Eine Recognoscirung auf der Unter-Elbe

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Autor: A. Dk.
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Titel: Eine Recognoscirung auf der Unter-Elbe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35–36, S. 552, 554–556, 574–576
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[552]
Eine Recognoscirung auf der Unter-Elbe.
Von unserem Special-Correspondenten A. Dk.

Von zwei bis sieben Uhr Nachmittags, beinahe zweiundzwanzig Meilen weit, bei der angenehmen Temperatur von circa neunundzwanzig Grad Réaumur im Eisenbahncoupé gebraten, denn dasselbe glich einer Backstube, dann mit dem nämlichen Zuge achtunddreißig weitere Meilen durchflogen, als ob der Gottseibeiuns selber die Locomotive geheizt hätte, traf ich, achtzehn Stunden später, als ich von Ihnen Abschied genommen, in der alten Hansestadt ein. Es war ein wonniger, stiller Sommermorgen, [554] so recht geeignet, die Brust vollzusaugen an der würzigfeuchten Luft, die die prachtvollen Promenaden, mit denen Hamburg umgürtet ist, aushauchen, wenn man sich nicht jeden Augenblick hätte daran erinnern müssen, daß man ausgezogen, um einem Schauplatze nahe zu sein, auf dem die Furien eines blutigen, brutal vom Zaune gebrochenen Krieges jeden Augenblick ihren gräßlichen, markerschütternden Tanz beginnen mußten. Demnach weiter, weiter, nothdürftig gesäubert und erquickt durch eine Bowle des superben Kaffee, süß wie die Liebe, heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel und stark wie hundertjähriger Malvasier – wie man ihn dort zu trinken gewohnt ist, und das feurige Roß schleppte mich gleich nach sechs Uhr Morgens keuchend vorwärts nach dem idyllischen Blankenese, in dessen weißen, zierlich gebauten Bahnhof wir gleich nach siebeneinhalb Uhr einfuhren. Die Journalistenmappe unter dem Arm, den Waggonquetscher möglichst bequem in’s Gesicht gerückt und in Hemdärmeln, denn die Sonne sandte bereits ihre glühenden Strahlen über die baumlosen, noch zum Theil mit reicher Ernte bestandenen Aecker, die ich querfeldein passiren mußte, trabte ich dem mir wohlbekannten Schleichweg, am Baur’schen Garten entlang, zu, um zu dem in üppigem Grün halb versteckten traulichen Sommerhäuschen meines alten Freundes Jens Hinrichs P-n, am Fuße des Süllberges, zu gelangen; ich hatte ihm von Leipzig aus Avis geschickt und er konnte mich daher stündlich erwarten.

Die hellklingende Strandglocke hob gerade zum Achtuhrschlag aus, als ich vor dem grünangestrichenen Gitter stand; ich öffnete die Thür (an der Niederelbe kennt man das Verschließen der Gatter etc. nicht!) und ließ mit wohlgestärkter Lunge den Ruf erklingen, der einen schon im Sterbe liegenden echten Seemann wieder in’s Leben zurückruft: „Ship ahoi! Alle Hände auf Deck!“ Keine drei Secunden und ein gellender Pfiff aus der mir wohlbekannten silbernen Hochbootsmannspfeife war mir die Quittung, daß meine phonische Depesche richtig an ihre Adresse gelangt war. Zugleich beschnoberte mich Lady Eugenie, die riesige Newfoundländerin, die mich in ihrer Erkennungsfreude beinahe umgerissen hätte, während ihr fast noch größerer Herr Gemahl, Mylord Lulu, sich möglichst graziös auf den Rasen hingelümmelt hatte und jedenfalls das Aeußerste der gastlichen Höflichkeit erfüllt zu haben vermeinte, daß er langsam mit der buschigen schwarzen Ruthe wedelte.

Jetzt trat mir Jens Hinrich entgegen, wie immer in weiten leinenen Pantalons und dito kurzem Rock, ein wahrhaftes Ungeheuer von Panamahut auf dem wollkrausen, rabenschwarzen Haupte. Seine brennenden Augen blitzten mir freundlich aus dem dunkelbraunen Mulattenantlitz entgegen.

„Na, ohle Lannradde, büst Du endlich ankamen?! Gott verd… mi, ück war güstern all up’n Bahnhof buten in Hamburg, hewwt das ohle Pierd anspannt, aber we nich kam, dat was mien ohle Fründ, de Tintenklexer! Na, segg bi, smeet af, mien Jong!“

„Konnte beim besten Willen nicht früher kommen, Jens Hinrich, hatte mit Hrn. Keil noch so allerlei zu klönen, bis uns die Ankunft des Königs Wilhelm in seinem Hauptquartiere an die übernommenen Verpflichtungen gemahnte und mich aus dem gemüthlichen Leipzig forttrieb.“

„Töw ’mal, Leipzig, dat is ja wohl die grote sächsische Seestadt, wo sie die schoinen zweiundzwanzig Verse drup gedichtet haben. Se leggt ja wohl an de Kräg’ oder Elster, oder wie de Vagel heet?!“

„Du hast Recht, doch laß jetzt Deine Späße, die Du mir Abends bei Sagebiel im Fährhause zum Besten geben kannst. Kommen wir gleich zur Sache! Wie steht’s mit Deinem eisernen Renner, ‚the Outrigger‘, ist er seeklar? Maschine, Raum und Deck in Ordnung?“

„All right, mien Jong, neu gewaschen und geputzt, wie eine smucke Pige“ (dänisch, Jungfrau).

