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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

bis zur Ausführung gekommenen Vorsatz zum Selbstmord, die auf dem Wege nach dem Bade angeblich gehörte Stimme: Spring ins Wasser, sein eigner Gedanke gewesen ist. – Von gleicher Beschaffenheit ist der Vorfall, wo er, als er im Bette an der Kirmse und an seine dort anwesende Geliebte voller Eifersucht dachte, Violinen und Bässe durcheinander zu hören glaubte, und, nach dem Rhythmus der gewöhnlichen Tanzmusik, ihr die Worte unterlegte: immer drauf, immer drauf. Am deutlichsten erscheint diese Verwechslung des Objectiven mit dem Subjectiven in den, bei Untersuchung des Degens, der nachher zum Mordinstrumente gedient hat, angeblich gehörten Worten: Stich die Frau Woostin todt, die nach allem vorhergegangenen nichts anderes gewesen seyn können, als der lebhaft erwachende Vorsatz zu der nachher vollführten That, dem er, bei seiner Gewohnheit, mit sich selbst zu sprechen, Worte gegeben, und den die Stimme des Gewissens mit den Worten: du thust es nicht, beantwortet, der damit kämpfende Vorsatz aber mit den Worten: du thust es doch, bestätiget hat. Sehr klar wird diese Ansicht durch den von ihm angeführten Umstand, daß es ihm öfters gewesen sey, als ob zwei Stimmen, eine warnende und eine andere, die ihn zum Bösen verleiten wollen, miteinander sprächen, von denen er selbst die erstere für die Stimme des Gewissens gehalten hat. Endlich ist auch der Umstand, daß es ihm immer nur vor dem rechten Ohre gesaust und gebraust hat, und daß er mit demselben Ohre auch die fremden Stimmen gehört haben will, ein, meines Erachtens, ganz unumstößlicher Beweis für den unmittelbaren Zusammenhang seiner Blutwallungen mit dem Lärm vor seinen Ohren und dieses Lärms mit den eingebildeten Stimmen, und zugleich einer der stärksten Beweise für die von mir aufgestellte Ansicht. – Daß übrigens die Einbildung, fremde Stimmen zu hören, bei Personen, die an Wallungen des Blutes, oder an Unterleibskrankheiten leiden, eine nicht ungewöhnliche Erscheinung und keineswegs nothwendig und in allen Fällen mit einer Hemmung, oder mit einem Verlust des freien Verstandesgebrauches verbunden sey, werde ich weiter unten durch mehrere Fälle aus meiner eignen Beobachtung beweisen.


II. Folgerungen, die aus vorstehenden Thatsachen für die Zurechnungsfähigkeit des Inquisiten gezogen werden können


Wenn die Frage entsteht: ob der von dem Inquisiten angegebene Zustand von Angst, Unruhe und Benommenheit des Kopfes und seine damit als nächste Wirkungen in Verbindung stehenden Vorstellungen von Geisterlärm und Zuruf von fremden Stimmen die Zurechnungsfähigkeit desselben in so fern zu vermindern, oder aufzuheben vermögen, als sie bei ihm entweder überhaupt ein Hinderniß für den freien

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_522.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)