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danke ich, daß ich in der einfachen Vornehmheit seines Elternhauses meine erste gesellschaftliche Erziehung erhielt. – In meine Schulzeit fiel noch der österreichisch-italienische Krieg von 1859, dessen jähe Entscheidung uns lebhaft ergriff. Und das nicht nur, weil die älteren Brüder unserer Kameraden in der österreichischen Armee dienten, sondern weil damals in Hannover überhaupt die bessergestellten meist großdeutsch empfanden. Das österreichische Heer, seine Uniformen, seine Führer waren populär. Das nahe Preußen, dessen Grenzen man auf einer Tour in den Harz oder ins Wesergebirge überschreiten konnte, war uns völlig fremd. Eine preußische Uniform habe ich, glaube ich, ehe ich 1864 nach Berlin kam, nicht gesehen. Obwohl wir einem unbedeutenden Staatswesen angehörten, so hatten wir doch schon in jenen Jahren mehr Teilnahme für Politik als jetzt die jungen Leute, die nach 1870 geboren sind. Wie beschäftigte sich schon unsere Kinderphantasie, unter den Anregungen der Neuruppiner Bilderbogen und der bunten Schreibbuchumschläge, mit den Ereignissen von 48 und 49 und dem Schleswig-Holsteiner Kriege in unserer Nähe!

So kam die Zeit des Abiturientenexamens heran, und die Frage: was werden? forderte ihre Antwort. Eine vorwiegende Neigung hatte ich nicht. Ich hätte ebensogut Offizier oder Kaufmann werden können, dachte auch an letzteres vorübergehend, aber es blieb bei einem akademischen Studium, entsprechend der gewohnten Vorstellung. Aber was? das war die schwere Frage, die mich lange Zeit meines Lebens beschäftigen sollte. An Philologie dachte ich am wenigsten. Als unklares Ziel meiner Wünsche für einen künftigen Beruf stand mir vor der Seele nicht etwas äußeres an Stellung oder Amt, sondern die Möglichkeit einer litterarischen Beschäftigung, für die ich aber bei meiner völligen Unkenntnis der Welt natürlich keine Form finden konnte. Von Hause aus und von meiner Mutter her, die eine Enkelin von Werthers Lotte war, hatte ich eine große Verehrung für Goethe. Außerdem hatte ich von Kind auf, ich weiß nicht woher, eine wohl noch größere Liebe zu allem, was bildende Kunst ist, so wenig mir auch in den engen Grenzen meiner Knabenzeit von dem entgegengetreten war, was wirklich diesen Namen verdient. Hiermit verbanden sich jetzt lebhafte Anregungen, welche uns außer einzelnen Teilen unseres Unterrichts eine Zusammenkunft gab, zu der wir, unser fünf Primaner, regelmäßig zwei Jahre hindurch jeden Sonnabendnachmittag uns zusammenfanden, deutsche Klassiker lasen, Aufsätze machten, Vorträge hielten und gegenseitig kritisierten. Das wirkte weiter. Hammerstein suchte mich zwar zu überreden, gleich ihm Jurist zu werden. Das hätte mir jedenfalls vieles Irren erspart. Ich aber bat meinen Vater, mich auf einer süddeutschen Universität ein Jahr lang studieren zu lassen und zwar versuchsweise allgemeine Wissenschaften, wie ich es nannte. Das erste

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Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_165.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)