„Das ist mir lieb, denn ich hab’s zuerst ziemlich eilig, muß Sonnabend Abend spätestens dem Postkasten etwas in den Schlund schieben.“

„Hm! Dann mööt wir um sieben Uhr hüüt Abend anheizen und gliek nach neun Uhr in See stechen; ick glöw aber kaum, daß wir viel zu sehen krägen, de gottv… Franzos scheint keine rechte Courage zu haben.“

„Bist Du bereits vor mir die Watten hinunter bis hinter Glückstadt gewesen und hast Dich etwas umgethan?“

„Bis Glückstadt? No, mien Jong, aber bis hinter Cuxhaven, bis beinahe an Insel Neuwerk heran.“

„Und hast von der vielbeschrienen Franzenflotte nichts gesehen? Ihre Kanonenboote, so erzählt man sich im Binnenlande, sollen ja in einer förmlich geschlossenen Reihe unsere Elbe schließen.“

Jens Hinrich schlug ein helles Gelächter auf.

„Was man Euch Landratten nicht Alles aufbinden kann! Ich glaube, wenn man Euch erzählte, in der letzten Nacht ist der große Michaelisthurm in Hamburg gestohlen worden – es giebt Leute, welche, wenn auch verstohlen, auslugen, ob’s wahr ist. – Mien Jong, um unsere Elbe zu sperren, dazu gehört mehr als die paar eisernen Rumpelkasten, die die wälschen Hallunken hier sich herumtreiben lassen, damit sie in dem ihnen gänzlich unbekannten Wasser sich gelegentlich gründlich festlaufen können. Habe ja in voriger Woche selbst ein Ding, so ungeschickt gebaut, daß der Werftmeister hundert Ellen Tauende auf den Rücken verdiente, auflaufen sehen und drei andere von seinem Caliber quälten sich ab, den plumpen Gesellen wieder flott zu kriegen, was ihnen denn auch am zweiten Tage gelang. Du mußt nicht vergessen, mien Jong, daß von Cuxhaven nach Brunsbüttel hinüber ein banniges Stück Wasser ist, dem hier und da ein ganz ansehnliches Sandgebirge angeschoppt ist.“

„Wenn es den Franzosen aber gelänge, tüchtige Elblootsen zu ködern? So viel ich weiß, bezahlen sie in schönem, blankem Golde!“

„Lootsen, hm! Nun ja, wenn! … Sieh, mien Jong, unsere Leute hier an der Ebe hinunter sind durchweg ein Schlag aus dem gröbsten Holze, kurz angebunden, aber keiner Hundsfötterei fähig. Dazu sind sie nicht geldgierig genug und haben unseren Herrgott im Leibe. Geh Du durch ganz Süderdithmarschen und sprich mit ihnen, Du wirst Wunderdinge hören über ihre Gesinnungen, hören, daß einem dösköppigen Franzosen, wenn er dabei stünde, die falschen Katzenaugen übergehen würden, so wahnsinnig beliebt ist er dort. Der Einzige, der ihm vielleicht helfen könnte, die Elbe zu forciren, wäre de gammel Hannemann, der Däne, zu dem er auch am besten paßt, denn bis heute ist es noch nicht festgestellt, wer von Beiden der größere schurkische Lump ist.“

„Wie kommen aber gerade die Dänen dazu, hier auf der Elbe, die ihnen doch seit fast sechs Jahren so fern liegt …“

„Will ich Dir auseinanderkalfatern, mien Jong, aber mi ward die Kehle trocken.“

Er zog die silberne Pfeife hervor und ließ einen dreifachen Pfiff gellen. Katrin, die dicke Wirthschafterin mit der schneeweißen Schürze, erschien in der Thür.

„Watt giwwt et; Herr Kaptein?“

„Dummen Snack en lütten Fröhstück, dat heet, nich tau lütt, es künnt jümmers een paar Tons Oeberfracht dabi sien.“

„Weet all, Herr Kaptein!“

In wenigen Minuten stand ein Imbiß auf dem Tisch, wie ihn die „smarteste“ Capitainskajüte nicht besser aufzuweisen vermag. Ein mächtiger rosenrother holsteinischer Schinken, dazu die köstliche Butter aus den Marschen, eine Schüssel mit kalten Beefsteaks, ein fast drei Fuß langer Viertellachs, Chesterkäse von der tadellosesten Isabellfarbe, Spintbrod und frische Rundstücke, und hinter dem Cognacflacon mit silbernem Stöpsel die unvermeidlichen vier Rothspohnflaschen mit der achtbaren Etikette „Chateau Léoville“

