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Das Ausland. 1,2.1828


hervor, da sich nicht die geringste Andeutung einer Satire unter denselben befand. Tasso, der daher für seine Freiheit nichts zu befürchten hatte, wurde indeß durch das tumultuarische Verfahren, welches man gegen ihn beobachtet hatte, so entrüstet, daß er Bologna verließ und von Castelvetro aus, wohin er sich zurückzog – einer Besitzung seiner väterlichen Freunde der Herren von Rangoni – einen Brief voll der bittersten Vorwürfe an den Vicelegaten von Bologna, seinen bisherigen Gönner, richtete: „Ich wünsche zu wissen,“ sagt er darin unter anderem, „von welchen Gesetzen man diese Art Gerechtigkeit entnimmt, von welchen Doktoren sie gelehrt, von welchen Richtern angewandt, in welchen Landen geübt wird? – Mir scheint es doch, daß, wenn man gegen Andere Rücksichten nimmt, man dieselben Rücksichten auch gegen mich beobachten müsse, da ich Edelmann bin und einige Eigenschaften besitze, die vielleicht nicht völlig verachtet zu werden verdienen, und überdieß unter dem Schutz Sr. Excellenz, des Herzogs von Urbino, stehe; wovon das eine mich meinen Verfolgern gleichstellt, so daß man weniger ihr Verlangen und ihre ungezähmte Wuth, als meine Unschuld hätte berücksichtigen sollen, während die beiden andern Umstände, oder vielmehr der letzte allein von solchem Gewicht ist, daß selbst, wenn ich schuldig gewesen wäre, (was sich indessen niemals finden wird), entweder gar nicht, oder doch mit mehr Mäßigung gegen mich hätte verfahren werden sollen.“[1]

Sonderbar ist es, daß dieser Vorfall, wie er zuerst jene Reizbarkeit des Rechtsgefühles zeigt, welche wir als die wahre Quelle aller der traurigen Schicksale betrachten müssen, die Tasso bevorstanden, zugleich die erste Gelegenheit zur Anknüpfung jenes Verhältnisses zu dem Hause Este darbot, welches der Mittelpunkt werden sollte, um den die ganze Zukunft des Dichters sich bewegte. Auf einer Ferienreise von Padova, wohin er zurückgekehrt war, zu seinem Vater nach Mantova, wurde er in Ferrara von dem Grafen Fulvio Rangoni bei Hofe vorgestellt und erhielt das Versprechen, daß in Kurzem von demselben für ihn gesorgt werden sollte. Dieser Zusage folgte in wenigen Monaten die Einladung, in das Gefolge des Kardinals Luigi da Este zu treten, dem er auf den Wunsch seines Vaters seinen Rinaldo gewidmet hatte.

Am 31. October 1565 kam Tasso, ein einundzwanzigjähriger Jüngling, in Ferrara an. Die breiten symmetrischen Straßen, welche jetzt, einem verlassenen Zauberpalaste in den Wüsten des Orients gleich – als ob der Fluch des rächenden Schicksals auf sie gefallen wäre – verödet da liegen, schienen ein unermeßliches, gedrängtes, glänzendes Theater durch die Zurüstungen zum festlichen Empfange – nicht Tasso’s, sondern der Erzherzogin Barbara von Oesterreich, mit welcher der ältere Bruder des Kardinals, der Herzog Alfonso II, sich zu vermählen im Begriff stand. Die Hoffnungen, die der feurige Jüngling in dem glühenden, träumenden Herzen trug, gingen schneller in Erfüllung, als seine kühnste Erwartung es hätte ahnen dürfen. Aber die Hofgunst, in deren Schwüle so manches schöne Talent verwelkte, schien das seinige, durch den Talisman des Genius geschützt, nur früher zur Reife zu bringen.

Das ist das wahre Geheimniß der Dichterbrust, was – so oft es auch der Sänger ausschwatzt – doch nie von der kalten Menschenmenge gefaßt werden wird, und daher auch verrathen stets sicher genug verwahrt bleibt: die dunkeln Erscheinungen der Welt, die nach Platon’s schöner Allegorie nur die Schatten sind, welche Geister auf die Erde werfen, verwandeln dem Dichter sich in jene durchsichtigen himmlischen Körper, deren ätherische Form in ungetrübter Klarheit die göttliche Idee darstellt, welche die Seele derselben ist.

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum,
Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;
Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,
Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:
Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüth,
Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er, was uns gemein erscheint,
Und das Geschätzte wird vor ihm zu Nichts.
In diesem eignen Zauberkreise wandelt
Der wunderbare Mann und zieht uns an,
Mit ihm zu wandeln, Theil an ihm zu nehmen:
Er scheint sich uns zu nah’n und bleibt uns ferne;
Er scheint uns anzuseh’n und Geister mögen
An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.

Dieß schöne Wort, das Göthe über den Dichter spricht, erklärt uns die Stellung, in der dieser nothwendig sich Ferrara befinden mußte. Wunderbar bleibt es nur, daß Göthe, nachdem er die Auflösung des Räthsels gefunden hatte, dennoch dasselbe – sey es uns erlaubt, unsere Ansicht der Meinung des hoch geehrten Dichtergreises gegenüberzustellen – auf eine Weise gedeutet hat, welche wir für irrig halten müssen.

(Fortsetzung folgt.)

Miszellen.

Das französische Publikum nimmt fortwährend Antheil an den täglich sich häufenden historischen Denkwürdigkeiten über Napoleon und seine Zeit. Diese Aufmerksamkeit auf den großen Mann wird nun auch von den Schöngeistern benutzt, so daß sie die Helden ihrer Romane natürlich oder gezwungen mit Napoleon in Verbindung zu setzen wissen. Durch solche Spekulation ist es dem Verfasser des Romans: le Colonel Duvar, fils naturel de Napoléon gelungen, dem Werke seiner Einbildungskraft viele Leser zu gewinnen. Leute, die zu den berühmten gobe-mouches gehören, auch einige liberale Pariser-Zeitungen haben sogar geglaubt, es möchte dieser Dichtung eine historische Wahrheit zu Grunde liegen.


Ein Negersklave in Louisiana, der gestohlenes Gut gekauft hatte, wurde als Dieb vor Gericht geführt, und den Gesetzen gemäß zu Peitschenhieben verurtheilt. Als er sich beschwerte, daß ihm Unrecht geschehe, da er ja nicht selbst gestohlen, sondern nur das von Andern Gestohlene gekauft habe, bedeutete ihn der Richter, daß dieß einerlei sey und auf dieselbe Art bestraft werde. Aber, Massa,[2] sagte er, werden denn auch die weißen Menschen gepeitscht, wenn sie gestohlenes Gut gekauft haben?

Gewiß, antwortete der Richter.

Ei, rief der Sklave voller Freuden aus, dann lasset nur gleich meinen Herrn peitschen; denn er hat mich gekauft, obgleich er wußte, daß ich aus meinem Vaterlande gestohlen war.

Der arme Neger hatte vielleicht nicht ganz Unrecht.


  1. S. Serassi, Vita di Tasso, pag. 116.
  2. Massa, Herr in dem Jargon der Negersklaven
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_019.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)