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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 6. 6. Januar 1828.

Ueber den Ursprung und Fortgang der im innern Asien gegen die chinesische Regierung ausgebrochenen Revolution.
Von J. v. Klaproth.

Vorwort der Redaktion.

Die gewöhnliche Vorstellung, die der Europäer von China hat, ist die von einem isolirten Reiche am äußersten Ende von Asien, von der ganzen übrigen Welt getrennt, den Fremden verschlossen, und ohne die geringste Verbindung mit dem Auslande, bis auf einige vorübergehenden Berührungen mit seinen unmittelbaren Nachbaren. Erst in der neuesten Zeit hat man angefangen den innern Bewegungen China’s, sofern der Zufall mit denselben bekannt machte – was wir meist den Zeitungen des englischen Ostindien verdankten, – einige Aufmerksamkeit zu zuwenden; aber das Interesse, welches diese Begebenheiten erregen, steht noch jetzt ungefähr auf gleicher Stufe mit der Neugierde, die auch die Eskimos, oder Neuseeländer, oder seit kurzem die Osagen in Anspruch nehmen. Sonderbar erschien es nur, daß der Chinese seinerseits mit nicht minderer Geringschätzung auf den Europäer herabsah, und den kleinen Welttheil ohne weiteres für eine ferne westliche Provinz des himmlischen Reiches erklärte, deren Bewohner ihrer Armuth und Barbarei wegen nicht von chinesischen Mandarins, sondern von eigenen Khans, nach Art der Kalmücken, beherrscht würden.

Wie ungerecht das Urtheil der Chinesen über Europa ist, wird für keinen unserer Leser eines Beweises bedürfen; aber sey es uns erlaubt, darauf hinzudeuten, daß nicht weniger ungerecht uns unser eigenes Urtheil über China erscheinen wird, sobald wir mit der Geschichte, dem Cultur-Zustande und den innern und äußern Verhältnissen dieses merkwürdigen Reiches näher bekannt seyn werden, als dieß vereinzelte Bemühungen weniger Gelehrten und bisher möglich gemacht haben.

Gewiß ist, daß China in keiner Epoche seiner Geschichte vollkommen in sich selbst zurückgezogen und von allen Verbindungen mit den übrigen Völkern Asiens abgeschnitten gewesen ist. „China,“ sagt ein berühmter französischer Gelehrter, dessen Wort wir als vollgütige Auctorität anführen können,[1] hat fast immer zu Asien in einem ähnlichen Verhältniß gestanden, wie das civilisirte Europa zu der übrigen Welt. Seine Nachbarn haben stets seine Allianz, oder seinen Schutz gesucht, seine gesellschaftlichen Einrichtungen nachgeahmt, seine Literatur studirt. Es war für sie ein Mittelpunkt des Handels, eine Art von politischer Hauptstadt, ein Muster in jeder Beziehung. – „Selbst die Grenzen des chinesischen Reiches dürften uns beträchtlich näher gerückt werden, als die fast allgemein herrschende Vorstellung annimmt. In zwei verschiedenen Perioden sehen wir die Chinesen ihre Herrschaft bis an die Gestade des caspischen Meeres ausdehnen; und zu einer Zeit, wo die russischen Provinzen im Norden und Westen, die persischen im Süden dieses Binnenmeeres ein europäisches Interesse erhalten haben, dürfen die chinesischen im Osten demselben nicht länger fremd bleiben.“

Seit dem zweiten Jahrhundert vor Christi Geburt haben die Chinesen ihre Macht, zu verschiedenen Zeiten, nach Westen bis zu den Quellen des Amu und Syr ausgebreitet und die Länder, welche wir jetzt die kleine Bucharei und Dsunggarei nennen, nebst einem Theile der großen Bucharei, ihrer Herrschaft unterworfen. Der Grund dieser Eroberung lag in der Nothwendigkeit die, damals zwischen der nördlichen Grenze von China und den Flüssen Selengga und Kerülün wohnenden Völkerschaften von feindlichen Einfällen abzuhalten. Zur Zeit der mongolischen Herrschaft waren von dieser Seite keine Feindseligkeiten zu befürchten, weil die türkischen Stämme bereits wieder nach Westen gezogen waren, und mongolische Horden ihr altes Vaterland besetzt hatten. Nachdem sich, in der letzten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, China von der Botmäßigkeit der Mongolen befreit und diese in ihre alten Wohnplätze zurückgedrängt hatte, kamen die, zunächst an der Grenze, der großen Mauer, mit ihren Heerden herumziehenden Stämme unter chinesische Oberherrschaft; die, welche nördlicher, am Kerulün, an der Tula und Selengga hausten, blieben unabhängig; eben so wie die, welche, mehr westlich, die Gegenden am Flusse Ili und am See Balchasch inne hatten. Die Politik der neuen chinesischen Kaiser zog es vor, unter diesen Horden innere Uneinigkeit zu erhalten; statt kostspieliger und dabei ungewisser Unternehmungen gegen Westen, das ist, gegen die kleine Bucharei, von der nur Chamil und Turfan mit China in Verbindung geblieben waren.

Dieses war im Allgemeinen die politische Lage des mittleren Asiens, zu der Zeit, als die Dynastie Ming in China ihrem Ende entgegen ging, und die Mandschu in dem himmlischen Reiche mächtig zu werden anfingen. Die mehrsten Stämme der eigentlichen Mongolen (d. i. des östlichen Zweiges der Nation, den man vom westlichen der Oelöt oder Kalmücken unterscheiden muß), hatten, als Bundesgenossen, den Mandschu bei ihren Kriegen gegen die Chinesen, und bei der endlichen Eroberung von China, (1644), die wichtigsten Dienste geleistet. Dafür wurden ihre Fürsten nicht nur mit den höchsten Ehrenämtern


  1. Abel - Remusat, Mémoires sur plusieurs questions relatives à la Géographie de l’Asie centrale. pag. 176.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_028.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)