„So, mien Jong, alle Hände up Deck.“

Während ich des Leibes pflegte, denn im Norden hat man, namentlich nach flotter Bewegung, stets doppelt so viel Appetit, als im Binnenlande, fuhr, nachdem er sich die Kehle mit einem Römer fränkischen Rebenblutes gereinigt, Jens Hinrich fort: „Sieh, mien Jong, mit den dänischen Lootsen ist das so! Du wirst Dich erinnern, daß von langer Hand her, nachdem sie von Kopenhagen aus die Glückstädter Festungswerke hatten schleifen müssen, bis sie endlich 1864 für immer von der Elbe Abschied zu nehmen gezwungen waren, sie drei Zoll-Wachtschiffe, Lootsenkutter eigentlich, vor Altona, Glückstadt und weiter unten hinter Brunsbüttel aufgestellt hatten, um den Schmuggel von drüben, von der hannoverschen Küste her nach dem holsteinischen Ufer zu hintertreiben, was ihnen übrigens nur zur Hälfte gelang. Hätten sie sich damals ohne Weiteres dem Zoll- oder dem Steuerverein angeschlossen, hätten sie Millionen sparen können, die eine wahre Armee von Zollbeamten verschlang, und wären besser d’ran gewesen. So aber mußte Tag und Nacht zu Wasser und zu Lande patrouillirt und gekreuzt werden. Dabei haben sich denn die Kerle, die poveren [555] Jüten, trotz Holzkorken und Bocksbart, eine so genaue Kenntniß unseres Fahrwassers und seiner Untiefen angeeignet, daß sie den Weg beinahe mit verbundenen Augen zu finden wissen. Die kleinen Veränderungen, die in dem zickzackigen Sandgetriebe durch Springfluthen und Eisgänge auf kurze Zeit entstehen, werden am Ende durch das natürliche Gerinne regulirt und die alte Elbkarte tritt immer wieder in ihre Rechte. Diese verhungerten Kerle sind es, die, wenn sie blankes Silber in Species oder gar Gold sehen, uns allenfalls gefährlich und den wälschen Strandräubern und Mordbrennern sehr nützlich werden können.“

„Ich habe doch aber gehört, daß, auf Grund eines Neutralitätsgesetzes, es allen dänischen Unterthanen streng verboten ist, den kriegführenden Parteien irgendwelche Dienste, namentlich aber Lootsendienste zu leisten!“

„Ohle Dösbaddel, hätt ick binah seggt, streng verboten … ja, so lang sie ihnen noch etwas zu verbieten haben. Wenn der Däne aber nun, ebenso schlau als niederträchtig, auf kurze Zeit die dänische Jacke aus- und die französische anzieht, das heißt jetzt Franzmann und nach dem Kriege wieder Hannemann wird, glaubst Du, daß sie ihm das geringste Hinderniß bereiten werden? Glaubst Du denn, daß die in Kopenhagen nicht bei der ersten bedeutenden Schlappe der deutschen Waffen die Zähne zeigen und die eingezogenen Krallen herausstrecken werden?! Der Bär, dem man Honig zeigt, stürzt sich darauf, gleichviel ob er mit dem Kopfe in der Baumspalte sitzen bleibt. Und im Versprechen und Maulumschmieren ist der Franzose groß, im Halten nachher, wenn die Klemme vorüber, ist er der feilste Galgen-Bankerutteur, den je die gnädige Gottessonne beschienen! Gott verd… mi, ich kenne das, weiß ein Lied davon zu pfeifen, die wälschen Bestien, die mir das Theuerste, was …“

Damit schlug Jens Hinrich mit seiner eisernen Faust auf den Tisch, daß Flaschen und Gläser tanzten und die Hunde sich ängstlich verkrochen, stürzte hastig einen Special hinunter, sprang und lief garteneinwärts.

Schon häufig hatte ich seit Jahren Gelegenheit gehabt, wenn sich die Plaudereien auf diesen Punkt lenkten, den tiefgewurzelten Franzosenhaß dieses sonst so seelenguten Mannes kennen zu lernen; ich habe nie, trotz aller vorsichtigen Ausforschungen, den eigentlichen Grund dafür finden können, auch seine besten Freunde vom Seeleben her konnten mir keinen Aufschluß darüber geben. –

Jens Hinrich P-n’s Vater war, wie er selber, Schiffscapitain gewesen, hatte in St. Pierre auf der französischen Antilleninsel Martinique eine bildschöne (dem noch vorhandenen Pastell-Portrait nach zu urtheilen) Mulattin kennen gelernt und sie nach Europa heimgeführt. Dort ward mein Freund Jens Hinrich 1810 in Itzehoe geboren. Trotz deutscher Geburt erbte er von seiner Mutter das mahagonibraune Colorit, die „schattige Livrei des Südens“ und das krause, rabenschwarze Haar. Auf seinen meist westindischen Reisen nahm der alte P-n häufig Frau und Kind mit, das nach und nach zu einem handfesten Burschen heranwuchs. Eines Tages kehrte, es war im Herbst 1830, Jens Hinrich, damals Bootsmaat auf dem Schiffe seines Vaters, ohne diesen und die Mutter zurück. Wo sie geblieben, oder wie sie gar ein Ende genommen, darüber schwebte ein tiefes, bis heute nicht gelüftetes Geheimniß, das in den ernst-drohenden Zügen des sonst so lebensfrohen muntern Mannes sichtlich begraben lag. – Bald darauf, nach glänzend bestandener Steuermannsprüfung, übernahm er sein eigenes Schiff, das er über zwanzig Jahre in allen Längen- und Breitengraden herumführte, und mit dem er, durch fortdauerndes Glück begünstigt, ein bedeutendes Vermögen erwarb, um sich 1852 am Elbstrande als alter Hagestolz zur Ruhe zu setzen.

Das ist die kurze, bündige Geschichte meines Freundes.

Jetzt kam er langsam zurück, ruhig, als sei nichts vorgefallen.

