellen von Karlsbad. Die Furcht vor Karlsbad ist hier und da so arg, daß man es für gerathen hält, sein Testament zu machen, bevor man die Reise in dieses höchst gefährliche Bad antritt, und man ist der Meinung, daß man es nur als letzten Zufluchtsort, wenn alle übrigen Mittel fehl geschlagen, in Anspruch nehmen dürfe. Man glaubt, daß man davon bei der geringsten Unachtsamkeit, zum Beispiel durch ein Schläfchen nach Tische, oder den Genuß der geringsten Menge Butter, ganz besonders aber roher Früchte, namentlich der Erdbeeren oder Kirschen oder wohl gar des leibhaftigen „Gottseibeiuns“, des – Salats nämlich, unfehlbar den Tod haben müsse, wobei man sich gewöhnlich das erbauliche Histörchen erzählt, daß ein Engländer – denn freilich kann ja nur ein Engländer ein solcher Wagehals sein – nach dem Genusse von blos drei Kirschen augenblicklich ein Kind des blassen Todes war, indem sich, wie das blöde Vorurtheil glaubt, die Kirschen, wenn der Karlsbader Curgast sie genießt, in das heftigste Gift verwandeln.

Was in aller Welt, fragen wir im Ernste, kann wohl in [803] diesem Mineralwasser gefährlich sein? Kennen wir etwa noch nicht die mineralischen Bestandtheile desselben? Sollte die Chemie in der That noch auf einem so niedrigen Standpunkte stehen, daß sie nicht im Stande wäre, bis jetzt uns den chemischen Charakter des Mineralwassers aufzuschließen? Ich könnte leider einen sehr namhaften belletristischen Schriftsteller nennen, der dieses in Wahrheit noch glaubt. Dabei kann man indeß nur mit den Achseln zucken, wenn das Vorzeigen der schon so oft gemachten chemischen Analysen nicht überzeugend wirkt. Den Belehrungsfähigen aber fragen wir: Welcher der in der Analyse aufgezählten chemischen Bestandtheile ist denn beim Einzelgenuß etwa gefährlich? Ist es das schwefelsaure Natron (Glaubersalz), das in größter Menge vorhanden? Ist es das kohlensaure Natron, welches der Menge nach die zweite Stelle einnimmt und bekanntlich den Hauptbestandtheil der Brausepulver bildet? Oder ist es etwa das Kochsalz, der der Menge nach dritte Bestandtheil? Oder der kohlensaure Kalk und die kohlensaure Magnesia, welche wir täglich mit jedem Trinkwasser in vielleicht ebenso großer Menge genießen? Oder einer der in nur äußerst geringen Mengen vorhandenen übrigen mineralischen Bestandtheile, als da sind: das Eisen, die Kieselerde, Thonerde, Strontian, Mangan? Oder endlich einer der in fast homöopathischer Verdünnung vorhandenen Stoffe, wie Iod, Brom, Lithion, Borsäure, Rubidium und Cäsium? Oder ist es etwa das darin vorhandene kohlensaure Gas, das uns im Champagner und den Sodawässern so trefflich mundet?

Möglich ist es ja, daß durch den übermäßigen Gebrauch einzelner der genannten mineralischen Bestandtheile, wie z. B. des kohlensauren Natrons, mit welchem in der That häufig Mißbrauch getrieben wird, nachtheilige Wirkungen entstehen können, aber diese genannten Bestandtheile werden nicht nur mit der täglich gewöhnlich getrunkenen Menge des Karlsbader Mineralwassers, sondern selbst für den Verlauf einer vierwöchentlichen Cur berechnet, in relativ so geringer Mengen genossen, daß sie dadurch unmöglich nachtheilig wirken können, abgesehen davon, daß ein großer Theil derselben, ohne in die Säftemasse aufgenommen worden zu sein, täglich mit den Excrementen wieder ausgeschieden wird. – Berechnen wir die Wassermenge, die ein Curgast täglich trinkt, zu acht Bechern (die meisten trinken jetzt sogar nur vier bis sechs Becher) und den Becher gleich sechs Unzen[2], so beträgt die Menge der in einem Tage consumirten festen Bestandtheile (d. i. drei Pfund Mineralwasser, wovon ein Pfund zweiundvierzig Gran feste Bestandtheile enthält) zwei Drachmen und sechs Gran, mithin in dreißig Tagen (d. i. die gewöhnliche Curzeit) sieben Unzen und sieben Drachmen. – Davon vertheilen sich die einzelnen Bestandtheile (in runder Zahl berechnet) nahezu in folgender Weise. Man consumirt

