Seite:Das Ausland (1828) 101.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828


Seiten der Marschroute hin ausdehnen? Und ist das Versprechen der Ruhe wirklich mit theurem Gelde bezahlt, welche Sicherheit hat man denn, daß sie auch Wort halten, vorzüglich wenn eine weit reichere Regierung ihnen das doppelte bietet, um feindlich gegen sie zu operiren? Wie will man ferner auf der andern Seite einem Volke Furcht einjagen, welches mit Haus und Hof schneller entfliehen kann, als Truppenabtheilungen es verfolgen, oder das sich nur ein paar Meilen von der Marschroute zu entfernen nöthig hat, um vollkommen sicher zu seyn? Was haben sie von einem Heere zu fürchten, dessen ganze Existenz davon abhängt, mit aller möglichen Schnelligkeit vorwärts zu kommen, und das sich deshalb weder rechts noch links zu wenden wagt? Dann soll die Armee häufig in so armen Gegenden erhalten werden, daß die Fourrageurs jedes Pfund, was sie bringen, mit dem Degen in der Faust erkämpfen müssen. Der Weg würde durch Wüsten führen, in denen das Heer nur in zwei, drei, vier, fünf oder noch mehr Abtheilungen, die sich nach einander auf derselben Route und mit bestimmten Zeitzwischenräumen folgten, vordringen könnte, weil die Quellen weit auseinander liegen, nicht für das ganze Heer hinreichen, und wenigstens einen Tag erfordern, um sich wieder zu füllen. In Gegenden, in welchen selbst die Karavanen oft Wassermangel leiden, soll man Einrichtungen treffen, daß ein Heer alle 3, 4 höchsten 5 Meilen Wasser finde. Denn es ist ja nicht zu vergessen, daß das kleinste Unglück für alle diejenigen ein Zeichen zum Angriff seyn würde, welche aus was immer für Gründen, bis dahin noch freundlich oder neutral geblieben waren, und daß eine retrograde Bewegung, wenn man schon ziemlich weit vorgedrungen ist, nicht viel weniger wäre, als der sichere Untergang des ganzen Heeres. – Wir könnten hier noch viele Gefahren aufzählen, die niemand abläugnen wird, aber wir haben schon genug gesagt, um selbst den Ungläubigsten von der Unthunlichkeit eines Heerzuges von Rußland nach Indien zu überzeugen, und doch haben wir die Vertheidigungs-Mittel gegen einen Angriff, welche England selbst besitzt, noch kaum angedeutet. Wir wollen jetzt einmal annehmen, daß die Expedition wirklich die Grenzen von Indien erreicht hätte, daß sie sogar im Stande wäre, sich zu halten, bis sie aus Rußland neue Unterstützung erhielte, um mit einer recrutirten Armee und mit besserer Kenntniß des Landes die Operationen zu beginnen. Selbst unter diesen fast unmöglichen Voraussetzungen darf man nicht glauben, daß Indien sich in Einem Feldzuge erobern ließe. Ja, in Einem Feldzuge oder während Eines Jahres könnte eine Armee, der sich gar nichts widersetzte, kaum die Städte, worin die drei Gouvernements ihren Sitz haben, besuchen; und leistete man ihr überdieß Widerstand, so könnten ihre Fortschritte, selbst unter den günstigsten Umständen, nicht bedeutend seyn. Der Krieg würde sich in die Länge ziehen, und dabei die eine der kriegführenden Mächte ihre Verstärkungen und Vorräthe durch Wüsten und feindliche Stämme vom kaspischen Meere her beziehen müssen, während die andere sich auf ihre wohlversehenen Magazine verlassen könnte, und sich nicht weit aus ihrem eigenen Lande zu entfernen brauchte. Es ist unmöglich, daß selbst die reichste und mächtigste Nation einen so ungleichen Kampf bestehen kann; eine der ärmsten in Europa wird daher schwerlich so blind seyn, ihn dennoch einzugehen. Die gesammten Einkünfte Rußlands, die sich auf 80 bis 90 Millionen Thaler belaufen mögen, würden kaum hinreichen, um die Kosten einer solchen Kriegsrüstung zu bestreiten, und da diese im Fall eines Bruchs mit England noch bedeutend dadurch vermehrt werden würden, daß der Kriegszustand auch in Europa nicht unbedeutende Kosten verursachte: so könnte Rußland nicht einmal die erste Auslage der Expedition aus seinen Einkünften aufbringen. Nie hat Rußland Geld genug gehabt, um auf längere Zeit außerhalb des Landes Armeen zu unterhalten, und selbst als es alles aufbot, weil alles auf dem Spiele stand, konnte es seine Armee nicht ohne fremde Hülfe über die Grenze schicken, weil es die Kosten nicht aufzutreiben wußte.

(Fortsetzung folgt.)


Skandale in Frankreich.

durch das Sakrilegien-Gesetz veranlaßt.

Durch das Gesetz kommt die Sünde! Die Wahrheit dieses Satzes sollte, wie es scheint, durch das berüchtigte Sakrileggesetz von dem so eben entlassenen Ministerium in Frankreich bewiesen werden. Die Frucht entsprach der ausgestreuten Saat. Die Heuchelei einer Partei, die sich anmaßte, von Beleidigungen der Majestät Gottes zu sprechen, und unter dem Schein dieses neu erfundenen Verbrechens, irdische Leidenschaften zu befriedigen, hat nicht die Frömmigkeit unter dem Volke wieder einführen oder verbreiten können; sie hat nur zu Skandalen Anlaß gegeben, wie es in der That nicht anders zu erwarten war. Man lese die Berichte über Prozesse wegen angeblicher Versündigungen gegen das Ansehen der Religion, und man wird mit Unwillen bemerken, daß dasselbe durch den Unverstand der Kläger, in den Augen des gemeinen Mannes gefährdet sehen mußte. Die Gerichtshöfe sahen sich häufig in die traurige Nothwendigkeit versetzt, öffentlich in Prozessen dieser Art zu entscheiden; die juridischen Zeitblätter verbreiteten diese Entscheidungen und die ihnen vorhergegangenen Verhandlungen durch ganz Frankreich, so daß jeder alberne Frevel, welcher ohne den Unverstand des Gesetzes nicht über den Wirkungskreis eines Mannes aus dem Pöbel hinausgegangen wäre, jetzt eine öffentlich Sache, und in den Augen der Verständigen eine bittere Satyre gegen die Verwaltung wurde. Zum Glück scheiterte die kleinliche, inquisitionsartige Verfolgungssucht einiger öffentlichen Ankläger an dem erleuchteten Sinn der französischen Magistrate, so daß die Absicht des Gesetzes, dem jesuitischen Einfluß zu Hülfe zu kommen, nicht erreicht werden konnte. Wenn aber auch die einzelnen Opfer, welche die Heuchelei sich erwählt hatte, dadurch der angedrohten Strafe entzogen wurden, so konnte doch der Nachtheil nicht aufgehoben werden, der aus der Bekanntwerdung

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_101.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)