„Mien Jong, Du mußt mi datt nich öwel nehmen; Du weetst ja … na, en anner Buddel Wiin … so prost! … Also, ick vertellte Di …“

„Wegen der Möglichkeit dänischer Lootsen auf der Elbe …“

All right … Ja, sieh nur, davor brauchen wir keine allzugroße Bange zu haben. So weit von Altona aus die Elbe abwärts geht, ist unser hochgelegenes rechtes Ufer überall wohlbewacht, vom linken zu geschweigen, das zu flach ist. Und doch sind bei Brunshausen, dem Stader Hafen, wie Du Dich überzeugen wirst, die alten Schanzen bis an die Brüstung schwer armirt, und bei Cuxhaven natürlich große imposante Werke geschaffen, deren eiserne Visitenkarten den französischen Kanonenjollen übel behagen würden. Und dabei passen ihre Kerle, die in ihrem Leben nie tüchtige Theerjacken werden, nicht einmal ordentlich auf den Dienst, kommen jedenfalls aus der Bottelier-Cabine nicht heraus, denn sonst ist es nicht zu klaren, wie es möglich gewesen, daß unser Panzer-Widder ‚Arminius‘ unbemerkt von ihnen vom Sund bis hierher hat kommen und sich gestern mitten in der Elbe, zwischen Cuxhaven und dem Neufelder Watt, vor Anker legen können.“

„Ja, das ist freilich stark!“

„Nun liegen sie draußen, maulaffen, natürlich in respectvoller Ferne, das schwarze Ungethüm an und warten, daß Succurs kommt, um den Angriff wagen zu können.“

„Wenn nun aber im schlimmsten Falle ihnen eine Landung dennoch gelingt?“

„Dafür hat der alte Eisenfresser in Hannover, Euer Vogel von Falckenstein, gründlich gesorgt, und wir haben eine tüchtige Portion Senf dazu gegeben. Zwischen Otterndorf, Ritzebüttel und Cuxhaven bis rückwärts nach Dorum wimmelt es von Kriegsleuten aller Waffen, zu denen sich unsere freiwillige See- und Landeswehr gesellt. So ein fünf- bis zehntausend Rothhosen würden einen siedend warmen Empfang finden, wenn sie nicht gleich beim Versuche der Landung, was sicher ist, müßten Seewasser saufen lernen. Unterdessen amüsiren sich die Filous damit, harmlose Küstenfahrer, denen sie nicht nachlaufen können, zu cujoniren, mal auf einen Baumwollensack von lumpigem Engländer – was ihnen aber doch mal theuer zu stehen kommen kann – einen Schuß abzufeuern, weil sie die durch ihre eigenen heimischen Krämerseelen besudelte britannische Flagge nicht gleich erkannten, und überhaupt möglichst viel Kohlen und Pulver zu vergeuden. Ein paar Mal haben sie Parlamentair-Boote mit dem weißen Lappen hereingeschickt und um frische Gemüse und Fische für ihre „Kranken und Leidenden“ gebettelt, wobei sie einen hübschen Sack Geld klingen ließen. Die vom Hadelner Canal und Neuhaus haben ihnen aber geantwortet, daß ihre ‚gesunden Jungen‘ ihre Möhren, Steckrüben, Zuckererbsen, Bohnen, Blumen-, Wälsch- und Rosenkohl allein äßen, und die Blankeneser, daß die Herren Parlezvous, wenn sie Appetit auf Schollen, Seezungen, Steinbutten und Schellfisch hätten, sie sich ja allein fangen könnten. Es wäre das ganz leicht, wenn sie nur Geduld hätten und verstünden, den lieben Thierchen ‚du sel‘ auf Schwanz und Flossen zu streuen! …“

Wir mußten ob dieser echt niedersächsischen Naivetät Beide in ein schallendes Gelächter ausbrechen, in das die Hunde mit freudigem Gebell einstimmten und zu dem der sich am Fenster schaukelnde grüne Brasilianer (Papagei) sein mir wohlbekanntes „Hurrah Kaptein!“ beisteuerte.

Nachdem diese heftige Explosion der Lachmuskeln endlich verhallt war und Mensch und Thier sich beruhigt hatten, fuhr ich fort:

„Du hast Dich vortrefflich informirt, alter Freund, auf der ganzen Niederelbe scheint Deinen Falkenaugen und Deiner Localkenntniß nichts entgangen zu sein; allein wie steht es mit der wohl an fünfundzwanzig Meilen langen Nordküste von Cuxhaven bis Emden und die holländische Grenze? Bieten die davor liegenden zahlreichen Inseln und Inselchen dem Feinde nicht willkommene Terrains, um eine Landung nicht mindestens zu versuchen?“

„Will ich Dir wieder auseinander kalfatern, mien Jong. Du meinst doch vorzugsweise die Strecke von nördlich von Bremerhaven bis hinter die Emsmündung in den Dollart. Der letztere ist nun freilich der exponirteste Punkt, wenigstens scheinbar … aber eben auch nur scheinbar! ... Ganz abgesehen davon, daß, selbst im glücklichsten Falle für seine Waffen, den ich noch sehr bezweifle, der Franzmann sich gar sehr besinnen wird, in einem seichten Wasser zu operiren, dessen Küste zur Hälfte den Mynheers gehört, deren Neutralitätsverletzung denn doch einen Sturm in Europa erregen möchte, so ist gerade dieser Punkt von der Natur außerordentlich geschützt und überdies durch allerlei niedliches Spielzeug, das wir Seekrebse ‚Torpedos‘ benennen, bestens ausgestattet. Uebrigens sind seit Langem schon alle, auch die kleinsten Seezeichen aufgenommen, selbst bis auf die auch nur den eingeborenen Friesen verständlichen Markirstangen an Land und Dünen, so daß den wälschen Windbeuteln selbst die besten Special-, See- und Generalstabskarten nichts nützen werden.“