schwefels. Kali in 1 Tag 4½ Gr., in 30 Tg. – Unz. 2 Dr. 15 Gr.
schwefels. Natron „ 1 „ 54 „ „ 30 „ 3 „ 3 „ – „
kohlens. Natron „ 1 „ 30 „ „ 30 „ 1 „ 7 „ – „
salzs. Natron „ 1 „ 24 „ „ 30 „ 1 „ 4 „ – „
kohlens. Kali „ 1 „ 7½ „ „ 30 „ – „ 3 „ 45 „
Kieselerde „ 1 „ 2¼ „ „ 30 „ – „ 1 „ 7½ „
kohlens. Magnesia „ 1 „ 1½ „ „ 30 „ – „ – „ 45 „
Eisenoydul „ 1 „ 3/40 „ 30 „ – „ – „ 2½ „

Der Rest von einer Drachme und sechs Gran vertheilt sich auf die übrigen minimalen Bestandtheile, wovon wieder der bei weitem größere Theil auf kohlensaures Strontian und Manganoxydul, phosphorsaure Thonerde und Kalk, Fluorkalium kommt; die übrigen noch entdeckten Bestandtheile: Iodkalium, Bromnatrium, Borsäure, Rubidium, Cäsium etc. sind nur in fast homöopathischer Menge vertheilt.

Jeder Unbefangene wird sonach wohl zugeben müssen, daß das Karlsbader Mineralwasser durch die Art und Menge seiner mineralischen Bestandtheile unmöglich gefährlich sein kann, und daß es nicht etwa gewisse, gewöhnlich beim Curgebrauche verbotene Speisen, wozu ganz besonders die berüchtigte Dreizahl: Butter, rohes Obst und Salat gehört, in gefährliche Gifte verwandelt.

Obwohl nun das Karlsbader Wasser durch seine mineralischen und flüchtigen Bestandtheile entschieden nicht gefährlich ist, und zwar unter keinen Umständen, so muß doch zugegeben werden, daß es durch eine seiner Eigenschaften bei unvorsichtigem Gebrauche gefährlich werden könnte, und diese Eigenschaft ist sein ziemlich hoher Wärmegrad. Aber diese Gefährlichkeit liegt wieder nicht in einer specifischen Eigenthümlichkeit dieser Wärme, sondern einzig und allein in dem unvorsichtigen Gebrauche.

Es kann daher wohl geschehen, daß, wenn Jemand mit leicht beweglichem Blutgefäßsysteme sechs bis acht Becher Sprudel in viertelstündigen Zwischenräumen trinkt, er dadurch Blutwallung, Blutandrang nach dem Kopfe, Herzklopfen mit Beängstigung und dergleichen bekommen kann, aber ganz dieselben Erscheinungen werden eintreten, wenn ein so beschaffener Kranker oder Gesunder eben so viele Becher ganz gewöhnliches Trinkwasser, bis zur Temperatur des Sprudels künstlich erwärmt, trinkt. So sagt schon Dr. Tralles (in seinem 1756 erschienenen Werke über Karlsbad, in welchem er in mehreren Capiteln zu beweisen sucht, daß „der Brudel kein stark wirkendes, sondern ein sehr gelindes Hülfsmittel sei“) sehr naiv und treffend: „Was die Hitze anbelangt, so getraue ich mich schier allen Menschen, wenn sie Lust haben, hinter einander eine eben so große Menge Theewassers in einem warmen Sommertage und in eben dem Grade der Wärme, als man den Brudel zu trinken gewohnt ist, zu sich zu nehmen, eben so viel Wärme zu verschaffen.“

