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Das Ausland. 1,2.1828

und für meinen ersten Eintritt in die römische Gesellschaft vorzubereiten. Alle Taschen voll mit Empfehlungsschreiben, hüllte ich mich in den Ferrajola (Mantel). Einige Zeit war ich unschlüssig, welchen Weg ich einschlagen, welchen Zirkel ich zuerst besuchen sollte. Endlich beschloß ich, bei Signora D… mich vorzustellen, einer berühmten gelehrten Frau, in deren Hause die ausgezeichnetsten Alterthumskenner Roms sich vereinigten. So wie man beim Messen einer Pyramide an ihrer Basis den Anfang macht, wollte ich auch bei meinen Beobachtungen die aufsteigende Richtung einschlagen, d. h mir zuerst das gemeine Volk betrachten, dann den Bürgerstand, und mit dem Adel endigen. Signora D. gehörte zum mezzo ceto, zu jenem Mittelstande, den Goldoni mit so frischen heitern Farben schildert. Da ich seit meiner Ankunft bereits Gelegenheit gehabt, über die untern Volksklassen einige Conjekturen zu machen, so wollte ich nun eine Stufe höher steigen. Zu diesem Entschlusse bestimmt mich, außer meiner Vorliebe für einen systematischen Gang, besonders mein alter Freund Goldoni. Selbst aus den Reihen des italienischen Bürgerstandes hervorgegangen, gefiel er sich, dessen Sitten mit einer gutmüthigen Laune, mit einer Leichtigkeit und Anmuth zu zeichnen, die mich längst entzückt hatte. Dieser Schriftsteller ist zuweilen breit, und seine Feinde haben nicht ganz Unrecht, wenn sie ihm eine gewissen Advokatenmanier, eine Sprache, die an die Gerichtsverhandlungen erinnert, vorwerfen: aber seine Porträts sind voll treffender Wahrheit, seine Charaktere leben; seiner Gegner übertriebene Carricaturen blitzen zuweilen von phantastischer Satire, aber die Natur fehlt ihnen.[1]

Mein Entschluß, die Mittelklasse des Volks mit besonderer Aufmerksamkeit zu beobachten, hatte mich nicht irre geführt. In diesem mezzo ceto vornämlich ist es, wo sich das italienische Leben in seinem wahren Lichte, in seinem bestimmten Charakter, in seinen hervortretenden Zügen zeigt. In den höhern Klassen ist alles vag, verwischt. Eine stumpfe Apathie verbreitet sich gleich Wolken über die Höhen der Gesellschaft, und macht die Umrisse unsicher, nebelhaft. Zwar besitzen hier die höhern Stände keineswegs jenen aristokratischen Uebermuth, daß sie sich von den übrigen ganz absonderten oder sich vermöge ihrer Geburt für viel vorzüglicher hielten. Sie brüsten sich nicht, wie in England, mit der ausgesuchten Feinheit oder der Affektirten Eigenheit ihres Benehmens. Genealogischen Ansprüchen und Eitelkeiten fremd, kennen sie weder die Macht und den Mißbrauch des Privilegiums, noch die Tyrannei der Mode, die zwei lächerlichstens Abgeschmacktheiten, welche zwei andere große Völker Europa’s beherrschen. Gewiß könnten die Nachkommen Porsenna’s und Cäsar’s einiges Recht haben, auf das Blut, das in ihren Adern fließt, stolz zu seyn; aber die Zeit, die Sitten, die Künste und Wollüste haben bei ihnen jedes andere Gefühl als das eines friedlichen indolenten Epicuräismus erstickt. Ein Anstrich von kirchlicher Frömmigkeit und ein Patriotismus in Worten hat sich hinzugesellt, um die sonderbare Anomalie zu vollenden, welche man die römische vornehme Welt nennt.

(Fortsetzung folgt.)




Gesunder Verstand nordamerikanischer Indianer.

(Amerikanische Blätter.)

Eine christlich-religiöse Gesellschaft in Schottland sendete vor einiger Zeit zwei Missionäre nach Nordamerika, mit dem Auftrage, unter den Delaware-Indianern das Evangelium zu predigen. Als diese Geistlichen an den Ort ihrer Bestimmung angekommen waren, versammelten sich die Häuptlinge des Volkes, und zogen die Frage in Betrachtung, ob es verständig sey, die fremden Lehrer zuzulassen. Nach reiflicher, vierzehn Tage dauernder Ueberlegung, schickten sie die Missionäre höflich mit folgender Antwort zurück: „Wir haben uns bisher glücklich gefühlt unter dem Schutze des großen Geistes, den wir anbeten; sind aber darum nicht weniger dankbar, daß Ihr euch Sorgen macht über unsere Art zu denken, und sonach Theilnahme zeigt an dem Schicksal Eurer Brüder in der Wildniß. Wir würden auch Euer Anbieten nicht abgelehnt haben, wenn wir uns nicht erinnert hätten, daß ein Volk unter Euch Christen lebt, daß Ihr, seiner Farbe wegen, zum Sklaven gemacht habt, das Ihr, weil diese Menschen schwarz sind, mit Härte und Grausamkeit behandelt. Erlaubt Euch dieß Eure Religion, so können wir den Lehrern derselben kein Zutrauen schenken. Denn wir sehen nicht ein, was Euch hindern könnte, auch uns, unserer Farbe wegen, für Eure gebornen Sklaven, und die rothen Menschen wie die schwarzen anzusehen. Daher haben wir beschlossen, Eure künftigen Handlungen näher zu beobachten, ehe wir auf eure Worte hören, und erst abzuwarten, bis den unter Euch lebenden schwarzen Brüdern das große Glück zu Theil wird, das Ihr uns zu ver***(eine ganze Zeile fehlt) ***chen Euch so freundlich zeigt. Wir denken, ein Volk, das so lange und so viel durch Euch gelitten, habe die ersten Ansprüche auf Eure Aufmerksamkeit. Sorgt für diese Unglücklichen, oder sendet Lehrer unter die weißen Menschen, diese zu bekehren, wie der große Geist kein Wohlgefallen daran haben könne, wenn Ihr ungerecht gegen seine schwarzen Kinder seyd. Wenn Ihr dieses thut, werden wir mit Vergnügen uns erzählen lassen, was Ihr von den Gedanken des großen Geistes zu wissen glaubt. Jetzt aber werdet Ihr uns nicht hassen, wenn wir Eure beiden Missionaire mit Dank zurücksenden. Sie sollen uns später willkommen seyn, sobald wir in Erfahrung gebracht, daß dem schwarzen Volke von den Weißen die Freiheit wieder zurückgegeben ist, weil ohne dieselbe die Schwarzen nicht glücklich seyn, und daher auch zu Eurem Gott kein Zutrauen fassen können.“ –

Diese Antwort sogenannter Wilden ist zu verständig, als das sie nicht für die Erfindung eines civilisirten Europäers gehalten werden müßte.

  1. Gozzi vor allen, der in Deutschland doch wohl überschätzt worden seyn möchte, wenn auch sein eigenthümlicher Humor mehr Anerkennung verdient, als ihm im Allgemeinen in seinem Vaterlande geworden ist.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_098.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)