[574] Der Capitän hatte ein so felsenfestes Vertrauen auf die Unnahbarkeit seiner heimischen Küsten ausgesprochen, daß er mich ebensosehr zu überzeugen, als zu beruhigen anfing; dennoch fragte ich ihn noch in einem Tone, aus dem Etwas wie leichter Zweifel klang: „So könnten demnach die Einheimischen ungestört der Cabotage (Küstenschifffahrt) und dem Fisch- und Hummerfang nachgehen?“

„Ganz gewiß! Sieh, mien Jong, ich habe mich mit meinem braven ‚Outrigger‘ manch lieben Tag und Nacht dort an der Küste herumgeschaukelt und Wasser, Sand, Land und Leute gründlich kennen gelernt. Dadurch habe ich die Karte der ganzen bedrohten Strecke im Kopf und würde mich freuen, wie ein Kind um Weihnacht, wenn die Großmäuler etwas unternähmen, weil sie dann sicher im Netze sind. Fange Du bei der äußersten Spitze des linken Elbufers, bei Dünen-Döse und Salenburg an und gehe hinunter bis Schottwarden, Imsum und Weddewarden, wo das alte Wurster Fahrwasser an die Küste von Fort Wilhelm und Geestemünde stößt, so wirst Du ein einziges großes, fast sieben Meilen langes Watt finden, das als sehr gefährliche Vorläufer die langen Ewer- und Knecht-Sande in die Nordsee sendet. Ebenso berüchtigt sind die schwarzen Gründe. Der Langlütjen-Sand und das Salzhorn drängen das Neue Gatt zu einer Preßwurst zusammen, nachdem schon die Nord-Plate und Tegelers-Plate die Norder-Weser meilenlang incommodirt haben. Wer in diesen Tang hineingeräth, der kann nur gleich sein Testament machen.“

„Hm! Jetzt käme ja wohl der Jahdebusen?“ …

„All right!“ Na, mien Jong, darüber brauchen wir wohl nicht viel zu klönen. Die Festung Wilhelmshafen ist ein Oertchen, das gerade nicht für ein Seebad bestimmt ist, gespickt wie ein feistes Kücken, aber nicht mit Speck. Hab’s mal von Heppens aus [575] besucht und gemerkt, daß es den Preußen (damals wurde es noch gebaut und die Kriegsmarine war noch nicht an den Bund übergegangen) gewaltiger Ernst mit dieser Seeveste sei. Unter ihren Riesenkanonen liegen jetzt auch die drei Panzerfregatten, die mitten durch die ungeschickten Faulenzer von Franzosen gefahren sind. Verfaulen werden die drei Possekel dort sicher nicht, sondern gelegentlich ’mal hervorbrechen, um dem Gegner den Küraß auf dem Leibe auszuhämmern.“

„Meine, daß dies längst hätte geschehen können,“ murmelte ich dazwischen, um dem Alten etwas warm zu machen.

„So, wirklich?! Du klönst ook, as Du dat versteihst, mien soite Jong. Mit Kanonenkugeln schießt man nicht auf Seemöven. Mark Di dat!“ ...

„Werd’s mir merken. Wie steht’s aber nun endlich mit all’ den Inseln bis an das holländische Rottum?“

„Ebenso, wie mit den Küsten. Sind eingewickelt in Watten, wie Edelsteine in Watte! Von Heppens bis Carolinen-Siel ist an der Küste ein Sumpf mit zahllosen Torfgräben durchzogen, an die vier bis fünf Meilen lang, wo nicht der kleinste Weiler einen Baugrund finden kann. Dort, vor dem neuen Brack liegt unser trotziges Wanger-Ooge, wo sich manche Landratte in den schönsten Seebädern Deutschlands Kraft und eiserne Knochen holen könnte, wenn sie weniger bequem wäre. Dort ist auch die letzte Durchfahrt, die Harle, in die ich mich nicht mal ohne kundigsten Lootsen hineinwagen möchte, so wüthet Ebbe und Fluth in allen diesen confusen, labyrinthischen Gerinnen aufeinander. Spiker-Ooge, Langer-Ooge und Baltrum sind nur für Fischerjollen erreichbar, ebenso Norderney besser vom Lande, von der Stadt Norden her, über Krug hinaus, als von der See her. Die Doppelinsel Juist, Bill und Ostdorp und endlich dito Borkum, Ostland und Westland, sind durch die Oster- oder Wester-Ems zu erreichen, wenn man nicht mit den Stiefeln auf dem gottverd… Juister und Borkumer Riff, wo schon so manche brave Theerjacke ihr Ende gefunden, sitzen bleibt. Und was schließlich dennoch an Mannschaft und Strandkanonen etwa gebraucht werden sollte, ist längst an Ort und Stelle und kann jeden Augenblick mit der Eisenbahn nach Emden geschafft werden. Das hat jetzt zum Glück eine Schleuße, die der blinde Mann mit den wunderbaren ledernen Welsen-Buxen nicht geben wollte bis an’s Ende der Tage, weil seine Ostfriesen, die es längst verdient hatten, unter einer andern als einer elenden Unterrocks- und Schmarotzerregierung zu stehen, nicht ganz artig gewesen waren, das heißt die lackirten Spitzbuben nicht gewählt hatten, die man ihnen von Hannover aus so gern octroyiren wollte.“

„Demnach wäre also von dieser Seite her nichts zu besorgen.“

„Wir können bei uns, an der Elbe, ebenso gut singen, wie die am Rhein:

