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Ausbruch des Wahnsinns gefürchtet, so wenig eine solche Befürchtung ihn während der ganzen Reise gequält hatte; und er wußte untrüglich, daß gestern abend im Eisenbahnwagen vor dem Einschlafen das schicksalsvolle Wort für ihn zum erstenmal aus seiner Buchstabentotheit wieder zu lebendiger Bedeutung erwacht war. Damit aber schien ihm der Vertrag zwischen ihm und seinem Bruder neu in Kraft getreten, und jenes Schreiben, das Otto gewiß sorgfältig aufbewahrt hatte, war zum Schuldschein geworden, gegen dessen stumme Unerbittlichkeit es in einer herandrohenden Stunde keinen Einspruch gab. Doch bedurfte es überhaupt eines solchen Scheins? War Otto nicht der Mann, einen Verlorenen aus der Welt zu schaffen, auch ohne durch einen bindenden Vertrag der Verantwortung enthoben zu sein – einfach aus Menschenliebe? Und Robert zweifelte nicht, daß sich kluge und edle Ärzte zu einem Vorgehen solcher Art viel öfter entschließen, als im allgemeinen bekannt zu werden pflegt; auch ohne Rechtfertigungsbriefe in der Hand zu haben, wie Otto einen besaß.

Aber kam es nicht auch vor, daß Ärzte sich täuschten? Können sie nicht selbst irrsinnig werden und einen geistig Gesunden für geisteskrank halten? Und ist auf solche Art nicht einer dem andern rettungslos ausgeliefert – der Kranke dem Gesunden, wie der

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 027. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_027.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)