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Aphraates, Rabulas, Isaak von Ninive in der Übersetzung von Gustav Bickell: Ausgewählte Schriften der syrischen Kirchenväter (BKV Band 38)

irgend eines Punktes eines Besseren belehren will, so nehme ich es ohne Widerrede von ihm an. Jeder, welcher gelehrigen Sinnes in den heiligen Schriften des alten und neuen Testamentes liest, lernt selbst daraus und kann Andere belehren. Wer aber über das, was er nicht versteht, streitet, dessen Geist nimmt die Lehre nicht in sich auf. Vielmehr möge Derjenige, welcher schwierige Ausdrücke findet und deren Bedeutung nicht verstehen kann, also bei sich denken: Was da geschrieben steht, ist an sich richtig, aber ich vermag es nicht zu verstehen. Wenn er aber wegen der Aussprüche, welche ihm zu schwer sind, einsichtsvolle, über die Lehre nachforschende Weise befragt und dann von zehn Weisen zehn verschiedene Auslegungen derselben Stelle erhält, so möge er die ihm richtig scheinende annehmen, aber wegen der von ihm mißbilligten die Weisen nicht verspotten. Denn das Wort Gottes gleicht einer Perle, welche auf allen Seiten, wie man sie auch wende, einen schönen Anblick bietet. Bedenke auch, o Lernender, was David[1] sagt: „Ich habe von allen meinen Meistern gelernt.“ Auch der Apostel[2] sagt: „Jede Schrift, die vom Geiste Gottes eingegeben ist, lies“ und: „Prüfe Alles, aber das Gute behalte und fliehe vor allem Bösen.“ Denn wenn ein Mensch auch so lange lebte, als die Welt von Adam bis zum Ende der Zeiten dauert, und sich fortwährend mit der Erforschung der heiligen Schriften beschäftigte, so würde er doch nie die ganze Kraft und Tiefe ihrer Worte erfassen können. Kein Mensch kann die Weisheit Gottes ergründen, wie ich schon in der zehnten Abhandlung gezeigt habe. Aber die Worte aller Lehrer, welche nicht aus dem großen Schatze schöpfen, sind verächtlich und nichtig, weil das Gepräge des Königs an allen Orten, wohin es kommt, angenommen, die falsche Münze aber verworfen und zurückgewiesen wird. Wenn nun Jemand sagen will, diese Abhandlungen seien von dem und dem Individuum verfaßt, so möge er nur selbst etwas


  1. Ps. 118, 99.
  2. II. Tim. 3, 16; I. Thessal. 5, 21–22.
Empfohlene Zitierweise:
Aphraates, Rabulas, Isaak von Ninive in der Übersetzung von Gustav Bickell: Ausgewählte Schriften der syrischen Kirchenväter (BKV Band 38). Jos. Koese’lsche Buchhandlung, Kempten 1874, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BKV_Erste_Ausgabe_Band_38_150.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)