Gewiß ist es, daß man Karlsbad wie jedes andere Heilmittel mit einer gewissen Vorsicht und streng methodisch gebrauchen muß, aber ebenso gewiß ist es, daß es dann nicht nur eines der mildesten und ein völlig unschädliches Mittel ist, sondern daß es sogar bei Neigung zu gefährlichen Kopfcongestionen, wenn diese in Unterleibsvollblütigkeit ihren Grund haben, mit bestem Erfolge gebraucht werden kann, und ist denn etwa ein kategorischer Imperativ vorhanden, bei jedem Kranken sogleich den Sprudel in Gebrauch zu ziehen? Giebt es denn hier nicht Quellen in fast allen Abstufungen der Temperatur, und zwar von 34 Grad R. (das ist die Karlsquelle) bis zu 59 Grad (das ist eben die Temperatur des Sprudels)? Ferner (und das muß ganz besonders betont werden, weil es noch viel zu wenig bekannt, ja selbst von Aerzten in Karlsbad noch nicht hinlänglich genug berücksichtigt wird), ferner also: kann denn das Karlsbader Mineralwasser bei Kranken, deren Blutgefäßsystem durch unsere selbst mindest warmen Quellen leicht in Aufregung gebracht wird, nicht ebenso gut bedeutend abgekühlt oder völlig bis zur Lufttemperatur erkaltet in Gebrauch gezogen werden? Dadurch geht dem Wasser ja gar nichts Anderes als eben nur die Wärme verloren, nicht einmal sein flüchtiger Bestandtheil, nämlich das kohlensaure Gas, denn bekanntlich bleibt dieses Gas um so fester und in um so größerer Menge an das Getränk gebunden, je kühler dieses ist, und das ist, nebenbei bemerkt, ja auch der Grund, warum man den Champagner in’s Eis setzt.

Um so weniger aber gehen die festen Bestandtheile verloren durch die Erkaltung, und das eigentlich Wirksame dieses Mineralwassers sind schließlich doch seine mineralischen Bestandtheile. Daraus geht aber nicht hervor, daß man das Karlsbader Mineralwasser stets nur ganz abgekühlt in Anwendung bringen sollte, denn auch dessen verschiedene Wärmegrade haben ihre wohlberechtigte Anzeige, und – was wohl zu bemerken –: die Karlsbader Mineralquellen sind nur durch den Wärmegrad, nicht aber durch die mineralischen Bestandtheile verschieden. Letztere sind in allen Quellen, von der Karlsquelle bis zum Sprudel, der Art und Menge nach ganz gleich. Daher ist es auch ganz gleichgültig, von welcher der kühleren Quellen man trinkt, wenn deren Wasser einmal ganz erkaltet ist. Ich sage ausdrücklich: der „kühleren“ Quellen und nicht auch des Sprudels, denn das Sprudelwasser ist so heiß, daß es allsobald beim Zutritte der atmosphärischer Luft nicht nur seine ganze sogenannte freie Kohlensäure verliert, sondern auch einen Theil der an die mineralischen Bestandtheile gebundenen Kohlensäure, sodaß diese (dem technischen Ausdrucke nach) zu anderthalbkohlensauren Salzen werden. Aus diesem Umstande aber ergeben sich mehrere wichtige Folgerungen. Für’s Erste liegt darin der Grund, warum das in einer Badewanne erkaltete Sprudelwasser an der Oberfläche ein schillerndes, fettig aussehendes Häutchen absetzt und eine feine weiße Erde zu Boden fallen läßt; es sind dies nämlich die der Kohlensäure beraubten mineralischen Bestandtheile, diese aber werden bekanntlich nur durch die Kohlensäure in aufgelöstem [804] Zustande erhalten, und zwar bedürfen sie dazu einer doppelt so großen Menge Kohlensäure, wie deren Volumen beträgt, daher man sie doppeltkohlensaure Salze nennt. Daher auch setzt das Sprudelwasser so reichlich den sogenannten Sprudelstein oder Sinter ab, was die kühleren Quellen nicht thun, deswegen nicht, weil diese die mineralischen Bestandtheile eben als doppelt-kohlensaure Salze und dazu noch einen Ueberschuß dieses Gases, das ist die sogenannte „freie“ Kohlensäure“ enthalten. Weil nun der Sprudel absetzt, die kühleren Quellen aber nicht, glauben viele Curgäste, die kühleren Quellen hätten weniger mineralische Bestandtheile. Im Vorangehenden ist das Irrige dieser Meinung hoffentlich klar auseinandergesetzt.

