Seite:DE Stirner Schriften 254.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dieser Immaterialität, muss das Wissen durchdringen, indem es seine sterblichen Teile opfert und als Unsterbliches - Wille wird.

In diesem Umstande liegt grossentheils die Noth unserer seitherigen Erziehung, dass das Wissen nicht zum Willen, zur Bethätigung seiner selbst, zur reinen Praxis sich läuterte. Die Realisten fühlten den Mangel, halfen ihm jedoch auf eine elende Weise dadurch ab, dass sie ideenlose und unfreie „Praktiker“ ausbildeten. Die meisten Seminaristen sind ein lebendiger Beleg dieser traurigen Wendung. Zugestutzt auf’s Trefflichste stutzen sie wieder zu, dressirt dressiren sie wieder. Persönlich aber muss jede Erziehung werden, und vom Wissen ausgehend doch stets das Wesen desselben im Auge behalten, dies nämlich, — dass es nie ein Besitz, sondern das Ich selbst sein soll. Mit Einem Worte, nicht das Wissen soll angebildet werden, sondern die Person soll zur Entfaltung ihrer selbst kommen; nicht vom Civilisiren darf die Pädagogik ferner ausgehen, sondern von der Ausbildung freier Personen, souverainer Charaktere; und darum darf der Wille, der bisher so gewaltthätig unterdrückte, nicht länger geschwächt werden. Schwächt man ja doch auch den Wissenstrieb nicht, warum denn den Willenstrieb? Pflegt man jenen, so pflege man auch diesen. Die kindliche Eigenwilligkeit und Ungezogenheit hat so gut ihr Recht als die kindliche Wissbegierde. Die letztere regt man geflissentlich an; so rufe man auch die natürliche Kraft des Willens hervor, die Opposition. Wenn das Kind sich nicht fühlen lernt, so lernt es gerade die Hauptsache nicht. Man erdrücke seinen Stolz nicht, seinen Freimuth. Gegen seinen Übermuth bleibt meine eigene Freiheit immer gesichert. Denn artet der Stolz in Trotz aus, so will das Kind mir Gewalt anthun; das brauche ich mir, der ich ja selbst so gut als das Kind ein Freier bin, nicht gefallen zu lassen. Muss ich mich aber durch die bequeme Schutzwehr der Autorität dagegen vertheidigen?