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Und ein frecherer Geselle
Schreit hinauf: „Ha! schweig sie stille,

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Heilge Jungfrau, um die Wette

Wollen wir mit ihr eins singen!“

Aber wütend an der Kehle
Packt Meliore ihn und ringet
An den Boden hin den Frevler,

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Und es heben sich die Klingen.


Alle dringen ihm entgegen;
Auf den Altar fliehend springet
Nun Meliore, sich das Leben
In der heilgen Freistatt fristend.

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„Seinen Mantel werfe jeder

Nieder, der zu fechten willens,
Jedes Klinge will ich messen,
Dem ich Ehre abgeschnitten;

Und da vor so vielen Gegnern

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Ich wohl keine Rettung finde,

Darum laßt zu Gott mich beten
Nur noch wenge Augenblicke!“

Eine tiefe Stille ehret
Seine Bitte, und er kniet;

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Und von zwölfen breiten elfe

Ihre Mäntel um die Linde.

Wie zwei aufgeschreckte Rehe
In gehemmter Flucht erzitternd
Stehn die Jungfraun stumm am Fenster,

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Niederblickend durch die Linde.


Als Meliore sie ersehen
Ruft er aufwärts: „Wenn ich sinke,

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)