Ferner ergiebt sich aus dem oben angeführten Umstande, daß sich zur Versendung des Karlsbader Mineralwassers besser die kühleren Quellen und am besten der Schloßbrunn eignet, weil dieser am meisten „freie“ Kohlensäure besitzt. Wenn also Jemand als versendetes Karlsbader Wasser den „Sprudel“ trinken will oder auf Anordnung seines Arztes trinken soll, so muß er sich das natürliche Wasser vom Schloßbrunn aus der nächsten Mineralwasser-Niederlage, oder direct von der hiesigen „Karlsbader Mineralwasserversendung“ verschaffen und dieses bis zur Temperatur des Sprudels künstlich erwärmen.

Ferner sieht man es in Karlsbad häufig genug, daß Curgäste sich ihren Becher mit Sprudelwasser füllen lassen, diesen aber, bevor sie ihn trinken, zehn bis fünfzehn Minuten hinsetzen, in der Absicht, das Wasser abkühlen zu lassen, und sie glauben dennoch, dann Sprudelwasser zu trinken. Wie thöricht das ist, geht ebenfalls aus Obigem hervor; dies so getrunkene Wasser ist zwar immer noch ein Mineralwasser, aber ein zum Theil schon zersetztes. Wer Sprudel trinken will, muß ihn so heiß trinken, wie ihn die Quelle giebt, und dies geschieht am besten mittelst eines kleinen Glaslöffels, weil man eine so kleine Menge, wie ein solcher Löffel faßt, ganz gut hinunterschlucken kann.

Doch lassen wir als sichersten Beweis, daß Karlsbad kein gefährliches Heilmittel ist, die Zahlen sprechen. Karlsbad wurde in den letzten drei Jahren von 61,256 Personen besucht, welche mehr oder weniger krank waren. Viele unter ihnen waren sehr krank. Die Zahl der Todesfälle betrug in diesen drei Jahren hundertfünfzehn (nämlich zweiundvierzig im Jahre 1873, dreißig im Jahre 1874 und dreiundvierzig im Jahre 1875). Davon starben an Schlagfluß vierzehn Personen, also eine Person von 4375, an (meistens krebsartiger) Entartung der Unterleibsorgane (der Leber, Milz, des Magens, der Nieren etc.) neunundvierzig Personen, an Zuckerharnruhr sechs Personen, an Lungenlähmung und Lungeschwindsucht dreizehn, an Blutvergiftung vier, Urämie fünf, Herzbeutelentzündung vier, Gallensteinkolik und Leberentzündung je zwei, Wassersucht vier, die Uebrigen an Scharlach, Typhus, Blutsturz, Magen- und Darmkatarrh, Brightischer Nierenkrankheit. – Nun entsteht die Frage, ob irgendwo bei einer Bevölkerung von 61,256 Personen weniger Todesfälle, als die angegebenen vorkommen? Daß aber nur einer der angegebenen Todesfälle nach dem Satze: post hoc, ergo propter hoc stattgefunden hätte, könnte nur die Mißgunst oder Unwissenheit behaupten.

Karlsbad ist also in Wahrheit bei wahrhaft großer Heilkraft doch eines der mildesten, ja unschuldigsten Heilmittel, und kann in jedem Lebensalter, im zartesten, wie im höchsten, mit Erfolg und ohne die geringste Gefahr gebraucht werden. Ja, es muß hier entschieden betont werden, daß der günstige Erfolg von Karlsbad bei Kindern selbst im Alter von drei und zwei Jahren viel zu wenig bekannt ist.