‚Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein!‘

Der alte Haudegen, der Vogel von Falckenstein, hat sich überall in seinem General-Gouvernementsgebiet umgethan und gesagt, was eben viel sagen will, daß er mit uns zufrieden wäre und zur Belohnung dafür solle uns jeder Franzmann, der unsere Küsten betritt, verfallen sein. Da werden wir wohl freilich lange warten müssen, denn bis jetzt rücken und rühren sich die Kerle noch nicht, und die neutralen Schiffe gehen täglich zu Dutzenden nach und von Hamburg ein und aus. Wenn das eine regelrechte Blokade ist, so bin ich mein Lebtag nicht auf Salzwasser geschwommen … Doch jetzt komm, mien Jong, mi ward schon die Zunge dröge (trocken); steckt wi uns een gauden Havannah in den Snabel un kleddern wi Trepp af na uns’ Fregatte.“

Bald umringelten uns die blauen Wolken einer prachtvollen „Corona Regalia“ und wir schlugen mitten durch Blumenflor und smaragdgrünen Rasen, den Weg zum Strande ein, gefolgt von den übermüthig und läppisch lärmenden und springenden Hunden. –

Jens Hinrich hat, als alter Hagestolz, keine sonderlichen Bedürfnisse; ich glaube kaum, daß er jährlich die Hälfte seiner Revenüen aus seinem bedeutenden Vermögen verbraucht. Eines aber ist ihm, außer Rothspohn und Havanna-Cigarren (die er stets direct von seinem alten Freunde Don Juan Miranda in der Vuelta bei Havanna bezieht), unentbehrlich, das ist, täglich einige Stunden auf seinem alten Elemente, dem Wasser, zuzubringen. Zu diesem Zwecke hat er sich, nach eigener Zeichnung, in England einen eisernen Schraubendampfer von winzigen Dimensionen (zwanzig Fuß lang, sechs Fuß breit mit circa zweiundeinhalb Fuß Tiefgang) bauen lassen, der jedoch, vermöge seiner verhältnißmäßig sehr starken Maschine (sechs Pferdekraft) mit Locomotivkessel, der schnellste Renner auf der ganzen Unterelbe und auch dafür bekannt ist. Das ist auch der Grund, weshalb er „the Outrigger“ getauft ist. An dem ganzen, außerordentlich starken Schiffchen, dessen Wandung von gewalzten Eisenplatten beinahe halbzöllig und innen stark verankert ist, befindet sich nicht ein Loth Holz, denn selbst der zwölf Fuß hohe Mast, der nie Segel trägt, sondern nur bestimmt ist, die norddeutsche Bundesflagge zu zeigen, besteht aus eisernen Röhren, die wie ein ungeheures Fernrohr bis zum Verschwinden in einander geschoben werden können. Ebenso läßt sich der sieben Fuß hohe Schornstein umlegen und durch einen vorgesteckten Schwalch in der Biegung schließen. Von dem Rauch wird man überdies nicht belästigt, weil er fast gar nicht vorhanden, denn die Heizung geschieht, vermittelst einer sinnreichen Vorrichtung, durch – Petroleum, von dem immer einige eiserne Ballons unter Deck vorräthig sind. Schiff- und Dampfsteuerrung liegen dicht neben einander, so daß eine Person zur Fahrt vollkommen genügt. Alle diese Eigenschaften und ein dem Elbwasser ähnlicher graugrüner Anstrich lassen den „Outrigger“, wenn es nicht hell ist, kaum auf hundert Schritte, namentlich bei frischer Brise, erkennen. Vor Sturzwellen schützt das hermetisch geschlossene Deck, auf dem nur ein sehr hübscher Einpfünder, eine alte spanische Signal-Carronade thront.

Da lag das schmucke Ding auf dem Sande (es war gerade Ebbe), so daß man seinen Bau vollständig mustern konnte. Alles war in Ordnung; der alte Brückenwärter, früher Heizer auf einem Amerikaner, hatte zum Ueberfluß den Kuhlschwabber (Wollbesen zum Waschen) nicht geschont. –

Es war gegen neun Uhr Abends; die goldige, überhalbe Mondscheibe leuchtete uns trefflich, kein Lüftchen regte sich nach der drückenden Schwüle des Tages, als wir mit noch ablaufendem Wasser, so daß alle Watten, Untiefen und Moorinselchen (die bei der Fluth bedeckt sind) leicht zu erkennen waren, von Blankenese abstießen und mit Viertel-Steam in einem schlanken Bogen, den Süllberg gerade im Rücken lassend, nach der Borsteler Küste hinüberluvten. Mit einer Viertel-Wendung waren wir in vollem Fahrwasser und Jens Hinrich ließ nun der Schraube ihren vollen Willen, was sich wie ein entfernter Trommelwirbel anhörte. Wir flogen wie ein abgeschossener Pfeil dahin, was mich natürlich nicht hinderte – der Kaptein mußte nach Steuer und Compaß sehen, denn es lag eine dicke, flimmernde Luft auf der Elbe – den Proviant zu revidiren, den uns Katrin’ vorsorglich in die Sitzkoje gepackt hatte. Nun, es ging, mit einem Dutzend Léoville, ein paar kalter Enten, einer riesigen Mettwurst, Sahnenbutter, Chesterkäse und Spintbrod war die Lage erträglich. Wir kauten denn auch, denn das feuchte, zehrende Klima macht gewaltigen Appetit, bis Twielenfleth tapfer darauf los, bis wir in das Stader Fahrwasser kamen. Hier mußten wir vorsichtiger fahren. Bald zeigten sich die dunklen Umrisse von Brunshausen, so daß wir es gerathen fanden, Mast und Flagge aufzuziehen und unter den gewaltigen Kanonen des Schwinger Fort, die weit über die Wälle hinausstarrten, vor Anker zu gehen. Eine Stromwacht nahm uns in Empfang und führte uns zum Commandanten der freiwilligen Stromwehr, einem alten Cameraden Jens Hinrich’s, der uns nicht ohne den obligaten, steifen kalten Grog entließ. Neues hatte der Cuxhavener Telegraph nicht gebracht, außer daß General Vogel von Falckenstein im Laufe des Tages die mächtigen Schanzen inspicirt, die dort oben aufgeworfen und mit dem scharfen Geschütz armirt waren, und daß er sich ausnehmend zufrieden erklärt hatte. – Mit besten Grüßen an die uns namentlich benannten Orts- Commandanten der freiwilligen Seewehr in Glückstadt etc. bis Ritzebüttel stachen wir wieder in die Elbe.

