Seite:Chemische Briefe Justus von Liebig p 011.jpg

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dass die Ursache eine Allen gemeinsame, d. h. bei Allen die gleiche sein müsse; sie belehren ihn, dass er im Korn und Fleisch Stickstoff ausführe und die Erschöpfung des Bodens eine Folge dieser Ausfuhr sei, und dass er naturgesetzlich durch den Ersatz des Stickstoffes den Acker wieder tragbar mache. Es wäre mehr als thöricht, die Thatsache der Wiederherstellung der Fruchtbarkeit der Getreidefelder durch Guano – Knochenmehl – Repskuchenmehl in Zweifel zu ziehen, sie entspricht der Erfahrung des praktischen Mannes, darum hält dieser denn auch die Erklärung für wahr, obwohl sie nur den Schein der Wahrheit für sich hat; er findet sich zufriedengestellt im Glauben, dass sein Betrieb rationell und wissenschaftlich begründet sei, was er in der Wirklichkeit nicht ist.

Praktische Fragen wie die: warum die Nachwirkung der genannten Düngmittel nicht die gleiche und von der des Stalldüngers so verschieden ist, oder warum der Klee auf manchen Feldern nicht mehr gedeiht, oder warum die Erbsen erst in langen Zwischenräumen auf demselben Felde wieder gute Ernten geben, beschäftigen den schriftstellernden Landwirth natürlich nicht; er spricht davon wie von der Natur gegebenen Dingen, die sich nicht ändern lassen, und die der Landwirth in seinem Betriebe zurecht legen müsse. Aber in dem nicht leicht denkbaren Falle, dass die Lösung derselben oder die Beseitigung einer Schwierigkeit dem praktischen Manne, dem er sie aufgebürdet, gelingen sollte, betrachtet er es als seine schönste Aufgabe, ihm durch eine Reihe von chemischen Analysen zu beweisen, wie innig die Theorie sich der Praxis anschliesst.

Diese Lehren der schriftstellernden Landwirthe bringen den Landwirthen, für die sie gemacht sind, keinen Schaden; die letzteren erhalten ihre Felder durch Stallmist und durch Ankauf von Guano und den andern Beidüngern dauernd fruchtbar; eine Erschöpfung derselben findet in ihrem einfachen Betriebe nicht statt; was sie an Korn- und Fleischbestandtheilen dem Felde nehmen, ersetzen sie vollständig und mehr als vollständig wieder.

Obwohl für diese glücklichen Feldbesitzer die wissenschaftliche Lehre eine sehr untergeordnete Rolle in ihrem Betriebe spielt, indem ihr ganzes Wissen in ein paar Recepten besteht, die sich auf ein Kartenblatt schreiben lassen, so sind dennoch für sie die geschätztesten landwirthschaftlichen Hand- und Lehrbücher und die meisten Artikel in den landwirthschaftlichen Zeitschriften verfasst; für sie werden landwirthschaftliche Bodenkunden und Düngerlehren geschrieben, mit naturwissenschaftlichen Kenntnissen aus der Chemie, Physik, Botanik und Geognosie verziert; für sie die vielen chemischen Analysen von

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite XII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_p_011.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)