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Das Ausland. 1,2.1828

so konnten sie auch keine politische Einsicht erhalten. Ist es wahrscheinlich, daß eine freie Volksregierung, die auf solcher Basis ruht, dauerhaft seyn könne? Wir wollen nicht geradezu das Gegentheil behaupten, aber so viel dürfen wir sagen, daß diese Basis wesentlich von der verschieden ist, worauf die Vereinigten Staaten ihre Verfassung gebaut haben; daß also, wenn dennoch dieselben Institute für das spanische Amerika brauchbar sind, dies seine andern Gründe haben muß, als es dort hat.

In den meisten, oder in allen diesen neuen Staaten hat man Gesetze gemacht, welche die gleiche Vertheilung des Eigenthums unter Geschwistern verordnen, um dadurch allmälig die Zerstückelung der großen Besitzungen zu bewirken. Da einmal die democratische Regierungsform eingeführt ist, so ist dies ohne Zweifel gut und zweckmäßig, aber man kann jenen Schritt doch kaum anders betrachten, als einen Versuch den Zustand des Volks einer Verfassung anzupassen, die auf dem Wege der Theorie entstanden ist. Der Weg, welchen die Gesetzgeber der Vereinigten Staaten befolgten, ist dagegen der, das Volk zu nehmen, wie es ist, und seiner Eigenthümlichkeit gemäß die Verfassung zu wählen. Das Volk bekam daher hier eine Staatsverwaltung, die für die Gegenwart taugt, und Verbesserungen, welche die Zeit nothwendig macht, blieben einer allmäligen Einführung auf dem Wege der Gesetzgebung überlassen.

Es liegt uns viel daran, nicht mißverstanden zu werden, und wir müssen uns daher die Erlaubniß erbitten, noch ein Wort hinzufügen zu dürfen. So entschieden man auch liberalen Regierungsformen zugethan seyn mag, so muß man doch stets eingedenk seyn, daß es nichts nützen kann, einen bloßen Schatten von Volksherrschaft aufzustellen, wenn derselbe in Jahrhunderten noch keine Realität bekommen kann. In den Vereinigten Staaten giebt es noch beinahe zwei Millionen Negersklaven, während man in den Versammlungssälen des Senats täglich mit Begeisterung für die Freiheit reden hört. Und dieß ist keineswegs ein Widerspruch zwischen Wissen und Wollen, oder Wollen und Thun. Ist es denn nicht ganz etwas anders, die Freiheit lieben, als Mord und Aufruhr wünschen, welche die unausbleibliche Folge einer gleichzeitigen und allgemeinen Freilassung der Negersklaven seyn müßten? So ist auch nicht jede Veranlassung um deswillen allein schon politisch gut zu heißen, weil sie die äußere Freiheit fördert; vielmehr muß vor allen Dingen erst das Volk, dessen Wohl sie fördern soll, verstehen, was wahre Freiheit sey.

Was wir von den Verfassungen der südamerikanischen Staaten im allgemeinen darzuthun gesucht haben, gilt in noch viel höherem Grade von der Einführung eines Föderativsystems, wie es die Union der Vereinigten Staaten aufstellt. Hier übersehen die Gesetzgeber des spanischen Amerika’s offenbar völlig den Geist, aus welchem es dort hervorging. Die Union war das Werk einer Anzahl von Repräsentanten ganz von einander unabhängiger Gemeinwesen, die einen Bund mit einander geschlossen hatten, wie völlig souveräne Staaten. Dieser Bund, der ganz ohne die Absicht einer immerwährenden Vereinigung abgeschlossen war, macht die historische Basis der Union aus. Das spanische Amerika war allerdings auch in eine Anzahl völlig von einander unabhängiger Provinzen getheilt, die den Namen Königreiche oder Generalcapitanate führten, aber an eine Föderation dieser Reiche ist niemals gedacht worden. Mehrere einzelne Provinzen haben indessen bei der Organisation ihrer innern Verfassung ihr Ländergebiet willkürlich in unabhängige Staaten eingetheilt, „um sie nachher wieder nach dem Föderativsystem unter einander zu verbinden.“ Wir wollen nicht unbedingt behaupten, daß dieses Verfahren unweise war, und daß es einen nachtheiligen Einfluß auf das künftige Schicksal dieser Staaten haben muß; aber so viel sieht jedermann, daß es mit dem was die Gesetzgeber von Nordamerika thaten, gar keine Aehnlichkeit hat; das Prinzip, wornach diese handelten, ist gerade das entgegengesetzte. Hier will man eine naturgemäße Vereinigung, dort willkürliche Trennung. Man zerreißt eine feste und innige Verbindung, um ein loses und bloß äußeres Band wieder zu knüpfen.

Wir wissen übrigens sehr wohl, daß es weit leichter ist zu sagen, was nicht hätte geschehen sollen, als anzugeben, was hätte gethan werden müssen, und auch selbst jene negativen Behauptungen haben nur in sofern Wahrheit, als sie die allgemeine Regel angeben. Daß der neue Zustand Südamerikas’s keine historische Anknüpfung an den alten hat, wie zu wünschen wäre, ist gewiß, und hierin liegt ein unleugbarer Mangel. Denn wie wäre wohl ein so verkehrter Zustand der Dinge denkbar, daß man bei einer Verbesserung desselben alles bis auf das Kleinste und Geringste umstoßen müßte. Ob dieß im spanischen Amerika der Fall gewesen sey, wollen wir nicht entscheiden, und wir entfernen gerne durch dieses Geständniß unserer Unkenntniß noch mehr allen Schein von uns, als hätten wir gegen irgend eine Persönlichkeit unsern Tadel aussprechen wollen.



China.


Nach den neuesten Zeitungsberichten aus China hat einer der tatarischen Großen, aus dem Lande der Eleuthen, Sr. Majestät eine „Blumendepesche“ übersandt, worin er seine Freude über das Glück ausspricht, welches die Ta-tsing Dynastie über ihr zahlreichen Unterthanen verbreitet. Dieß beweist er, indem er den Kaiser in Kenntniß setzt, daß ein altes Weib, die Mutter eines Kriegers, in seiner Provinz sey, welche ihr hundert und erstes Jahr erreicht habe. „Der Thau von vier Kaisern ist auf ihr jetzt bereiftes Haupt herabgefallen und hat dasselbe gesegnet. Sie hat hundert Lenze und Winter gesehen und nun zieht sie mit den süßen Bissen in ihrem Munde eine zahlreiche Nachkommenschaft kleiner Kinder hinter sich her, die von ihr entstammt sind. Die zarten Sprossen schießen jugendlich auf, und noch steht der alte Stamm. Noch kann die Alte ihren Stab fassen, und umherkriechen unter Ew. Kaiserlichen Majestät wohlthätiger Herrschaft u. s. f.“ Se. Majestät bemerkten eigenhändig mit dem Carminpinsel: „Das Collegium der Sitten habe Acht darauf! Befolgt dieß!“

(Malacca Chinese Chronicle.) 
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_075.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)