Es war inzwischen über eilf Uhr geworden, und wir fuhren mit halber Kraft durch das Butzflether Gatt gerade aus, den Krückauer Sand rechts lassend. Hier erst konnten wir wieder vollen Dampf geben, so daß wir bereits vor ein Uhr Morgens in Glückstadt vor Anker lagen. Wir schraubten die Hähne der Feuerung aus, entleerten das Dampfreservoir und schlossen die Deckplatte, das Schiffchen unter der Obhut der Strandwächter lassend. Die Wirthin des Fährhauses, eine ehemalige Flamme von Jens Hinrich, der also nicht immer fühllos gegen das schöne Geschlecht gewesen, machte uns schnell ein paar Betten zurecht, und bald lagen wir in Morpheus’ Armen, aus denen ich nur öfters durch das sägemühlenartige Schnarchen meines Stubengenossen unsanft aufgerüttelt wurde. …

[576] Um fünf Uhr waren wir bereits wieder auf den Füßen. Ein süperber Kaffee, wie man ihn eben nur hier im Norden bekommt, stärkte uns zu einem kleinen Ausfluge zu Lande, den wir mit Hülfe eines Zollwächters unternahmen. Bekanntlich war Glückstadt ehedem eine ziemlich starke Festung, deren Werke jedoch 1815, auf Grund des Kieler Friedens, geschleift werden mußten. Jetzt waren diese nach der Elbseite zu in wenigen Tagen durch Tausende von emsigen Händen erneuert und nach Ivenfleth und Bielenberg zu durch flankirende Schanzen, mit schwerem Geschütz dicht besetzt, erweitert worden. Selbst die Glückstadt gerade gegenüber liegende, über eine Meile lange Insel Krautsand war mit dergleichen bedacht worden, so daß schwerlich eine Jolle sich hier durchwagen könnte, ohne gründlich zerhämmert zu werden. Die ganzen Anlagen hatten etwas Massives, Imposantes und befriedigten uns über die Maßen, zumal die sie besetzt haltende See- und Landwehr durchschnittlich dem erzkernigen Holstenstamme angehörte; ich will den Franzosen nicht rathen, sich unter diese herculischen Fäuste zu wagen! …

Während des Anheizens unseres Steamers heizten auch wir mit französischem Rebenblut auf dem Rasen am Strande, wobei uns unser Cicerone, der kundige Zöllner, gründlich half. Als hauptsächlichsten Dank ernteten wir eine Fülle von respectvollen Ehrenbezeigungen; freilich war Jens Hinrich in voller, goldbordirter See-Capitains-Uniform, und ich hatte meine alte Landwehrmütze und die Binde mit dem Kreuz, das Abzeichen der Neutralität, angelegt. Der Glockenschlag sieben Uhr machte dem improvisirten Ceremoniell ein Ende. Ein zärtlicher, etwas langer Abschied des Kaptein von der corpulenten Fährhauswirthin und meinerseits ein lautes: „Jens Hinrich, das Vaterland ist in Gefahr, alle Hände auf Deck!“ … und …

