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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 20. 20. Januar 1828.

Von dem muthmaßlichen Erfolge einer Invasion in Indien.

(Blackwoods Magazine.)

Es ist in neuerer Zeit häufig die Frage aufgeworfen worden, ob es den Engländern möglich sey, ihre Besitzungen in Indien gegen die Invasion einer europäischen Macht zu vertheidigen. Napoleons Aeußerungen über diesen Gegenstand verrathen eine zu große Unkenntniß der natürlichen Hindernisse, die sich einem solchen Unternehmen entgegenstellen würden, als daß man im Ernste glauben könnte, er habe selbst einen Plan der Art in Ausführung bringen wollen. Er mochte die Eroberung von Indien vielleicht als eine Unternehmung betrachten, die seiner würdig wäre, aber er sah sie doch wohl mehr wie ein Problem, das zu lösen, als wie ein Project an, das auszuführen sey. Wenn er daher in seinen letzten Tagen behauptete, es sey für Rußland ein leichtes, Indien zu erobern, so scheint dies mehr ein Ausbruch seiner üblen Laune gewesen zu seyn, als das Resultat reiflicher Erwägung. Indessen haben sich doch viele Männer von Einsicht durch die Autorität des großen Feldherrn bestimmen lassen: und jene Aeußerung ist dadurch nicht ohne Einfluß selbst auf die betheiligten Regierungen geblieben. Jeder Unbefangene aber, der die Sache genauer erwägt, und die nöthigen Localkenntnisse besitzt, wird die Unausführbarkeit eines solchen Eroberungsplans zugeben müssen.

Die Frage gewinnt fast täglich an Interesse und an Wichtigkeit; und wir haben uns dadurch aufgefordert gefühlt, die Puncte etwas näher zu beleuchten, von welchen die Beantwortung derselben abhängt.

Wir haben kaum nöthig, erst auszusprechen, daß Rußland in gegenwärtiger Zeit die einzige europäische Macht ist, die möglicher Weise diese Invasion unternehmen könnte. Es ist das einzige Land, welches unmittelbar an jene asiatischen Völker grenzt, deren Entlegenheit vom Mittelpuncte des großen Völkerlebens sie so sehr in die Gewalt des mächtigen Nachbaren gegeben hat, daß sich die übrigen europäischen Staaten kaum noch darum bekümmern, ob hier die Grenzen um ein hundert Meilen verrückt werden oder nicht. Rußland ist das einzige Land, welches einen fortdauernden Einfluß oder eine Art Aufsicht über die Länder übt, die auf dem Wege nach Indien liegen, und welches sein Gebiet nach dieser Seite hin erweitern kann. Andere europäische Mächte mögen durch Bündnisse mit Fürsten des innern Asiens ein gewisses Ansehen an ihren Höfen erlangen, aber nur Rußland kann ihnen die Größe seiner Macht in der Nähe zeigen, mit Nachdruck drohen, und, wenn es noth thut, den Gehorsam mit Gewalt erzwingen. Wir[WS 1] wollen daher hier blos untersuchen, in wiefern diese große Macht auf einen glücklichen Erfolg eines Einfalles in Indien rechnen könnte, und somit alle unnützen Discussionen über die noch viel weniger ausführbaren Pläne anderer Mächte abschneiden.

Mannigfaltig sind die Gründe, die Rußland bestimmen müssen, seine Macht in Asien immer weiter auszudehnen; doch ist vielleicht, neben der natürlichen Vergrößerungssucht jedes Staates, einer der wichtigsten, daß Rußland, wenn es in Ostindien mit England concurrirte, hierdurch die Controlle aufheben würde, welche Großbritannien jetzt über den russischen Handel ausübt. Als bloße Landmacht hat Rußland keinen andern Punkt, an welchem es England angreifen könnte, und kein Theil des brittischen Reichs ist wohl zugleich so verwundbar, und verspricht einem angreifenden Feinde größere Vortheile, als die ausgedehnten englischen Besitzungen in Ostindien. Es gehörte daher wahrlich große Selbstverläugnung von Seiten des Petersburger Cabinets dazu, wenn es sein bisherigen System, sich in Asien zu vergrößern, aufgeben wollte, so lange sich der Verfolgung desselben keine größern Hindernisse in den Weg stellen, als bis jetzt. Wenn aber Rußland der Meinung ist, daß es schon in seiner jetzigen Lage eine Invasion in Indien unternehmen könnte, wenn es glaubt, daß es, ohne das langsame Resultat einer allmähligen Grenzerweiterung abzuwarten, gleichsam durch einen coup-de-main Indien nur erobern dürfte – wie dies von mehr als einer hohen Militärperson ausgesprochen worden ist – so müssen wir bekennen, daß wir dieser Ansicht auf keine Weise beipflichten können.[1]

Alle Pläne zur Eroberung Indiens scheinen auf die Voraussetzung gebaut zu seyn, daß, da asiatische Heerführer große Armeen nach Indien geführt, ja einige derselben


  1. Wir können hier unmöglich eine Beschreibung der Länder geben, von welchen die Rede seyn wird; wir berufen uns daher in dieser Hinsicht auf die besten und neuesten Werke über dieselben: auf Fraser’s Khorassan, de Mouravieff Voyage en Tourkomannie, Dr. Eversinan’s Account of the progress of the Nigri’s mission to Bokhara, Elphinstone’s Account of Cabul und Kinneir’s Geographical memoir on Persia.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Mir
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_087.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)