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Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 268. 24 September 1828.

Uebersicht der neuesten italienischen Literatur.

In Briefen von einem italienischen Gelehrten.



Vierter Brief.

Die erste regelmäßige Tragödie Italien war die Sofonisba des Trissino. Wie er in seiner Italia Liberata Schritt für Schritt dem Homer gefolgt war, so trat er nun in dieser Tragödie ganz in die Fußstapfen des Sophokles und Euripides und unterschied sich von ihnen blos in Bezug auf die Wahl des Gegenstandes, wo wie auf die Farbe der Ansichten, die er mit dem Zustandes des Volkes, für welches er sein Werk bestimmt, in Einklang setzte. Maffei wich in seiner Merope zwar großen Theils von den äußern Formen der Griechen ab, ohne sich jedoch an sein Zeitalter und sein Volk näher anzuschließen. Alfieri dagegen bot später ein völlig neues und ebenso bewunderungswürdiges als originelles Schauspiel dar. Seine Dichtungen sollten dazu dienen, politische und sittliche Ideen zu verbreiten, die er für seine Zeit und sein Volk geeignet glaubte; da er sich aber an die griechischen Muster hielt und zugleich seine Stoffe beinahe insgemein aus dem frühesten Alterthum nahm, so konnten sie jene Ideen nicht ohne Zwang, und ohne die historische Wahrheit der Charactere zu verrücken, in sich aufnehmen. Auch band er sich (wenige Fälle ausgenommen) an die schwierige Regel der bekannten Einheiten des Orts, der Zeit und der Handlung, und schloß jede Person, die nicht für den Gegenstand seiner Tragödie durchaus nöthig war, desgleichen den Chor der Griechen und die sogenannten Confidents der Franzosen aus. Sein Dialog ist, selbst wenn er ihn für die höchste Klasse der Gesellschaft berechnet hatte, viel zu edel und sein Vers nicht selten mehr hart und rauh, als kräftig. So sieht man denn leicht ein, wie Alfieri sich in unendliche Schwierigkeiten verwickeln mußte, die seinen Geist theils unnöthig beschränkten, theils völlig hemmten. Daher erklärt er z. B. daß der Tod der Maria Stuart sich nicht für das Trauerspiel eigne; während ihn nach einer andern Ansicht Friedrich Schiller zum Gegenstand einer seiner trefflichsten Tragödien wählte. – Dessen ungeachtet sind Alfieri’s Tragödien voll der erhabensten Schönheiten. Ohne daß seine Personen ihrem historischen Charakter widersprechen, sind sie doch im vollen Sinne des Wortes beinah nirgend historisch; weil er glaubte, keine gemeinen und gewöhnlichen Personen in die Tragödie aufnehmen zu dürfen, hat er uns die Tugenden und die Laster, zu denen sie sich nach der Geschichte hinneigten, immer im Extreme gezeichnet. In seinem Philipp zum Beispiel giebt er ein treffendes Bild von einem Tyrannen; allein da dieses Bild der Züge eines individuellen Lebens ermangelt, geht ihm bei aller idealen Schönheit die Wahrheit der Wirklichkeit verloren, und alle seine Tyrannen sind ein und derselbe Philipp. Wir sind weit entfernt, unter diejenigen zu gehören, welche den hohen Geist Alfieri’s und den Werth seiner erhabenen Dichtungen nicht achteten oder nicht gebührend anerkenneten; und wir würden seine Vorzüge mit Vergnügen herausstellen, wenn es hier dessen bedürfte, für jetzt aber wollen wir nur auf seine Mängel hinweisen, damit unsre Leser einsehen, warum und in welcher Hinsicht Manzoni und mit ihm einige andere Dichter von seinem Systeme abgewichen sind. Die Verehrung dieses Dichters in Italien ist so groß, daß, obgleich viele Kritiker dargethan haben, daß er in einigen Punkten gar nicht verdient, nachgeahmt zu werden, gleich wohl beinah alle Tragiker seit seiner Zeit bis auf unsere Tage, sich die Pflicht auferlegten, ihm wenigstens die Fehler seines Stils und Versbaues nach zu machen. Monti indessen bildet eine Ausnahme, und wenn er auch seinen Cajo Gracco ganz nach den Grundsätzen Alfieris geschrieben hat, so ist dagegen sein Aristodemo eine völlig griechische Schöpfung, und seinen Galeotto Manfredi kann man als den Uebergang von den Tragödien Alfieris zu denen der Romantiker betrachten. Ueberall ist sein Stil leicht und beweglich, sein Vers gefällig und harmonisch. Diejenigen, welche sich nach Monti als Tragiker in Italien mit Ehren nennen dürfen, sind Foscolo, Pindemonte, della Valle, Niccolini von Florenz; aber Keiner übertraf Alfieri, oder kam ihm gleich, obwohl ihn alle mehr oder weniger zum Vorbild genommen hatten. Wir wissen nicht, wie weit dieß Manzoni gelungen wäre, wenn er sich in Alfieri’s Weise versucht hätte. Da er aber auftrat, nachdem bereits der „Romanticismus“ Eingang gefunden, folgte er mehr Göthe und Schiller, und gab in seinen beiden Stücken Carmagnola und Adelchi Italien die ersten wahrhaft romantischen Tragödien. Das erste dieser Stücke hat den Tod eines berühmten Heerführers im Dienste von Venedig zum Gegenstand, das zweite den Sturz des Longobardenreichs. In diesen Trauerspielen ist keine der classischen Einheiten beobachtet; das Streben des Dichters ging vielmehr vor Allem dahin, die Geschichte so treu als

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