Dahin ging’s wieder in die klare, frische Morgenluft hinein. „The Outrigger“ schien sich auch über Nacht gekräftigt zu haben, denn er lief, daß der weiße Schaum an seinem scharfen Bug hoch aufspritzte. In einer halben Stunde hatten wir Störort erreicht, für uns, obgleich dort auch ein mächtiger Eckwall aufgeworfen war, nur deshalb merkwürdig, weil sich hier die Stör ergießt, an deren gesegneten Ufern Jens Hinrich’s „Vaterland“ Itzehoe liegt. Von hier ab hieß es vorsichtiger fahren, denn es beginnen sich wieder Watten zu zeigen (man erkennt sie an der kräuselnden Oberfläche des Wassers, das über ihnen steht), so daß der Kaptein sich wiederholt des Fernrohrs bedienen mußte, um sich durch nur ihm geläufige Merkzeichen an den entfernten Ufern zu orientiren. Zwischen St. Margareth (rechtes Ufer) und Krummendeich (linkes Ufer) liegt ein solches Watt, fast drei Viertel Meilen lang, mitten in der Elbe, die hier, obgleich circa eine halbe Meile breit, ein sehr gefährliches Fahrwasser hat. Wir hielten uns rechts von ihm, um Brunsbüttel anzulaufen, wo wir gegen zehn Uhr eintrafen. Hier begann das Ufer eine vollständig kriegerische Physiognomie anzunehmen. Nicht allein sehr starke und ausgedehnte Schanzen, mit den schwersten Positionsgeschützen ausgestattet, auch ein vollständiges Lager regulärer Truppen und freiwilliger Land- und Seewehr fanden wir hier vor. Unsere Flagge und unser Schiffchen wurden mit einem dreifachen „Hurrah“ begrüßt, da Salutschüsse untersagt sind, um nicht unnöthigen Alarm zu erregen. Man freute sich am Lande sehr, durch die Ankunft unseres originellen Fahrzeuges einmal eine Abwechslung in dem ewige Einerlei zu haben, denn man leugnete es nicht, daß nach der Aufregung der ersten Tage der Kriegserklärung und dann folgender Blokade man sich jetzt schon herzlich langweile. Es geschähe absolut nichts, und doch müsse man immer auf dem „Qui vive!“ sein mit Grüßen und einigen schnell geschriebenen Briefen für Cuxhaven beladen, gingen wir wieder ab vorläufig querüber (die Elbe ist hier bereits eine und drei Achtel Meile breit) nach Neuhaus, wo sich die ziemlich wasserreiche Oste ergießt. Wie überall fanden wir auch hier vorsorglich errichtete Vertheidigungswerke, trotzdem das linke Elbufer von hier ab bis an Ritzebüttel heran, durch ein einziges, langgedehntes Watt an sich schon geschützt ist. Von Otterndorf bis über Groden hinaus ist das Ufer überdieß moorig und brüchig, so daß die über Altenbruch hin beide Orte verbindende Kunststraße diesen Namen mit Recht trägt.

Den eigentlichen „Franzosen-Willkommen“, wie sie die in der That kolossalen Werke mit echtem niedersächsischem Humor getauft haben, sollten wir jedoch erst auf der letzten Etappe unserer Recognoscirungsfahrt, Ritzebüttel-Cuxhaven, finden. Das Fahrwasser drängt sich hier unmittelbar an das Ufer dicht heran; ein jedes Schiff, groß oder klein, muß die kaum ein Achtel Meile breite Norder-Elbe passiren oder liegt im Nu fest wie ein zappelnder Fisch auf dem Sande, ein Spielzeug für die Vierundzwanzig- und Achtundvierzig-Pfünder am Lande. Das scheinen denn auch die Franzosen, vermuthlich durch die oben erwähnten dänischen Lootsen, ausgekundschaftet zu haben und lassen ihre Finger von dem heißersehnten, aber auch heißgekochten, fetten Brei. Wie ungewiß die wälschen See-Dilettanten über unsere Stellungen und Befestigungen sein müssen, erhellt schon daraus, daß, wie man uns erzählte, vor zwei Tagen sich ein feindlicher Aviso-Dampfer ganz sorglos bis auf Kanonenschußweite an die Döser Schanze heranwagte, gleich darauf aber, nachdem er eine scharfe Visitenkarte, die seinen Besanmast traf, aus einem Vierundzwanzigpfünder empfangen, davondampfte, was die Belastung des Sicherheitsventils nur halten konnte ...

Die sehr zahlreiche Besatzung in und um Cuxhaven gewährt das getreue Bild eines modernen „Wallenstein’s Lager“. Keine Waffengattung des zehnten Armeeeorps, die hier nicht vertreten wäre. Ein französisches Landungscorps würde, falls es ihm gelänge, den festen Boden zu betreten, sicher in’s Wasser gejagt werden. Es scheint aber nicht, als sollte der Kampfeslust der hiesigen zahlreichen Detachements genügende Nahrung geboten werden.

Da es gerade Mittag (ein Uhr) war, wurden wir von einigen Officieren zu Tische gebeten, bei dem es an nichts gebrach. Wir konnten uns sämmtlich die Schadenfreude nicht versagen, in ausschließlich französischem Wein, Burgunder, Larose und Veuve Cliquot, auf das Wohl des Bundesfeldherrn, seiner Heerführer, seiner deutschen Armeen und auf die festgekittete deutsche Einigkeit zu toasten. Um dem Ganzen die Krone der Malice aufzusetzen, wurden diese Trinksprüche in französischer Sprache aufgeschrieben mitsammt den Etiquetten in die leeren Flaschen gethan und diese dann, fest verkorkt, mit abfließendem Wasser der Elbe übergeben, die notorisch dergleichen Posten pünktlich an die noch circa vier Meilen entlegene Stelle der „rothen Tonne“ befördert. Dort können sie die Franzosen auffischen und sich an dem Inhalte nach Belieben einen Gallenerguß holen. …

Der Leser wird sich durch diese mit gewissenhafter Sorgfalt ausgeführte Skizze überzeugt halten, daß nichts verabsäumt worden, unseren norddeutschen Hauptstrom, das reiche Hamburg und unsere Nordseeküsten vor feindlichen Handstreichen nachdrücklichst zu sichern. Desto besser, wenn, wie es ganz den Anschein hat, man hier gar nicht zur Action kommt und die übrigens sehr lax gehandhabte Blokade, die einem „Blocus sur papier“ verzweifelt ähnlich sieht; durch die glänzenden Erfolge der deutschen Armeen zu Lande aufgehoben wird. Wie die Sachen jetzt stehen, kann die confuse französische Regierung nicht einen Mann entbehren, namentlich für eine Expedition, die nicht allein höchst gewagt ist, sondern auch der zermalmendsten Lächerlichkeit (wovor sich der eitle Geck von Franzose am meisten scheut!) verfallen kann.

„Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein!“