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Das Ausland. 1,2.1828

Jahre war Tussun Pascha alt, als ihn der zärtliche Vater an die Spitze der Armee stellte, welche die schwierige Aufgabe hatte, die Wechabiten in Nedjd zu züchtigen. Diese fanatische Sekte, die sich berufen glaubte, den Islam auf seine ursprüngliche Reinheit zurückzuführen, war seit mehr als zwanzig Jahren der Schrecken Arabiens, der Türkei und Persiens. Wie alle Muselmänner bekennen sie sich zur Lehre von der Einheit Gottes, aber sie verwerfen jeden Priesterdienst, jede kirchliche Autorität, als einen Abbruch an der Ehre Gottes jede Verehrung von Heiligen, Mohammed und Ali nicht ausgenommen. Man sah sie wiederholt Mekka’s sich bemächtigen, wo man die Gräber Abraham’s, Ismaël’s und mehreren Patriarchen zeigt, Medina’s, wo die Reste des Propheten ruhen, Kerbeleh’s, so die Schyïten an der Begräbnisstätte Hossein’s, des Sohnes Ali’s, beten. Eine unermeßliche Beute fiel ihnen in die Hände – der ganze Reichthum, womit muselmännische Frömmigkeit diese Wallfahrtsorte ausgestattet hatte. Tussun Pascha, zwar nicht immer glücklich, beendigte den wechabitischen Krieg (1811–1815) durch den ehrenvollen Frieden von El-Raß. Da aber Mehemed Ali die völlige Vernichtung der gefährlichen Sekte beschlossen hatte, so wurde schon im folgenden Jahre unter dem Oberbefehl Ibrahim Pascha’s ein neuer Feldzug gegen sie eröffnet, dessen ausgezeichnete Erfolge den Ruhm des egyptischen Veziers unter seinen Glaubensgenossen auf den Culminationspunkt brachten. Wie zuvor Tussun, der Eroberer der heiligen Städte, so wurde jetzt Ibrahim, der Besieger des wechabitischen Fürsten, Abdallah-Ebn-Suhud, den er gefangen mit sich führte, zu Kairo im Triumph empfangen, siebentägige Feste folgten und der stolze Vater huldigte freudig dem Verdienste seines Sohnes. Durch das Glück des wechabitischen Kriegs befestigte sich Mehemed Ali in der Gunst des Sultan’s, dem als Beherrscher der Gläubien alles an der Unterdrückung der tempelräuberischen Ketzer lag, und indem er die Sicherheit des lang unterbrochenen Karavanenhandels wieder herstellte, förderte er zugleich seine commerciellen Interessen.

Durch den äthiopischen Krieg suchte er darauf einen dreifachen Zweck zu erreichen: nähmlich die Entfernung und Beschäftigung einer meuterischen Soldateska, die Vernichtung der letzten Trümmer der Mamelukken, die sich nach Unter-Nubien und später nach Dongola geflüchtet hatten, endlich die Rekrutirung seines Heers aus Ländern die von einem kräftigen, ausdauernden, genügsamen Menschenschlage bewohnt, schon der „Armee des Orients“ eine Anzahl guter Soldaten geliefert hatten. Mehemed Ali’s jüngster Sohn, Ismaël, wurde mit der Leitung des Unternehmens beauftragt. Im Anfange gieng alles vortrefflich von Statten: Nubien, Sennâr, Dârfur, Kordofân wurden erobert; der ganze Krieg war aber im Grunde nichts als ein Raubzug und eine Menschenjagd, und so endete auch Ismaël Pascha wie ein Räuber; er wurde ermordet. Die Goldminen, nach denen Mehemed Ali jenseits der Wasserfälle des Nils durch französische Gelehrte suchen ließ, wurden nicht gefunden, die Neger, die er ihren Familien entriß und in seine Negerskaserne nach Syene schleppen ließ, um aus ihnen ein eigenes den türkischen Sitten fremdes Korps zu bilden, starben zu Tausenden und zuletzt erlag unter den beständigen Anfällen der Eingebornen, die sich von allen Seiten erhoben, fast die ganze egyptische Armee, nachdem sie mehrere hundert Stunden weit in das Innere Afrika’s vorgedrungen war. – Mehemed Ali’s Eroberungen waren keine Eroberungen für die Civilisation, sie haben noch kein Land glücklich gemacht: ein Doppelwesen scheint sie zu leiten, der Verstand des Europäers und das Herz des Barbaren.


Erinnerungen aus Italien.

Von einem englischen Gentleman.

(Fortsetzung.)

Der große Barbone. Die römische Mittelklasse.

Der Chef des ehrenwerthen Bettlerkorps ist gegenwärtig der berüchtigte Barbone. Wie viele Künstler verdanken ihm ihre Erfolge in den Kunstausstellungssälen. Er allein vereinigt in sich St. Peter, St. Paul, St. Jakob, Belisar, Polyktet, Satan, Charon, Pluton, den heiligen Dominikus, Julius Cäsar, Pelopidas und Epaminondas; er repräsentirt die ganze Weltgeschichte in ihren imposantesten Momenten. Als er, mitten auf der Scala, mich anredete, um la buona mancia von mir zu fordern, glaubte ich in seiner Person ein Resumé der Annalen der Welt zu begrüßen. Sein Ruf ist groß und mit Recht; er ist vielleicht der einzige Held, der, in der Nähe betrachtet, nicht verliert. Ein Römerkopf voll edlen, energischen Ausdrucks, mit einem Wald von Haaren, schwarz wie die Schwingen des Raben und in schweren Locken auf die Schultern füllend, leuchtende Augen, in denen die kraftvolle Ruhe brennender Leidenschaft liegt, eine hohe Gestalt mit der Haltung eines Brutus oder Coriolan – so steht der große Barbone vor euch. Seine Physiognomie ist wild, aber die Art wie er auf jemand zutritt voll feinen Anstandes und seine Sprache kurz und würdig. Vergebens würde man jenseits der Alpen einen Mann suchen, der ihm an die Seite gestellt werden könnte. Er bettelt, liegt in der Sonne, und wenn der Hunger ihn drückt, geht er in das Atelier eines Künstlers, um für einen großen Thaler des Tags Modell zu stehen; dann legt er sich wieder in die Sonne, verzehrt seinen Gewinn, beginnt auf neue zu betteln, und kehrt nicht eher zu den Malern zurück, als bis er wieder an allem Mangel leidet. Den Tag, nachdem wir unsere Bekanntschaft gemacht hatten, ging ich wieder an ihm vorüber; er schlummerte, in einen großen, rothen Mantel gehüllt, der ihm zugleich als Bett und als Kleid diente, und den ihm ohne Zweifel irgend ein Künstler als Erbschaft vermacht hatte. Er erwachte, ergriff meine Hand, weniger, wie es schien, um mich um ein Almosen zu bitten, als um mich an eine Schuld zu erinnern. Ich erkannte sie an: wir sahen uns alle Tage, und wurden die besten Freunde. –

Die Sonne gieng hinunter, und ich kehrte in meinen Gasthof zurück, um mich sorgfältiger anzukleiden,

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_097.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2022)