Seite:DE Stirner Schriften 170.jpg

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mag er sich vor den Grössen der Vergangenheit noch so sehr erniedrigen, flüstert der Geist der Geschichte in die Ohren, dass Luther und Melanchthon, Calvin und Beza ja auch Professoren gewesen wären. Früherhin waltete gar kein Zweifel ob, dass nicht der Universitätstheolog die Dogmatik, Exegese, Kirchenhistorie ganz nach dem Standpunkte seiner Confession vorzutragen habe. Seit der Periode der Aufklärung, seit der französischen Revolution, seit dem Bestehen einer Wissenschaft des Canons, einer comparativen Symbolik, einer wahrhaft philologischen Interpretation, einer aus weltgeschichtlicher Perspective aufgefassten Kirchenhistorie, endlich einer speculativen Dogmatik und kirchlichen Union des Protestantismus – ist dies unmöglich. Strauss hat das Losungswort in der Vorrede zu seiner Glaubenslehre ausgesprochen, dass von jetzt ab alle confessionellen Differenzen, selbst die des Katholicismus und Protestantismus, in den Gegensatz der Heteronomie und Autonomie des Wissens zusammengesunken wären. Am interessantesten ist für das Verhältniss der Theologie zur Philosophie in der letztern Zeit die Erscheinung gewesen, dass theologische Facultäten solche Mitglieder, welche die gemeinten Grenzen ihres positiven Wissens durch Philosophie überschritten, drängten, ihren Austritt aus der Facultät nehmen zu sollen, um sich in der philosophischen Facultät mit ihrer speculativen Häresis abzulagern. Die armen Theologen! Wahrlich, ihre Lage ist oft sonderbar, und ich wundere mich nicht, wenn sie im entschiedenen Streben nach Herrschaft oft einen Ausweg aus ihrem gepressten Innern suchen. Wie oft wird ihnen der Vorwurf der Heuchelei gemacht! Das kahle Gefühl, der platte Verstand sind bald fertig, einen Andersgläubigen als Lügner zu behandeln. Eben so ist die kluge Welterfahrung, die mit den Winkeln und Falten menschlicher Gebrechlichkeit vertraute Psychologie des Hrn. v. Knigge dazu bereit. Allein welche Stufen gibt es nicht vom Anlügen einer

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Max Stirner: Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. , Berlin 1914, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_170.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)