Sie sahe mit den Augen nun diese schöne Welt,
Die man der Blinden hatte so reizend vorgestellt;
Seine Freude darüber war über die Maßen groß.
Doch ihre eigne Freude war an dem Allen klein;
Sie kehrte ihre Blicke erst recht in sich hinein,
Sie ließ nicht einen haften an aller dieser schönen Welt.
Der Vater aber machte nun seine Plane gleich;
All auf und nieder dachte er hin durchs ganze Reich,
Wen er sollt’ als Eidam führen in sein Haus;
Und als sie eines Abends von ihrem Gebete kam,
Sprach er zu ihr: „Erlesen ist dir ein Bräutigam.
Du sollst, ihn zu empfangen, dich rüsten und schicken sein;
Denn morgen mit dem Frühesten soll deine Hochzeit seyn.“
Sie sprach bestürzt: „Ich habe schon einen Bräutigam,
Und will, bei meinem Heile! stets haben diesen nur.“
Da that der zürnende Vater einen unerhörten Schwur.
Anblickt’ er seine Tochter mit Augen voller Zorn;
Sie wünschte, daß sie doch lieber geblieben wäre blind
Als daß so seinen Vater sollte zürnen sehn ein Kind.
Sie floh in ihre Kammer vor ihres Vaters Zorn,
Und weinte aus den Augen von Thränen einen Born,
So lang ich blind gewesen, hab’ ich geweinet nie.“
Die Sterne Gottes schauten mild in der Jungfrau Jammer,
Es war, als ob sie riefen: Komm aus der dunklen Kammer! –
Sie schritt in tiefem Schweigen der Nacht aus den Gemach,
Und als der helle Morgen auf Hohenburg nun kam,
Die Braut war fern geborgen vorm neuen Bräutigam.
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 1. Band. Karlsruhe: Kreuzbauer und Kasper, 1846, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_392.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)