Seite:Biographisches Jahrbuch für Altertumskunde 18 166.jpg

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gab er vernünftigerweise zu, für das zweite substituierte seine Weisung – ob ebenso vernünftig, weiß ich nicht – das Studium der Theologie, und ich zog im Herbst 1861 mit Freund Hashagen nach Erlangen.

Hier erfuhren wir, als die ersten Eindrücke vorüber waren, eine große Enttäuschung. Von den erwarteten Schönheiten süddeutscher Landschaft sahen wir wenig, die Stadt mit ihren geraden Straßen war langweilig, öde, einförmig, genau wie der schnurgerade Kanal, an dessen Uferweg wir allnachmittäglich spazieren gingen und uns bald gestanden, wie viel schöner es doch in jeder Beziehung in Verden auf der Schule gewesen war. Der Winter kam. Auch das Leben der Menschen schien wenig mannigfaltig im Vergleich zu dem, was wir gewohnt waren. Das spezifisch Süddeutsche in Lebensweise und Dialekt interessierte eine Weile, aber dazu war man doch nicht auf die Hochschule geschickt. Meinem Freunde war leichter geholfen, er trennte sich von mir, trat in den Wingolf ein und wurde bald ein vortrefflicher Theologe. Ich stand mit meinen vielen Fragezeichen allein. Am liebsten hätte ich wieder aufgepackt, aber das ging nicht. Mein Vater war gegen alle Veränderungen, wozu er eine Übeles prophezeiende Neigung in mir verborgen meinte, und so blieb mir nichts übrig, als anderthalb Jahre zu studieren, freilich auf meine Weise. Ich hörte ohne Beständigkeit Vorlesungen, lebte übrigens studentischen Freuden, die mich wohl verübergehend über die Leere meines Lebens hinwegtäuschten, am Ende mir aber doch so wenig Befriedigung brachten wie das bißchen Kolleg. Das ganze Verbindungsleben in Erlangen muß damals etwas rüdes gehabt haben. Es war nicht mein Eindruck allein, daß wir uns geistig und auch sozial eine Stufe tiefer gestellt fühlten, als wir nach unserer Vergangenheit erwarten zu dürfen meinten. So zog ich denn weiter keinen Gewinn aus diesen traurigen drei Semestern, als daß ich früh süddeutsches Leben und einige süddeutsche Städte kennenlernte und daß ich in den Ferien den damals noch seltenen Genuß einer Reise durch Tirol und Oberitalien hatte. Nicht einmal süddeutsche Freunde erwarb mir die Zeit, denn den einzigen, der diesem Kreise angehörte, Otto Mayer in Straßburg, gewann ich erst 1866 in Berlin.

Mit zwei Norddeutschen, die ebenso enttäuscht waren wie ich, zog ich Ostern 1863 nordwärts. Gerne wäre ich mit ihnen nach Berlin gegangen. Aber mein Vater besorgte, ich möchte eine Art Journalist werden, und forderte von mir, ohne mich seiner Meinung nach zu einem bestimmten Berufe zu zwingen, ein Staatsexamen. Ich ging also auf unsere wohlbestellte Landesuniversität Göttingen mit dem Gefühl großer Leere, die durch Kenntnisse ausgefüllt werden mußte, und dem Entschluß, durch ein Examen meinen Vater zu befriedigen, dabei möglichst viel zu lernen, was mich auch übrigens interessierte, und mir so meine Bahn für später in irgend einer Weise frei zu machen. An

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Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_166.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)