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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

durch den Zeitungsträger Haase am Tage nach der Mordthat unterrichtet, hat Herr Dr. Bergk Veranlassung genommen, eine Nachricht über den Gemüthszustand des Inquisiten im Allgemeinen, in den Nürnberger Correspondenten einrücken zu lassen (welche den Vertheidiger zuerst veranlaßt zu haben scheint, auf Exploration des Gemüthszustandes des Inquisiten anzutragen), späterhin aber, nachdem schon der Tag der Hinrichtung bestimmt gewesen, den Vertheidiger in nähere Kenntniß von Haasens Erzählungen zu setzen, namentlich, daß sich Woyzeck in der Stube herumgewälzt, sich für verloren erklärt und Handlungen, welche Verstandesverwirrung verrathen, vorgenommen habe. Haase und seine Frau modifiziren diese Erzählung dahin, daß sie, außer den bereits erwähnten Vorfällen, in seinen Reden und Handlungen nichts Ungereimtes bemerkt haben, und auch davon, daß er sich auf den Dielen herum gewälzt und gerufen habe: ich bin verloren, nichts wissen wollen, jedoch angeben, daß er in den heißen Monaten Juni und Juli 1820 mehrmals des Nachts von seiner Kammer herunter in ihre Stube gekommen sey, unter dem Vorgeben, es leide ihn nicht oben, es spucke in seiner Kammer, es zupfe am Deckbette und rufe ihn, weßhalb er mehrere Nächte hintereinander in ihrer Stube zugebracht, nachher aber unausgesetzt, bis zu seinem Wegziehen, wieder in der Kammer geschlafen habe, aber in diesem Zeitraume von ohngefähr drei Wochen auch am Tage, unter dem Vorgeben, daß es ihm keine Ruhe lasse, nicht zu Hause geblieben sey. An einem der oben gedachten Abende hat er, nach der Haasin Aussage, mit stieren Augen vor sich hingesehen, aber keine besondere Gemüthsunruhe verrathen. Ein andermal aber hat sie ihn des Abends um 11 Uhr die Treppe sehen herunter kommen und wieder hinaufsteigen und dieses mehrmals wiederholen, wobei er das erstemal: Da kommt’s, da kommt’s! gerufen haben und noch einige Stunden auf dem Gange herumgelaufen seyn soll. Uebrigens stimmen beide Eheleute darin überein, daß Woyzeck gesagt habe, es bedeute seinen Tod, jedoch mit dem Beifügen, daß er gewöhnlich alle Jahre im Sommer dergleichen Zufälle gehabt habe, und daß es ihm schon beim Militär öfters gewesen sey, als ob er bei seinem Namen gerufen werde; beide aber weichen darin von einander ab, daß Haase versichert, Woyzeck habe, wenn er des Nachts und auch einmal, als er am Tage heruntergekommen sey zu ihm und seiner Frau die Worte gesagt: Aufs Deckbette, aufs Deckbette! während die Haasin behauptet, er habe ihr blos erzählt, daß in seiner Kammer zwei Personen miteinander sprächen, von denen die eine immer diese Worte rufe, ingleichen, daß er einmal des Mittags mit dem Essen, das ihm die Woostin gebracht, herunter in ihre Stube gekommen sey und gesagt habe: Es leide ihn nicht oben, es habe immer gesprochen: Auf dem Teller, auf dem Teller! Als Ursache seines Wegziehens gibt Woyzeck selbst nicht die Spuckgeschichte an,

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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_499.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)