Seite:Badisches Sagenbuch 390.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ottilie hatte bereits die Hälfte eines Berges erstiegen, der im Eingangs der Schwarzwaldes lag und von welchem aus man das Rheinthal überschauen konnte. Ermattet von der ausgestandenen Angst und der ungewohnten weiten Wanderung, setzte sie sich auf ein Felsenstück und flehte zum Himmel, ihre Kräfte nicht ganz schwinden und sie einen sichern Zufluchtsort entdecken zu lassen. Kaum hatte sie eine Weile so gebetet, als sie ein Geräusch im nahen Walde vernahm. Ein Trapp Reiter kam den Berg herauf und bald erkannte sie die Farben ihres Vaters. Sie sprang auf und eilte dem Dickicht der Höhe zu, um sich dort wo möglich zu verbergen. Im Anfange lieh die Furcht ihren Schritten frische Flügel, doch bald erschlafften ihre Sehnen wieder und sie war nahe daran, erschöpft zusammen zu sinken. Nur ein Fels, um den sich der Pfad schlängelte, verbarg sie noch den Blicken ihrer Verfolger. Zitternd breitete Ottilie ihre Arme nach dem Himmel und flehte zur Mutter Gottes um Rettung aus dieser Noth. Siehe, da that sich plötzlich die Wand des Felsens von einander, Ottilie stürzte sich hinein und sogleich war er hinter ihr wieder geschlossen.

Drinnen vernahm sie deutlich das Getrappel der Rosse und die Stimme ihres Vaters, der sie mit schmerzlichem Tone beim Namen rief. „Es ist umsonst, mein Vater!“ – antwortete Ottilie und mit Bestürzung hörte Attich die Stimme seiner Tochter aus dem gediegenen Fels erklingen.

Da ging der Herzog reuevoll in sich, als er sah, daß der Himmel selbst Ottlilien vor ihm so wunderbar in Schutz genommen habe und er schwur, das Gelübde seines Kindes zu ehren und hier eine Kapelle zu erbauen.

Kaum war dies in seinem Innern beschlossen, so öffnete sich der Felsen wieder, Ottilie trat hervor, strahlend von überirdischem Glanze und sank an die Brust ihres weinenden Vaters.

Der Fels blieb aber offen von dieser Stunde an und in der Höhle, welche Ottilien geborgen, entsprang ein kristallklarer frischer Quell, der mit Heilkraft begabt war für kranke Augen. Ottilie kehrte mit ihrem Vater in das Elsaß zurück, wo er bei Hohenburg ein Kloster bauen ließ, in welchem sie den Rest ihres Lebens unter gottseligen Uebungen zubrachte.

Aloys Schreiber.
(Siehe Dessen: „Sagen aus den Rheingegenden“ etc.)
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 1. Band. Karlsruhe: Kreuzbauer und Kasper, 1846, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_390.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)