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3. Eine Frau, die man auch als schöngeistig lobpreis’t, soll von einem sehr geistvollen Manne gesagt haben: „Mein Himmel, wie kann so ein gelehrter Kopf doch ein so erbärmlicher Tropf sein!“ Aber umgekehrt könnte man auch wohl fragen: „Mein Himmel, wie kann solch’ ein Köpfchen, mit so einem Tröpfchen von Geiste, doch so derb sein?“

4. Plastik und Zeichnungskunst vermögen es, selbst den trägsten Stoffen ein freundliches Leben einzuhauchen, welches oft in Verwunderung setzt, entzückt und beseligt. Je länger man z. B. einen Christus von Dannecker, oder eine Madonna von Raphael betrachtet, desto lebendiger wird ihr Leben, desto inniger wird man davon ergriffen, und man muß sich wohl in Acht nehmen, um Herr seiner Begeisterung zu bleiben. Die allerkunstreichste Mimik dagegen bringt oft aus dem Leben Tod hervor. Nach den ersten Augenblicken der Überraschung flößt uns auch die größte mimische Künstlerin Mißbehagen und Überdruß ein. In der Handlung erscheint eine solche, wenn man ihr etwas länger zusieht, als eine Fieberkranke; im ruhigen Stillestehen wird sie zur repräsentativen Leiche. Kurz: Mimik ohne Musik ist widerlich, und nur der Ungeschmack kann so etwas dulden, oder wohl gar bewundern.

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Nikolai Abramowitsch Putjatin: Worte aus dem Buche der Bücher. Dresden 1824, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Buch_der_B%C3%BCcher_(Putjatin)_116.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)