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Also schwieg die junge Erde,
Da der Mensch, der Gottgeschaffne,

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In dem Kelch des jungen Lebens

Sinnend schwankt und weint und lachte.

In ihr nur war alles Denken,
In ihr alle Herzen schlagen,
Mit ihr jedes Aug gesenket

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Oder freudig aufgeschlagen.


Nun erhebet sie die Rede,
Und die tausend Hörer alle
Fühlen ihrer Lippe Beben
Still in freudigem Erwachen.

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Züchtig sprach sie: „Hochgeehrte!

Schonend habt ihr mich vor Jahren
Aufgenommen in den Tempel,
Habt geduldet mich seit Jahren.

Wollet heute auch in Ehren

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Eure Dienerin entlassen,

Daß mich rein ein reinrer Tempel
Aus der Künste Haus empfange.

Als ein Opfer will ich geben
Heut des äußren Lebens Fabel,

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Daß ich dann das innre Leben

Morgen opfre am Altare!“

Und nun stieg des Tempels Schwelle.
Mit Biondetten, einsam ragend
Stand ein Fels in ödem Meere,

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Ein Marienbildlein tragend.


Rings die tausend Lichter blendend
Sanken ein, die Diamanten

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)