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Neu aufgefundene Briefe des Dante Allighieri.
(Beschluß aus Nr. 150.)

     Der merkwürdigste und zugleich ausführlichste Brief ist indeß (den an die Fürsten Italiens, von dem wir schon eine Übersetzung kannten, nicht mitgezählt) der vierte, von der Grenze Toscanas, unter der Quelle des Arno, den 31. März 1311 datirt, also mit dem Aufbruch Heinrich VII. gegen Cremona und Brescia ungefähr gleichzeitig. Er trägt die Überschrift: „D. Al., der Florentiner und unschuldig Verbannte, grüßt die ruchlosen einheimischen Florentiner“, und ist keineswegs mit dem andern, einige Jahre zuvor in bittlichem Tone geschriebenen Briefe zu verwechseln, von dem Leonardo Bruni uns die Anfangsworte aufbewahrt hat. Auch dieser ist indeß dem genannten aretiner Biographen bekannt gewesen; denn nur auf ihn kann es sich beziehen, wenn er ferner sagt:

     Als Heinrich von Luxemburg über die Alpen gekommen war, vermochte es Dante nicht mehr über sich, wie er früher sich vorgesetzt, Gnade von seiner Vaterstadt zu erwarten, sondern er erhob sich wieder stolzen Sinnes und begann von Denen, die seine Heimat lenkten, Arges zu reden, nannte sie schlecht und ruchlos und bedrohte sie mit der verwirkten, vom Kaiser über sie zu verhängenden Rache, gegen dessen Macht Hülfe zu finden, ihnen, wie er sagte, offenbar unmöglich sein würde.

     Nach einer kurzen Einleitung, in welcher der Dichter die durch Geschichte und Offenbarung bestätigte Nothwendigkeit der auf das deutsche Kaiserthum übertragenen römischen Universalmonarchie nachzuweisen sucht und dabei von dem Papste und den Kirchenfürsten mit minderer Ehrfurcht spricht, als er noch das Jahr zuvor gethan hatte, führt er also fort:

     Euch aber, die Ihr göttliche und menschliche Rechte überschreitet, Euch, die Ihr, keinen Frevel scheuend, von unersättlicher Gier verlockt werdet, machen Euch nicht die Schrecken des zweiten Todes erbeben, daß Ihr zuerst und allein, das Joch der Freiheit verschmähend, gegen den Ruhm des römischen Fürsten, des Königes der Welt, des Beauftragten Gottes getobt und, auf das Recht der Verjährung Euch berufend, vorgezogen habt, der schuldigen Ergebenheit Pflichten zu verweigern und zu des Aufruhrs Raserei Euch zu erheben?

     Weiterhin hält er den Gegnern eine Consequenz ihrer Principe entgegen, die mindestens bestätigt, daß Dante weit entfernt war, die Einheit der Kirche irgend antasten zu wollen:

     Wollt Ihr, durch so thörichte Meinung bewogen, gleich neuen Babyloniern, von dem frommen Kaiserthum Euch losreißen und neue Reiche versuchen, daß ein anderes das florentinische und ein anderes das römische Staatenthum sei; warum beliebt es Euch nicht gleichfalls, auf die apostolische Einherrschaft scheel zu sehen, damit, wenn am Himmel der Mond (Kaiser) verdoppelt werden soll, auch eine doppelte Sonne (Papst) sei?

     Wenn der Dichter ferner den Florentinern vorwirft, daß sie ihren Ungehorsam in einem eignen Rathsbeschlusse auszusprechen sich nicht gescheut, so scheint dies auf die trotzige Beantwortung des königlichen Fürwortes in der aretiner Angelegenheit, Juli 1310 (Villani, VIII, 120, Barthold I, 380) zu deuten. Dann fügt er hinzu:

     Wird aber jene zu Euerm Verderben gereichende, menschliche und irdische Furcht von Euch fern bleiben können, wenn der unvermeidliche Schiffbruch Eures hochmüthigen Blutes und Eures noch oft von Euch zu beweinenden Raubes eilig herannaht? Werdet Ihr, hinter lächerliche Wälle verschanzt, irgend einer Vertheidigung vertrauen? O, Ihr nur zum Übel Einträchtigen, von wunderbarer Leidenschaft Verblendeten, was wird es Euch helfen, mit Wällen Euch zu verschanzen, was mit Außenwerken und Thürmen Euch zu verfestigen, wenn erst der Adler im goldenen Felde schreckenbringend herbeischwebt, der, bald die Pyrenäen, bald den Kaukasus und bald den Atlas überfliegend, durch der himmlischen Heerscharen Lenkung gekräftigt, den weiten Ocean einst in seinem Fluge nicht als ein Hinderniß geachtet hat.

     Wo Ihr das Ehrenkleid falscher Freiheit zu verfechten wähnt, da werdet Ihr in die Sklavenkerker wahrer Knechtschaft versinken. Denn durch Gottes wunderbares Gericht wird ein Jeder getrieben, auf eben dem Wege, auf dem er der verwirkten Strafe zu entfliehen vermeint, sich derselben schwerer entgegenzustürzen und, wenn er freiwillig und wohlbewußt wider den göttlichen Willen ankämpfte, unbewußt und widerwillig für denselben zu streiten. So werdet Ihr denn trauernd Eure Gebäude, welche nicht, wie es dem Bedürfnisse geziemt, versehen, sondern zu Üppigkeiten unverständig verkehrt sind, unter den Stößen des Mauerbrechers zusammenstürzen und von den Flammen verbrennen sehen. Den Haufen des Volkes, der jetzt von allen Seiten rasend, bald für und bald wider, in die Gegensätze umspringt, werdet Ihr dann einstimmig wüthendes Geschrei wider Euch verführen hören, wenn er dem Hunger und der Furcht zugleich zu widerstehen nicht mehr vermag. Und nicht minder wird es Euch schmerzen, die ihres Schmuckes beraubten und von dem klagenden Zusammenfluß der Frauen erfüllten Kirchen und die staunenden Kleinen zu schauen, welche der Väter ihnen unbewußte Sünden zu büßen bestimmt sind. Täuscht sich mein prophetischer Geist nicht, dem wahrhafte Zeichen und unwiderlegliche Gründe zur Seite stehen, so werden unter Euch nur Wenige, der Verbannung Aufgesparte, nachdem Tod oder Gefangenschaft die Mehrzahl hinweggerafft haben wird, die anhaltender Trauer verfallene Vaterstadt endlich fremden Händen