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Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38)

zu einander, bis zu derjenigen, bei welcher ihre Reihenfolge aufhört.[1]

Wenn sich der Geist in der ursprünglichen Anordnung der Natur befindet, so ist er in der Beschauung der Engel; denn diese ist die erste und natürliche Beschauung. Sie wird auch bloßer Geist genannt. Wenn er sich aber in der natürlichen Erkenntniß der zweiten Stufe befindet, so trinkt er von den Brüsten der materiellen Welt und wird mit Milch genährt. Diese Erkenntniß wird das letzte Gewand in der vorher erwähnten Reihenfolge genannt und hat ihren Platz nach der Reinheit, in welche der Geist zuerst eingehen soll. Auch diese Erkenntniß selbst ist der Entstehung nach die erste. Denn der Zeitfolge nach geht sie vorher, der Würde nach aber ist sie das letzte. Deßhalb wird sie auch die zweite genannt und mit als Merkzeichen dienenden Buchstaben verglichen, durch welche der Geist gereinigt und geübt wird zur Ersteigung der nach der Zeitfolge zweiten Stufe, welche ist die Vollkommenheit der Regungen des Verstandes und die nächste Stufe zur Aufnahme der göttlichen Beschauung.[2]

Das letzte Gewand des Geistes sind die Sinne, seine Entblößtheit aber ist seine Erregung durch die immateriellen Beschauungen.[3]


  1. Diese letzte Beschauung ist die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott in der passiven Kontemplation, welche Isaak am Schlusse des folgenden Absatzes die „göttliche Theorie“ nennt.
  2. Die erste Beschauung oder Gotteserkenntniß ist die unmittelbare der Engel, welche auch die Menschen im ursprünglichen Zustand besaßen. Im gefallenen Menschen folgt auf die Reinigung durch Buße und Tugendstreben zunächst die Erleuchtung durch eine Erkenntniß, welche noch von der sinnlichen Erfahrung ausgeht und durch Schlüsse folgert. Eine höhere Stufe der Erkenntniß ist die unmittelbare und rein geistige der Vollendung oder Vereinigung, welche zur göttlichen Theorie oder passiven Kontemplation führt.
  3. Die Vermittlung der Erkenntniß durch die Sinne und die Reflexion im Erleuchtungsweg trennt den Geist noch wie eine Umhüllung von der unmittelbaren Verbindung mit Gott und dem Ruhen in ihm, welche im Vollendungsweg eintreten.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38). Jos. Koese’lsche Buchhandlung, Kempten 1874, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BKV_Erste_Ausgabe_Band_38_323.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)