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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

nämlich die krampfhafte Zusammenziehung und das Stillstehen des Herzens, die darauf mit Erleichterung folgende Empfindung, als ob das Herz aufgeblasen werde, das Stechen und Zittern an selbigem, das Herzklopfen, die Angst, der krampfhafte Schmerz in den Gliedern nach der Richtung der Blutgefäße, die Spannung und Auftretung derselben, der durch überraschende äussere Ereignisse, so wie bei Angst und Verlegenheit verstärkte Herz- und Pulsschlag, von denen der letztere sich nach einigen Minuten wieder beruhiget, der erstere aber fortwährend etwas verstärkt bleibt und zugleich etwas unordentlich und weiter verbreitet ist als gewöhnlich, das sowohl bei solchen Gelegenheiten als auch zuweilen ohne äussere Veranlassung eintretende allgemeine Zittern des ganzen Körpers, das Stechen, die Hitze und die Wüstigkeit im Kopfe, die Empfindung, als ob es vom Herzen ins Genicke und von da in den Kopf fahre und im Hinterkopfe sitzen bleibe, das Prasseln oder Schnurren im Genicke, das Brausen oder Zischen vor den Ohren und die, auf erfolgtes reichliches Nasenbluten, zuweilen bemerkte Erleichterung, beweisen: daß derselbe sich in derjenigen krankhaften Anlage befinde, die man ehedem Vollblütigkeit und Neigung zu Wallungen und Congestionen des Blutes genannt, in neuern Zeiten aber durch die Ausdrücke: venöse Constitution und erhöhten Venenturgor näher zu bezeichnen versucht hat, und die ihrem Wesen nach, in vermehrter Reizbarkeit und unregelmäßiger Thätigkeit des Gefäß- und besonders des Venensystems gegründet ist, periodisch ab- und zunimmt, durch unordentliche Lebensweise und besonders durch den Mißbrauch starker Getränke vermehrt, durch freiwillig entstehende Blutflüsse aber, z. B. Nasenbluten oder Hämorrhoiden, auf eine lange Zeit vermindert wird, mit der Zeit sehr leicht in Gicht und andere mit dieser verwandte oder aus ihr entspringende Krankheiten übergeht, sehr oft aber auch zu entzündlichen Zufällen und zu Erweiterungen und andern organischen Fehlern des Herzens und der großen Gefäßstämme Gelegenheit gibt. Zugleich erhellet, daß die letztgedachte Richtung dieser Anlage bei dem Inquisiten die vorherrschende sey, da der größte Theil der obengenannten Zufälle sich auf krankhafte Empfindungen am Herzen und in den Blutgefäßen bezieht, und da die schon bei der ersten Untersuchung wahrgenommene Unruhe des Herz- und Pulsschlages, sowie das damit zusammenhängende Zittern des ganzen Körpers bei unerwarteten Ereignissen, während seiner Gefangenschaft einige, obwohl nicht bedeutende Fortschritte gemacht haben. Uebrigens muß hier, um allen Mißverständnissen und unrichtigen Deutungen vorzubeugen, ausdrücklich erinnert werden, daß vor der Hand blos eine Anlage zu solchen Uebeln, keineswegs aber eine schon wirklich ausgebildete Krankheit des Herzens und der Gefäße, oder irgend eine andere Krankheit, wie sie auch immer Namen haben möge, vorhanden sey.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_517.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)