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Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 274. 30 September 1828.

Uebersicht der neuesten italienischen Literatur.

In Briefen von einem italienischen Gelehrten.

Fünfter Brief.

Unter dem Namen dramatischer Poesie verstehen wir noch das Melodram (opere per musica) und die Komödie. Ersteres theilt sich in das ernste und in das komische, und gehört fast ausschließlich Italien an, weil kein anderes Volk eine zur Musik so geeignete Sprache besitzt. Der Schöpfer des ernsten Melodrams war Ottavio Rinuccini, der gegen das Ende des 16 Jahrhunderts lebte. Im folgenden Jahrhundert hielten Guidi, Testi, Chiabrera, Maggi und Lemene, alle Dichter von hohem Rufe, es nicht unter ihrer Würde, in dieser Dichtart zu schreiben; aber Apostolo Zeno (geboren 1668, gestorben 1750) trachtete nach dem Ruhm sie auf eine höhere Stufe der Vollendung gebracht zu haben, und Pietro Trapassi (gewöhnlich unter dem Namen Pietro Metastasio bekannt) hat sie wirklich vervollkommnet. Die Erfindung deskomischen Melodrams dagegen schreibt man gewöhnlich Orazio Vecchi zu, der im Jahr 1597 in Venedig seinen Antiparnaso herausgab, und Wiederhersteller desselben waren Girolamo Gigli, der schon erwähnte Apostolo Zeno, Carlo Goldoni, Ronieri de’Casalbigi, und vor Allen Giambattista Casti, welche alle im 18 Jahrhundert lebten; endlich auch Einige im gegenwärtigen Jahrhundert. Nach ihnen kamen beide Arten von Melodram in Verfall, theils wegen zu großer Ansprüche der Componisten und der Sänger, theils auch wegen der Nachlässigkeit des Publikums, das in den übergroßen Theatern von Mailand und Neapel Nichts denn Ohrenkitzel und überraschende Scenen sucht, ohne sich um Reden im Drama zu kümmern. Während das eigentlich komische Melodram bereits gänzlich vergessen ist, hat das ernste sich von seiner ursprünglichen Form so sehr entfernt, hat jenen Adel, zu welchem Metastasio es erhob, so sehr verwischt, daß man es beinahe nicht mehr erkennt. Metastasio, einer der ersten Dichter seiner Zeit, ein nicht unbedeutender Gelehrter, ein vollkommner Kenner der Sprache, in welcher er schrieb, war ein Melodramatiker. Gegenwärtig aber sind die Schriftsteller in diesem Fache Männer ohne Namen, welche zu einer Classe gehören, wo man um Verse zu machen keines dichterischen Berufs bedarf. Bagnoli und Doctor Giovanni Gherardini, ausgezeichnet durch ihre Gelehrsamkeit und ihren feinen Geschmack, hätten wohl etwas Schönes geleistet; sie haben aber Italien nur wenige Melodrame gegeben, und sich bald aus einem Felde zurückgezogen, auf welches sich die verächtlichsten Skribler eingedrängt hatten. Noch ist Angelo Anelli zu nennen, der sich mit Erfolg in beiden Arten von Melodram versuchte, aber außer diesen Dreien giebt es auch keinen Einzigen, der Italien jenen alten Ruhm behauptet hätte. Vielleicht erscheint unser Urtheil zu streng, aber wir glauben jeden Mann von gutem Geschmack für uns zu haben und sind auch der Meinung, daß Italien nicht so leicht auf ein Vorrecht verzichten dürfe, das seine schöne und edele Sprache ihm vor den andern Völkern eingeräumt hat.

Was die Komödie betrifft, (die wir in das Gebiet der poetischen Produktionen setzen, wenn sie gleich nicht mehr in Versen geschrieben wird) so glauben wir, daß ihrer Vervollkommnung in Italien ein sehr wesentliches Hinderniß im Wege steht. Die Komödie soll die Sitten der Nation schildern und durch Spott zu bessern suchen; wo findet aber der Dichter den Typus der Nationalsitten in Italien, das keine Hauptstadt hat, die für die übrige Nation den Ton angeben könnte? Vermochte doch selbst Goldoni, der erfahrne Menschenkenner, dieses bedeutende Hinderniß nicht ganz zu besiegen, wenn er in seinen Komödien fast ausschließlich nur das venzianische Gesellschaftsleben darstellt, so daß das übrige Italien einen großen Theil von den Schönheiten seiner Werke gar nicht verstehen kann. Ohne dem großen Talente des Advokaten Goldoni zu nahe zu treten, geben wir kurz unsre Bemerkungen. Nota von Turin und Giraud scheinen uns die besten Komiker unsrer Zeit zu seyn: aber man muß hinzufügen, daß im Ganzen das italienische Theater, einige ältere Nationalstücke ausgenommen, seit einiger Zeit fast nur mit Uebersetzungen französischer oder deutscher Lustspiele bedient wird. Der gaetanische Professor Barlieri gab zwar unter dem Titel Repertorio teatrale eine zahlreiche Sammlung von Komödien heraus, die gegenwärtig von den italienischen Schauspielern aufgeführt werden; allein in diesem Repertorium sind es auch die Uebersetzungen, welche bei Weitem die Mehrzahl bilden, und die noch überdieß vor den Originalweken den Vorzug verdienen. Wir dürfen nicht unbemerkt lassen, daß in den letzten Jahren einige Italiener die Komödie in Versen wieder ins Leben zu rufen versuchten; sie haben aber (wie es auch nicht anders seyn konnte) die Ansicht aller verständigen Kritiker gegen sich. –– ––

Es ist schon erwähnt worden, daß Monti, Pindemonte und Foskolo den Homer übersetzten. Michele Leoni, Mancini von Florenz und Professor Fiocchi aus Pavia gaben Italien gleichfalls eine Uebersetzung Homer’s, der Erste in ungereimten Versen, die beiden Andern in

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