Seite:DE Stirner Schriften 083.jpg

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zum Judenhasse treibt. Wenn ein Christ in das Gesicht eines Neugriechen blickt, so wird es ihm nicht einfallen, denselben als den Nachkommen derer, die Sokrates vergifteten, zu hassen; bei einem Juden aber erinnert er sich des Mordes Christi. Weil er ein Christ ist, darum ist sein erstes Gefühl gegen den Juden-Hass. Lässt er dann aber die Menschlichkeit in sich zu Worte kommen und empfindet er die Inhumanität des Hasses, so kann er sich dabei freilich wieder auf das Christenthum berufen, aber nur darum, weil dasselbe aus der Humanität die Feindesliebe in sich aufgenommen und gleichsam entlehnt hat. Daher wird es wohl so sein, dass man, um der Versuchung, die Juden für die Missethat ihrer Ahnen zu hassen, nicht zu unterliegen, ein „festerer Christ“ sein, d. h. sich des aus der Humanität in die Religion hinübergezogenen christlichen Gesetzes von der Feindesliebe erinnern muss; dass man hingegen, um eine solche Versuchung sich gar nicht einmal anwandeln zu lassen, nichts als ein wahrer Mensch zu sein braucht. Auch die „festeren Christen“ sind dieser Versuchung erlegen, wie das Mittelalter beweist, und erliegen ihr noch, wie der „christliche Staat“ zeigt; ein freier Mensch, von edlem Selbstgefühl durchdrungen, erwürgt diese Schlange durch die Macht der Humanität schon in der Wiege. Und so ist es in unzähligen anderen Fällen, dass das Christenthum uns in Versuchung führt und uns dann nur durch einen von der Humanität erborgten und zu einem religiösen Gesetze ausgeprägten Satz errettet.

Ich wählte diese an sich wenig bedeutende Stelle auch darum, weil man den Löwen an der Klaue erkennt, und weil sie eine hinreichende Andeutung enthält, dass Rosenkranz nicht rein und ungetrübt von der Höhe der Humanität aus die Welt betrachtet, wenn er auch im gewöhnlichen Sinne des Wortes gewiss einer der humansten und liberalsten Menschen ist. Die Humanität leitet ihn