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Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38)

und sie durch anhaltende Sorgfalt vom Irrthum zur Erkenntniß des Lebens zu bringen. So verfuhr ja auch unser Herr und die Apostel, und Dieß ist etwas sehr Erhabenes.

Wenn man aber an sich merkt, daß bei einer solchen steten Verwicklung in die Angelegenheiten Anderer das eigene Gewissen durch den Anblick der Aussendinge erkrankt, die Besonnenheit des Verstandes verwirrt und die Erkenntniß verfinstert wird, da der Geist noch der Läuterung und der Unterwerfung der Sinne bedarf, und man deßhalb, statt die Anderen gesund zu machen, selbst krank wird, während man Jene heilen will, selbst nach und nach die Gesundheit seiner Seele verliert und aus der reinen Freiheit seines Willens in geistige Verwirrung übergeht, dann gedenke man an das Wort des Apostels,[1] daß feste Speise nur den Gesunden zukommen, und ziehe sich zurück, damit man nicht von Jenen das Sprichwort[2] höre: „Wie kannst du ein Arzt für Andere sein, da du selbst voll Wunden bist!“ Alsdann bekümmere man sich um seine eigene Seele, bewahre sich nur selbst gesund und ersetze die hörbare Rede und die Worte des Mundes durch gute Werke!

So kann man Anderen helfen, während man dabei sich selbst gesund bewahrt, und sie, obgleich entfernt, durch seine eigene Gesundheit, nämlich durch eifrige Ausübung von Tugendwerken, besser heilen, als wenn man ihnen mit bloßen Worten zuredet, während man selbst krank ist und der Heilung noch mehr als Jene bedarf. Denn wenn ein Blinder einen Blinden führt, so fallen sie beide in die Grube.[3]

Feste Speise ist nur für die Gesunden, welche ihre Sinne geübt und zur Annahme aller Speisen gezwungen haben, das heißt deren Herz wegen seiner Übung in der Vollkommenheit durch keinerlei sinnliche Versuchung mehr erkranken kann.


  1. Hebr. 5, 14
  2. Luk. 4, 23.
  3. Matth. 15, 14.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38). Jos. Koese’lsche Buchhandlung, Kempten 1874, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BKV_Erste_Ausgabe_Band_38_381.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)