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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

aus der Untersuchung des körperlichen und geistigen Zustandes desselben, und unabhängig von seinen eigenen Aeusserungen, ergaben. Beiderlei Resultate wurden, während der Unterredungen selbst, von mir zu Papier genommen und ich halte es, zum Behuf des darauf zu gründenden Gutachtens, für zweckmäßig, sie sorgfältig von einander zu trennen.


I. Aussagen des Inquisiten auf die ihm, nach Anleitung des allergnädigsten Generalis vom 29. Juni 1810, vorgelegten Fragen:

Er heiße wie oben angegeben ist, sey am 3. Januar d. J. 41. Jahr alt geworden und von seinen drei noch lebenden Geschwistern der älteste. Sein Vater sey Perückenmacher allhier gewesen und habe, ohne in vermögenden Umständen zu seyn, dennoch sein hinlängliches Auskommen gehabt. Seine Mutter sey als er acht Jahr alt gewesen, in ihrem 26. Jahre an der Auszehrung gestorben, nachdem sie, wie er sich genau erinnere im Aerger über einen Verwandten, wegen der großmütterlichen Erbschaft, Schnaps getrunken und davon eine Brustentzündung bekommen habe. Uebrigens sey selbige bei völligem Gebrauche ihres Verstandes und von nicht sehr heftigem Temperament gewesen, habe auch mit seinem Vater in friedlicher Ehe gelebt. Dieser habe sich nach seiner Mutter Tode anderweit verheirathet, sey aber in seiner zweiten Ehe nicht glücklich, und deshalb tiefsinnig oder vielmehr niedergeschlagen und nachdenkend gewesen. Auch sey er meistens für sich allein geblieben ohne viel in Gesellschaft zu kommen, (wozu vorzüglich der Umstand beigetragen habe, daß er der deutschen Sprache nicht ganz mächtig gewesen sey) und in seinem 44. Jahre ebenfalls an der Auszehrung gestorben, als er selbst, der Inquisit, 13 Jahr alt gewesen. Als noch lebende Personen, welche seine Eltern gekannt haben sollen, nannte er den hiesigen Wollenmacher Richter und die Schneiderwittwe Trabertin. Daß irgend jemand in seiner Familie gemüthskrank gewesen sey, erinnert er sich nicht gehört zu haben, versichert auch bei dieser Gelegenheit, daß seine Geschwister, so wie er selbst, einen ziemlich guten Kopf gehabt und leicht gelernt hätten. Um seine Erziehung habe sich sein Vater wenig bekümmert, ihn aber doch zuerst in eine Winkelschule und nachher in eine Freischule geschickt. Harte Behandlung und schwere Züchtigungen habe er nie erfahren und erinnere sich nur ein einzigesmal von seinem Vater, wegen eines kindischen Muthwillens, gestraft worden zu seyn.

In seinem 13½ Jahre sey er zu dem Perückenmacher Stein allhier in die Lehre gekommen, bei dem er jedoch nur wenig habe lernen können, weil er mehr zu häuslichen Geschäften und zum Kinderwarten gebraucht worden sey, weshalb er sich nach einem Jahre zu dem Perückenmacher Knoblauch anderweit in die Lehre begeben habe und bei diesem

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_541.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)