Mit dem Vorurtheile der großen Gefährlichkeit zum Theile verbunden ist auch die Meinung, daß bei dem Gebrauche von Karlsbad, wie bereits oben erwähnt, der geringste Genuß sogenannter verbotener Speisen von größtem Nachtheile sei, und zwar deßwegen, weil sich gewisse Speisen mit diesem Wasser nicht vertragen. Nichts ist irriger als diese Meinung, und es muß daher hier mit allem Nachdrucke gesagt werden: daß nicht des Karlsbader Mineralwassers wegen gewisse Speisen verboten werden, sondern einzig und allein der Krankheitszustände wegen, gegen welche es als Heilmittel anempfohlen wird. Dennoch kann ein relativ Gesunder bei dem (vorausgesetzt nicht unmäßigen) Gebrauche oder Genusse dieses Mineralwassers selbst die vermeintlich verbotenen und gefährlichsten Dinge genießen, wie eben die bereits oben erwähnte Dreizahl: Butter, rohe Früchte und Salat – letzteren als schlimmste unter den so allgemein für verpönt gehaltenen Säuren – ohne dadurch krank zu werden. Experto crede Ruperto: der Schreiber dieser Zeilen hat es mehr als einmal gethan; er trinkt seit vielleicht zwanzig Jahren täglich, im Winter und Sommer einige Becher von einem der kühleren Brunnen, gewöhnlich Schloßbrunn, und er ißt dabei täglich Butterbrod, Erdbeeren, Aepfel, Birnen, wenn es solche giebt, und häufig genug Kartoffel-, Schnittbohnen- oder Kopfsalat, ohne davon bisher den geringsten Nachtheil gehabt zu haben, und erfreut sich, obwohl schon 1808 geboren, einer leidlichen Gesundheit. Ferner ließ er seine Kinder im zartesten Alter, wenn sie verstopft waren, zu jeder Tageszeit Schloßbrunn, jedoch gewöhnlich abgekühlt trinken, wobei außer Mäßigkeit keine Veränderung in dem Genusse der Nahrungsmittel stattfand.

Wenn mithin einem Fettleibigen, der vom eigenen Fett zehren kann, der Genuß von Butter und fetten Speisen verboten wird, so geschieht dies nicht des Mineralwassers wegen, sondern weil Fett wieder Fett erzeugt, der Genuß von Fett also wieder schlecht macht, was das Mineralwasser gut gemacht hat. Oder wenn Kranken mit schwacher Verdauung oder solchen, die zu Durchfall geneigt sind, der Genuß von Obst oder Salat verboten wird, so geschieht dies wieder nicht des Mineralwassers wegen, sondern weil ein solcher Kranker mit und ohne den Genuß des Mineralwassers dergleichen Speisen vermeiden soll etc. Es ist hier nicht der Ort, in ein weiteres Detail einzugehen. Der geneigte Leser findet dieses ausführlich auseinandergesetzt in meiner oben erwähnten Monographie über Karlsbad. Nur dessen sei hier noch erwähnt, daß auch die fast allgemein verbreitete Meinung: „Jeder Curgebrauchende müsse sich hier kasteien und bis zum Schwachwerden Hunger leiden“, eine durchaus irrige ist.

Der Verfasser prakticirt in Karlsbad bereits seit dem Jahre 1834, was hier blos deßwegen gesagt wird, um darzuthun, daß er wohl berechtigt ist, über diese Vorurtheile seine Stimme abzugeben.

Es muß ausdrücklich bemerkt werden, daß das Vorstehende durchaus nicht in der Absicht geschrieben wurde, um Reclame für Karlsbad zu machen – denn der Besuch von Karlsbad ist trotz der gerügten Vorurtheile, wie aus nachstehender Zahlenangabe hervorgeht, ein sehr starker und hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt: im Jahre 1865 betrug die Anzahl der Curparteien (Familien) 7,969, im Jahre 1875 dagegen 15,642 Parteien – sondern einzig und allein in der Absicht, das Gemüth der durch diese unbegreiflichen Vorurtheile ängstlich gemachten Kranken, welchen der Gebrauch der Karlsbader Mineralwässer anempfohlen wurde, zu beruhigen.


  1. Karlsbad in geschichtlicher, medicinischer und topographischer Beziehung. Von Med. Dr. Eduard Hlawacek. Karlsbad, 1876, Hans Feller, Mk. 4. 80.
  2. Da noch keine Analyse nach dem neuen Gewichte existirt, so müssen wir die Quantitätsverhältnisse noch nach dem alten Apothekergewichte (wonach 1 Pfund = 16 Unzen, 1 Unze = 8 Drachmen, 1 Drachme = 60 Gran ist) berechnen.